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Die Politik des Aristoteles.



Uibersezt von Christian Garve.

Herausgegeben mit Anmerkungen und Abhandlungen von G. G. Sülleborn.
Erster Theil.Wien und Prag. bey Franz Haas, 1803.Vorerinnerung.Der nächstfolgende Band wird dasjenige enthalten, was zur Rechtfertigung dieser Uibersetzung, und was zur Erläuterung des Werks selbst dienen kann. Zu beyden finden sich in den Papieren des verdienten Garve einige wenige Winke, die ich gewissenhaft benutzen werde.Erstes Buch.

Erstes Kapitel.

Uiber den Zweck der Staatsvereinigung. In wiefern die bürgerliche Gesellschaft von andern Gesellschaften unterschieden ist. sie isi aus mehreren kleinen zusammengesetzt. Enumeration dieser Elemente eines Staates.Da jedes gemeine Wesen eine Gesellschaft vereinigter Menschen ist; jede Verbindung unter den Menschen aber , um eines boa ihnen beabsichteten Gutes willen errichtet wird (denn asse handlungen der Menschen baden eine Absicht . die immer in einem wirklichen oder scheinbaren Gute liegt) , so muss die bürgerliche Vereinigung auf dir Erlangung gewisser Güter abzielen. Und dasjenige Gut, welches sich die bürgerliche Vereinigung zum 3wecke macht, muss wahrscheinlich daz höchte aller Güter seyn , weil die Vereinigung selbst die oberste aller Verbindungen unter den Menschen ist , und dir übrigen alle in sich schlicht.Diejenigen irren , welche die Verrichtungen eines Staatsmanns in smet Republik, eines Königs , eines Hausvaters und eines herrn über Leib eigne für einerley, und dieselben Eigenschaften zu der einen, wie zu der andern, nöthig halten. Die Meinung dieser Philosophen ist ohngefähr folgende: "Die bürgerliche, und jene häuslichen Gesellschaften, sagen sie, sind nicht der Art nach unterschieden, sondern nur durch die kleinere oder grössere Anzahl der Personen, aus welchen sie bestehen. Wer über wenige Sklaven herrscht, heisst Herr; wer eine ganze Familie regiert, heisst Hausverwalter; wer über noch Mehrere zu gebiethen hat, heisst König oder Staatsverwalter. Ein grosses Hauswesen ist von einer kleinen Stadt in nichts unterschieden, und zwischen einem Staatsmanne in Republiken und einem Könige ist kein Unterschied, als dass der letztre die Regierung allein führt, der erstre aber mit seinen Mitbürgern in der Regierung abwechselt; wozu noch diess kommt, dass der Nahme Staatsmann den Begriff der Einsichten, mit welchen er die Regierung führt, schon in sich schliesst, der Nahme König aber nichts dergleichen andeutet." Das alles aber ist nicht ganz richtig. Man wird diess einsehen, wenn wir den Gegenstand nach der Methode untersuchen werden, die alle unsre wissenschaftlichen Untersuchungen zu leiten pflegt.So wie man jedes Zusammengesetzte am bessten kennen lernt, wenn man es in seine einfache Theile auflöst, die immer zugleich auch seine kleinsten Theile sind: so werden wir auch, um die Natur eines Staates einzusehen, die kleinsten Gesellschaften aufsuchen müssen, aus denen er zusammengesetzt ist. Daraus wird sich zugleich ergeben warum diese kleinen Gesellschaften unter sich vom Ganzen verschieden sind, und bey welcher derselben eine Wissenschaft oder Kunst in Absicht ihrer Regierung Statt findet.Man kann die Natur einer Sache nicht besser erforschen, als wenn man sie unter seinen Augen entstehen sieht. Diese Methode wollen wir also auch, in Absicht unsers Gegenstandes, einschlagen. Zu dem Ende müssen wir zuerst die zwey Menschen in eine Gesellschaft vereinigen, welche, nach ihrer Bestimmung, einander durchaus nicht entbehren können. Diese zwey Menschen sind Mann und Weib, und ihre Bestimmung ist die Fortpflanzung ihres Geschlechts. Die Verbindung unter ihnen ist nicht ein Werk des Vorsatzes und der Vernunft, sondern des Jnstincts; dergleichen wir bey den Thieren, und selbst bey den Pflanzen finden, die sämmtlich einen natürlichen Trieb äussern, ihres Gleichen zu erzeugen.Die zweyte der einfachsten Natur-Verbindungen ist die zwischen Herrn und Knecht, zwischen Regierenden und Regierten, und ihr Zweck ist die Erhaltung von beyden. Diese Verbindung, sage ich, ist natürlich. Denn wenn von zwey Menschen der eine den nöthigen Verstand hat, um Beschlüsse für die vorliegenden Angelegenheiten zu fassen, der andre die nöthigen Leibeskräfte, um das Beschlossene auszuführen: so ist der erste, vermöge seiner Natur, der Herr und Regierer; und der zweyte ist, nach der seinigen, der Knecht und Gehorchende unter beyden. Und diese natürliche Oberherrschaft ist dem Unterthan eben so nützlich, als dem Oberherrn.Die eheliche ist nicht zugleich die ursprünglich herrschaftliche Gesellschaft: und das Weib ist nicht der gebohrne Sklave des Mannes. Die Natur macht ihre Werke nicht mit solcher Sparsamkeit, wie (dem Sprichworte nach), die Stahlarbeiter den Delphischen Degen, dass ein und dasselbe Ding zum Werkzeuge vieler Verrichtungen dienen müsse. Jedes Ding ist bey ihr nur für Einen Endzweck gemacht. Und in der That werden Werkzeuge dann am vollkommensten, wenn sie nur zum Dienste einer einzigen Verrichtung, und nicht für mehrere zugleich eingerichtet werden.Unter den ungriechischen Nazionen verhält es sich mit dem weiblichen Geschlechte anders. Hier ist es in der That zum Sklavenstand herabgewürdigt. Die Ursache ist, weil unter ihnen überhaupt die Menschen-Art fehlt, welche von Natur zur Regierung bestimmt ist: der Mann, welcher eine Sklavin in seiner Frau heirathet, ist bey ihnen, dem Geiste nach, eben so gut ein Sklave, als sie. Daher sagen die Dichter: "es sey billig, dass Griechen über Barbaren herrschen." Sie setzen nähmlich voraus, dass ein Barbar seyn, so viel sey, als zur Unterwürfigkeit gebohren seyn.Aus diesen beyden Verbindungen nun, der ehelichen und der herrschaftlichen, entsteht zuerst ein Haus, oder eine Familie. Hesiodus bezeichnet diese Theile nicht unrichtig in dem bekannten Vers: μεν πξωτιστα (Erst das Haus, die Gattin dann, und den pflügenden Ochsen.) Der pflügende Ochs stellet hier den Knecht vor: denn in der That haben die ärmern Landleute kein andres ihnen dienendes Geschöpf.Diese häusliche Gesellschaft hat noch das Eigenthümliche, dass die darin vereinigten Menschen alle Tage und ununterbrochen in Gemeinschaft sind: Daher nennt sie Charondas δμοσιπυες und der Cretenser Epimenides σποχαπνες, wovon das erste Leute anzeigt, die aus einer gemeinschaftlichen Vorrathskammer zehren, das andre solche, die Feuer und Heerd mit einander gemein haben.Die erste Gesellschaft nun, die aus der Verbindung mehrerer Häuser entsteht, ist das Dorf oder der Flecken; eine Gesellschaft, die nicht mehr die Befriedigung täglicher Bedürfnisse zur Absicht hat.Der natürlichste Ursprung eines Dorfs ist daher zu leiten, wenn die erste Familie Colonieen aus ihrem Schoosse aussendet. Um desswillen werden auch solche kleine Volksstämme von einigen Schriftstellern όμογάλαχτοι genannt, Leute, die an Einer Mutter Brust gesogen haben. Sie sehen sie als Kinder und Enkel eines gemeinschaftlichen Aelternpaares an.Daher kommt es ferner, dass ursprünglich die Städte von Königen regieret wurden, und jetzt noch, wo ganze Volksstämme Staaten gebildet haben, diese von Königen regiert werden. Städte und Volksstämme entstanden nähmlich aus Familien, und in der Familie war die monarchische Regierungsform eingeführt: der Aelteste einer Familie wird natürlicher Weise das Oberhaupt derselben. Diese Herrschaft dehnt sich dann leicht auch auf die Familien aus, welche von der erstern ausgehen, und sich neben ihr in besondern Häusern ansetzen.Von diesem Zustande der Gesellschaft, worin die Hausväter die einzigen Obrigkeiten sind, redet Homer, wenn er von den Cyklopen sagt: (Ein jeder richtet besonders Seine Kinder und Weiber.)Das war eine natürliche Folge davon, dass bey den Cyklopen, wie Homer sie beschreibt, die Familien von einander abgesondert wohnten. Aber diese Lebensart war die allgemeine der Menschen in den ältesten Zeiten.Hieraus lässt sich endlich erklären, wie unter den Nazionen die Meinung so allgemein geworden ist, dass die Götter von einem höchsten Gotte beherrscht werden. Die Nazionen selbst stehen entweder jetzt noch unter Königen, oder hatten vor Zeiten welche. Die Menschen sind aber geneigt, so wie sie ihre Gestalt den Göttern beylegen, so auch ihnen die Verfassung zuzuschreiben, welche sie unter sich selbst finden.

Zweytes Kapitel.



Was ein bürgerliches Gemeinwesen sey. Beweis, dass, die Vereinigung der Menschen zu einem solchen Gemeinwesen in der Natur gegründet und derselben gemäss sey.

Die nun aus der Vereinigung mehrerer Dorfschaften entstehende, schon beynahe vollständige und sich selbst genug seyende Gesellschafl, ist eine Stadt, oder ein bürgerliches Gemeinwesen.Diese Verbindung wird zuerst der Selbsterhaltung wegen errichtet: der spätere Endzweck, der bey ihrer Fortdauer hinzutritt, ist erhöhte Glückseligkeit.Wenn nun jene einfachern Verbindungen des Hauses und des Fleckens natürlich sind; so ist auch die bürgerliche Vereinigung natürlich. Denn erstens ist sie die Vollendung von jenen. Jn allen Dingen aber zielt die Natur auf Vollendung ab, und zeigt sich im Vollendeten am deutlichsten. Wenn wir die Natur eines Menschen, eines Pferdes oder eines Hauses bestimmen wollen: so betrachten wir jeden dieser Gegenstände, wie er dann beschaffen isi, wenn er seine völlige Reife und Ausbildung erlangt hat. Ferner das, um desswillen andere Dinge vorhanden sind, und das ihren Endzweck ausmacht, ist als das Bessere anzusehen. Sich selbst genug zu seyn, ist ein solches Ziel, dem jedes Naturproduct zueilt: dieser Zustand ist also der vollkommenste.Hieraus ist klar, dass die bürgerliche Gesellschaft, wie sie in ihrer ersten und einfachsten Form, in einer Stadt besteht, unter die Werke der Natur gehört, und der Mensch ein zum bürgerlichgesellschaftlichen Leben bestimmtes und eingerichtetes Geschöpf ist. Der Mensch, welcher nicht durch zufällige Umstände, sondern vermöge seiner Natur, ausser aller bürgerlichen Gesellschaft lebt, ist entweder mehr, oder weniger, als ein Mensch. Von der letztern Art ist der, welchen Homer durch die beschimpfenden Beywörter schildert:(Ohne Zunft, ohne Gesetz, ohne Heerd.)Ein Mensch, der von Natur einen solchen Charakter hat, ist gewiss zugleich ein Freund des Krieges, ein Räuber, ein Ungerechter: so wie Vögel, die sich nie paaren, und kein eignes Nest haben.Ein Beweis, dass der Mensch von Natur noch mehr zur politischen Geselligkeit geschaffen und mehr dazu geschickt gemacht sey, als die Biene, oder irgend eines der Thiere, die in Heerden unb Schwärmen beysammen leben, ist folgendes. Die Natur macht gewiss nichts ohne Absicht. Nun hat unter allen Thieren der Mensch allein die Sprachfähigkeit. Alle haben zwar eine Stimme, und geben unartikulirte Töne von sich, wodurch sie ihre angenehmen g oder schmerzhaften Empfindungen anzeigen. Denn so weit reichen ihre Naturkräfte, dass sie Lust und Unlust unterscheiden: und dem zufolge haben sie auch das Vermögen, diese Empfindungen den Geschöpfen ihrer Art anzuzeigen. — Die Sprache aber ist dazu bestimmt, zu erkennen zu geben, was der Redende für nützlich oder für schädlich. — und also auch, was er für gerecht und für ungerecht hält. Diess ist das Unterscheidende des Menschen, was kein Thier mit ihm gemein hat, dass er fähig ist, sich vom Guten und Bösen, von Recht und Unrecht Vorstellungen zu machen. Und die wechselseitige Mittheilung dieser Vorstellungen, die Einstimmung mehrerer Menschen in denselben, macht eben das Band der häuslichen und der bürgerlichen Gesellschaft aus.Obgleich die Familie aus einzelnen Menschen und die Stadt aus mehrern Familien besteht: so kann man doch in gewisser Absicht sagen, dass die Stadt oder das Gemeinwesen das Erste und Ursprüngliche sey, — und dass die Familie und der einzelne Mensch nur davon abgeleitete Wesen sind. Denn das Ganze ist nothwendig das Fundament der Theile, und muss also als selbstständiger und ursprünglicher betrachtet werden. Sobald der ganze Körper stirbt: so ist auch Hand und Fuss todt. Wenigstens existiren sie nur der äussern Gestalt und dem Nahmen nach, so wie man auch eine von Stein so gebildete Form eine Hand nennt. Eine todte Menschenhand ist mit einer steinenen von einerley Art. Jedes Ding ist das, was es ist, eigentlich nur durch die ihm beywohnende Kraft, — durch seine Fähigkeit so oder anders zu wirken. —Wenn diese aufgehört hat, so hat es seine wesentlichste Eigenschaft verloren; so ist es nicht mehr dasselbe Ding, — und es sollte nicht mehr den alten Nahmen behalten, wenn man nicht oft Dinge bloss um äussrer Aehnlichkeit willen gleichförmig benennte.Wenn nun also der Mensch ohne die bürgerliche Gesellschaft nicht bestehen kann, und getrennt von ihr, sich nicht selbst genugsam ist: so verhält er sich zu jener Gesellschaft nicht anders, als wie jeder Theil sich zu seinem Ganzen verhält. Das Ganze aber ist das Selbstständige und Ursprüngliche, der Theil das Abhängige und Hergeleitete. — Also ist auch der Staat das erstre, der einzelne Mensch das andre.Gibt es Menschen, die an dieser Vereinigung nicht Theil nehmen können, oder derselben aus Allgnugsamkeit nicht bedürfen: so sind sie zwar hiervon eine Ausnahme; — sie sind selbständige Ganze, nicht Theile eines andern Ganzen. Aber sie sind auch, wie ich schon gesagt habe, besser oder schlechter als Menschen, — sie sind Götter oder Thiere.Jn der That ist der Trieb und die Anlage zur bürgerlichen Vereinigung allen Menschen gemein. Demohnerachtet war derjenige der grösste Wohlthäter des menschlichen Geschlechts, der diese Vereinigung zuerst zu Stande brachte. Denn so wie der Mensch, wenn seine Natur gleichsam vollendet, und er zu dem ausgebildet ist, was er seyn soll, das vortrefflichste aller Geschöpfe ist: so ist er auch, wenn er, gesetzlos und ohne Begriffe von Recht und Unrecht, verwildert, das schlimmste unter allen. Denn nie ist die Ungerechtigkeit fürchterlicher, als wenn sie Waffen hat. — Der Mensch wird aber mit mächtigen Waffen gebohren, da ihm Verstand und Geisteskräfte zu Theil geworden sind. Wendet er diese aufs Böse an, so muss er nothwendig ärgern Schaden stiften, als irgend ein Thier, entblösst von denselben, thun kann. Und diess lehrt auch die Erfahrung: Nichts ist unbändiger, in allen Begierden der Wollust und des Gaumens unersättlicher, zu allen Grausamkeiten und Frevelthaten mehr aufgelegt, als ein Mensch ohne alle Moralität. Moralität und Gerechtigkeit aber sind Folgen der Bildung, die der Mensch nur in der bürgerlichen Gesellschaft erhält. Denn das Gerichtswesen erhält die Ordnung aller bürgerlichen Vereinigung. Das Gerichtswesen aber ist die Beurtheilung dessen, was Recht oder Unrecht ist.

Drittes Kapitel.



Bestimmung der abzuhandelnden Materien. Herrschaftliche Verbindung, ihre Natürlichkeit.

Wenn nun also ein Gemeinwesen, so wie es zuerst in Einer Stadt völlig gebildet erscheint, nach dem bisher Gesagten, aus Familien und einzelnen Häusern, als seinen Theilen, besteht: so ist klar, dass in einem Werke über die Politik, von der Regierung des Hauses oder der Familie zuerst gehandelt werden müsse. Ein vollständiges Haus besteht, wie wir gesehen haben, aus zweyerley Gesellschaften, aus einer Gesellschaft unter Freyen, und aus einer zwischen Herrn und Sklaven. Jene ist wieder doppelt, die Gesellschaft zwischen Mann und Frau, und die zwischen Aeltern und Kindern. Es wird sich daher die Lehre von der häuslichen Gesellschaft in diese drey Hauptstücke theilen, in das von der herrschaftlichen, von der ehelichen und von der älterlich-kindlichen Gesellschaft; unter welchen die zweyte und dritte, im Griechischen, so wie im Teutschen die erste und letzte, von den Philosophen hat eigne Nahmen bekommen müssen, da sie im gemeinen Sprachgebrauche keine hatten. Von jeder dieser Verbindungen ist zu untersuchen, was sie sey, oder wie sie entstehe, und wie sie seyn solle, oder wodurch sie ihrem Endzwecke entspreche.Die Rigierung der häuslichen Gesellschaft, glauben einige, bestehe ganz und gar in nichts anderm, als in der Sorge für Erwerbung und Erhaltung des Vermögens. Andre sehen diese Besorgung wenigstens für den wichtigsten Theil jener Regierung an. Jn der That ist sie ein Theil davon, und als solcher muss sie auch hier in Betrachtung gezogen werden.Zuerst will ich von dem Verhältnis zwischen Herrn und Knecht reden, — theils um zum praktischen Gebrauche die nothwendigen Regeln zu finden, theils um zu sehen, ob wir nicht auch in der Theorie hierüber zu richtigern Grundsätzen, als die gemeinhin angenommen sind, gelangen können.Die Meinungen nähmlich über die Natur des Herrn- und Sclavenstandes sind getheilt. Einige sehen die Regierung, die der Hausherr über sein Gesinde führt, als eine Willenshaft, als eine Kunst an, die er ausübt; und glauben, (wie ich gleich anfänglich gesagt habe) dass diese Kunst eben dieselbe sey, mit der, welche den guten Hausvater im Ganzen, den guten Staatsmann in Republiken, und den guten König als solchen auszeichnet.Andre hingegen halten das Herrschen über Leibeigne an und für sich für etwas Widernatürliches. Sie sagen: bloss auf die Gesetze und das Herkommen sey es gegründet, dass der eine Mensch ein Freyer, der andre ein Leibeigner sey. Von Natur sey zwischen beyden kein Unterschied. Daher B sey auch die Herrschaft der Erstern über die Andern ungerecht, weil sie sich ursprünglich nur aus einer Gewaltthätigkeit erklären lasse.Meine Jdeen hierüber sind folgende. Hab und Gut, oder ein Eigenthum gehört mit zum Hause, oder ist durchaus nothwendig, wenn die häusliche Gesellschaft bestehen soll. Die Beschäftigung also, dieses Hab und Gut sich zu verschaffen und zu brauchen, gehört mit zu der häuslichen Verwaltung oder Regierung (zur Oeconomie). Ohne gewisse äussre Hülfsmittel nähmlich, (die wir Nothwendigkeiten des Lebens nennen) ist es unmöglich zu leben, —geschweige denn glücklich zu leben. Diess kann noch aus einem andern Gesichtspuncte gefasst werden. Jede Kunst hat ihre eigne Werkzeuge, ohne welche das, was sie hervorbringen will, nicht zu Stande gebracht, oder doch nicht, wie sichs gehört, ausgearbeitet werden kann. Das häusliche Leben und die häusliche Administration hat gleichfalls die ihrigen.Nun sind von diesen Werkzeugen die einen leblos, die andern lebendig. Zum Beyspiel, für den Steuermann ist das Ruder das leblose, und der Ruderknecht das lebendige Jnstrument. Jn jeder Kunst ist der Handlanger als eine Art von Werkzeug zu betrachten.Jedes Stück, welches man zum Hab und Gut einer Familie rechnet, ist nichts anders als ein Werkzeug, welches zum Leben und dem Wohlseyn derselben dient. Die Summe aller dieser Werkzeuge macht das Vermögen oder den Reichthum der Familie aus. — Der Knecht nun ist als ein lebendiges Eigenthumsstück anzusehen, insofern er ein lebendiges Werkzeug abgibt.Jn der That sind zum Gebrauch aller todten Werkzeuge lebendige nothwendig. Wenn die Jnstrumente der Künste, bloss auf Befehl des Künstlers, oder aus eigner Empfindung dessen, was zu thun sey, ihr Werk vollbrächten; wenn sie den Kunstwerken des Dädalus, oder den vom Vulkan verfertigten Dreyfüssen gleich wären, von welchen der Poet sagt: "dass sie sich von selbst in die heilige Versammlung begaben;" wenn, auf gleiche Weise, das Weberschiff von selbst zwischen Zettel und Eintrag hin und her liefe, oder der Schlägel des Cytherspielers von selbst die rechten Saiten träfe: so würden Menschenhände bey keiner Kunst zur Ausübung nöthig seyn. Ein Baumeister also würde auch keiner Zimmerleute und Handlanger, und eben so wenig ein Herr und Hausvater der Dienstbothen und Sclaven bedürfen.Zwischen jenen Werkzeugen der Künste aber, und diesen, die wir zur Habe oder zum Reichthum einer Familie rechnen, ist ein Unterschied, auf den ich aufmerksam machen muss. Jene sind Werkzeuge, um erwas machen oder hervorbringen zu helfen; diese sind Werkzeuge, nur um das Thun oder das Handeln überhaupt zu erleichtern. Durch das Weberschiff, wenn es hin und her geworfen wird, entstehet etwas; und die Absicht desselben liegt nicht bloss in dem Gebrauche. Durch den Gebrauch eines Kleides oder eines Bettes hingegen entstehet nichts; und man erwartet keinen weitern Endzweck davon, als den man erhält, während dass man es braucht.So wie nun das Machen und das Thun, das heisst, die Hervorbringung einer Sache, und die blosse Thätigkeit unsrer Kraft, von einander verschieden sind: so müssen auch die Werkzeuge verschieden seyn, welche zu jedem gehören. — Das Leben nun besteht aus einer Reihe von Thätigkeiten; sein Endzweck liegt in ihm selbst, nicht in etwas, das dadurch hervorgebracht werden soll. Der Dienstbothe oder Sclave, der als Werkzeug zum Bestehen oder zur Bequemlichkeit des häuslichen Lebens dienen soll, ist ein Werkzeug des Thuns, des Handelns, — d. h. von Thätigkeiten, die in sich selbst ihren Endzweck haben: — und insofern ist er also mit jedem andern Eigenthumsstücke von gleicher Art.Wenn man von einem Hausrathe sagt, er sey des Cajus: so schliesst diess ähnliche Begriffe in sich, als wenn man von einem Theile sagt: es sey der Theil des Ganzen. Nähmlich der letzte Ausdruck sagt nicht nur, dass der Theil auf das Ganze diejenige Beziehung habe, um derentwillen er Theil heisst: sondern er sagt auch, dass er dem Ganzen zugehöre und von ihm abhängig sey. Auf gleiche Weise sagt der erste Ausdruck nicht bloss, dass das Eigenthum mit dem Cajus in derjenigen Verbindung stehe, welche es zum Eigenthum macht: sondern auch, dass es ganz von dem Cajus unzertrennlich, und zugleich von ihm abhängig sey. Der Herr heisst auch Herr des Knechtes, aber er ist desswegen nicht ganz des Knechtes. Der Knecht aber ist Knecht des Herrn, und ist zugleich ganz und gar des Herrn.Diess, glaube ich, dient zur Erklärung dieses Verhältnisses, und zur Einsicht in die Natur der Herrschaft und der Sclaverey. Ein Mensch nähmlich, der von Natur nicht sein eigen, sondern eines andern ist, der ist von Natur Sclave. Derjenige ist aber eines andern, welcher, ob er gleich Mensch ist, — doch als ein Eigenthumsstück, als ein Theil der Habe eines andern anzusehen ist, und diess ist er alsdann, wenn er nur als Werkzeug der Thätigkeit eines andern wirkt.Nur frägt sich jetzt weiter: ob wirklich Menschen von Natur so beschaffen sind, und ob es also deren gebe, denen es besser, — und bey denen es also auch gerecht ist, das sie als Sclaven dienen; oder ob alle sclavische Dienstbarkeit wider die Natur und wider das Recht sey?Diese Frage lässt sich aber sowohl aus Gründen als nach Erfahrungen sehr leicht entscheiden.Erstlich, das Herrschen, und Beherrschtwerden überhaupt, gehört nicht nur unter die nothwendigen, sondern auch unter die nützlichen Dinge. Eben so unleugbar ist es, dass zwischen gewissen Dingen, schon von ihrer Entstehung an, sich ein solcher Unterschied findet, wodurch die einen zur Regierung, die andern zur Abhängigkeit bestimmt werden. — Die Arten von regierenden sowohl als abhängigen Subjecten sind unzählich. Jede Art aber ist desto vorzüglicher, je vollkommner und besser die Wesen sind, über welche geherrscht wird. So ist die Herrschaft über Thiere etwas Höheres, als die über leblose Dinge; die über Menschen etwas Besseres, als die über Thiere. Das Werk nähmlich, das von den Bessern hervorgebracht wird, ist selbst auch das vorzüglichere. Wo aber ein Theil herrscht, der andre beherrscht wird, da gibt es ein gemeinschaftliches Werk, an welchem beyde arbeiten.Nun ist ohne Zweifel das Werk des vollkommneren Wesens auch das vorzüglichere Werk. Das Untergeordnete dient also alsdenn zum bessern Zwecke.Dass aber jede Herrschaft eine solche vereinigte Wirkung mehrerer Wesen voraussetzt, bestätigt sich aus der Erfahrung des umgekehrten Satzes. Allenthalben nähmlich, wo aus vielen Dingen Ein Ganzes zusammen gesetzt ist, oder wo viele in Gemeinschaft mit einander getreten sind, es mag nun diese Verbindung mit oder ohne Cohäsion seyn: da zeigt sich immer ein regierenden Principium, ein herrschender Theil, von dem die übrigen in ihrer Lage und Bewegung bestimmt werden. Diess findet sogar bey leblosen Gegenständen Statt, z. B. bey der Harmonie mehrerer Saiten, wo immer ein Ton der Grundton ist. Aber ganz vorzüglich ist es von lebenden Wesen wahr.Zuerst besteht jedes Thier aus Leib und Seele, wovon jenes der dienende, dieses der herrschende Theil ist. —Nähmlich, um zu wissen, wie ein Ding seiner Natur nach beschaffen sey, muss man dasselbe nicht in seinem verdorbnen, sondern in seinem natürlichen und vollkommnen Zustande betrachten. So muss man an dem bessten, an Leib und Seele vollkommensten Menschen aufsuchen, was zur Natur des Menschen gehört. Bey diesem nun verhält sich die Sache so, wie ich gesagt habe: Die Seele regiert, der Körper gehorcht. Freylich bey schlechten und bey kranken Menschen scheint der Körper oft über den Geist zu herrschen: aber diess geschieht eben, weil sie sich in einem widernatürlichen Zustande befinden.Es findet sich aber im Menschen noch überdiess das Beyspiel der zwiefachen von mir unterschiedenen Herrschaft, von der, womit der Herr seine Sclaven, und von der, nach welcher ein Staatsverwalter die Bürger regiert. Die Seele nähmlich herrscht über den Körper als Despot, der Verstand über die sinnlichen Begierden als König und Obrigkeit.Jn diesem Beyspiele nun ist es ganz klar, dass es eine der Natur gemässe und eine nützliche Herrschaft gäbe. Es ist der Natur des Körpers gemäss, und es ist ihm nützlich, dass er von der Seele regieret wird; es ist für den leidenschaftlichen Theil unserer Seele natürlich und nützlich, dass er dem vernünftigen unterworfen ist. Beyde, der obere und der untere Theil in diesen beyden Verbindungen leiden, wenn der Rang unter ihnen gleich ist, oder die Herrschaft abwechselt.Eben das findet man bestätiget, wenn man den Menschen in Verbindung mit den Thieren, oder diese in ihren Verhältnissen gegen einander betrachtet. Weil die zahmen Thiere besser sind, als die wilden, und der Mensch besser als sie alle: so ist es auch allen nützlich, dass sie von dem Menschen beherrscht werden. Denn so ist für aller ihrer Erhaltung besser gesorgt.Ferner weil das männliche Geschlecht von Natur vollkommner und mehr begabt ist als das weibliche: so ist auch jenes mit Recht der herrschende, dieses der unterworfne Theil.Auf gleiche Weise verhält es sich nun in Absicht aller Menschen von ungleichen Naturkräften. Geht diese Ungleichheit so weit, dass sie dem Unterschiede zwischen Seele und Körper, zwischen Mensch und Thiere nahe kömmt, (und diess findet alsdenn Statt, wenn der eine Mensch nur bloss die Kräfte seines Körpers zu gebrauchen weiss, und körperliche Arbeiten das höchste sind, was er leistet): so ist dieser der gebohrne Sclave, für den es eben so natürlich und nützlich ist, beherrscht zu werden, als es für den unterworfnen Theil in allen vorhergenannten Fällen war.Dieser Beweis lässt sich noch auf eine andere Art wenden. —Derjenige ist von Natur ein Sclave, der dazu gemacht ist, eines Andern zu seyn, oder der nicht anders als verbunden mit einem andern, und unzertrennlich von ihm wirken kann. Diess ist aber der Fall alsdenn, wenn er nur grade so viel Verstand hat, um zu begreifen, was der andre ihm zu thun vorschreibt, nicht so viel, um selbst einzusehen, was er thun soll. Ein solcher ist von den Thieren nur insofern unterschieden, als diese nicht durch die Mittheilung der Gedanken eines andern, sondern nur durch Empfindungen und Einwirkung auf ihre Sinnlichkeit regiert werden. Auch ist der Gebrauch, den man von solchen Menschen und den man von den Thieren macht, nicht sehr ungleich. Beyde, nähmlich die Sclaven und die zahmen Thiere, helfen uns zu den Bedürfnissen des Lebens durch ihre körperlichen Kräfte und Fertigkeiten.Der Absicht und der ursprünglichen Einrichtung der Natur nach, sollten ohne Zweifel die Körper sowohl als die Seelen der freyen und der dienstbaren Menschen verschieden seyn: jene sollten stark und nervigt, zu schweren und niedrigen aber nothwendigen Arbeiten, diese schlank, feiner gebaut, zu Sclavendiensten untauglich, aber zu den Verrichtungen, die im bürgerlichen Leben vorkommen, geschickt seyn, — Verrichtungen, unter welchen sich die Geschäfte des Krieges und die der innern Staatsverwaltung am deutlichsten auszeichnen. — Allein in der Wirklichkeit trifft es sich oft, dass jene zwey Sachen getheilt sind, dass der eine Mensch den Körper eines Freyen, der andre die Seele desselben hat.Jn der That, auch schon die körperliche Verschiedenheit kann als ein natürlicher Grund der Unterordnung angesehen werden. Denn wenn es Menschen gäbe, die an Schönheit und körperlichem Bau die übrigen Menschen so weit überträfen, als einige Bildnisse der Götter von den bessten Meistern gearbeitet, die Gestalten der wirklichen Menschen übertreffen: würden wir nicht sagen, dass diese andern nichts bessers werth sind, als, jenen zu dienen? Wenn dieses aber von den Vorzügen der Gestalt gilt: wie viel mehr Recht hat man nicht bey einem ähnlichen Unterschiede der Seelen so zu entscheiden? Nur ist es nicht so leicht, die Vorzüge einer Seele vor der andern zu erkennen, oder die Grade dieser Vorzüge abzumessen.So viel ist also aus allem zusammengenommen klar, dass es Menschen gibt, die von Natur frey, andre, die von Natur Sclaven sind, d. h. solche, bey denen es billig und ihnen selbst nützlich ist, dass sie andern dienen und von andern beherrscht werden.

Viertes Kapitel.



Einwürfe gegen jene Theorie. — Nicht alle gesetzlich Freye und Sclaven sind es von Natur: aber es gibt deren, die es von Natur sind. Gerechtigkeit und Nützlichkeit des Sclavenstandes.

Jndessen sind, wie ich schon gesagt habe, die Meinungen hierüber getheilt, und auch die, welche das Gegentheil behaupten, haben einige nicht ganz verwerfliche Gründe anzuführen.Es gibt allerdings eine doppelte Sclaverey: eine natürliche, von welcher ich bisher geredet habe, und eine, welche bloss auf positiven Gesetzen beruht.Nähmlich jede allgemeine Uibereinkunft unter den Nazionen kann als ein Gesetz angesehen werden. Eine solche Uibereinkunft ist, dass jm Kriege der Uiberwundne, mit allem was er hat, dem Uiberwinder zugehöre. Gegen diese Convention nun treten viele Rechtslehrer auf und klagen sie einer innern Ungerechtigkeit und eines Widerspruchs mit höhern, von allen Menschen anerkannten Gesetzen an. Es wäre von den gefährlichsten Folgen, sagen sie, wenn es Grundsatz seyn sollte, dass der, welcher die Gewalt hat einen andern zu zwingen, und ihm an Kräften überlegen ist, der rechtmässige Herr und Gebiether desjenigen wäre, welchen er gezwungen hat.Auch die Philosophen und Gelehrten sind über diesen Punct ungleicher Meinung. Die Ursache dieser Misshelligkeit ist, weil auf gewisse Weise der bessere, der vortrefflichere Mensch, dem schlechtern auch an Kräften zum Zwingen überlegen ist; — und wenn er die äussern Hülfsmittel dazu hat, auch am ersten im Streite mit ihm die Oberhand behalten wird. So also, dass der Uiberwinder immer einen Vorzug wenigstens in gewissen Vollkommenheiten über den Besiegten zu haben, und die äussre Uibermacht nicht ohne eine gewisse innere Erhabenheit zu seyn scheint. Aber nicht diess, sondern die Gerechtigkeit der Sache ist der Gegenstand des Streits. Was heisst also gerecht? Einige erklären Gerechtigkeit durch Gesetzmässigkeit. Andre hingegen sagen, eben diess sey der erste Grundsatz der Gerechtigkeit, dass der Bessere und Vorzüglichere über den Schlechtern herrsche.Wenn man diese noch von einander abweichende Begriffe bey Seite setzt, so kann dem Satze, "dass der durch Geisteskräfte und Tugenden über andre Erhabne ein natürliches Recht habe, über andre zu herrschen" nichts Gründliches entgegengesetzt werden.Noch Andre schlagen einen Mittelweg ein, und sagen: die durch den Krieg entstandne Sclaverey sey hypothetisch gerecht, insofern sie den Gesetzen des Kriegs gemäss sey, aber nicht absolut gerecht, weil der Krieg selbst ungerecht seyn könne.Uiberhaupt ist es unzulässig, einen Menschen als rechtmässig zum Sclaven gemacht zu betrachten, dessen Natur und Eigenschaften ihn nicht zu Sclavendiensten bestimmt haben. Sonst müssten ja auch Personen aus den edelsten Geschlechtern Sclaven und sclavischen Herkommens seyn, wenn sie von ohngefähr in Kriegsgefangenschaft gerathen, und darin verkauft worden wären.Um desswillen wollen auch diejenigen, welche jenes Kriegsrecht vertheidigen, es nicht von kriegsgefangenen Griechen, sondern nur von Barbaren gelten lassen, dass diese durch die Uiberwindung Sclaven werden.Und indem sie dieses sagen, behaupten sie eben unsern bestrittnen Satz, dass gewisse Menschen von Natur oder vermöge ihrer angebohrnen Eigenschaften zu Sclaven mehr als andre bestimmt sind.Sie müssen nähmlich alsdann annehmen, dass gewisse Menschen immer Sclaven sind, in welchem Zustande der Unabhängigkeit sie sich auch befinden, andre niemahls Sclaven sind, wenn sie auch vom Schicksal zur Dienstbarkeit erniedriget worden sind.Es ist damit gerade so wie mit dem Adel, einem andern angebohrnen Unterschiede. Die, welche den Abel der Griechin für besser halten, als den der Nichtgriechen, müssen glauben, dass die Edeln der erstern allenthalben edel sind, die Edeln der andern nur in ihrem Lande: grade als wenn es einen absoluten und einen verhältnissmässigen Adel gäbe. Ungefähr in diesem Geiste sagt die Helene beym Theodectes: "Von beyden Seiten stamm ich von den Göttern, wer wagt es, Sclavin mich zu nennen? Wer?" Die, welche eine solche Sprache führen, gründen den Unterschied zwischen Freyen und Knechten, zwischen Edel und Unedel, auf nichts anders, als auf persönliche Vorzüge der erstern und Mängel der letztern. Sie glauben nähmlich, dass jedes Geschöpf nur seines Gleichen erzeuge, und dass, so wie von Thieren nur Thiere, von Menschen nur Menschen, so auch von vorzüglichen, grossen Menschen, wieder nur vorzügliche und grosse Menschen entspriessen. Und ohne Zweifel ist diess auch die Absicht und die Tendenz der Natur: aber oft hindern sie äussre Ursachen, dass sie ihren Zweck nicht erreicht.Hieraus erhellet nun, dass in dem oben angezeigten Streite beyde Theile Gründe vor sich haben, dass es Freye und Leibeigene gäbe, und andre, die es nicht nach der Natur sind.So viel bleibt indessen gewiss: dass der Abstand gewisser Menschen von einander wirklich so gross ist, dass es dem einen nützlich ist, als Sclave zu leben, dem andern, Herr zu seyn. Es ist nähmlich gerecht und dem allgemeinen Bessten gemäss, dass derjenige herrscht, welcher die zum Gebiethen nöthigen Eigenschaften hat, derjenige gehorcht, welcher zur Befolgung fremder Befehle gemacht ist; und zwar, dass jeder grade die Art von Herrschaft habe, und in der Art von Unterthänigkeit sey, zu welcher die natürlichen Anlagen bey ihm vorhanden sind. Unter diesen Arten nun ist eine, die Herrschaft des Hausherrn über seine Sclaven. Auch diese kann dem unterworfenen Theile nützlich seyn. Denn vom Missbrauche, von Tyranney, ist hier nicht die Rede. Diese ist bey jeder Herrschaft dem Gebiethenden sowohl als dem Gehorchenden schädlich.Jn der That, wenn das Ganze und der Theil immer ein gemeinschaftliches Jnteresse hat; — und wenn diess das eigenthümliche Verhältnis des Sclaven zu seinem Herrn ist, dass er gleichsam als ein Glied von dem Körper desselben, aber als ein davon abgesondertes und mit eignem Leben begabtes Glied angesehen werden kann: so muss auch Herr und Knecht ein gemeinschaftliches Jnteresse haben. Um desswillen ist auch zwischen beyden, wenn jeder von ihnen zu dem Stande wirklich gebohren ist, in welchem er sich befindet, eine natürliche Freundschaft; — grade das Gegentheil hingegen, wenn sie wider die Bestimmung der Natur, bloss durch Zwang und Gesetze in dieses Verhältniss gegen einander gebracht worden sind.Durch die bisherigen Entwickelungen lassen sich nun einige der oben vorgelegten Fragen entscheiden. Es ist z. B. klar, dass die Herrschaft des Hausherrn über seine Sclaven, des Hausvaters über die ganze Familie, und die des Staatsmanns über Bürger, nicht, wie einige glauben, von einerley Art, sondern dass sie wesentlich unterschieden sind. Der Herr ist ein Freyer unter Sclaven, der Hausvater ein Monarch über Unterthanen, der Staatsverwalter ein Regent auf eine Zeitlang über freye Bürger seines Gleichen.Das was den Herrn im ersten Verstande mach, ist nicht wie beym Regenten, eine gewisse Wissenschaft die er besitzt, eine Kunst die er ausübt; sondern ein natürlicher angebohrner Vorzug. Der Unterschied zwischen Freyen und Sclaven liegt darin, dass jeder so oder anders von Natur beschaffen ist, nicht dass er diess oder etwas anders gelernt hat.Demohnerachtet gibt es auch gewisse Kenntnisse und erlernte Geschicklichkeiten, die den Herrn und die den Diener zu dem was jeder seyn soll, mehr ausbilden. So errichtete jemand in Syrakus ein Jnstitut, wo er, für eine bestimmte Summe, junge Sclaven zu den gewöhnlichen Bedienten-Arbeiten abzurichten versprach. Es gehören aber noch mehrere andre Künste hieher, die sich lehren und erlernen lassen: z. B. die Kochkunst. Und so viel es Gattungen und Dienstleistungen gibt, die durch Sclaven geschehen (wovon einige niedrig aber durchaus nothwendig, andre etwas bessrer Art, aber entbehrlicher sind, nach dem Verse:Nicht viel minder ist oft der Sclave vom Sclaven verschieden, als vom Herrn der Herr), so viel lassen sich auch Kenntnisse unterscheiden, welche zu diesen Dienstleistungen geschickter machen.Die Wissenschaft des Herrn ist nur eine einzige die, seine Diener zu brauchen. Denn dadurch wird er eigentlich Herr, nicht dass er Leute um sich hat, welche Sclaven heissen, sondern dass er sich ihrer als Werkzeuge zu seinen Absichten bedient. Diese Wissenschaft ist weder von grossem Umfange, noch von grosser Würde. Das was der Bediente soll zu machen wissen, das soll der Herr wissen zu befehlen. Daher überlassen Personen, denen ihre Glücksumstände erlauben sich beschwerlicher und kleiner Geschäfte zu entschlagen, die Ausübung dieser herrschaftlichen Rechte ihrem Haushofmeister, um selbst frey den Staatsgeschäften oder den Wissenschaften obliegen zu können.Die Kunst zu erwerben, die man oft mit der Wissenschaft des Hausherrn verwechselt, weil beydes zur Haushaltung gehört, ist ganz hiervon unterschieden. Sie ist, wenn sie gerecht ist, eine Art von Kriegskunst oder von Jagd; doch hiervon an einem andren Orte. Hier kam es darauf an, die Natur des Verhältnisses zwischen Herrn und Sklaven aus einander zu setzen: und diess ist, glaube ich, durch das Gesagte hinlänglich geschehen .

Fünftes Kapitel.



Ob und in wie fern die Erwerbung von Vermögen zur Haushaltungskunst gehöre. Natürlicher Erwerb, und dessen Arten. Der Gebrauch der Dinge, ja selbst der Menschen zum Unterhalt und zu Werkzeugen ist rechtmässig.

Da der Sclave einen Theil des Vermögens ausmacht: so wird es nicht unschicklich seyn, nach der schon angegebnen Methode einige allgemeine Betrachtungen über die Natur und die Erwerbung des Vermögens anzustellen.Die erste Frage, die hierbey aufgeworfen werden kann, ist, ob der Verwalter eines Hauswesens kein andres Geschäft hat, als Vermögen für die Familie zu erwerben, oder mit andern Worten, ob die Erwerbungskunst mit der Haushaltungskunst einerley, oder nur ein Theil von ihr, oder ihr als Mittel zum Zweck untergeordnet sey; und wenn das Letztre ist, ob sie ihr so untergeordnet sey, wie das Handwerk, welches die Weberspulen macht, dem Weberhandwerk untergeordnet ist, oder so wie die Kunst Erz zu schmelzen, der Kunst eherne Bildsäulen zu giessen. Jn jenem Fall nähmlich schafft die untergeordnete Kunst das Werkzeug, in diesem die Materie zu der Fabrikation, von welcher die Rede ist. Jch nenne Materie die Substanz, woraus ein Werk verfertiget wird, wie für den Weber die Wolle, für den Statuen-Giesser das Erz ist.Der erste Satz, dass die Haushaltungskunst mit der Erwerbungskunst Eins und dasselbe sey, fällt weg, sobald man bedenkt, dass durchs Erwerben die Sachen nur herbeygeschafft, beym Haushalten aber gebraucht werden sollen. Denn welcher Kunst sollte es dann zustehen, die Dinge, die im Hause sind, zu brauchen, wenn es nicht die Kunst wäre, welche sich mit Führung des Hauswesens abgibt?Ob aber das Erwerben ein Theil von den Pflichten eines Hausregierers sey, oder ob beydt Sachen, Erwerben und Oekonomie-führen, zwey ganz verschiedene Arten der Geschäfte sind? Darüber kann eher ein Zweifel entstehen.Da unter dem, was man Vermögen oder Reichthum nennt, sehr viele Sachen begriffen sind, und das Erwerben auf die Herbeyschaffung alles dessen geht, was man zum Vermögen oder Eigenthum rechnet: so wird jene Frage sich theilen; und man wird z, B, zuerst untersuchen müssen, ob der Ackerbau, und alle die Arbeiten und Besorgungen, die zur Anschaffung der Nahrungsmittel gehören, zur Haushaltungskunst gerechnet werden müssen.So viele verschiedne Arten der Nahrungsmittel es gibt, so viele verschiedne Lebensarten gibt es auch für Menschen und Thiere. Sich seinen Unterhalt zu suchen, ist das erste Geschäft aller Lebendigen, weil ohne Nahrung das Leben selbst nicht besteht. Daher die Verschiedenheiten, die sich in den Unterhaltungsmitteln finden, auch ähnliche Unterschiede in der Lebensweise, und den Gewohnheiten der Thiere hervorbringen. So leben z. B. unter, den Wilden, einige Gattungen Herdenweise bey einander, andre einsam, nachdem sie sich von Fleisch oder von Erdfrüchten, oder von beyden zugleich nähren. Die Natur scheint also jeder Gattung diejenigen besondern Triebe gegeben zu haben, die für das Eigenthümliche dieser Gattung gehören und zur Erleichtrung ihrer Verrichtungen nöthig sind; Verrichtungen, welche eben dadurch verschieden werden, weil nicht alle Thiergattungen an denselben Speisen von Natur Geschmack finden, sondern jede eine eigne verlangt. Selbst unter den Fleischfressenden Thieren, so wie unter den von Früchten lebenden, gibt es neue Unterschiede in der Lebensart, welche von der Wahl besondrer Arten der Nahrung abhängen.Mit den Menschen ist es vollkommen auf dieselbe Weise beschaffen. Sie weichen in ihren Lebensarten sehr weit, und aus gleichem Grunde, von einander ab. Die unthätigsten sind die nomadisch lebenden Völkerschaften. Die Ursache ist, weil die Ernährung vom Fleisch und der Milch zahmer Thiere wenig Arbeit nöthig macht, und viel Zeit zur Ruhe lässt. Da aber die Weidplätze für das Vieh geändert werden müssen, so oft das Futter an einem Orte aufgezehrt worden: so sind auch diese Völker selbst verbunden, oft ihre Wohnörter zu wechseln. Sie bauen gleichsam ein lebendiges und bewegliches Feld an, und müssen mit demselben fortwandern.Andre Völkerschaften leben von der Jagd, oder dem Fange lebendiger Thiere. Aber auch diese ist wiederum sehr verschieden. Es gibt Räuber-Nazionen, die gleichsam auf die Jagd gegen andere Menschen ausgehn. Andre Nazionen nähren sich ganz von der Fischerey, und diess sind die an Flüssen, Seen, und am Ufer des Meers wohnenden. Andre leben vom Vogelfange, oder der Wildbahn. Der grösste Theil des menschlichen Geschlechts aber nährt sich von der Erde, und von den angebauten Früchten derselben.Derjenigen Arten zu leben, bey welchem die Unterhaltungsmittel unmittelbar von der Natur gesucht, nicht durch Tausch und Handel herbeygeschafft werden, sind ungefähr so viele, als ich jetzt genannt habe: Die Lebensart nomadischer Viehhirten, die Lebensart der Ackerbau treibenden, — der von Räuberzügen, — von der Fischerey oder von der Jagd lebenden Völkerschaften. Einige, die zwey oder mehrere dieser Nahrungsquellen mit einander verbinden, sind eben dadurch im Stande, sich ein bequemeres und angenehmeres Leben zu verschaffen, indem sie, was ihnen bey den Unternehmungen der einen Art fehl schlägt, oder nicht zu erhalten steht, durch Unternehmungen der andern ergänzen. So gibt es Nazionen, die zugleich herumziehende Viehhirten und Räuber, andre, die Ackersleute und Jäger zugleich sind; und so entstehen auch zwischen den übrigen Lebensarten Verbindungen, nachdem die Noth die Menschen dazu treibt, oder die Umstände sie veranlassen.Dieses erste natürliche Eigenthum, welches in den Nahrungsmitteln besteht, scheint die Natur für ihre Geschöpfe, sowohl gleich bey ihrer Geburt, als in der Folge, nach den Bedürfnissen ihres reichen Alters zubereitet zu haben. Was die Fürsorge für die Neugebohrnen betrifft, so hat es die Natur so veranstaltet, dass einige Gattungen von Thieren ihre Jungen, umgeben mit dem, was zu ihrer ersten Nahrung gehört, zur Welt bringen, welches der Fall bey denjenigen ist, die sich durch Eyer fortpflanzen, oder Würmer gebähren; dass bey den lebendiggebährenden hingegen sich in dem Leibe der Mutter selbst ein Nahrungsmittel, die Milch nämlich, bereitet, von welchem das Neugebohrne bis zu einem gewissen Alter leben kann.Nach dieser Analogie zu schliessen, kann man mit Recht annehmen, dass auch für die erwachsenen Thiere die Unterhaltungsmittel von der Natur werden bereitet worden seyn, und dass also nach ihrer Absicht die Pflanzen um der Thiere willen, und die Thiere um des Menschen willen vorhanden sind; die zahmen sämmtlich, theils um ihm Dienste zu leisten, theils um zu seiner Nahrung zu dienen, von den wilden, wenn nicht alle, doch die meisten, ebenfalls entweder zur Speise, oder ihm zu andern Bedürfnissen, z. B. der Kleidung, oder zu gewissen Werkzeugen den Stoff darzureichen. Denn wenn die Natur nichts unvollendet lässt, und also nichts schafft, für dessen Erhaltung und Entwicklung sie nicht auch sorgte, wenn sie auf der andern Seite nichts ohne Absicht hervorbringt: so muss man aus der Unentbehrlichkeit der Pflanzen und Thiere zur Fortlaufe des menschlichen Lebens schliessen, dass die Natur jene um der Menschen willen gemacht habe.Auch das Kriegshandwerk gehört auf gewisse Weise zu den natürlichen Erwerbungskünsten, insofern die Jagd eine Art dieser Künste ausmacht. Man kann aber zur Jagd, ausser dem Gefecht gegen die Thiere, auch den Krieg gegen solche Menschen rechnen, die, da sie von Natur beherrscht zu werden bestimmt sind, sich doch der Herrschaft nicht unterwerfen wollen. Ein solcher Krieg ist in den natürlichen Verhältnissen gegründet und also gerecht.Eine Gattung von Erwerbungen gehört demnach nothwendig und natürlicher Weise zu den Geschäften eines Vorstehers der häuslichen Gesellschaft, diejenige nähmlich, durch welche ein hinlänglicher Vorrath der Dinge herbeygeschafft wird, die entweder zur Erhaltung des Lebens nothwendig, oder zu den Zwecken der häuslichen und bürgerlichen Vereinigung unentbehrlich sind. Der wahre und wesentliche Reichthum besteht nur aus Dingen dieser Art: — Dieser hat desswegen auch seine bestimmte Grenzen, da nähmlich, wo er alle zu einem guten und angenehmen Leben erforderlichen Hülfsmittel darreicht. Nicht so der Reichthum nach den gewöhnlichen Gesinnungen der Menschen, von welchen schon Solon sagt: "Kein natürliches Maass bezeichnet der Habsucht die Grenzen."Von Rechtswegen hat der Reichthum allerdings sein Maass, so wie jedes Mittel zu einem Zweck, jedes Werkzeug zu einer gewissen Verrichtung. Keine Kunst erfordert weder eine unendliche Menge von Werkzeugen, noch eine unbegrenzte Grösse derselben. Nun besteht aber der Reichthum aus der Summe derjenigen Werkzeuge, die zu den häuslichen und bürgerlichen Verrichtungen und den darauf sich beziehenden Künsten nöthig sind.Dass also den Haus- und den Staats-Verwaltern das Erwerben eines gewissen Eigenthums, nach der Natur jener Gesellschaften obliegt; — in wiefern und warum es ihnen obliegt: wird aus dem bisherigen Vortrage hinlänglich deutlich seyn.

Sechstes Kapitel.



Von derjenigen Erwerbsart, die auf dem Handel beruht, Ursprung derselben im Tausche. Tausch mit Waaren durch Geld. Uiber das Geld und daraus entstandne Erwerbsarten. Verschiedne Charaktere der verschiednen Arten des Reichthums.

Es gibt noch eine andre Art der Erwerbungskunst, welche eigentlich den Geld-Reichthum zum Gegenstande hat (wovon sie auch im Griechischen den Nahmen χ und mit Recht bekommt), einen Reichthum, dem sich keine bestimmte Grenzen mehr setzen lassen. Viele halten sie mit der, von welcher im vorigen Kapitel geredet worden ist, für ganz einerley. Aber sie irren. Beyde sind einander nahe verwandt, aber doch wesentlich von einander unterschieden: Jene erste Erwerbungskunst geht auf die natürlichen Güter, und lernt auch ihre Regeln von der Natur; — diese, von welcher ich jetzo rede, geht auf Dinge, deren Nützlichkeit wir erst durch gesammelte Erfahrungen einsehen lernen, und bedient sich zu Erlangung derselben künstlicher Wege.Die Untersuchung dieser Materie werden wir am bessten auf folgende Art anfangen. Von jedem Dinge, das uns zugehört, können wir einen zweyfachen Gebrauch machen: entweder den Nutzen für uns selbst daraus zu ziehn, den es seiner Natur nach gewähren kann, oder es gegen etwas anders, das uns nützlich ist, zu vertauschen. Jn beyden Fällen brauchen wir die Sache nach ihren eigenthümlichen Qualitäten, aber in dem ersten Fall zu einem Nutzen, der eine unmittelbare Wirkung dieser Qualitäten ist, in dem andern zu einem Nutzen, der zugleich aus fremden Ursachen entsteht. Zum Beyspiel, wenn ich einen Schuh gebrauche, um ihn anzuziehn, und wenn ich ihn gebrauche, um mir dafür Brot oder Geld einzutauschen: so entsteht in beyden Fällen der Nutzen; den ich davon ziehe, aus seiner Beschaffenheit als eines Schuhes: aber ich gebrauche ihn in dem zweyten Falle doch nicht zu seinem unmittelbaren Endzwecke, weil er nicht des Vertauschens wegen fabricirt worden ist. Eben so verhält es sich mit allen andern Stücken des Eigenthums.Der erste und natürliche Ursprung des Tausches liegt darin, dass die Menschen von der einen Sache mehr, von der andern weniger hatten, als sie brauchten. Woraus, beyläufig angemerkt, erhellet, dass die Krämerey (im Griechischen χα welche im Ganzen einkauft, um Theilweise wieder zu verkaufen, nicht zu den natürlichen und ursprünglichen Erwerbmitteln gehöre. Denn der erste und natürliche Tausch geht nur darauf, jedem zu verschaffen, was er bedarf und so viel ihm hinreichend ist.So lange nur die erste Art der Gesellschaft, die häusliche, existirt: so lange findet kein Tausch Statt. Er fängt erst an, wenn durch die Vervielfältigung der Familien die Verbindung der Menschen sich ausbreitet. — Die Glieder jener ersten Gesellschaft haben alles unter sich gemein: die Familien, die mit einander in Verbindung treten, bleiben deswegen doch von einander abgesondert, und behalten ihr getrenntes Eigenthum. Hier also muss es sich oft ereignen, dass den Einen etwas mangelt, was die Andern im Uiberflusse haben, und dass diese Bedürfnisse durch wechselseitige Darreichung und Annahme befriedigt werden. Und auf einen solchen Tausch schränken sich noch jetzt viele der ungriechischen Völker ein. Sie vertauschen die nützlichen Waaren unmittelbar gegen einander, und nicht mehr als sie davon nöthig haben. Sie geben z. B. Getreide und empfangen dafür Wein — und so in Absicht aller andern ähnlichen Dinge. Diese Art des Tausches ist der Natur völlig gemäss: aber es ist noch keine Gattung des Handels, welcher Geld erwirbt, denn sie hat nur die Ersetzung eines natürlichen Mangels und die Befriedigung des Bedürfnisses zur Absicht. Aber der letztre entsteht aus der erstern durch eine unausbleibliche Folge.Hieraus aber entstand ganz natürlich die andere Art von Tausch, von Waaren gegen Geld, den man eigentlich Kauf und Verkauf nennet. Da nähmlich auch die von einander entfernter wohnenden Nazionen sich diese wechselseitige Hülfe leisten wollten, zu versenden, was jede überflüssig hatte, bey sich einzuführen, was ihr mangelte: so wurde das Geld als ein dazu unentbehrliches Hülfsmittel in Gebrauch gezogen. — Viele der an sich nützlichen Dinge sind schwer zu transportiren. Um also den Tausch zu erleichtern, kamen die Menschen überein, etwas als ein Aequivalent für jede Waare zu geben und anzunehmen, das an sich auch unter die nützlichen Dinge gehörte, zugleich aber leicht zu handhaben und fortzubringen wäre. Und hiezu nun waren die Metalle, das Eisen, das Silber, u.s.w. am schicklichsten. — Anfangs bestimmte man den Werth derselben bloss nach der Grösse und nach dem Gewichte. Jn der Folge setzte man ein Gepräge darauf, welches die Quantität des in jedem Stücke enthaltenen Metalls anzeigte und die Mühe des Abwägens ersparte.Nachdem nun die Goldmünzen auf diese Weise erfunden und eingeführt waren: entstand aus jenem ersten natürlichen Umtausch der Producte, nunmehro die zweyte Art durch Tausch zu erwerben, —der eigentliche Kaufhandel (χα). Anfangs war auch dieser einfach und kunstlos. Nach und nach wurde er bey immer wachsender Erfahrung künstlicher, und bestand endlich in der Auflösung einer sehr complicirten Aufgabe: woher man jede Waare ziehn, wohin man sie führen, und wie man sie vertauschen müsse, um den grössten Gewinnst davon zu erhalten.Aus dieser Ursache scheint die Erwerbungskunst hauptsächlich das Geld zu ihrem Gegenstande zu haben, und ihr Geschäfte dieses zu seyn, zu untersuchen, woher man sich die grösste Quantität davon verschaffen könne. Denn erwerben heisst so viel, als sich Reichthum und Vermögen verschaffen. Den Reichthum aber setzt man gemeiniglich in die Menge des Geldes.Andre gehn wieder zu dem andern Extrem über, und behaupten, das Geld habe gar keinen innern Werth, es sey alles was es ist, bloss durch Convention und Gesetze, und gar nichts vermöge seiner eignen Natur. Denn, sagen sie, wenn die, welche sich jetzt des Geldes bedienen, diese Convention ändern, so ist es gar nichts mehr werth, da es kein Mittel ist, irgend eines unsrer Bedürfnisse zu befriedigen. Ein Mensch könne an Gelde reich seyn, und doch oft an den nothwendigsten Nahrungsmitteln Mangel leiden. Jst es aber nicht lächerlich, dasjenige Reichthum zu nennen, bey dessen grösstem Uiberflusse jemand doch Hungers sterben kann? Diess ist vielleicht der Sinn jener Fabel vom Midas, der für seine unersättliche Begierde nach Golde dadurch gestraft wurde, dass sich alles, was er berührte, auch seine Speisen, in Gold verwandelten. —Um dieser Ursache willen suchen die, welche jene Betrachtungen anstellen, einen andern wesentlichern Reichthum, und eine mehr in der Natur gegründete Art der Erwerbung auf. — Mit allem Rechte, wie aus dem, was oben gesagt worden ist, erhellet.Es gibt nähmlich, wie ich gezeigt habe, einen natürlichen Reichthum, der in einem Vorrath der zum Leben und Wohlseyn nützlichen Natur-Producte besteht; und es gibt eine natürliche Erwerbungskunst, die diese Producte sammelt und vermehrt. Und diese letztre sagte ich, gehört zu der Oekonomie, oder der häuslichen Administration. — Die andre Art der Erwerbungskunst, welche ich χαπηλιχα nannte, ist ebenfalls eine Kunst, bestimmt ein Vermögen hervorzubringen, aber nicht durch alle dazu dienliche Mittel, sondern nur durch den Tausch der Güter: und scheint daher hauptsächlich mit dem Gelde zu thun zu haben. Denn das Geld ist, so zu sagen, das erste Principium, wonach sich aller Tausch regulirt, und das letzte Ziel, worin er sich endigt.Für den hierdurch entstehenden Reichthum lassen sich keine Grenzen angehen, wo derselbe seine Vollendung erreichte. So wie die Arzeneykunst für die Gesundheit nicht bloss bis auf einen gewissen Grad, sondern bis ins Unendliche sorgt, und so wie alle Künste, welche letzte Zwecke zum Gegenstande haben, dieselben ohne ein bestimmtes Maass und Ziel verfolgen (sie wollen nähmlich das, was sie suchen, im möglichsten Grade hervorbringen); — diejenigen Künste aber, welche nur Mittel zu andern Endzwecken liefern, eine bestimmte Grenze haben (der Endzweck nähmlich ist das Ziel, wobey sie aufhören müssen), so ist auch jene Erwerbungskunst, welche Reichthum als Reichthum, nicht als Mittel zu einem Zwecke sucht, ohne Schranken; die e ökonomische Erwerbungskunst aber hat Schranken: denn die Oekonomie selbst oder die häusliche Verwaltung hat nicht die Erwerbung zu ihrem einzigen und höchsten Zwecke. .Daraus ist der scheinbare Widerspruch zu heben: dass auf der einen Seite, im Allgemeinen betrachtet, der Reichthum nothwendig etwas Bestimmtes und also auch Begrenztes scheint seyn zu müssen, auf der andern die Erfahrung lehrt, dass die, welche mit dem Gelderwerb sich beschäftigen, das Geld bis ins Unendliche zu vermehren suchen. Die Ursache ist, dass die beyden Arten des Erwerbungs-Geschäftes so nahe mit einander verwandt sind. — Beyde haben mit dem Gebrauche des Geldes zu thun, aber jede auf eine andre Art. Die eine wendet es an zu einem entfernten von dem blossen Besitze verschiedenen Zwecke, die andre lediglich zu der Vermehrung des Eigenthums. — Um desswillen scheint einigen letztres das eigentliche Geschäfte der häuslichen Verrichtung zu seyn, und sie fahren, aus einer falschen Jdee von Pflicht, unaufhörlich fort, entweder an der Erhaltung des Erworbnen, oder an der Vermehrung des Geldschatzes zu arbeiten.Diese Disposition der Menschen, zur unbegrenzten Begierde mehr zu haben, kömmt zum Theile daher, dass sie nicht sowohl darnach trachten, glückselig zu leben, als nur darnach, zu leben. Und da diese Begierde zum Leben ins Unendliche geht, so verlangt sie auch eben so unbegrenzt die Vermehrung der Mittel zum Leben.Selbst diejenigen aber, welche Glückseligkeit zu ihrem Endzweck machen, suchen grossentheils diese Glückseligkeit nur in dem Genusse körperlicher Vergnügungen. Auch dieser aber scheint durch den Besitz des Reichthums gesichert zu werden. Und so geht also bey dieser Klasse nicht weniger, als bey der vorigen, ihre ganze Bemühung darauf, immer grössre Einkünfte zu haben.Der Genuss nähmlich dieser Art von Vergnügungen beruht auf dem Uibertreffen andrer, auf der immer fortgehenden Erweiterung des Vergnügens. Die also, welche in sie die Glückseligkeit setzen, suchen nach dem, was ihnen nicht bloss Genuss, sondern einen grössern Genuss gewähren kann, als andre haben und sie selbst bisher gehabt haben. Und wenn sie diesen nicht durch die auf Erwerb unmittelbar abzweckende Verrichtungen und Künste erlangen können: so versuchen sie es durch jedes andre Mittel zu bewirken, indem sie jede ihrer Kräfte und Geschicklichkeiten, wider ihre Natur und Bestimmung, zu diesem Endzweck gebrauchen. Es ist nicht die Natur der Tapferkeit, dass sie den Tapfern reich mache, sondern dass sie ihn Gefahren getrost überstehen helfe. Geld-Erwerben, ist nicht der Zweck der Arzeneykunde, oder der Wissenschaft eines Heerführers: sondern jene soll zur Gesundheit, diese zum Siege verhelfen. Aber Leute der oben beschriebnen Art verwandeln alle diese Geschäfte in eine Art von Handel; — und da sie Reichthum für den letzten der menschlichen Zwecke ansehen, so finden sie es sehr billig, dass auch alle Handlungen und Bestrebungen sich in demselben endigen.Soviel also von der doppelten Art des Erwerbs, der, welche auf die Mittel zum Unterhalt geht, daher nothwendig ist, und einen Theil der häuslichen Administration ausmacht (von welcher wir auch .gezeigt haben, dass sie in gewisse bestimmte Grenzen eingeschlossen ist), — und der andern, welche auf Geld-Reichthum abzielt, in der Natur nicht unmittelbar gegründet ist, und keine Schranken kennt. Von dieser zweyten habe ich sowohl die Beschaffenheit als die Entstehung angegeben.

Siebentes Kapitel.



Jn wiefern der Erwerb die Sache des Haus, und Staatverwalters ist. Einige Gegenstände der ökonomischen Erwerbkunst: eine besondere Art derselben durch Alleinhandel.

Noch eine andre Frage, die wir gleich anfangs aufgeworfen haben, lässt sich aus den bisherigen Erörterungen beantworten: ob nämlich Erwerbung und Vermehrung des Vermögens zu den nächsten Zwecken eines Haus- und Staatsverwalters gehöre: oder ob dieses (ein gewisses Eigenthum), schon bey Errichtung einer Familie und einer bürgerlichen Gesellschaft vorausgesetzt wird.Das Letztre scheint das Richtigere zu seyn. Die Regierungskunst schafft nicht die Menschen: sondern sie empfängt sie aus den Händen der Natur; und bildet und braucht sie nur zur Erreichung ihrer Endzwecke. Eben so muss es auch die Natur seyn, welche diesen ihren Geschöpfen, es sey vom Lande oder aus der See, oder sonst irgend woher Unterhalt verschafft. Wenn aber die Natur die Produkte zu den Lebens-Nothdurften geliefert hat: so ist es des Hausverwalters Sache, dieselben auf die gemeinnützigste Weise zu vertheilen. — So ist es nicht des Webers Sache, die Wolle zu machen, sondern nur sie anzuwenden, und zu diesem Ende zu wissen, welches die zu seinem Zeuge brauchbare und gute, und welches die untaugliche und schlechte Wolle ist.Man könnte auch sagen: warum soll der Vorsteher eines Hauses mehr verbunden seyn, das Geld-Erwerben, als die Arzeneykunde zu verstehen: da es ja von eben so grosser Wichtigkeit für die Glieder des Hauses ist, gesund zu seyn, als Brot oder irgend ein andres Bedürfnis des Lebens zu haben. —Und es ist richtig, der Hausvater muss auch für die Gesundheit der Seinigen sorgen: aber es ist eine andre Art dieser Sorge, die ihm als Vorsteher und Regent des Hauses, eine andre die dem Arzte zusteht.Auf ähnliche Weise steht ihm auch die Sorge für Unterhalt und Wohlhabenheit der Familie zu, aber nur in sofern ihm die allgemeine Aufsicht anvertraut ist, nicht insofern ihm die besondern dazu nöthigen Arbeiten und Gewerbe obliegen, die ihm gleichsam in die Hand arbeiten.Von der Natur, wie ich schon gesagt habe, müssen die Sachen zum Unterhalt des Menschen zuerst herkommen. Jhre Sache ist es, das Geschöpf, welches sie erzeugt hat, zu ernähren. Und in der That hat sie auch schon für das Neugebohrne Nahrungsmittel aus dem Stoffe selbst zubereitet, aus welchem es erzeugt worden ist. Daher das erste Eigenthum der Menschen in den von Pflanzen und Thieren herkommenden Früchten, und die erste natürliche Art eines Erwerbes, in der Einsammlung oder Vermehrung dieser Früchte besteht.Sehen wir auf den gegenwärtigen Zustand der Sachen: so finden wir, wie gesagt, zwey Arten der Erwerbungskunst, χςηπατις, (wenn ich es so nennen darf,) eine, welche zur Haus-Regierung unmittelbar gehört, und in der Aussicht über die Erzeugung und Sammlung der natürlichen Producte besteht, die andre, welche ein eignes Gewerb macht, und vornehmlich durch Tauschen oder durch Handel und Wandel ihre Gewinnste sucht. Jene ist durchaus nothwendig, und steht in allgemeiner Achtung; diese als weiter von der Natur entfernt, und beynahe unfähig auf eine andre Art, als durch den Schaden andrer, zu gewinnen, wird nicht ohne Ursache gering geschätzt.Besonders und mit dem meisten Recht wird der Gewinnst vom Geldwucher und der Weckseley, gehasst. Desswegen, weil hierbey das Geld nicht zu dem Endzwecke gebraucht wird, wozu es eingeführt worden, sondern zu einem Erwerbsmittel. Es ist bestimmt, ein allgemeines Zeichen des Werthes und ein Mittel zur leichtern Vertauschung der Dinge zu seyn: und beym Ausleihn auf Zinsen soll es sich durch sich selbst vermehren. Daher mag auch vielleicht der Griechische Nahme der Geldzinsen, τόχος von dem Worte τετ, gebähren, seinen Ursprung haben. Das Erzeugte nähmlich ist alle Mahl von gleicher Art mit dem, wodurch es erzeugt worden. Und so sind die Zinsen, gleichsam Geld von Geld erzeugt. Da aber Geld kein an sich producirendes Ding ist; so kann auch diese Erwerbs-Art nicht anders als für unnatürlich angesehen werden.Dies gehört nur zur Theorie, zur Auseinandersetzung der allgemeinen Begriffe. Jch muss aber auch noch über den praktischen Theil etwas hinzufügen. Bey allen Gegenständen dieser Art, ist das Wissenschaftliche, das Allgemeine anziehend: — werth von jedem freyen wohlerzogenen Manne erkannt zu werden: das Praktische aber, welches nur durch Erfahrung und Uibung erhalten werden kann, ist bloss dem wichtig, dem es zu seinem Geschäfte unentbehrlich ist.Von der ersten Art der Erwerbungskunst, welche zur Regierung eines Hauswesens gehört, ist es ein nützlicher Theil, die Natur und den Werth der verschiednen Güter und Waaren zu kennen; zu wissen, welche darunter die brauchbarsten sind, und auf welche Art sie behandelt werden müssen. Zum Beyspiel gehört es dazu, von Pferden, Rindern, Schaafen, oder andern Hausthieren zu wissen, wo und wie man die bessten in jeder Art sich verschaffen könne; ferner zu beurtheilen, welche Gattung derselben sowohl überhaupt zu dem vorliegenden Endzwecke, als insbesondre nach dem Eigenthümlichen jedes Orts die nutzbarste sey. Denn nicht alle kommen in allen Gegenden gleich gut fort.Ein zweiter Haupttheil ist die Benutzung von Grund und Boden; — und diess sowohl durch den simpeln Ackerbau, als durch Anpflanzung von Obst- und Weingärten, ferner die Bienen-, die Viehzucht, die Fischerey und Jagd; kurz die Benutzung aller natürlichen Producte, welche etwas zum menschlichen Leben Nützliches liefern.Von der zweyten weniger natürlichen Art des Erwerbs ist der vornehmste Zweig der Handel. Und vom Handel gibt es wieder drey Gattungen, den See-, den Landhandel und das Ausstellen der Waaren auf den Märkten (die Krämerey). Sie theilen sich von neuem in mehrere Arten, wovon einige einträglicher, andre sichrer sind. Ein andrer Zweig ist der Verkehr mit baarem Geld und das Ausleihen auf Zinsen. Der dritte ist das Arbeiten für andre um einen bedungnen Lohn.Solche Lohnarbeiter sind entweder Handwerker, die zwar eine künstliche, aber doch nur durch blosse Nachahmung erlernte und gemeine Arbeit treiben; oder simple Tagelöhner, die bloss die Kräfte ihres Körpers ohne alle Kunst bey ihren Arbeiten gebrauchen.Noch eine dritte Gattung der Erwerbungskünste stehet zwischen den jetzt erklärten beyden in der Mitte, sie hat etwas von der ersten, welche die natürlichen Producte benutzt, und etwas von der zweyten, welche durch den Tausch gewinnt.Diese gibt sich mit den Dingen ab, die zwar aus der Erde kommen, aber keine jährliche Früchte bringen, noch sich vervielfältigen, dazu gehört z. B. die Fällung der Bäume zur Holz-Nutzung, — ferner der gesammte Bergbau, welcher letztre wieder sehr mannigfaltige Arbeiten unter sich begreift; weil der aus der Erde gegrabnen Mineralien sehr viele Arten sind.Von diesen gesammten Gegenständen sind hier nur die allgemeinen Begriffe beyzubringen nöthig, und dieses ist hinlänglich geschehn. Die ausführliche Beschreibung der zu jedem gehörigen Operationen gehört für den, welcher sich mit Bearbeitung desselben abgibt, und würde in einer philosophischen Untersuchung über Oekonomie und Staatsverwaltung am unrechten Orte stehen.Das muss ich nur noch hinzusetzen, dass von diesen verschiednen Arbeiten diejenigen den meisten Anspruch darauf machen können, Künste zu heissen, bey denen dem Zufall am wenigsten überlassen bleibt; dass sie mehr oder weniger den Nahmen βαναυδος, verdienen, nachdem sie mehr oder weniger den Körper verunstalten und lähmen; dass sie desto sklavischere Arbeiten sind, je mehr bloss körperliche Kräfte dabey gebraucht werden, je weniger sich dabey Fähigkeiten und Tugenden des Geistes äussern.Da über diese Materien eigne Bücher von verschiednen Schriftstellern geschrieben worden sind: z. B. über den Ackerbau oder die Benutzung des Bodens durch seine natürlichen sowohl als künstlich erzeugten Producte, von Chares aus der Jnsel Paros, und von Apollodorus aus Lemnos: so können diejenigen, welche genauern Unterricht darüber bedürfen, sich in diesen Büchern Raths erhohlen. Auch wäre es vielleicht nicht unnütz, die hin und wieder zerstreuten Nachrichten von den Mitteln und Methoden zu sammeln, durch welche diese oder jene Personen Vermögen gesucht und gefunden haben. Darunter würde z. B. die Erzählung vom Thales dem Milesier gehören. Sie enthält eine zum Reichwerden abzielende Speculation, die vielleicht nur desswegen dem Thales als ersten Urheber zugeschrieben wird, weil er als ein weiser Mann berühmt war, die aber im Grunde eine allgemeine und in vielen Fällen anzuwendende Maxime der Erwerbungskunst enthält. Man sagt nähmlich, dem Thales sey oft die Dürftigkeit, in welcher er lebte, als ein Beweis vorgeworfen worden, dass die Philosophie ein sehr unnützes Ding sey.Um diess zu widerlegen, habe er einst, da er aus dem Lauf der Gestirne noch während des Winters vorausgesehen, dass im folgenden Sommer eine sehr reiche Oehl-Ernte seyn würde, und eine kleine Geldsumme in Händen gehabt habe, den ganzen Ertrag der Oehlpressen in Milet und Chios zum voraus, um einen geringen Preiss (da noch kein andrer Licitant sich eingefunden hatte) an sich gehandelt, und durch darauf gegebne Pfandschillinge sich zugesichert. Als nun die Zeit herbeygekommen, das Oehl von allen Seiten gesucht worden sey, und er es um einen von ihm selbst bestimmten Preiss auf einmahl und plötzlich habe verkaufen können, sey er in den Besitz ansehnlicher Geldsummen gekommen, und habe dadurch gezeigt, dass es den Philosophen nicht schwer seyn würde, reich zu werden, wenn Reichthum zu erwerben mit unter ihre Endzwecke gehörte, wie es in der That nicht dazu gehört.Dieses Unternehmen des Thales ist nur Beyspiel einer allgemeinen Methode Geld zu erwerben: der nähmlich, sich den Alleinhandel mit irgend einer Waare zu verschaffen. Dazu nehmen auch die Staaten zuweilen ihre Zuflucht, wenn es ihnen an Geld mangelt. Sie eignen sich den Verkauf dieses oder jenes nothwendigen und gesuchten Waaren-Artikels ausschliessend zu.Jn Sicilien kaufte zu Dionysius Zeiten jemand, bey welchem grosse Summen baaren Geldes niedergelegt waren, alles Eisen aus den Eisenhütten zusammen, und vereinzelte es alsdann wieder mit einer sehr kleinen Erhöhung des Preisses an die Kaufleute; — und doch gewann er auf 50 Talente 100. — Dionysius, da er dieses erfuhr, liess zwar dem Manne die gewonnenen Summen, aber befahl, dass er sich sogleich mit denselben aus Sicilien wegmachen sollte, weil er glaubte, dass ein Mensch, der sich auf einmahl so grosse Einkünfte zu verschaffen wüsste, seiner Macht gefährlich werden könnte.Des Thales und dieses Syracusaners Speculation sind von derselben Art. Beyde dachten darauf, den ausschliessenden Handel mit einer Waare in ihre Gewalt zu bekommen.Auch Staatsverwaltern ist es nützlich, dergleichen Hülfsmittel zu kennen. Denn viele Staaten brauchen Geld, und müssen für Vermehrung ihres Einkommens so gut sorgen, wie eine Familie. Ja einige leben diess für ein einzigen wahren Gegenstand der Regierungskunst an.

Achtes Kapitel.



Dreyerley Arten der Herrschaft in der Familie. Vergleichung derselben mit den Arten der politischen Herrschaft. Sind Herrschende und Gehorchende moralisch verschieden?

Jch habe gleich anfangs gesagt, dass es drey Theile der häuslichen Gesellschaft gibt, die Verbindung zwischen Herrn und Knecht, die zwischen Ehegatten, und die zwischen Aeltern und Kindern. Eben so gibt es also auch drey Zweige der häuslichen Regierung, wovon der, welcher sich mit den Sklaven beschäftigt, bereits abgehandelt worden. Was die zwey andren betrifft, so ist die Herrschaft des Mannes über die Frau, und die Herrschaft eines Vaters über seine Kinder, beydes eine Herrschaft über Freye, aber die erste ist doch von der andern unterschieden, so wie die Regierung einer obrigkeitlichen Person in einer freyen Republik, von der Regierung eines Königs in einer Monarchie unterschieden ist.Der Grund zu den herrschaftlichen Rechten des Mannes und der Aeltern liegt in der Natur. Das männliche Geschlecht hat vor dem weiblichen gewisse Kräfte und Anlagen, die zum Regieren gehören, voraus, wenn anders beyde ihre natürliche und gewöhnliche Einrichtung haben. Eben diese Vorzüge hat das ältere und ausgebildete Geschöpf vor dem jüngern und noch unreifen.Jn den meisten freyen Republiken wechseln die obrigkeitlichen Stellen unter den Bürgern ab, so dass der, welcher heute regiert, morgen regiert wird. Und so muss es unter Leuten seyn, die sich den natürlichen Anlagen nach einander gleich schätzen, und keinem eine persönliche Erhabenheit über die übrigen zugestehn. Demohnerachtet so lange die Regierung des einen, die Unterwürfigkeit des andern dauert; so lange sind beyde darüber einig, dass ein Unterschied unter ihnen in Absicht der Ehrenbezeugungen der Titel und aller äussern Formen beobachtet werde. Der Obere, obgleich gezogen aus denen die seines Gleichen sind, geniesst doch des ihm gebührenden Vorzuges, so wie die Bildsäule einer Gottheit, die Amasis aus seinem Fussbecken hatte machen lassen, desswegen nicht weniger verehrt wurde.Was nun die obrigkeitlichen Personen in freyen Republiken gegen die übrigen Bürger auf eine Zeitlang sind, das ist der Mann gegen die Frau auf Zeitlebens; gleich mit ihr an sich, aber über sie durch sein obrigkeitliches Amt.Davon ist die königliche Herrschaft verschieden, zu welcher die väterliche gehört. Der, welcher erzeugt, ist dem von ihm Erzeugten zur Aufsicht und Regierung benimmt, theils der natürlichen Zuneigung wegen, welche er gegen dasselbe hat, theils seines Alters wegen, durch welches er ihm an Kräften und Einsichten überlegen ist. Und grade sind diess die beyden Quellen der wahren königlichen Herrschaft. Desswillen nennt auch Homer den Jupiter, um das Eigenthümliche seiner königlichen Herrschaft über alle Dinge zu bezeichnen: "Den Vater der Götter und Menschen." Denn der König soll von Rechtswegen mit seinem Volke von einer Gattung, und ihm also ergeben, — soll aber auch zugleich über seine Unterthanen durch natürliche Vorzüge erhaben seyn. Und in diesen Verhältnissen befindet sich der Vater gegen sein Kind, und der Aeltere gegen den Jüngern.Jst der Hausvater eigentlich Regent: so ist klar, dass, der oben angezeigten Meinung zuwider, ein weit grössrer Theil seines Geschäftes sich auf die Personen, welche Glieder der Familie sind, bezieht, als auf die Sachen, welche das Hab und Gut derselben ausmachen, — dass er weit mehr dafür sorgen muss, die Menschen, seine Untergebenen, vollkommen, als das Vermögen gross zu machen; und dass er endlich diese Vollkommenheit noch mehr bey den freyen Gliedern seiner Familie als bey den Sklaven zu befördern suchen müsse.Zuerst nun kann in Absicht der Sklaven die Frage aufgeworfen werden: "Gibt es denn eine Tugend der Sklaven?" — Gibt es ausser den Geschicklichkeiten, welche der Sklave zu seinem Dienste braucht, und welche ihn nur in den Stand setzen, ein gutes Werkzeug abzugeben, noch andere und höhere Vollkommenheiten desselben, ich meine Vollkommenheiten, dergleichen Sittlichkeit, Tapferkeit und Gerechtigkeit sind: — oder sind die körperlichen zu seinem Dienst erforderlichen Eigenschaften seine einzigen Tugenden? Beyde Behauptungen haben ihre Schwierigkeiten. Bejaht man das erste; worin besteht alsdann der Unterschied zwischen Freygebohrnen und Sklaven? Verneint man es, so scheint man etwas Ungereimtes zu sagen, da die Sklaven doch Menschen und vernünftige Geschöpfe sind. .Beynahe dieselben Schwierigkeiten kommen vor, wenn man über die Tugenden der Frau und des Kindes fragt: ob sie mit den Tugenden des Mannes einerley sind; — ob auch das Weib tapfer und gerecht, und über sich selbst Herr seyn müsse; —ob man auch von einem Kinde sagen könne, dass e sittlich oder unsittlich sey; — und noch allgemeiner, ob die Tugend des von Natur zum Herrschen, und des von Natur zum Gehorchen bestimmten Menschen, eine und dieselbe sey, oder jedem eine andere Tugend zugehöre? —Sollten beyde gleichen Antheil an der wahren sittlichen Vollkommenheit des Geistes haben; durch das wird es überhaupt nöthig, kann man sogen, dass der eine herrscht, der andre beherrscht wird? Will man, dass sie nur den Graden nach von einander unterschieden seyn sollen: so ist diess nicht hinlänglich, ein solches Verhältnis, als Herrschaft und Unterthänigkeit ist, zu gründen, weil jener Zustand von diesem nicht den Graden, sondern der Art nach verschieden ist.Sagt man im Gegentheil, dass nur der Eine die wahren Geistestugenden haben dürfe, der Andere nicht: so entstehn wieder andre seltsame Folgerungen. Denn ist der herrschende Theil nicht gerecht und gesittet, so kann er nicht gut regieren. Aber kann der unterworfene Theil wohl gut regiert werden, wenn er das nicht auch ist? Jst er ausschweifend in seinen Leidenschaften, ist er feige oder unverständig, wie wird er das ihm Aufgetragene gehörig besorgen?Beyde müssen also an den Tugenden des Geistes Theil nehmen. Der Unterschied ihrer Tugend, das heisst, ihrer Vollkommenheit, ist nur derselbe, welcher zwischen ihren natürlichen Anlagen ist, um derentwillen sie sich als natürliche Herrn und Unterthanen von einander absonderten.Darauf führt uns schon die Natur der Seele, und die Unterordnung der in ihr liegenden Kräfte. Jn der Seele nähmlich finden wir einen vernünftigen Theil, welcher herrschen, und einen sinnlichen, welcher beherrscht werden soll. Jeder hat seine eigne Tugend. Beyde Tugenden aber sind Tugenden des Geistes. So verhält es sich auch mit allen andern Obern und Untergebenen.Die Arten der Herrschaft sind so vielfach, so vielfach die Arten der Vertheilung jener Kräfte unter den verschiedenen genannten Klassen der Menschen sind. Mann und Weib, Freygebohrner und Sklave, der Erwachsene und das Kind, alle haben die sämmtlichen Kräfte und Bestandtheile einer menschlichen Seele, aber sie haben sie nicht auf gleiche Art. Der Sklave hat Vernunft, aber nicht so viel, um selbst frey sich entschliessen und handeln zu können; die Frau hat Uiberlegungs- und Entschliessungskraft, aber keine feste, wie sie zum Entscheiden nöthig ist; das Kind hat dieselbe noch unreif und unentwickelt.Eben dieselben Unterschiede müssen also bey den moralischen Tugenden, die von diesen Personen gefordert werden, obwalten.Alle müssen einige derselben besitzen, aber jeder nur die, welche zu Vollbringung des ihm aufgetragenen Werks nothwendig sind; der Regent aber muss die sämmtlichen moralischen Tugenden vollständig besitzen.Er ist einem Baumeister ähnlich im Gegensatze derer, die unter ihm arbeiten. — Jener muss das Ganze übersehen und verstehen, weil das Ganze sein Werk ist; jeder von diesen darf nur die Einsicht des Theils haben, welchen er bearbeitet.So viel ist also klar, dass alle oben genannte Personen moralische Tugenden haben, dass aber, (der Meinung des Socrates entgegen) diese moralischen Tugenden bey der Frau nicht ganz dasselbe sind, was sie beym Manne sind; dass ihr Muth, ihre Gerechtigkeit, ihre Sittsamkeit, einen andern Charakter haben, als Muth, Gerechtigkeit und Sittsamkeit beym Manne. — Der männliche Muth z. B. muss der Muth eines Befehlshabers, der weibliche der Muth eines Dienstleistenden seyn.Dieses leuchtet mehr ein, wenn man die Tugenden einzeln durchgeht, als wenn man sie unter eine allgemeine Definition zusammen fasst. Man kann sich leichter täuschen, wenn man bey diesen Untersuchungen sich begnügt zu sagen: dass die Tugend in einem Wohlbefinden der Seele, — oder dass sie im Richtighandeln bestehe. Viel ! besser ist es, wie dort Gorgias (beym Plato) die Tugenden stückweise herzuzählen.Wie also nach dem Ausspruche des Dichters,"Nichts den weiblichen Mund so ziert, als Schweigen." welches hingegen beym Manne gar nicht der Fall ist: so verhält es sich zwischen ihnen in Absicht aller Tugenden.Das Kind ist ein noch unvollendeten Geschöpf. Seine Tugend kann sich daher nicht auf sein eignes Selbst beziehn, sondern auf den reifen entwickelten Menschen, welcher ihn anführt und erzieht. So hat die Tugend des Knechts ihren Gegenstand und ihren Endzweck in dem Herrn.Da aber dieser Endzweck in nichts andern besteht, als für den Herrn die unentbehrlichen, aber groben körperlichen Arbeiten zu thun: so bedarf es bey ihm keiner erhabenen Tugenden, sondern nur so viel, dass er nicht aus Muthwillen oder aus Trägheit seine Arbeiten unterlasse.Man könnte vielleicht fragen, ob dann nicht auf diese Weise jeder Handwerker seine eigne Tugend haben müsste: weil auch er durch Unsittlichkeit oft an seinen Arbeiten gehindert werde. Aber der Unterschied ist gross. Der Sklave ist mit seiner Herrschaft in einer fortdauernden Gesellschaft. Der Handwerker ist von dem, für welchen er arbeitet, getrennt. Jn sofern seine Arbeit mit dem Sklavendienst etwas gemein hat, in sofern kommt ihm freylich auch diese sich auf andre beziehende Tugend zu, welche dem Sklaven eigen ist, und den gemeinen Handwerker kann man wirklich als einen abgesondert wohnenden Dienstbothen ansehn.Uiberdiess ist der Sklave, Sklave, um gewisser natürlichen Eigenschaften willen, von denen also auch eine besondre Ausbildung, die man Tugend des Sklaven heissen kann, Statt findet; der Schuster aber, und jener Handwerker ist, was er ist, nicht von Natur.Es erhellt demnach aus dem Obigen, dass zu der Herrscherskunst, welche dem über Sklaven Gebiethenden eigen seyn soll, nicht sowohl diess gehört, dass er sie die Arbeiten lehren kann, welche sie thun müssen: sondern dass er ihnen die Tugenden einzuflössen wisse, welche sie als Sklaven haben sollen.Falsch ist es daher, wenn einige den Sklaven so ganz alle Vernunft absprechen, dass sie verlangen, der Herr soll ihnen durchaus nur befehlen, nie sie belehren. Aber mich dünkt, die Zurechtweisung mit Worten, und die Belehrung sey bey den Dienstbothen noch natürlicher und nothwendiger, als bey den Kindern.Dass aber diese ganze Materie von dem Verhältniss zwischen Mann und Frau, zwischen Aeltern und Kindern, und von den jedem Theile zustehenden Tugenden, von der Art des unter ihnen obwaltenden Verkehrs, was darinnen gut und zweckmässig, was schlecht und schädlich sey, und wie man das Gute zu erhalten, dem Nachtheiligen zu entgehen trachten müsse, dass diese ganze Materie, sage ich, in Untersuchungen über die Politik gehöre, ist daraus klar, weil, wie ich im Anfange gesagt, die Familien die Bestandtheile der bürgerlichen Gesellschaft, und die genannten Personen die Bestandtheile der Familien sind, der Theil aber und dessen Vollkommenheit sich auf die Natur und die Vollkommenheit des Ganzen bezieht. Daher Kinder und Weiber mit Rücksicht auf den Staat erzogen und regiert werden müssen: es müsste anders dem Staat gleichgiltig seyn, ob die Kinder darin gute Kinder, und die Ehefrauen gute Frauen sind, oder nicht. Gleichgiltig kann es ihm aber nicht seyn: denn die Weiber machen doch die Hälfte der sämmtlichen freyen Einwohner einer Stadt aus: und aus den Kindern werden die künftigen Bürger derselben.Jndessen muss ich es bey den bisherigen Erörterungen über diese Gegenstände bewenden lassen, und die weitere Ausführung für andere Schriften aufbewahren.Es fängt also mit dem folgenden Buche eine neue Untersuchung an, und zwar zuerst über die Frage: welches die besste Staatsverfassung sey? wobey zugleich die von meinen Vorgängern darüber geäusserten Meinungen beurtheilt werden. h ioZweytes Buch.

Erstes Kapitel.



Welches die besste Staatsverfassung sey. Prüfung des Platonischen Jdeals: Was heisst Einheit des Staats?

Da meine Absicht ist zu untersuchen, welche Form der bürgerlichen Gesellschaft, und welche Regierung derselben die besste unter allen ist, um die darin lebenden Menschen zu der Glückseligkeit, nach der sie streben, zu führen: so wird es nöthig seyn, sowohl die wirklichen Verfassungen derjenigen Städte zu betrachten, welche in dem Rufe stehn die bessten Gesetze zu haben, als auch gewisse idealische Pläne zu prüfen, welche zu Regierungsformen vollkommner Staaten von einigen entworfen worden sind, und den Beyfall des Publicums erhalten haben. Diess ist in doppelter Absicht nöthig, erstlich um durch Vergleichung mehrerer Einrichtungen, die, welche die besste und nützlichste ist, ausfindig zu machen; —sodann, um zu beweisen, dass es nicht der Hang zu unnützen Grübeleyen ist, welcher Philosophen veranlassen kann, noch ausser den bekannten Verfassungen und Gesetzen neue zu suchen; sondern dass wirklich die in den letztern wahrgenommenen Mängel zu fortgesetzten Untersuchungen dieser Art berechtigen.Den Anfang müssen wir in der Untersuchung von dem machen, was der Anfang der untersuchten Sache selbst ist, von der Natur der Vereinigung, in welche die Menschen durch die bürgerliche Gesellschaft treten.Entweder müssen nähmlich die Bürger einer Stadt (oder eines Staats) alles unter sich gemein haben, oder sie haben gar nichts gemein, oder endlich sind einige Dinge bey ihnen gemeinschaftlich, andre nicht. Das zweyte, nichts gemein zu haben, widerspricht augenscheinlich dem Begriffe einer bürgerlichen Gesellschaft, deren Wesen in einer gewissen Gemeinschaft besteht. Und zwar muss ihren Gliedern wenigstens der Ort gemein seyn, wo sie wohnen. Das Beysammenwohnen, macht den Grund aus, warum wir diese und diese Anzahl von Familien als Eine Stadt ansehn. Und wer also Bürger der Stadt ist, der ist in der örtlichen Gemeinschaft des Wohnplatzes.Es bleibt also nur die Frage übrig, welches besser ist: — ob die Bürger eines Staats, dem man die besste Einrichtung geben will, alle Dinge, die nur einer Gemeinschaft fähig sind, unter sich gemein haben, — oder ob sie nur bey einigen den gemeinschaftlichen Besitz, bey andern aber den getheilten wählen sollen?Es ist nähmlich an sich möglich, dass die Bürger einer Stadt, Weiber, Kinder und Vermögen unter sich gemein haben. So ist es in der Republik des Plato. Jn derselben sagt Socrates, dass diese dreyfache Gemeinschaft bey den Wächtern oder bey den Bürgern der ersten Classe des Staats Statt haben müsse. Welche Einrichtung ist nun vorzuziehen: die welche jetzt allenthalben die Oberhand hat, oder die der Platonischen Republik?Die Gemeinschaft der Weiber hat erstlich an sich grosse und mannigfaltige Schwierigkeiten; zweytens ist es aus den vom Socrates angeführten Gründen nicht klar, dass sie den Endzweck, um desswillen er sie vorzieht, erreichen würde; es ist endlich in Ansehung dieses Endzwecks selbst noch eine Dunkelheit, indem er so, wie er dort ausgedrückt wird, eine ganz unmögliche Sache ist, —nirgends aber vom Verfasser die Einschränkungen angegeben werden, unter welchen man ihn zu verstehen hat.Jch rede nähmlich von dem Endzweck, den Socrates als das höchste Gut einer Stadt annimmt, dass sie aufs möglichste nur Ein Ganzes, Eine Städt, mit einem Worte Eins seyn soll.Und dem ohnerachtet ist klar, dass wenn man den Satz zu weit treiben, und die Stadt der Einheit allzu nahe bringen wollte, sie aufhören würde, eine Stadt zu seyn. Das Wesen derselben besteht in der Vielheit, in der Menge der beysammenlebenden Menschen. Soll sie in dem vollkommensten Sinne Eins werden, so müssen wir aus ihr eine einzelne Familie, und aus der Familie müssen wir einen einzelnen Menschen machen. Denn sicher ist ein Haus mehr Eins als eine ganze Stadt, und ein Mensch mehr Eins als eine ganze Familie. Und wäre diess auch nicht an und für sich unmöglich, so würde es doch noch nicht gut seyn, denn es würde den Staat, den wir reguliren wollen, vernichten.Nicht aber bloss aus mehrern Personen muss jede Stadt, und die bürgerliche Gesellschaft in derselben, bestehen, sondern diese müssen auch einander — der Art nach — ungleich seyn. Hierin liegt eben der Unterschied zwischen einer Conföderation und zwischen der bürgerlichen Vereinigung. Wenn die Absicht, warum viele zusammen treten, bloss darin besteht, ein Quantum, eine Summe zu vergrössern, so liegt nichts dran, wenn auch die Theile alle von einerley Art sind. Von dieser Art ist die Hülfe, welche durch eine blosse Conföderation die Menschen einander verschaffen wollen. Es soll dadurch nur das Gewicht, die Gewalt des Widerstandes vergrössert werden, so wie mehrere auf eine Waagschale gelegte Gewichte dieselbe stärker herunter ziehn. Diess ist auch das Unterscheidende einer Völkerschaft von einer Stadt; jene ist nur eine Vielheit von Menschen, die in mehrern Dorfschaften zerstreut wohnen, nur zusammen gezählt werden, nicht zusammen verbunden sind, in welchem Zustande die Arkadier lebten. Sobald aber aus vielen Theilen ein Ganzes werden soll, so müssen diese Theile von verschiedener Art seyn, und verschiedne Functionen haben. Das ist es nähmlich, worauf das Wohl und die Erhaltung allen Republiken beruht, dass die verschiedenen Classen der Einwohner einander gleichsam die Waage halten, von einander abgesondert bleiben, und doch in ihren Endzwecken zusammenstimmen. Siehe davon meine ethischen Werke.Diess ist auch selbst in denjenigen Staaten nöthig, wo alle frey, und der Geburt nach gleich sind. Die Functionen der Glieder müssen doch verschieden seyn. Denn wenn auch z. B. alle Bürger zur Regierung fähig und berechtigt sind: so können doch nicht alle auf einmahl an der Regierung Theil haben, sondern nur nach und nach, indem sie in derselben entweder alle Jahre, oder in andern bestimmten Zeiträumen abwechseln. Nur auf diese einzige Art ist es möglich, dass die Regierung an alle komme, wenn einer den andern darin ablöst. Und dann ist doch die Ungleichheit und Verschiedenheit unter den Bürgern nicht aufgehoben, so wenig als der Schuster aufhören würde vom Zimmermann verschieden zu seyn, wenn keiner so wie es jetzt üblich ist, bey seinem Handwerke zeitlebens bliebe, sondern der Schuster abwechselnd Zimmermann und der Zimmermann Schuster würde.Jn der That ist es besser, wenn die Gewohnheit, dass jeder zeitlebens nur eine Arbeit treibe, sich auch auf die Geschäfte der Staatsverwaltung erstreckt, — das heisst, dass immer dieselben Personen das Regiment führen.Wo diess aber nicht möglich ist, weil sich unter den Bürgern kein so grosser natürlicher Unterschied findet, der die einen von der Regierung ausschliessen könne, und wo es desswegen der Gerechtigkeit gemäss ist, dass das Herrschen (es mag nun ein Vortheil oder ein Schaben für den seyn, dem es aufgetragen wird), allen zu Theil werde: da ist das Umwechseln in den obrigkeitlichen Stellen die einzige mögliche Einrichtung. Und in diesem Falle treten diejenigen, welche vorher mit der obrigkeitlichen Person gleich waren, freywillig so lange zurück, und erniedrigen sich unter sie, als diese ihr Amt verwaltet, erheben sich aber wieder wechselweise über dieselbe, wenn die Reihe an sie selbst kömmt, diese Stellen zu begleiten, so dass es nicht anders scheint, als wenn jedem wechselsweise ein höheres und ein niedrigeres Wesen würde. Auf gleiche Weise müssen die Bürger in diesen Staaten bald die eine bald die andre Art öffentlicher Aemter begleiten.Hieraus ist klar, dass immer verschiedne Abtheilungen und Verrichtungen der Bürger in jedem Staate seyn müssen; — dass es also wider die Natur und das Wesen eines Staats ist, in dem vollkommensten Sinn, wie einige verlangen, Eins zu seyn, ja dass diess vermeinte höchste Gut der bürgerlichen Gesellschaft ihr Daseyn aufheben würde. Der Charakter und das Eigenthümliche des Guten aber besteht eben darin, dass es das Ding, bey welchem es sich findet, erhalte.Noch auf eine zweyte Art lässt es sich beweisen, dass einen Staat zu sehr in eine Einheit verwandeln zu wollen, nicht das besste Mittel zu Erreichung seiner Endzwecke ist. — Eine Familie kann ohne Zweifel mehr sich selbst gnugsam seyn, als ein einzelner Mensch; — und ein gemeines Wesen hinwiederum mehr als eine einzelne Familie. Ja alsdann bekömmt eine Anzahl von Menschen oder Familien erst den Nahmen eines gemeinen Wesens, eines Staats, wenn sie durch ihre Vereinigung zu dieser Selbstgenügsamkeit gelangen. Wenn demnach derjenige Zustand der bessere ist, wo sich die grössere Selbstgenügsamkeit findet, und wenn diese Selbstgenügsamkeit mit der Vielheit und der Verschiedenheit der Theile bey einem Ganzen wächst: so ist das, was weniger Eins ist, der vollkommnern Einheit vorzuziehn.

Zweytes Kapitel.



Gegen die von Plato vorgeschlagene Gemeinschaft der Weiber und Kinder.

Aber gesetzt auch, es wäre bewiesen, dass die grösste Einheit einer Republik ihr vollkommenster Zustand ist, so würde desswegen doch noch nicht folgen, dass diese Einheit, wie Socrates glaubt, dadurch erhalten wird, wenn alle Bürger zugleich dieselben Sachen ihr Eigenthum nennen können.Das Wort alle ist zweydeutig. Dasjenige wird Allen zugeschrieben, was entweder einem jeglichen in dem ganzen Haufen, oder was dem Haufen im Ganzen genommen zukömmt. Wäre es hier in dem ersten Sinne anwendbar, so würde vielleicht eher die Wirkung, welche Socrates davon verlangt, zu erwarten seyn, ich will sagen, — alsdann, wenn jeder den für seinen Sohn hielte, den jeder andre zugleich für den seinigen erkennt, wenn die als eigenthümliche Ehefrau von dem einem geliebte, eben so gut die Ehefrau jedes andern wäre, und so das Vermögen und alle hieher gehörige Dinge einem jeden zugehörten, aber einem sowohl als dem andern. Diess kann aber nicht der Sinn seyn, in welchem die, welche eine Gemeinchaft der Weiber und Kinder bey sich einführen wollten, das Wort brauchten. Alle hätten bey ihnen dieselben Weiber und Kinder, aber alle nur dem Jnbegriff nach und in der Summe, nicht einzeln und stückweise betrachtet. Jn dem Worte alle steckt also augenscheinlich eine Zweydeutigkeit, die zu einem Trugschlusse Gelegenheit gibt. Diese Zweydeutigkeit ist den Wörtern Alle und Beyde gemein, und zeigt sich bey mehrern Gelegenheiten. Dieselben Dinge, welche man darunter zusammenfasst, können z. B. eine grade, und können eine ungrade Zahl ausmachen, nachdem sie entweder getheilt, oder summirt verstanden werden, und so sind ähnliche Wortstreitigkeiten leicht durch sie zu veranlassen.Also, dass alle dieselben Sachen ihr Eigenthum nennen, würde in dem einen Sinne gut seyn, ist aber in diesem Sinne unmöglich; in einem Verstande ist es möglich, aber trägt nichts zur Einigkeit der Bürger bey.Dagegen würde von einer andern Seite die gedachte Einrichtung schädlich werden. Denn was vielen gemein ist, dafür wird am wenigsten gesorgt. Jeder sorgt am ersten für das, was ihm ausschliessend zugehört, für das aber, was er mit andern gemein hat, nur in so fern, als ein Theil davon auf ihn kömmt. Das übrige vernachlässiget er schon desswegen, weil er voraussetzt, dass andre dafür sorgen werden; so wie man bemerkt, dass die Bedienung da schlechter ist, wo viele, als wo wenige Bediente sind. Jn der Republik des Plato hat jeder, ich will sagen, tausend Bürger zu Kindern; aber nicht in dem Verstande, dass sie alle tausend ihm angehören, sondern nur so, dass der erste der besste darunter eben so wohl sein Sohn seyn kann, als der andre. Das macht aber, dass diese Kinder von allen auf gleiche Art vernachlässiget werden. Jeder kann von tausenden, oder von so vielen, als die Republik in sich enthält, zu einem jeden, der sich in glücklichen, oder zu einem jeden andern, der sich in armseligen Umständen befindet, sagen: das ist mein Sohn, das ist mein Vater, und sich also zur Unterstützung desselben verpflichtet halten, oder von ihm Hülfe erwarten, aber er kann auch eben sowohl sagen, es ist dessen und dessen Sohn oder Vater, und kann also gegen ihn, als gegen einen ganz Fremden, ohne Pflichten und ohne Rechte zu seyn glauben, — und diess um desto mehr, da er immer zweifeln muss, ob er auch unter der Menge irgend einen Sohn habe, oder ob er nicht jemanden für seinen Vater ansehe, der keines Menschen Vater ist. Denn bey dieser Einrichtung weiss keiner, ob das von ihm erzeugte Kind zur Geburt gekommen, ob, wenn es zur Welt gekommen, es auch beym Leben geblieben ist.Welches ist nun also wohl besser, Tausende oder Zehntausende auf diese Weise Vater und Sohn heissen zu können, oder einen oder einige wenige, auf die Art, wie wir bey der gegenwärtigen Verfassung der Staaten, das Wort mein bey der Verwandtschaft brauchen. Jetzt wird jeder nur von einem Menschen Sohn, von einem andern Bruder, von einem dritten sein Geschwisterkind, von einem vierten sein Vetter oder Schwager genannt, nachdem er durchs Blut, oder durch Heirathen mit ihm verwandt ist, und wenn noch entferntere Verbindungen unter den Mitbürgern angezeigt werden, so heisst ihn der eine seinen Zunftgenossen, der andre seinen Stammvetter; aber alle diese nennen ihn, obgleich in ungleichem Grade der Verwandtschaft, doch mit Gewissheit und ausschliessend den ihrigen. Und in diesem Verstande ist es gewiss besser, jemandes entfernter Vetter, als in dem ersten dessen Sohn zu seyn, "Uiberdiess ist auch das nicht einmahl zu erhalten, dass nicht viele darauf muthmassen sollten, welche Personen ihre eigentlichen Väter, Mütter, Söhne und Brüder seyn möchten. Denn da doch gemeiniglich die Kinder ihren Aeltern ähnlich sind: so würden sie an diesem Zeichen einander zu erkennen suchen. Und diess geschieht auch wirklich bey einigen Nazionen, wie uns diejenigen versichern, welche die allgemeine Erd- und Völkerkunde bearbeitet haben. Jn dem obern Libyen soll ein Volk seyn, bey welchem die Weiber alle gemein sind. Die neugebohrnen Kinder aber werden nach der Aehnlichkeit an die Väter als die ihrigen ausgetheilt. Selbst bey den Thieren, z. B. bey Pferden und Rindern gibt es einige Racen, deren Jungen ihren Vätern sehr ähnlich zu werden pflegen. So war die berühmte Thesalische Stutte in Pharsalis, die man desswegen die getreue nannte, weil die Füllen, welche sie warf, den Beschälern, von denen sie belegt wurde, so sehr ähnlich fielen.Ein anderer Uibelstand, welchen diejenigen, die eine Gemeinschaft der Weiber einführen wollten, schwerlich würden vermeiden können, ist: dass sich oft die Bürger ihrer Stadt, wissentlich oder unwissentlich an ihren Vätern, Müttern und nächsten Verwandlen, mit Worten oder mit Thätlichkeiten vergreifen, ja dass selbst Misshandlungen oder Mordthaten unter ihnen vorfallen würden, welches doch nach göttlichen und menschlichen Gesetzen weit grössre Frevel sind, als wenn dieselben Beleidigungen gegen entferntere Verwandten geschehn. Und natürlicher Weise muss sich diess öfterer da ereignen, wo niemand seine wirklichen Blutsverwandten kennt, als da, wo er sie kennt. Uiberdiess wo man sie kennt, kann der, welcher sich mit einer solchen Schuld beladen hat, sie durch die gewöhnlichen Versöhnungsmittel wieder austilgen; wo man sie nicht kennt, ist diess unmöglich.Auch ist das sehr seltsam, was Socrates thut, zuerst die Söhne als gemeinschaftliche Kinder aller derer, die Väter seyn können, ansehn zu lassen, und doch alsdann diesen unter einander den verliebtesten Umgang und alle die Liebkosungen zu erlangen, welche von Aeltern gegen Kinder und von Brüdern gegen Brüder so äusserst unanständig sind, — nur den Beyschlaf allein ausgenommen. — Hatte er nicht eben so viel Recht, das blosse Verliebtseyn in diesen Graden der Verwandtschaft zu untersagen? Denn auch das ist befremdend, dass er den Beyschlaf unter den beyden Classen bloss aus dem Grunde verbiethet, weil die Heftigkeit des Affects durch die genossene Lust zu gross werden würde, und darauf keine Rücksicht nimmt, dass es blutschänderische Verbindungen sind, welche die Religion und das Naturrecht gegen sich haben.Noch ferner scheint es, dass wenn diese Gemeinschaft der Weiber unter irgend einer Classe der Bürger eingeführt werden sollte, sie bey der Classe der Ackerleute noch nützlicher seyn würde, als bey der Classe der Beschützer und Wächter der Republik, auf welche Plato jene Einrichtung eingeschränkt wissen will. Denn in der That, wo Weiber und Kinder gemein sind, da werden weniger zärtliche Verbindungen unter den Menschen seyn: und grade diess ist bey denjenigen gut, welche bestimmt sind von andern beherrscht zu werden, weil dieser Mangel der Freundschaft unter ihnen sie hindert, sich gegen die Regierung zu vereinigen und Neuerungen zu machen.Und diess führt mich auf die vornehmste Einwendung, welche gegen eine solche Einrichtung zu machen ist, diese nähmlich, dass sie grade die entgegengesetzte Wirkung von derjenigen hervorbringen würde, welche gute Gesetze in einem Staate haben sollen, und welche Socrates bey Anordnung der seinigen zur Absicht hatte. Es wird allgemein anerkannt, dass Einigkeit und Freundschaft unter den Bürgern das höchste Gut eines Staats sey, weil diess die innere Ruhe desselben sichert, und Socrates preist es, wie ich schon gesagt habe, über alles wenn eine Stadt aufs Vollkommenste eins ist. Und dieses, glaubt er und so scheint es auch in der That, sey nur durch Liebe und Verwandtschaft zu bewirken; — Ungefähr nach denselben Begriffen von der Liebe, nach welchen Aristophanes, in seinem Buche von der Liebe, sagt, dass der Wunsch der recht feurig Verlieben darauf gehe, zusammenzuwachsen, und aus zwey Personen nur Eine zu werden. Jn diesem letzten Falle würden, wenn diess wirklich geschähe, alle beyde dadurch zu Grunde gehn; und so würde auch der Eine, der aus Jhnen entstehen sollte, nicht da seyn. Jn dem Platonischen Staate hingegen, würde durch jene weite Ausdehnung der Verwandtschaft, die darauf gegründete Liebe sehr laulicht werden, und niemand würde mit wahrer herzlicher Liebe irgend jemanden seinen Sohn oder seinen Vater nennen. Denn so wie eine süsse Essenz in vieles Wasser gemischt, den Geschmack verliert, und der Zunge unmerklich wird: so muss nothwendig auch die Zuneigung, welche auf jene Nahmen der Verwandtschaft gegründet ist, erkalten, wenn dieselben einer zu grossen Menge von Menschen beygelegt werden, indem bey einer solchen Verfassung niemand in der Nothwendigkeit ist, allein und ausschliessend für einen andern, als Vater für den Sohn, oder als Sohn für den Vater, oder als Bruder für den Bruder sorgen zu müssen. Nun sind es aber zwey Umstände vornehmlich, welche die Menschen bewegen, für einen Gegenstand zu sorgen, und gegen denselben eine besondre Zuneigung zu haben: der eine, wenn dieser Gegenstand ihr eigen, der andre, wenn er ihnen wegen der schon darauf gewandten Sorgfalt theuer ist. Und keines von beyden findet bey denjenigen Statt, die in einer nach Platos Jdeen geformten Republik, sich Väter, Söhne und Brüder nennen.Eine neue Schwierigkeit zeigt sich, wenn aus der Classe der Handarbeiter und Landbauer ein Kind in die Classe der Wächter des Staats, wie Plato es unter gewissen Umständen haben will, versetzt werden soll. Wie ist es hier (da bey der geringern Classe die Gemeinschaft der Weiber nicht eingeführt ist) möglich, dem in die höhere Classe versetzten Zögling seine Aeltern nicht wissen zu lassen, da doch der, welcher ihn aus der Classe nahm, wissen muss, von wem er ihn empfing. Und wäre diess möglich: so würde bey solchen adoptirten Kindern noch mehr die Folge zu befürchten seyn, von der ich schon oben redete, dass Kinder unwissend ihre Aeltern misshandelten, schlügen, oder vielleicht gar tödteten. Denn nach den Vorschriften des Plato, sollen die aus der Classe der Beschützer in eine der übrigen Volksclassen versetzten Kinder, niemanden von der erstern mehr Vater, Mutter oder Bruder nennen, wie umgekehrt die zur höhern Classe Erhobnen niemanden aus der niedrigern, aus welcher sie doch herstammen, so nennen sollen. So dass sie also noch weniger sich vor Handlungen der Art hüthen können, wenn sie nicht einmahl die entfernteste Erinnerung haben, wo sie ihre nächsten Verwandten suchen sollen.Diess sind meine Gründe gegen die vom Plato vorgeschlagene Gemeinschaft der Weiber und Kinder.

Drittes Kapitel.



Gegen die von Platon vorgeschlagene Gemeinschaft der Güter.

Hiernächst ist nun eine ähnliche Frage in Absicht des Eigenthums zu untersuchen, ob in dem Staate, welchem man die besste Verfassung geben will, die Güter allen gemein, oder als Eigenthum vertheilt seyn müssen? Diese Frage ist im Grunde von der vorhergehenden über die Gemeinschaft der Weiber und Kinder unabhängig. Auch wenn ausgemacht ist, dass letztre nicht Statt findet, kann es doch noch ein Gegenstand der Untersuchung seyn: ob in Absicht auf Hab und Gut, die jetzt fast allenthalben eingeführte Einrichtung die besste sey, oder die völlige Gemeinschaft des Besitzes sowohl als des Gebrauchs der Güter, so dass die Ländereyen und deren Producte allen gemein sind, oder endlich, Gemeinschaft und Eigenthum mit einander verbunden, es sey auf die Weise (welche bey einigen Nazionen wirklich im Gebrauche ist), dass die Ländereyen abgetheilt und eigenthümlich sind, die Früchte aber im gemeinschaftlichen Magazine niedergelegt werden, aus welchem jeder seine Bedürfnisse erhält, es sey auf die entgegengesetzte Weise, dass Grund und Boden allen gemein ist, und die Aecker gemeinschaftlich bestellt, die Früchte aber unter die Familien zu eignem beliebigen Gebrauche vertheilt werden (welche Art der Gemeinschaft ebenfalls bey einigen ungriechischen Völkerschaften eingeführt seyn soll).Sind die Besitzer und Anbauer der Landgüter eine eigne von den andern Bürgern getrennte Volksclasse: so macht dieses wieder eine grosse Veränderung in dem System der Gemeinschaft, und erleichtert vielleicht manche Schwierigkeiten; ader es bringt wahrscheinlich noch grössere hervor, wegen der Pflicht, die jener Classe der Ackerbürger aufgelegt wird, das Feld für alle übrigen Classen mit zu bauen. Denn da sie diesen an dem Genuss der Früchte einen grössern Antheil lassen soll, da dieselben doch an der Arbeit einen kleinern genommen haben: so kann es nicht fehlen, es wird daraus Missvergnügen, es werden Beschwerden von Seiten derer, die mehr arbeiten und weniger geniessen, gegen diejenigen entstehn, die weniger arbeiten und mehr geniessen.Uiberhaupt ist schon das Zusammenleben an und für sich, und das Gemeinschaftlichhaben irgend einer Sache unter Menschen immer eine gefährliche Klippe für ihre Freundschaft und Einigkeit, am meisten, wenn diese Gemeinschaft sich auf Dinge erstreckt, die zum Lebens-Unterhalte gehören. Das erste sieht man aus dem Beyspiele der Leute, die mit einander in Gesellschaft Reisen machen, und dabey nothwendig vieles gemeinschaftlich haben müssen. Die meisten darunter entzweyen sich, und zwar grösstentheils durch den sich sammelnden Verdruss über kleine Anlässe, die aber alle Augenblicke wieder kommen. So kommen wir auch mit keinem unsrer Sklaven so leicht in Streit, als mit denen, welche wir beständig um uns haben, weil wir sie zu unsern persönlichen und häuslichen Diensten brauchen.Dieselben Ursachen zur Misshelligkeit unter den Bürgern finden sich bey der Gemeinschaft der Güter, andrer Schwierigkeiten zu geschweigen.Unstreitig ist die jetzt gewöhnliche Einrichtung, besondres, wenn sie durch Sitten und gute Gesetze zu einer gewissen Regelmässigkeit gebracht worden ist, die besste unter allen zuvor erwähnten. Sie kann nähmlich die Vortheile beyder Verfassungen; ich meine der Eigenthümlichkeit, — und der Gemeinschaft der Güter mit einander vereinigen. Nach der Regel nähmlich, und im Ganzen muss jede Sache eigenthümlich seyn: —nach besondern Umständen aber, und in partieller Absicht muss sie als gemeinschaftlich angesehn werden. Der Besitz der Sache, und also auch die Sorge dafür, muss ausschliessend Einem zugetheilt seyn; — auf diese Weise werden weniger Klagen entstehen, und jeder wird mehr Sorgfalt auf die Verbesserung und Vermehrung der Natur-Producte wenden, da sie ihm eigenthümlich zugehören: Bey dem Gebrauch aber wird die freywillige Tugend der Bürger oft nach dem Sprichworte handeln müssen: unter Freunden ist alles gemein.Und so ist auch in der That jetzt die Handlungsweise in einigen Republiken — (ein Beweis, dass sie an sich nicht unmöglich sey). Gewohnheiten dieser Art sind am meisten in denjenigen Republiken eingeführt, welche die besste Verfassung haben; und in diesen lassen sich noch mehrere ähnliche als möglich denken. Hier hat nähmlich zwar jeder sein Eigenthum für sich, aber einiges davon widmet er bloss dem Nutzen seiner Freunde, andre Stücke desselben braucht er mit ihnen gemeinschaftlich. So bedient sich in Lacedämon einer des andern seiner Sklaven, beynahe so, als wenn es seine eigne wären; eben so willfährig sind sie, einander ihre Pferde oder Hunde zu borgen, oder Mitbürgern, die bey ihren Landsitzen vorbeyreisen, Zehrung und Nachtquartier zu geben. Diess ist nun offenbar die bessere Einrichtung, wenn das Eigenthumsrecht zwar ausschliessend ist, aber der Gebrauch des Eigenthums durch das Wohlwollen des Besitzers gemeinschaftlich wird.Wie aber den Bürgern eines Staats ein solcher wohlwollender Charakter beygebracht werden soll: dafür muss der Gesetzgeber sorgen, und diess zu bewirken, ist sein eigentliches Geschäfte.Diese Einrichtung ist aber nicht bloss die nützlichste. Auch in Absicht des Angenehmen und des Vergnügens, welches die Dinge uns machen, ist ein unendlicher Unterschied, ob wir dieselben unser eigen nennen können, oder nicht. Es ist nicht leere Eitelkeit, welche macht, dass jeder vorzüglich sich selbst, und folglich auch alles, was ihm angehört, liebt: sondern es ist ein eingepflanzten Naturtrieb. Freylich wird die Eigenliebe mit Recht als eine Untugend getadelt. Eigenliebig seyn heisst aber auch nicht, sich selbst lieben: sondern es heisst, sich über Gebühr lieben; so wie das Wort ehrfürchtig nicht denjenigen bedeutet, welcher Ehre sucht, sondern den, der sie übermässig sucht. Denkt man sich das Uibermaass hinweg: so ist die Neigung an sich erlaubt, und in der That allen Menschen gemein.Eben so ist es etwas äusserst Angenehmes, Freunden, Fremden, die bey uns einkehren, oder den Personen, mit welchen wir täglich umgehn; Geschenke zu machen und Gefälligkeiten zu erweisen. Diess können wir aber nur, oder wir können es am bessten, wenn wir etwas Eigenthümliches haben.Alles diess fällt in einem Staate weg, dessen Stifter ihn zu sehr zur vollkommnen Einheit zu bringen suchte. Zweyen Tugenden insbesondere wird dadurch alle Gelegenheit zur Ausübung benommen, der Enthaltsamkeit (im Umgange mit Weibern) und der Freygebigkeit. Jene Tugend kann sich nicht zeigen, wo die Weiber gemein sind, weil sie vornehmlich darauf geht, wollüstige Begierden gegen die Ehegattinn eines andern zu unterdrücken; diese aber, die in einem gewissen Gebrauche des Eigenthums besteht, findet keinen Gegenstand zum Handeln, wo es kein Eigenthum gibt, und kann sich also auch als Eigenschaft des Gemüths, nicht deutlich offenbaren.Jene Platonische Gesetzgebung hat den Schein eines sehr menschenfreundlichen und das allgemeine Wohlwollen befördernden Systems, aber es hat auch nur den Schein davon. Der Leser, welcher sie obenhin betrachtet, wird leicht dafür eingenommen, und glaubt, dass in einem solchen Staate eine bewundernswürdige Freundschaft eines Bürgers gegen alle, und aller gegen jeden seyn müsse: besonders widerfährt ihm diess, wenn er zugleich alle die Uibel, die in unsern jetzigen Verfassungen herrschen, aufzählen und sie alle der bey uns fehlenden Gemeinschaft der Güter zuschreiben hört, — ich meine solche, als die beym Handel und Wandel, und den Contracten über das Eigenthum vorfallenden Betrügereyen sind, die darüber geführten Prozesse, die in diesen Prozessen abgelegten falsche Eide, und die ferner daraus entstehenden Criminal-Untersuchungen, endlich die Schmeicheley und die Parteylichkeit gegen die Reichen.Aber alle diese Uibel entspringen aus der Verdorbenheit und den Unarten der Menschen, nicht aus den Unvollkommenheiten einer Verfassung, welche keine Gemeinschaft der Güter zulässt. Denn wir sehen ja auch Menschen, die in Gemeinschaft der Güter leben, uneins unter sich, und oft weit mehr uneins, als diejenigen sind, welche getheilte Güter haben. Wenn die Beyspiele der erstern Art nicht so häufig sind: so rührt diess bloss daher, dass überhaupt die Anzahl derer, welche Dinge in Gemeinschaft besitzen, ohne Vergleichung geringer ist, als die Anzahl derer, die abgesondertes Eigenthum haben.Uiberdiess ist es billig, dass man nicht nur anzeige, von welchen Uibeln diejenigen befreyt sind, welche die Gemeinschaft der Güter unter sich eingeführt haben, sondern auch, welcher Vortheile sie sich berauben. Letztere aber sind so gross, dass es scheint, das menschliche Leben verliere bey Abwesenheit derselben allen seinen Reitz, verliere alles, wodurch es wünschenswerth wird.Die erste Ursache zu allen diesen Trugschlüssen scheint dem Sokrates der falsche Begriff gegeben zu haben, welchen er sich von der höchsten Vollkommenheit einer Staatsverfassung, und dem Endzwecke eines Gesetzgebers macht, als wenn beyde darin bestünden, den Statt vollkommen Eins zu machen. Einheit ist zwar allerdings in jeder Verbindung, in der häuslichen sowohl als bürgerlichen nöthig: aber Einheit nur in einem eingeschränkten Verstande. — Es ist eine gewisse Grenze, über welche diese Einheit nicht hinaus getrieben werden kann, ohne den Staat selbst aufzuheben, es ist eine andre, wo er zwar noch seine Existenz behält, aber doch ein schlechterer Staat wird. Grade so, wie wenn man die Musik, die eine Zusammenstimmung mehrerer Töne seyn soll, in die Wiederhohlung eines einzigen verwandelte, oder als wenn man den Wohlklang eines Verses dadurch vermehren wollte, dass man anstatt einer passenden Zusammensetzung mehrerer Füsse einen einzigen Fuss brauchte.Wie ich schon oben gesagt habe: es muss eine Vielheit, eine Verschiedenheit von Menschen in einem gemeinen Wesen seyn, aber diese Viele müssen durch Erziehung und Gesetze in Uibereinstimmung gebracht und einig gemacht werden. Wirklich ist es zu verwundern, wie ein Mann, der im Begriffe ist, selbst Regeln zu einer solchen Erziehung vorzuschreiben, und der sich selbst überzeugt hält, dass er durch diese seinen Staat glücklich machen werde, seine Zuflucht zu solchen Hülfsmitteln nehmen kann, und nicht lieber die Einigkeit, von den Sitten die er einführen, von den Gesetzen die er geben will, und von der Philosophie welche er lehrt, als von der Gemeinschaft der Weiber erwartet. Noch dazu, da er die Beyspiele des Lacedämonischen und Cretischen Gesetzgebers vor sich hatte, die beyde durch Einführung der gemeinschaftlichen Mahlzeiten, das Ausschliessende des Eigenthums zu mässigen gesucht, und eine gewisse Gemeinschaft damit verbunden haben, ohne das Eigenthumsrecht selbst aufzuheben.Es ist hiebey nicht aus der Acht zu lassen: dass die Zeit und die verflossnen Jahrhunderte die bessten Lehrmeister auch für den Philosophen sind. Und gewiss würde in der langen Reihe derselben, in welcher Staaten existiren, diese Einrichtung, wenn sie so vortrefflich wäre, von irgend einem seyn angenommen worden. Denn beynah sind schon alle mögliche Einrichtungen des gesellschaftlichen Lebens erfunden und in der Welt irgendwo versucht worden, nur dass von einigen die Nachrichten nicht auf uns gekommen sind, andre aber, von denen wir Nachricht haben, mit Fleisse nicht angewendet werden.Durch nichts würden die Platonischen Jdeen vollständiger widerlegt werden, als wenn ein Staat wirklich nach denselben errichtet werden sollte. Alsdann würde es sich zeigen, dass, wenn Plato seinen Staat nicht in kleinere Gesellschaften mit getheilten Familien und Eigenthum abtheilen wollte, es sey nun nach Σνσσιτίοις, d. h. Tisch-Genossenschaften wie in Lacedämon, oder nach Zünften und Curien wie in Athen, er gar nicht im Stande seyn würde, ein gemeines Wesen und eine bürgerliche Regierung zu Stande zu bringen. Geschähe aber dieses; so bliebe von jener Platonischen Verfassung nichts mehr übrig, als dass die vornehmsten Staatsbürger, welche Wächter der Republik heissen, keinen Ackerbau treiben; — und das ist das nähmliche, was in der Lacedämonischen Verfassung ebenfalls zum Grunde liegt.Aber gesetzt, dass wir auch die Gemeinschaft der Güter als zulässig und nützlich ansähen, so hat doch Sokrates nirgends gesagt, welches die Form des Ganzen seiner Republik bey derselben seyn müsste: und es ist auch nicht leicht, diese Form zu entdecken. Denn der grössere Theil des Staats besteht ohne Zweifel aus den Bürgern, welche in der untern Classe der Ackerbauer sich befinden. Von diesen aber bestimmt Sokrates nicht, ob sie auch Weiber, Kinder und Güter gemein, oder ob sie sie eigenthümlich haben sollen. Jst das erste, und sind dem zufolge Erziehung und Sitten beyder Classen gemein, worin werden also die den Ackerbau treibenden Bürger, von den sogenannten Wächtern, die den Staat beschützen und regieren, verschieden seyn? Durch welche Vortheile werden diese bewogen werden, die Sorgen der Regierung zu übernehmen? durch welche Wissenschaft oder Kunst werden sie vorzüglich in den Stand gesetzt, dieselbe zu verwalten?Es bleibt nichts übrig, als eine solche Unterscheidung der regierenden und der arbeitenden Classe zu denken, dergleichen die Cretenser bey sich zwischen Freyen und Sklaven eingeführt haben. Sie, die sonst alles Uibrige den Sklaven frey lassen, verbiethen ihnen bloss, die Gymnasia (die Schulen für die Leibesübungen) zu besuchen, und Waffen zu besitzen.Wenn im Gegentheil, bey der Classe, welche die Ländereyen des Staats anbaut, die Einrichtung in Absicht der Weiber, Kinder und des Vermögens der in allen andern Städten ähnlich ist: wie wird zwischen ihr und der obern Classe die geringste Verbindung seyn können? Es werden alsdann zwey Staaten in Einem seyn, und zwar Staaten, die einander ganz unähnlich und also wahrscheinlich einander entgegen seyn werden. — Denn nach dem Plato sollen die, welche er Wächter φύλαχες) nennt gleichsam die Besatzung der Stadt vorstellen: die übrigen aber, die Ackerbau und Künste treiben, sollen doch auch nicht Sklaven, sondern Bürger seyn. Werden dann nun nicht alle die Uibel, welche er in andern Staaten findet, Klagen und Erbitterung eines Bürgers gegen den andern, Civil- und Criminal-Processe, wenigstens bey dieser Classe von Bürgern, deren Erziehung und Verfassung er ganz vernachlässiget, Statt finden? Oder wie kann Sokrates sagen, dass sein ganzer Staat nur weniger Gesetze, in Absicht der öffentlichen Sicherheit und gegen den Betrug bey Handel und Wandel bedürfen würde, bloss um der Erziehung willen, welche er nur einem Theile, den Wächtern, oder der obern Classe der Bürger, allein, gibt?Er übergibt ferner Grund und Boden und das ganze Eigenthum der Republik, der Classe, welche er die Ackerbauer nennt, zu freyer Disposition, und legt ihr nur die Pflicht auf, einen gewissen Theil des Ertrages der Classe der sogenannten Wächter, zu deren Unterhalt zu entrichten. Aber werden nach dieser Einrichtung diese Bewirthschafter der Staatsländereyen nicht weit übermüthiger, schwerer zu regieren und widersetzlicher werden, als die Heloten bey den Spartern, die Penesten bey den Thessaliern, und überhaupt alle Cultivateurs in denjenigen Staaten sind, wo sie aus dem Sklavenstande genommen werden? Uiber alles diess von so grosser oder geringer Erheblichkeit es auch seyn mag, ist in der Platonischen Republik gar keine Bestimmung gegeben. — Eben so wenig über das, was damit zusammenhängt, —welche Art der Erziehung nun eigentlich diese arbeitende und das Land bauende Bürgerclasse bekommen solle, welches die ihr eigene Verfassung und Gesetze sind? Und doch ist es weder leicht, dieses ausfindig zu machen, noch ist es gleichgiltig, von welcher Art und Beschaffenheit auch die Bürger dieser Classe sind, wenn sie mit denen der höhern in Vereinigung leben, und mit ihnen zu einem gemeinschaftlichen Endzwecke wirken sollen?Es fällt, um nur einen Punct anzuführen, es in die Augen, dass die Gemeinschaft der Weiber, sie mag nun mit oder ohne Gemeinschaft der Güter seyn, bey Leuten, die Landwirthschaft treiben sollen, nicht Statt findet. Denn wer würde denn bey ihnen, indess die Männer auf dem Felde arbeiten, die Hauswirthschaft besorgen, die allenthalben sonst der Frau obliegt?Die Vergleichung mit den Thieren, durch welche Sokrates zu bestätigen sucht, dass es der Natur am gemässesten ist, dem weiblichen Geschlecht einerley Verrichtungen mit dem männlichen zu geben, ist unpassend und beweist nichts, da die Bestimmung und Geschäfte der Menschen von der Bestimmung und der Thätigkeit der Thiere so weit verschieden sind, und z. B. alles, was Haus- und Landwirthschaft heisst, bey diesen gar nicht Statt findet.Eine andere Anordnung des Sokrates in der Platonischen Republik könnte von sehr schädlichen Folgen seyn, die, dass immer dieselben Personen die obrigkeitlichen Stellen begleiten sollen. Diess veranlasst selbst in solchen Städten Zwistigkeiten und Empörung, wo der grosse Haufen der Bürger nur wenig Muth und Ansehn hat: was würde es nicht erst unter Männern thun, welche immer die Waffen in den Händen haben, und mit vorzüglichem Geiste und einem stolzen Selbstgefühl beseelt sind?Dass aber nach seiner Darstellung der Staatsverfassung, wirklich die Regierung immer in denselben Händen bleibt, ist klar, weil "das geistige von den Göttern in die Bildung gewisser Menschenseelen eingemischte Gold," welches Sokrates bey denjenigen, die zur Regierung berufen werden, erfordert, nicht bald diesen bald jenen Menschen zu Theil wird, sondern bey denen Zeitlebens bleibt, welche es einmahl von der Natur empfangen haben, Denn so sagt er in seiner alegorischen Sprache, bey der Geburt werde einigen Seelen Gold, andern Silber, noch andern Eisen oder Bley beygemischt: und diese letztere wären es, welche zum Landbau und dem Erwerbungsgeschäfte gewidmet werden müssten.Ferner um sich zu rechtfertigen, dass er den Wächtern so vielen Zwang auflegt, und so wenig Freuden des Lebens lässt, sagt er, dass ein Gesetzgeber nicht für die Glückseligkeit der Bürger, sondern des ganzen Staats sorgen müsse. Aber es ist nicht möglich, das Ganze auf eine andere Art glücklich zu machen, als indem man alle seine Theile oder die meisten, oder wenigstens einige glücklich macht. Mit der Glückseligkeit ist es nicht so wie mit der geraden Zahl. Eine Summe kann eine gerade Zahl ausmachen, wenn gleich die einzelne Posten, woraus sie besteht, lauter ungrade Zahlen sind. Aber nicht so kann ein ganzes Corpus von Menschen glücklich seyn, ohne dass die einzelnen Menschen glücklich sind, welche zu demselben gehören.Wenn nun aber die Wächter in der Platonischen Republik, d. h. die Bürger der höchsten Classe nicht glücklich sind: wer wird es dann seyn? Doch gewiss die Künstler, Handwerker, und der grosse Haufen gemeiner Professionisten noch viel weniger.Diess sind also die Schwierigkeiten, welche sich bey dem vom Sokrates entworfenen Plan einer Staats-Verfassung vorfinden, und welchen leicht noch andre nicht geringere beygefügt werden könnten.

Viertes Kapitel.



Kritik des Platonischen Werks von den Gesetzen.

Beynahe dieselben Einwürfe sind gegen die später vom Plato geschriebenen Bücher von den Gesetzen zu machen. Es wird nicht unnütz seyn, wenn ich auch die in diesen geschilderte Staatsverfassung einer kurzen Prüfung unterwerfe.Jn den Büchern der Republik hatte Sokrates vieles ganz unbestimmt gelassen, oder er hatte vielmehr nur in Absicht eines kleinen Theils der Bürger seines Staats bestimmt, wie die Verbindung der beyden Geschlechter, wie das Eigenthum und wie die ganze Regierungsform angeordnet seyn sollte. Da er die sämmtliche Anzahl aller Einwohner in zwey Theile getheilt hatte, in die welche das Land bauen, und in die welche die Waffen führen; und aus den letztern wieder einen dritten Theil abgesondert hatte, welcher eigentlich den hohen Rath der Republik vorstellen, und das Heft derselben in Händen haben sollte: hat er dem ohnerachtet in Absicht der erstern Classe, der Ackerbauer und Handwerker, fast keine politische Anordnungen gemacht. Er sagt nicht, ob sie auch gewisse obrigkeitliche Stellen oder gar keine sollen begleiten können, nicht, ob es ihnen erlaubt sey Waffen zu besitzen, und mit in Krieg zu ziehn, oder nicht. Dagegen sagt Sokrates, was man weniger erwartete, dass auch die Ehefrauen der Wächter mit ihren Männern in Krieg ziehen, und das weibliche Geschlecht in dieser Classe mit dem männlichen eine völlig gleiche Erziehung bekommen solle. Einen grossen Theil des Werks aber füllt er mit Untersuchungen aus, die den Hauptgegenstand nichts angehn, und einen andern mit Regeln für die Erziehung der Wächter. Jn den Büchern von den Gesetzen ist der grösste Theil mit eigentlichen Gesetzen angefüllt: von der Verfassung aber, und dem, was eigentlich zum Grundbau eines Staats gehört, kommt nur wenig vor. Und ob er gleich die Absicht hat, den in den Gesetzen gebildeten Staat mit den gemeinen Begriffen übereinstimmender, und den wirklich vorhandenen Begriffen ähnlicher zu machen, als der in der Republik ist: so verfällt er doch nach und nach wieder in dasselbe System. Denn ausser der Gemeinschaft der Weiber und Güter, gibt er beyden Staaten fast die nähmlichen Einrichtungen. Die Erziehung der die Waffen führenden Classe ist in beyden dieselbe; in beyden soll diese Classe mit allen Nothwendigkeiten des Lebens versorgt werden, ohne dass sie arbeiten dürfe. Auch dass die Bürger derselben an öffentlichen Tischen zusammen speisen, ist in beyden; nur dass in der Republik Männer und Weiber unter einander an denselben Tischen essen, — nach den Büchern von den Gesetzen aber die Frauenzimmer ihre abgesonderten Tischgesellschaften haben; und dass in der ersten nur tausend, in der letztern Verfassung fünftausend sind, welche die Waffen führen.Was nun das Speculative und Tiefforschende in der Untersuchung, die Neuheit und das Frappirende der Vorstellungen, die Annehmlichkeit in der Darstellung der Jdeen, und die Ausarbeitung in dem ganzen Vertrage betrifft: so sind diess Vollkommenheiten, die allen Socratischen Gesprächen des Plato, und auch diesen gemein sind. Aber in dem Wesentlichen der Sachen sind beträchtliche Mängel. Jndess wo ist die menschliche Schrift, in welcher alles gleich vortrefflich wäre?1. Gleich nur den Punct betreffend, dessen ich zuletzt erwähnte, hätte Socrates nicht vergessen sollen, dass um fünftausend müssige Menschen, mit Weibern, Kindern und wer weiss welchem Gefolge von Hausgesinde zu ernähren, ein Territorium so gross, wie das von der Stadt Babylon, oder irgend eines, von gleichem ungeheurem Umfange nöthig sey. Nun ist es zwar erlaubt, die günstigsten Local-Umstände bey einem solchen Plane voraus zu setzen: aber es müssen doch mögliche Voraussetzungen seyn.2. Es wird insgemein als Grundsatz angenommen, dass ein Gesetzgeber bey Abfassung seiner Verordnungen auf zwey Sachen sehen müsse: auf die Beschaffenheit der Menschen, welche seinen Staat ausmachen, und auf die Natur des Landes, wo dieselben wohnen. Man sollte aber billig noch eine dritte Rücksicht hinzusetzen, die auf die Beschaffenheit der angrenzenden Länder und deren Einwohner geht, eine Rücksicht, die in der That nothwendig ist, wenn der Staat, welchem die Gesetze gegeben werden, eine politische Dauer und Thätigkeit unter andern Staaten bekommen soll. So ist z. B. nothwendig, dass nicht bloss für diejenige Art der Waffen und der Truppen gesorgt sey, welche im Gebiethe des Staats selbst zu dessen Vertheidigung brauchbar sind, sondern auch für die, welche zu Führung des Krieges in auswärtigen Gegenden gehören. Denn gesetzt, dass man auch wie Plato, weder dem Privatmann noch dem ganzen Staate den angreifenden Krieg gegen Fremde erlaubt: so ist es doch auch zum Vertheidigungskriege nothwendig, nicht nur innerhalb seines Landes, dem einfallenden Feinde schaden, sondern ihn auch über die Grenzen desselben verfolgen zu können.3. Ein andrer Punct der Platonischen Gesetze verdiente eine Prüfung, ob sich nicht auf eine deutlichere Weise und eben desswegen besser Hätte bestimmen lassen, wie viel an Ländereyen und sonstigem Vermögen jeder Bürger besitzen dürfe. Plato sagt: so viel, dass er bey dem Gebrauch desselben mässig und sittlich bleibe. Warum sagt er nicht lieber, dass er bey dem Gebrauche desselben glücklich lebe? Das Letzte umfasst noch mehr das Ganze. Am richtigsten dünkt mich, wäre es gewesen zu sagen, "so viel, dass jeder Bürger dabey zugleich die Tugend der Mässigung und die der Freygebigkeit ausüben könne." Beydes gehört zusammen; Hang zum Ausgeben ohne Einschränkung der Begierden bringt leicht Uippigkeit hervor; und eine Gnügsamkeit, die nicht zugleich einen anständigen Aufwand macht, artet in Armseligkeit und Schmutz aus. — Auch erschöpfen jene beyden Tugenden alles, was in Absicht des Gebrauchs des Vermögens vom Menschen gefordert wird. Alle andere Tugenden, z. B. die, welche die Leidenschaft des Zorns betreffen, finden dabey keine Anwendung. Man kann sein Vermögen nicht auf eine sanftmüthig oder muthvolle, —aber man kann es auf eine freygebige und eine mässige Art brauchen. Nach diesen beyden Stücken können also auch die Schranken abgemessen werden, die man dem Vermögen der Bürger setzen will.4. Auch das ist befremdend, dass, da Plato das Vermögen der Bürger gleich haben will, er doch wegen der Anzahl derselben keine Anstalten macht, um sie in gewissen Schranken zu halten, vielmehr es ganz ohne Einschränkung jedem Ehepaar überlässt, so viel Kinder aufzuziehn, als es ihm gut dünkt. Ohne Zweifel glaubte er, dass die Zufälle, welche machen, dass mancher Bürger ganz kinderlos bleibt, mit der grössern Fruchtbarkeit andrer sich dergestalt die Waage halten würde, dass im Ganzen ohngefähr dieselbe Anzahl bleibe, wie wir diess jetzt in unsern Städten geschehen sehn. Er bedachte aber nicht, dass bey den gewöhnlichen Verfassungen der Staaten, eine solche Genauigkeit in der Gleichheit der Anzahl der Familien nicht nöthig ist, als bey der seinigen. Denn jetzt wird das Vermögen der Aeltern in so viel Theile getheilt, als Kinder sind: und keiner gehet also ganz leer aus. Dort aber, da die Erbtheile der Familie unverändert und ungetheilt bleiben sollen: müssen nothwendig die überzähligen Kinder, es mögen ihrer nun viele oder wenige seyn, nichts bekommen.Ja es scheint, wenn eines von beyden unbestimmt bleiben sollte, dass die Bestimmung der Anzahl der aufzuziehenden Kinder nothwendiger gewesen wäre, als die Bestimmung in Absicht der Grösse des Vermögens. Und zwar würde jene Anzahl dann zu bestimmen gewesen seyn, nach Maassgebung der Zufälle, welche mehr oder weniger Kinder hinraffen, oder noch der Anzahl der Personen, welche ganz Kinderlos bleiben. Aber es gänzlich den Aeltern zu überlassen, wie viel Kinder sie aufziehn wollen, wie jetzt in den meisten Republiken geschiehet, würde in der Republik des Plato unfehlbar viel Armuth unter die Bürger gebracht haben. Und Armuth ist immer die grösste Versuchung zu Verbrechen und zu Empörungen.Um desswillen ohne Zweifel glaubte Phidon der Korinthier, einer der ältesten Gesetzgeber unter den Griechen, dass die Anzahl der Bürger und der Familien immer dieselbe bleiben müsse, selbst wenn das Vermögen derselben vom Anfange an ungleich war. Jn Plato's Büchern von den Gesetzen herrscht grade der entgegengesetzte Grundsatz. Doch hievon, ob das eine oder das andre besser sey, werde ich unten zu reden Gelegenheit haben.5. Ferner ist in den Platonischen Gesetzen auch das ausgelassen, wie und worin die, welche die Regierung verwalten, vor denen Vorzüge haben sollen, welche unter ihrer Regierung stehen. Er erklärt sich darüber bloss durch eine Metapher: der regierende Theil müsse sich zu dem regierten verhalten, wie der Zettel im Weberstuhle zum Eintrage, wovon jener von bessrer Wolle und dichter gesponnen seyn muss, als dieser.6. Noch weiter: da er die Vermehrung des übrigen beweglichen Vermögens bis auf das Fünffache zulässt: warum erlaubt er nicht auch die Vermehrung des Landeigenthums, wenigstens bis auf einen gewissen Grad?7. Sollte die Eintheilung der jeder Familie zugehörigen Ländereyen, in zwey von einander abgesonderte Grundstücke mit eben so viel Vorwerken, zur bessten Betreibung der Wirthschaft zuträglich seyn? Es ist schwer, zwey Häuser zugleich zu bewohnen, und an zwey Orten eine Oekonomie zu führen.8. Die ganze Verfassung, die Plato diesem seinem neuen Staate gibt, soll weder Demokratie noch Oligarchie, sondern eine von beyden gemischte seyn, die man Republik im engern Verstande nennen kann.Wenn er diese Regierungsform als die den meisten Städten angemessene, und also die in der Wirklichkeit anwendbarste, in seinem Staate aufnimmt: so hat er vielleicht Recht. Wenn er sie aber als absolut die besste nach jener ersten in den Büchern von der Republik entworfnen anpreist, so hat er Unrecht. Denn sehr leicht könnte jemand die Spartanische Staatsverfassung, oder irgend eine andre, die noch mehr aristokratisch wäre, jener Platonischen vorziehn.Einige behaupten, die besste Regierungsform sey die, welche aus allen zusammengesetzt ist, und diess mache eben den Vorzug der Lacedämonischen aus: Jn dieser sey nähmlich Oligarchie, Monarchie und Demokratie mit einander verbunden. Das Monarchische derselben bestehe in den beyden Königen, das Oligarchische in dem Senat, und das Demokratische in dem Amte der Ephoren, weil die Ephoren aus dem Volke genommen werden. Andre hingegen sagen, der monarchische Theil der Regierung sey in den Händen der Ephoren, die demokratische Form aber liege in den gemeinschaftlichen Mahlzeiten, und in der übrigen Lebensart, und dem Umgange der Bürger mit einander.Jn den Büchern von den Gesetzen aber sagt Plato an einem andern Orte, die besste Regierungsform sey die, welche aus der despotischen und der völlig demokratischen gemischt ist, welche beyde doch entweder gar nicht einmahl regelmässige Verfassungen zu nennen, oder die schlechteren unter allen sind.Ohne Zweifel kommen diejenigen der Wahrheit näher, welche die Verbindung mehrerer verlangen, und diejenige Regierungsform für die besste halten, welche die meisten einfachen in sich vereinigt.Aber die eigne Republik des Plato sieht dem von ihm angenommenen Jdeale nicht einmahl ähnlich. Sie scheint nichts von der monarchischen Form zu haben: sondern bloss oligarchisch und demokratisch zn seyn. Mehr aber noch neigt sie sich zur Oligarchie. Diess erhellt aus der Art, wie die obrigkeitlichen Aemter besetzt werden. Denn dass man zuerst eine gewisse Anzahl von Candidaten durch Wahl, und aus diesen wieder die Person welche das Amt bekommen soll, durchs Loos bestimmt: ist beyden genannten Regierungsformen gemein. Das aber, dass die Reichern gezwungen sind den Volksversammlungen beyzuwohnen, öffentliche Aemter anzunehmen, oder irgend sonst einen Theil an den Staatsgeschäften zu nehmen; da es den Aermern hingegen freygelassen ist, diess zu thun oder zu unterlassen: — das ist ganz oligarchisch. Von gleicher Art sind die Anhalten, wodurch die meisten obrigkeitlichen Aemter in die Hände der vermögender Bürger gespielt, und die wichtigsten mit den Personen der höchsten Schatzung besetzt werden sollen. — Auch die Wahl der Mitglieder des Staats ist oligarchisch. — Es sind nähmlich vier Klassen der Einwohner nach dem Vermögen gemacht. Aus jeder werden 180 Personen durch Wahl, und aus diesen die Hälfte durchs Loos zu Senatoren bestimmt. Zu dem Wählen der Personen aus der ersten Klasse der Reichsten, müssen alle und jede Bürger aus allen Klassen in der Versammlung erscheinen, und von Schuldigkeits wegen, ihre Stimmen geben. — Den folgenden Tag werden eben so viele aus der zweyten Klasse durch die Mehrheit der Stimmen gewählt: und auch hier sind alle vier Klassen verbunden mit zu stimmen. Wenn aber den dritten Tag die Candidaten zum Senat aus der dritten Klasse gewählt werden sollen: so sind nur die aus den drey ersten oder reichsten Klassen gezwungen zu erscheinen, und ihre Stimmen abzugeben. Wenn es endlich zur Wahl aus der ärmsten oder vierten Classe kommt: so sind nur die beyden obersten Classen die gesetzmässig wählenden Personen, und von den zwey untern kann dabey erscheinen oder wegbleiben, wer Lust hat. Auf die Weise wird zwar aus jedem Census eine gleiche Anzahl Personen in den Senat kommen, aber doch werden wahrscheinlich die aus den obersten und reichsten Classen gewählten die Oberhand im Senat haben, weil nähmlich die vom geringen Stande und Vermögen, da sie nicht nothwendig allen Wahlen beywohnen und ihre Stimmen dazu geben müssen, sich davon lossprechen — und folglich die Wahlen nach dem Willen der Reichern ausfallen werden.Dass demnach eine solche republikanische Verfassung, (die ich im eigentlichen Verstande Stadt-Verfassung πολιτέια nenne) nicht aus einer Mischung von Monarchie und Demokratie bestehen kann, ist aus dem Gesagten schon klar, und wird noch mehr einleuchten, wenn ich weiter unten von der wahren Beschaffenheit dieser Regierungsform handeln werde.Was die Besetzung der obrigkeitlichen Civil- und Militairämter betrifft: so ist die Art, welche Plato vorschlägt, dass sie durch eine zweyfache Wahl geschehen soll, der Freyheit gefährlich. Denn wenn sich auch nur eine mässige Anzahl der Wählenden mit einander versteht und zusammenhält, so können diese immer nach ihrem Willen alle Aemter besetzen. —Diess sind meine Gedanken, über die in dem Platonischen Werke von den Gesetzen geschilderte Staatsverfassung.

Fünftes Kapitel.



Uiber das Jdeal des Phaleas.

Es gibt noch mehrere solche idealische Pläne zu Staatsverfassungen, theils von Staatsmännern und Philosophen, theils von blossen Privatpersonen entworfen. Diese nähern sich alle den wirklich eingeführten Verfassungen, nach welchen wir die Regierung in unsern heutigen Staaten verwaltet seyn, weit mehr, als die Platonische. Denn keiner der vorgedachten Gesetzgeber hat weder eine allen gewohnten Begriffen so entgegenstehende Einrichtung, als die Gemeinschaft der Weiber ist, noch das Zusammengesellen derselben mit den Männern an gemeinschaftlichen und öffentlichen Mahlzeiten vorgeschlagen. Alle fangen mit Bestimmung desjenigen an, was zu dem Nothwendigsten gehört, und dessen gute oder schlimme Anordnung ihnen von den grössten Folgen zu seyn scheint, ich meine mit Bestimmung des Eigenthums und des Vermögens der Bürger. Uiber das Mein und Dein, sagen sie, sind von jeher alle Empörungen, alle Factionen entstanden.So dachte unter andern Phaleas der Chalcedonier, und um desswillen ist diess der Gegenstand seiner ersten Gesetze.Er will, dass das Vermögen der Bürger einander gleich seyn soll. Diess, glaubt er, sey bey Errichtung eines neuen Staats leicht zu erhalten. Schwerer sey es, diese Gleichheit in den schon existirenden Staaten, wenn sie fehlt, wieder herzustellen: doch sey auch diess nicht unmöglich, wenn man in Absicht der Mitgiften die Verordnung mache, dass die reichen Familien sie ihren Töchtern mitgeben müssen, aber keine bey Verheyrathung ihrer Söhne annehmen dürfen, die Armen hingegen sie zu empfangen, aber keine zu geben berechtigt sind.Platon, in den Büchern von den Gesetzen, glaubt, dass er die Ungleichheit der Güter bis auf einen gewissen Grad zulassen dürfe; aber er setzt, wie ich auch schon oben gesagt habe, diese Grenze fest: dass das Mobiliar-Vermögen der reichsten Familie das Vermögen der ärmsten nicht um mehr als das Fünffache übertreffen dürfe.Gesetzgeber, die eine solche Gleichheit des Vermögens erhalten, oder der Ungleichheit Grenzen setzen wollen; müssen ja nicht vergessen, dass sie zugleich in Absicht der Fortpflanzung und des Kinderzeugens Verordnungen zu machen haben. Denn vervielfältigt sich die Anzahl der Bürger, ohne dass Grund und Boden sich nach eben dem Maasse vermehrt: so muss jene erste Vertheilung zerrüttet werden; und überdiess muss eine Anzahl Bürger entstehen, die gar kein Eigenthum haben: ein grosses Uibel in einem Staate, — weil es sehr schwer zu verhüthen ist, dass die verarmten Glieder desselben nicht Neuerungen zu machen suchen, und die öffentliche Ruhe stöhren.Diess, dass ein gewisser Grad der Gleichheit in den Vermögens Umständen der Bürger, einen grossen Einfluss auf ihre politische Einigkeit habe, ist auch von einigen der alien Gesetzgeber Griechenlands erkannt worden. So gibt es ein Gesetz des Solon, (und ähnliche gibt es in mehrern Griechischen Staaten,) nach welchem es nicht erlaubt ist, neue Ländereyen nach Gefallen anzukaufen. Andre Gesetze verbiethen hinwiederum, seine väterlichen Erbgüter zu verkaufen. Bey den Lokrern z. B. ist dieses nicht erlaubt, ausser wenn jemand augenscheinliche und grosse Unglücksfälle anzuführen hat, wodurch er zum Verkauf genöthigt wird. Eben so befehlen die Lokrischen Gesetze, dass die alte Abtheilung und Anzahl der Grundstücke unverändert beybehalten werden solle. Dass dieses in Absicht der Jnsel Leucas nicht beobachtet wurde, ist Ursache, dass jetzt die Verfassung daselbst allzu democratisch geworden ist. Denn nun war es nicht mehr möglich, das zuvor bestimmte Maass des Land-Eigenthums, das derjenige haben müsste, welcher Ansprüche auf obrigkeitliche Aemter machen wollte, als Regulativ beyzubehalten.Allein das Eigenthum könnte unter die Bürger gleich vertheilt, und doch nicht zweckmässig eingerichtet seyn. Es könnte überhaupt zu gross seyn, und zu Schwelgerey Anlass geben, oder zu klein, und also die Bedürfnisse nicht hinlänglich befriedigen. — Nicht bloss Gleichheit also, sondern auch ein mittleres Maass des Vermögens müsste der Gesetzgeber zu veranstalten suchen, welcher in diesem Punct die höchste Vollkommenheit zur Absicht hätte.Doch weder Gleichheit noch Mittelmässigkeit des Vermögens kann allein von grossem Nutzen seyn. Weit mehr kommt darauf an, dass die Leidenschaften der Bürger in ein gewisses Ebenmass gebracht, und in gehörigen Schranken erhalten werden: und diess ist nur durch Erziehung der Bürger möglich, für welche also der Gesezgeber mehr noch, als für die Abmessung des Eigenthums zu sorgen hat.Diese Bemerkung, wird jemand vielleicht sagen, trifft den Phaleas nicht. Er hat die Erziehung nicht vergessen; er sagt ausdrücklich, dass in zwey Puncten, in jedem Staat Gleichheit herrschen sollte, im Vermögen und in der Erziehung.Aber es war nicht genug zu sagen, dass die Erziehung aller Bürger eine und eben dieselbe seyn müsste: die Hauptsache war, zu bestimmen, wie sie seyn sollte. Es ist sehr wohl möglich, dass alle Bürger auf gleiche Art erzogen werden, aber vielleicht alle dazu, ihre Glückseligkeit in ausschliessenden Vorzügen zu suchen, die sie über ihre Mitbürger an Reichthum, Ehrenstellen oder an beyden zugleich erlangen.Betrachtet man die Sache von einer andern Seite: so ist selbst die innere Ruhe der Staaten der Hauptendzweck, den man durch die Gleichheit des Vermögens zu erhalten sucht, nicht von diesem Umstande allein abhängig. Eben so viele Empörungen und bürgerliche Streitigkeiten entstehen durch den Unwillen, welchen die Ungleichheit der Ehrenstellen und des Ranges, als durch den, welchen die Ungleichheit des Vermögens veranlasst. Jener wirkt nur auf andre Personen, und auf eine entgegengesetzte Weise. Der grosse Haufe wird missvergnügt und zum Aufruhre geneigt, wenn er sieht, dass andere an Vermögen mehr haben als er: die an Geist und Bildung vorzüglichern Personen sind unzufrieden, dass diejenigen, welche an persönlichen Eigenschaften unter ihnen sind, mit ihnen gleichen Antheil an den Ehrenstellen der Republik haben. Das ist die alte Klage, die wir schon im Homer finden: "Gleicher Ehre geniesst bey dir der Edle und der Gemeine."Noch weiter. Nicht die blossen Nothwendigkeiten des Lebens sind es, um derentwillen ein Mensch dem andern Unrecht thut; — (welchem Uibel eigentlich durch die Gleichheit der Güter hat sollen zuvorgekommen werden;) es ist nicht genug, dass keiner durch Hunger oder Frost veranlasset wird, dem andern in sein Haus zu brechen; auch um Vergnügen zu haben, und eine Leidenschaft zu befriedigen, kann ein Mensch zur Verletzung anderer gereitzt werden. Der eine ist habsüchtig und begehrt ein grösserer Eigenthum, als zu seinem Unterhalt nöthig ist; der andre strebt bloss nach Lust und Befreyung von unangenehmen Empfindungen. Beyde werden die Mittel dazu auch durch Ungerechtigkeit suchen.Welches sind nun die Vorkehrungsmittel, gegen diese dreyfachen Quellen der Gewaltthätigkeiten?Die, welche der Mangel zu Verbrechen reitzt, müssen durch einiges obwohl geringes Eigenthum, und durch Arbeit davon abgehalten werden. Die Habsüchtigen müssen durch Erziehung und Gewohnheit zu einer gehörigen Mässigung zweckloser Wünsche gebracht werden. Die aber, welche das Vergnügen um des Vergnügens selbst willen suchen, können nirgend anders ein Mittel gegen die daraus entstehende Versuchung zum Bösen finden, als in der Philosophie und in der richtigen Kenntniss von dem Werthe der Dinge. Nur diese lehrt uns Güter in uns selbst entdecken, die von andern Menschen unabhängig sind, und uns auch daher in keinen Streit mit diesen Menschen bringen.Die grössten Ungerechtigkeiten begehen die Menschen immer um des Uiberflüssigen, nicht um des Nothwendigen willen, nicht um zu haben, was sie zu ihrem Unterhalte brauchen, sondern um mehr zu haben, als andre. So hat z. B. niemand die höchste Gewalt in einem freyen Staate unrechtmässiger Weise an sich gerissen, (das grösste Verbrechen das ein Bürger begehen kann), weil er sich vor Frost oder Hunger dadurch schützen wollte. — Um desswillen werden auch die, welche einen Tyrannen umgebracht haben, in Republiken sehr verehrt, diejenigen sehr wenig, welche einen Dieb getödtet haben.Jene Massregeln des Phaleas also in seiner Staatsverfassung, sind nur zu Verhütung der kleinen Ungerechtigkeiten geschickt, indem sie nur diejenigen Bewegungsgründe zu Verbrechen wegzuschaffen suchen, die aus dem Mangel entstehen.Die meisten andern Anstalten und Einrichtungen macht Phaleas, um die innere Regierung des Staats, und das Betragen der Bürger gegen einander in die besste Ordnung zu bringen. Aber ein Staat muss auch in Absicht seines Verhältnisses mit Auswärtigen und besonders mit seinen Nachbarn, die gehörige Verfassung haben. Dazu gehört vorzüglich, dass eine hinlängliche Macht zur Vertheidigung des Staats vorhanden sey, und diess ist nur durch militärische Anstalten und Uibungen möglich. Von diesen schweigt Phaleas gänzlich.Selbst bey denjenigen Anordnungen, welche das Einkommen der Bürger und des Staates betreffen, hat er diese Rücksicht ausgelassen. Diese Einkünfte nähmlich müssen nicht bloss zu den innern Bedürfnissen des Staats und der Einwohner in friedlichen Zeiten zureichen, sondern sie müssen auch den erstern in den Stand setzen, den Gefahren von auswärtigen Feinden Trotz biethen zu können.Ein Staat muss weder so grosse Besitzungen haben, dass er dadurch die Habsucht der Mächtigern und seiner Nachbaren reitze, selbst aber sie zu vertheidigen Mühe habe, noch so geringe, dass er einen Krieg mit andern gleich mächtigen Staaten nicht aufzuhalten im Stande sey. — Uiber alles dieses hat Phaleas keine Bestimmung gegeben.Uiberhaupt kann es als ein Grundsatz angenommen werden, dass es einem Staate nützlich ist, wenn seine Bürger vermögend sind.Sollte hiebey eine Grenze festgesetzt werden; so müsste es die schon angezeigte seyn. Einem Staate ist es gut, nur so reich zu seyn, dass Mächtigere keine Vortheile dabey finden, ihn bloss um seiner Schätze willen zu bekriegen, wenn sie nicht andre Bewegungsgründe dazu haben. So rieth Eubulus dem Autophradates, da dieser die Stadt Atarneus belagern wollte: er solle doch zuvor untersuchen, wie lange Zeit er brauchen würde, um Atarneus einzunehmen, und berechnen, wie viel ihm diese Belagerung kosten müsste; er würde alsdann vielleicht finden, dass er ganz Atarneus, wenn er es nun hätte, um weniger wieder ablassen würde, als er jetzt aufwendete, um die Stadt zu bekommen. Diese Betrachtung brachte den Autophradates zum Nachdenken, und bewog ihn die Belagerung aufzugeben.Um noch einmahl auf die gleiche Vertheilung des Vermögens unter die Bürger zurückzukommen: so ist dieselbe zwar eines von den Mitteln, Aufruhr und bürgerliche Zwistigkeiten zu verhüten. Aber es ist doch dazu noch lange nicht zureichend. Denn erstlich könnten ja eben über jene Gleichheit die Bürger aus den edlern Familien unwillig werden, weil sie glaubten, dass ihnen, als den bessern, auch ein grösseres Eigenthum gebühre. Und daher sehn wir auch, dass Aufruhr und Empörungen eben so oft von dieser bessern Classe als von dem grossen Haufen ihren Anfang nehmen. Uiberdiess bleibt immer noch das böse Herz des Menschen, und die Unersättlichkeit seiner Begierden zum Saamen von Streitigkeiten übrig. Der, welcher nichts hat, glaube sich zufrieden gestellt, wenn er nur zu dem Besitz von zwey Obolen gelangte. Wenn ihm diess schon als väterliches Erbgut zugefallen ist, so will er mehr dazu erwerben: und so geht es zu immer grössern und grössern Summen bis ins Unendliche fort. Das ist die Natur der Begierde, besonders der Habsucht, dass sie keine Grenzen kennt. Und doch kennen die meisten Menschen keinen andern Endzweck ihres Lebens, als die Befriedigung dieser Begierde.Die Hauptsache, worauf es hierbey ankommt, ist nicht sowohl, das Vermögen eines Bürgers dem Vermögen jedes andern gleich zu machen, als vielmehr, — erstlich die bessere Classe der Bürger durch Vernunft dahin zu bringen, dass sie nicht sich durch andrer Verlust bereichern wollen, — den gemeinen Haufen aber in den Zustand zu versetzen, dass er diess nicht thun kann; welches letzte geschieht, wenn er immer in einer gewissen Schwäche erhalten, — und nie zuerst beleidigt wird.Aber auch selbst über diesen Punct, worauf Phaleas so sehr besteht, die Gleichheit des Vermögens, thut er der Sache nicht völliges Gnüge. Denn nur den Besitz der liegenden Gründe macht er gleich. Aber es gibt ja auch einen Reichthum, der in Sklaven, Vieh, barem Gelde und allem dem, was man Mobiliar-Vermögen nennt, besteht. Entweder muss also auch in allen diesen Eigenthumsstücken Gleichheit herrschen, wenigstens eine gewisse Grenze in Absicht derselben festgesetzt werden: oder man muss den ganzen Reichthum der Bürger dem Zufall überlassen.Nach der Gesetzgebung des Phaleas, wird sein Staat sehr klein werden müssen, da er alle, welche Künste und Handwerke treiben, als Sklaven des gemeinen Wesens angesehen haben will, und sie von dem Bürgerrechte ausschliesst. Wenn aber die, welche für das gemeine Wesen eine körperliche Arbeit thun, als dem gemeinen Wesen zugehörig, nicht als Glieder derselben angesehn werden sollen: so muss die Einrichtung so seyn, wie sie in Epidamnus war, und wie sie Diophantes vor Zeiten in Athen durchgesetzt hatte.Aus dem Wenigen, was ich hier über des Phaleas politische Einrichtungen gesagt habe, wird der Leser schon einigermassen beurtheilen können, was in dem Werke desselben lobens- oder tadelswürdig sey.

Sechstes Kapitel.



Uiber den Plan des Hippodamus.

Hippodamus, Euryphons Sohn, der Milesier, ist der erste, welcher, ohne selbst an Staats-Geschäften Theil genommen zu haben, einen Plan zu einer vollkommenen Staats-Verfassung und Gesetzgebung in Schriften zu entwerfen versucht hat. Dieser Hippodamus ist dadurch merkwürdig, dass er die regelmässige Abtheilung der Städte in gewisse Quartiere erfunden, und dass er den Hafen Piräus tiefer ausgegraben hat. Man schildert ihn, als einen etwas ehrgeizigen Mann, der in seiner ganzen Lebensart sich durch einen feinern Anstand auszeichnen wollte, der seinen schönen Haar Wuchs sorgfältig pflegte, viel auf den Putz wandte, auch im Sommer warme Kleider trug, und eben desswegen von einigen als ein üppiger und weichlicher Mann getadelt wurde, übrigens in allen Theilen der Wissenschaften erfahren seyn wollte.Seine Republik nimmt er aus zehntausend Mann bestehend an. Diese theilt er in drey Theile, den einen, der Künste und Handwerke treibt, einen zweyten, welcher den Acker baut, den dritten, welcher die Waffen in Händen hat, und für die übrigen zu Felde zieht.Eben so theilt er auch das ganze Territorium des Staats in drey Theile; wovon er einen das geheiligte, einen andern das gemeine, den dritten das Privatgut nennt. Die geheiligten Ländereyen sind die, von deren Ertrage die Kosten des Gottesdienstes bestritten werden. Die Gemeinde-Ländereyen sind die, von welchen die Krieger ernährt werden; diejenigen von welchen die Anbauer des Landes selbst leben, machen das Privatgut aus.So, glaubte er auch, müsse man drey Gattungen von Gesetzen annehmen; weil es vornehmlich drey Sachen gebe, wodurch Streitigkeiten veranlasst werden, und über welche Gericht gehalten wird, Beschimpfung, Entwendung des Eigenthums und Verletzung des Körpers und des Lebens.Er verordnete ferner Ein gemeinschaftliches höchstes Tribunal, vor welches alle bürgerlichen und Criminal-Processe in letzter Jnstanz gebracht werden sollten. Die Beysitzer davon sollten aus der bejahrtesten Classe der Bürger durch Wahl bestimmt werden.Um in Processen einen Urtheilsspruch zu Stande zu bringen, sollten die Richter nicht, wie es jetzt in den meisten Orten geschieht, ihre Stimme bloss zur gänzlichen Abweisung des Klägers oder zur gänzlichen Anerkennung seiner Forderung, durch gewisse stumme Zeichen, z. B. durch schwarze und weise Steine geben können. Sondern jeder Richter soll ein Täfelchen haben, welches er leer lässt, wenn er den Angeklagten durchaus losspricht, auf welches er die Sentenz schreibt, wenn er ihn durchaus verurtheilt, auf welchen er endlich, wenn er ihn zum Theil schuldig zum Theil unschuldig findet, seine Meinung bestimmt angibt. Denn, so wie jetzt die Verfassung der Gerichtshöfe sey, glaubte er, würden die Richter oft gezwungen, meineidig zu sey, indem sie nur entweder den Angeklagten zum Ganzen verurtheilen oder ganz lossprechen könnten, da sie doch oft nach ihrer innern Uiberzeugung ihn nur zu einem Theile des Geforderten verbunden, oder nur eines Theils der ihm aufgebürdeten Schuld theilhaftig finden.Es gibt ein andres Gesetz, dass die, welche eine dem gemeinen Wesen nützliche Neuerung erfinden und in Vorschlag bringen, durch gewisse Zeichen der Ehre vom Staate belohnt werden sollen; ferner, dass die Kinder derer, welche im Kriege, fechtend für ihr Vaterland, bleiben, auf öffentliche Kosten unterhalten werden sollen.Hippodamus irret, wenn er glaubt, dass diess letztere Gesetz von ihm zuerst gegeben worden: in Athen ist eines dergleichen gewiss, und so noch in mehrern andern Städten.Alle obrigkeitlichen Personen sollten von dem gesammten Volk gewählt werden. Unter dem gesammten Volke aber versteht er alle drey obigen Klassen in einer Versammlung vereiniget; — Diesen erwählten Magistrats-Personen liegt zugleich die Administration von drey Gütern ob; — von denen, die dem gemeinen Wesen, von denen, die Fremden, und von denen, die Waisen zugehören.Diess sind die meisten und wichtigsten Puncte der hippodamischen Verordnungen.Unter diesen wäre nun zuerst zu bezweifeln, ob die Eintheilung des ganzen Volks richtig gemacht sey: Nähmlich nach ihm sind die Handwerker, die Landbauer, und die Krieger, alle drey Bürger des Staats mit gleichen Rechten.Demohnerachtet haben die, welche den Acker bauen, keine Waffen, die Handwerker weder Land noch Waffen. Jn dieser Lage aber ist es fast unvermeidlich, dass sie für nicht viel besser als Sklaven derer, welche die Waffen führen, geachtet werden.Unmöglich können diese untern Klassen an den Ehrenstellen der Republik Theil nehmen. Denn erstlich die Feldherrn müssen nothwendig aus denen ernannt werden, welche Waffen haben, und im Gebrauch derselben geübt werden; auch die Vorsteher der Policey, und die, welche für die innere Sicherheit wachen, kurz die höchsten und wichtigsten Aemter können nur mit Personen dieses Standes besetzt werden.Wenn nun aber die beyden untern Stände an den Vorzügen und Vortheilen des gemeinen Wesens gar keinen Antheil haben, wie werden sie dann gegen dasselbe gut gesinnt seyn können.Um also Empörung und Zerrüttung des Staats zu vermeiden, müssen die, welche die Waffen allein zu führen das Recht haben, auch in allen andern Rücksichten, die stärkern seyn.Wie können sie aber diess seyn, wenn sie nicht die grössre Anzahl ausmachen?Machen sie aber die grössre Zahl aus, was haben sie überhaupt jener andern Klassen nöthig? Oder warum geben sie diesen gleiche Bürgerrechte und Antheil an der Ernennung der obrigkeitlichen Personen?Ferner, worin sind die, welche auf dem Lande leben und dasselbe bauen, der Stadt nützlich, oder wie hängen sie mit derselben zusammen? Künstler und Handwerker müssen seyn. Keine Stadt und keine Klasse der Bürger kann derselben entbehren. Und sie können auch, wie wir es in allen unsern Städten sehen, von dem Lohne ihrer Arbeit bestehn. Wären jene Ackerbauer eben so wie die Handwerker nur eine für andre arbeitende und dafür besoldete Klasse; wären sie bloss bestimmt, für die Waffenführenden die Lebensmittel zu produciren, so würden sie mit Recht für einen nothwendigen Bestandtheil der Stadt angesehen. Aber da sie ihren eignen Acker haben, und von ihrem eignen Acker leben: so machen sie gleichsam einen Staat im Staate aus.Und wer baut denn die Gemein-Gründe an, von deren Ertrage die militärische Bürger-Klasse ihren Unterhalt zieht? Thun es diese streitbaren Männer selbst? Worin und warum sind sie alsdann von den Landbauern unterschieden, wie doch der Gesetzgeber verlangt.Werden hingegen jene dem gemeinen Wesen zuständigen Ländereyen von noch andern Leuten angebaut, die weder zu den eigentlichen Ackerleuten, noch zu den Bewaffneten gehören: so entsteht ja eine vierte Classe von Einwohnern, die gar nicht zu den Bürgern gerechnet werden, dem Staat: folglich fremd und so gut als feind sind.Sollen aber endlich diejenigen, welche ihre eignen Ländereyen für sich anbauen, zugleich die Verpflichtung auf sich haben, die öffentlichen zu bewirthschaften: so wird erstlich jeder Hausvater unter denselben gleichsam zwey Familien zu erhalten, für zwey Ernten zu sorgen haben. Fürs andre, was war es alsdann nöthig, erst die öffentlichen und Privat-Ländereyen von einander abzusondern, und nicht lieber alle insgesammt der Bauern-Klasse zu übergeben, mit dem Bedinge, dass sie davon ausser ihrem eignen Unterhalt, auch die Lebens-Bedürfnisse für die beschützende Klasse herbeyschaffen sollen.Auch das Gesetz in Absicht der Gerichte und der Urtheilsprüche scheint mir nicht das besste. Es will, dass, obgleich die Frage, welche dem Richter zu entscheiden vorgelegt wird, so abgefasst ist, dass nur ja und nein darauf zu antworten ist, er doch einen mittlern Weg einschlagen, und was einfach ist, theilen könne. Aber alsdenn ist er nicht mehr Richter, sondern Schiedsmann, und sein Urtheilsspruch artet in einen Vergleich aus. Das, was Hippodamus verlangt, geschieht nähmlich gemeiniglich alsdenn, wenn Parteyen sich freywillig vereinigen, die Entscheidung ihres Streits auf den Ausspruch gewisser Personen ankommen zu lassen. Solche erbethene Schiedsrichter unterreden sich mit einander, um zu finden, was beyden Theilen billig sey. Nicht so die gesetzlichen Richter. Diese dürfen über nichts weiter urtheilen, als was ihnen vorgelegt ist: daher es ihnen auch von den meisten Gesetzgebern verbothen ist, sich mit einander über die Sentenz, welche sie fällen wollen, zu berathschlagen.Ferner, kann etwas anders als Verwirrung und Ungewissheit in den Urtheilssprüchen entstehen, wenn jeder Richter über die ganze Natur der Sache, und nicht präcise über die vorgelegte Frage urtheilt? Der eine Richter glaubt vielleicht, dass der Beklagte schuldig sey, aber nicht so viel als der Kläger behauptet. Dieser hat z. B, 20 Minen eingeklagt, und der Richter urtheilt, dass der Beklagte 10 Minen zu bezahlen habe. Ein andrer von den Richtern findet vielleicht die Schuld nur von 5 Minen, ein dritter von 4. Diese werden also zwischen Klägern und Beklagten theilen wollen. Andre werden hingegen vielleicht dem ersten alles zusprechen, noch andre ihm nichts zugestehn. Wie wird nun alsdann eine Mehrheit der Stimmen erhalten werden?Uiberdiess, wenn die Formel der Klage gehörig abgefasst ist: so ist der Richter, welcher absolut und ohne Einschränkung den Angeklagten losspricht oder verdammt, in keiner Gefahr eines Meineids. Denn wenn z. B. der Kläger 20 Minen eingeklagt hat: so urtheilt der Richter, welcher den Beklagten losspricht, nicht, dass dieser nichts, sondern nur dass er nicht 20 Minen schuldig sey. Aber eher schwört derjenige falsch, welcher den Beklagten zu irgend einer Summe verurtheilt, da er doch glaubt, dass dieser die bestimmt geforderten 20 Minen nicht schuldig sey.Was dasjenige Gesetz betrifft, welches denen, die eine dem Staat nützliche Sache ausfindig machen und in Gang bringen, eine Ehrenbelohnung zuerkennt, so hat dasselbe zwar einen blendenden Schein, aber es ist doch noch die Frage, ob es nützlich sey, und ob es nicht vielmehr dem Staate gefährlich werden könne. Es kann nähmlich zu allerhand Schikanen und solchen Neuerungen Anlass geben, welche die Verfassung selbst zerrütten. Es schlägt diess in die Untersuchung einer andern Frage ein: "ob es mehr nützlich oder schädlich für die Staaten ist, wenn die durch Alterthum und Herkommen geheiligten Gesetze mit andern, die zweckmässiger scheinen, vertauscht werden?" Wäre es überhaupt schädlich, an alten Gesetzen und Einrichtungen in einem Staate etwas zu ändern; so würde auch jene Verordnung des Hippodamus nicht zu billigen seyn. Es wäre nähmlich wohl möglich, dass jemand, unter dem Vorwande, das allgemeine Besste zu befördern, die ganze Staatsverfassung über den Haufen würfe, und die Gesetze vernichtete.Da ich diesen streitigen Punct einmahl berührt habe: so sey es mir erlaubt, darüber noch einige Betrachtungen hinzuzusetzen,Es sind, wie ich gesagt habe, Gründe auf beyden Seiten vorhanden. Auf der einen scheint es nothwendig, dass dasjenige verändert werden dürfe, was vollkommen werden soll. Bey allen andern Wissenschaften hat die Erfahrung diess wirklich gelehrt. Die Arzeneykunst, die Gymnastik, alle andern Künste und Geschicklichkeiten der Menschen haben nur dadurch Fortschritte gemacht, dass sie sich erlaubt haben, von der Tradizion und der väterlichen Weise abzugehn, indem sie nützliche Neuerungen aufgenommen haben. Nun ist ja die Staats-Verwaltung auch eine Wissenschaft: warum sollte denn also von dieser nicht zulässig seyn, was sich bey allen andern erprobt findet? Und redet nicht auch hier die Erfahrung zum Vortheile der Sache? Wer leugnet wohl, dass es gut ist, dass die ganz alten Gesetze der Griechischen Staaten, die noch alle Merkmahle der Rohigkeit und Barbarey unsrer Vorfahren an sich hatten, abgeschafft worden sind? Wünschten wir wohl noch in den Zeiten zu leben, wo die Griechen immer mit Dolchen bewaffnet gingen, und wo sie die Weiber kauften? Was noch von jenen uralten Gesetzen hin und wieder übrig ist, zeichnet sich durch einfältige und oft ungereimte Verfügungen aus. So gilt z. B. noch jetzt zu Cumä folgendes Gesetz wegen des Mordes. "Wenn der, welcher einen Andern des Mordes anklagt, eine hinlängliche Anzahl seiner eignen Verwandten zu Zeugen stellen kann: so soll der Beklagte für schuldig gehalten werden."Jn allen Dingen ohne Ausnahme suchen ja die Menschen nicht das Alte, sondern das Gute. Mögen nun die ersten Einwohner der Länder, wie die Fabel sagt, aus der Erde hervorgewachsen, oder mögen sie von einer grossen Natur-Revolution, welche das vorige Menschengeschlecht zerstört hat, übrig geblieben seyn: immer waren diese Urbewohner nicht ausgewählte Muster der Weisheit, sondern Menschen wie sie der Zufall gab. Vielleicht Thoren und Bösewichter, wie die Fabel jene Kinder der Erde wirklich beschreibt. Warum sollten wir uns also ewig an ihre Meinungen und Einrichtungen binden?Vielleicht sagt man aber: nicht von jenen uralten mündlichen Tradizionen, sondern von den geschriebenen Gesetzen sey die Rede, wenn man behauptet, dass Gesetze nicht verändert werden dürfen. Aber kann denn in schriftlich verfassten Regeln, für irgend eine Kunst, also auch für die Regierung alles zum voraus genau und auf immer bestimmt werden? Alle solche Vorschriften sind immer nur allgemeine Sätze. Die Vorfälle und die Handlungen der Menschen sind individuell. — Aus allen diesen Gründen scheint zu folgen, dass eine Aenderung alter Gesetze, bey gewissen Mängeln derselben und unter gewissen Umständen erlaubt seyn müsse.Gebt man von einem andern Gesichtspuncte aus, so findet man hinwiederum Bedenklichkeiten dabey, die wenigstens grosse Vorsicht nöthig machen. Denn wenn von der einen Seite die Verbesserung, welche durch die Aenderung erhalten wird, nicht gross ist, auf der andern Seite der Schaden daraus entsteht, dass man sich gewöhnt, die Gesetze nicht mehr für so heilig und unverletzlich als ehedem anzusehen: so ist klar, dass der Nachtheil den Nutzen überwiegt, und dass man also Fehler dieser Art, sie mögen nun in den Gesetzen selbst, oder in den Gewohnheiten der Administratoren liegen, lieber muss fortdauern lassen. Der Staat, welcher dieselben abschaffen will, gewinnt nicht so viel durch die Verbesserung als er verliert, wenn seine Bürger sich gewöhnen, ihre Obrigkeiten oder ihre Gesetze mit weniger Ehrfurcht anzusehen.Die Vergleichung zwischen den Künsten und den Gesetzen in Absicht des Nutzens der Neuerungen ist auch nicht passend. Die Regeln der Kunst erhalten ihr Ansehn durch ihre unmittelbar wahrgenommene Zweckmässigkeit. Die Gesetze hingegen haben keine andre Kraft, die Bürger zum Gehorsam zu bewegen, als die sie von der Gewohnheit des Gehorchens bekommen. Gewohnheit aber kann nur durch die Länge der Zeit entstehn. Das öftere Umändern also der bisher bestehenden Gesetze schwächt, indem es jene Gewohnheit unterbricht, das Ansehn der Gesetze selbst.Wenn es aber auch entschieden wäre, dass Aenderungen der Gesetze zulässig und nothwendig sind: so bleibt doch noch zu untersuchen übrig: ob das ganze System der Gesetzgebung oder nur einzelne Theile derselben umgeändert werden dürfen; ob es in allen Regierungsformen oder nur in einigen erlaubt sey; ob der Vorschlag zu neuen Gesetzen jedem Bürger zustehe, oder nur gewissen Personen aufgetragen werden müsse; und welchen? Alles diess kann auf sehr verschiedne Art beantwortet werden. Die Untersuchung davon aber gehört für einen andern Ort, und muss billig hier bey Seite gesetzt werden.

Siebentes Kapitel.



Die Lacedämonische Verfassung.

Uiber die Lacedämonische, so wie über die Cretensische, — und überhaupt über die meisten Regiments-Verfassungen kann man hauptsächlich zwey Fragen aufwerfen: die eine, ob die Einrichtungen, die sich in denselben finden, an sich gut sind, und mit dem Jdeal eines vollkommnen Staatsgebäudes übereinstimmen, die andre, ob sie zweckmässig sind, und dem Geiste der besondern Verfassung, welche der Gesetzgeber hat errichten wollen, entsprechen?Dass nun in einem Staate, der durch seine Verfassung und Verwaltung glücklich werden soll, vor allen Dingen der Sorge für die Nothwendigkeiten des Lebens abgeholfen seyn muss, ist eine durchgängig ausgemachte Sache. Aber wie ein Staat von dieser Sorge zu befreyen sey, ist eine nicht so leichte Frage. Die Methode, deren sich die Thessalier, und gleich ihnen auch die Lacedämonier bedienten, ihre Ländereien von einem unterjochten Volk, das sie als Sklaven behandelten, beurbaren zu lassen (welche Leibeigne bey den erstern Penesten, bey den zweyten Heloten heissen), ist im Grunde eine gefährliche Methode. Solche leibeigne Bauern sind als Feinde anzusehen, die nur auf Unglücksfälle des sie beherrschenden Staates lauren, um alsdann über denselben herzufallen. Jn der That sind die Thessalier von den Penesten oft mit gewaffneter Hand angegriffen worden. Den Cretensern ist nie etwas Aehnliches wiederfahren. Vielleicht war die Ursache, dass, obgleich die verschiedenen Städte auf dieser Jnsel (die eben so viele Staaten ausmachten), in beständigen Kriegen mit einander verwickelt waren: doch keine es ihrem Vortheile gemäss fand, sich mit den leibeignen Bauern der andern in ein Bündniss einzulassen, weil jede selbst mit solchen Sklaven ihr Gebieth anbaute. Die Lacedämonier hingegen hatten alle ihre Nachbarn, die Argiver, Messenier und Arkader, —zu Feinden, Völker, welche in diesem Puncte nicht mit ihnen in gleicher Lage waren. Eben so wurde in ältern Zeiten der Abfall der Land-Sklaven von den Thessalischen Staaten durch diejenigen Kriege veranlasst, welche die letztern damahls noch mit auswärtigen Völkerschaften, den Achäern, Perrhäbern und Magnesiern führten.Wenn auch aus dieser Einrichtung (dass ein Staat seine Ländereyen durch seine unterjochten und in Sklavenstand versetzten Nachbarn anbauen lässt), kein anderes Uibel entsteht: so bleibt doch bey derselben immer die Schwierigkeit gross, auf welche Art diese leibeignen Einwohner des platten Landes behandelt werden sollen. Verfährt man gegen sie gelinde: so werden sie leicht übermüthig, und verlangen alsdann gleiche Rechte mit ihren Herrn. Werden sie strenge und hart gehalten: so fassen sie gegen ihre Gebiether einen tödtlichen Groll, und sind immer bereit diese anzufallen. Republiken, welchen dieses von ihren Landsklaven wiederfährt, haben gewiss nicht die bessre Methode gewählt, ihre Aecker anbauen zu lassen.Ein zweyter Punct in der Lacedämonischen Gesetzgebung, die grosse Nachsicht, die in derselben gegen die Weiber und deren Aufführung herrscht, ist sowohl dem Plan des Gesetzgebers zuwider, als an sich der Glückseligkeit des Staats schädlich. Denn so wie von der häuslichen Gesellschaft der Mann und die Frau die beyden Hauptglieder sind: so muss man auch die bürgerliche Gesellschaft als zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht beynahe halb getheilt ansehen. Diejenigen Staaten also, in welchen die Sitten und das Betragen der Weiber schlecht sind, können, ihrer einen Hälfte nach, für gesetzlos gehalten werden. Und diess ist in Lacedämon wirklich der Fall. Der Gesetzgeber, welcher ohne Zweifel seinen ganzen Staate die Tugend der Enthaltsamkeit und der Selbstbeherrschung einpflanzen wollte, hat in Absicht der Männer augenscheinlich sehr viel dazu gethan; aber die weiblichen Sitten hat er unbegreiflicher Weise ganz aus der Acht gelassen. Dieses Geschlecht lebt daher auch in Lacedämon in aller Art der Ausgelassenheit und Schwelgerey. Jn einem solchen Staate muss der Reichthum nothwendig sehr geschätzt werden, vorzüglich, wenn die Männer sich daselbst von ihren Weibern beherrschen lassen. Ein Umland, der in Lacedämon wirklich vorhanden ist, und der sich bey vielen kriegerischen und streitbaren Nazionen findet. Nur die Celten sind davon auszunehmen, und einige andre Nazionen, bey welchen der Hang zur unnatürlichen Wollust die Achtung der Männer gegen die Frauenzimmer vermindert hat. Nicht ohne Grund ist in der Fabel die Venus mit dem Mars vermählt worden. Alle martialischen Männer scheinen diese Triebe, es sey gegen ihr eignes Geschlecht, es sey gegen das andre, viel stärker zu fühlen. — Das letztre ist demnach auch bey den Lacedämoniern: und daraus entsteht, dass die Weiber in grosser Achtung bey ihnen stehn, und auf die Staatsangelegenheiten und die Regierung sehr vielen Einfluss haben. Denn das ist einerley, ob die Weiber selbst am Ruder sind, oder ob sie über diejenigen herrschen, welche das Ruder führen. Jn beyden Fällen gehn die Sachen nach ihrem Willen.Da aber die Kühnheit und ein gewisses dreistes, ausgelassenes Wesen, ob es gleich im gesellschaftlichen Leben und im täglichen Umgange mit ruhigen Mitbürgern sehr lästige Eigenschaften sind, doch im Kriege scheint nützlich seyn zu können: so sind gleichwohl die Lacedämonischen Weiber, auch in dieser Absicht, durch jene Eigenschaften dem Staate äusserst schädlich geworden. Diess hat sich vornehmlich bey dem Einfalle der Thebaner in das Lacedämonische Gebieth, nach dem Siege von Mantinea gezeigt. Die Spartanerinnen waren, als die Gefahr nahe kam, zu nichts zu brauchen, wozu die Weiber in andern Städten in gleichem Falle nützlich sind: sondern sie vermehrten nur durch ihr Geschrey und ihren Ungestüm das allgemeine Schrecken, und verursachten eine grössere Unordnung, als die Feinde selbst.Jn den ersten Zeiten des Lacedämonischen Staates waren vieleicht Ursachen vorhanden, warum sie ihren Weibern mehr freyen Willen lassen mussten. Die Männer waren, wegen der beständigen Kriege, die sie bald mit den Argivern, bald mit den Arkadiern und den Messeniern führten, oft von Hause abwesend. Waren sie aber in Ruhe, so liessen sie sich, der strengen Disciplin auf ihren Feldzügen gewohnt (denn das militärische Leben ist eine Schule für viele Tugenden), von dem Gesetzgeber leicht unter das Joch seiner Regeln beugen.Man sagt, Lykurgus habe zwar anfangs auch die Weiber aller Strenge seiner Gesetzgebung unterwerfen wollen. Da er aber zu harten Widerstand bey ihnen gefunden habe, sey er davon abgestanden. — Diejenigen Ursachen also, welche auf die ganzen Handlungen des Lykurgus in jenem Zeitpuncte Einfluss hatten, haben auch den jetzt angezeigten Fehler in seiner Gesetzgebung hervorgebracht.Doch es ist nicht davon die Rede, ob Lykurgus wegen dieser oder jener seiner Einrichtungen entschuldiget werden könne, sondern ob sie gut seyn.Diese Mangelhaftigkeit der Spartanischen Gesetzgebung in Regulirung der weiblichen Sitten, hat, wie ich schon angemerkt habe, nicht nur eine gewisse Zügellosigkeit und viel Unanständiges in dem Betragen der Weiber selbst hervorgebracht, sondern sie hat auch dazu beygetragen, die Liebe zum Gelde unter beyden Geschlechtern zu verbreiten, die schon aus andern Ursachen entstand.Diese Ursachen liegen in der grossen Ungleichheit des Vermögens: gegen welchen Umstand der Lacedämonischen Verfassung meine zweyte Erinnerung gerichtet ist. — Es gibt unter den Bürgern einige, die sehr weitläuftige Güter und Reichthümer besitzen, andre, die so gut als gar nichts haben: Besonders sind die Ländereyen in die Hände sehr weniger gekommen. Dieses Uibel ist eine Folge von Fehlern, welche sich in den Gesetzen des Lykurgus finden. Denn auf der einen Seite hat er eine Unehre damit verknüpft, wenn man sein väterliches Erbgut verkauft, — und diess mit gutem Grunde; —auf der andern hat er es einem jeden freygelassen, das Seinige wegzuschenken oder zu vermachen, an wen es ihm gut dünkt. Aber auf diese Weise entstehen ja die nähmlichen Folgen, welche durch jene erste Verordnung verhüthet werden sollten.Ferner sind von dem sämmtlichen Gebiethe der Republik beynahe zwey Fünftheile in weibchlichen Händen, —welches theils von den grossen Leibgedingen hergekommen ist, welche die Männer ihren Weibern auszusetzen pflegen, die der Gesetzgeber ganz hätte abschaffen, oder doch sehr einschränken sollen, theils daher, dass in so vielen Familien der männliche Stamm erloschen und das ganze Familien-Gut an Töchter gefallen ist. Den Erbtöchtern aber erlaubt das Gesetz, ihr Vermögen zu vermachen, an wen sie wollen. Und stirbt eine ohne Testament, so hat selbst ihr Jutestat-Erbe eben das Recht, darüber nach freyem Wohlgefallen zu verfügen.Daher ist es gekommen, dass, obgleich das Territorium fünfzehnhundert Reuter und dreyssigtausend Mann schwerer Jnfanterie zu stellen und zu nähren im Stande ist, doch nie mehr als tausend Bürger auf eigne Kosten haben ins Feld ziehen können. Wie fehlerhaft dieser Theil ihrer Gesetzgebung sey, zeigt sich deutlich aus der Geschichte der Republik selbst. Ein einziger Streich schlug sie gänzlich zu Boden, weil sie, wegen der geringen Anzahl von Bürgern, den Verlust, den sie an Mannschaft gelitten hatte, nicht wieder ersetzen konnte.Man sagt, dass unter ihren ältern Königen die Lacedämonier das Bürgerrecht auch Fremden ertheilt hätten, um, bey ihren vielfältigen und langen Kriegen, eine zu grosse Verminderung der Staatsglieder zu verhüthen; und damahls, setzt man hinzu, sey die Anzahl der Spartiaten zuweilen auf zehn tausend gestiegen. — Dieses Factum mag richtig seyn oder nicht: so ist doch soviel gewiss, dass es noch eine bessere Methode gibt, der Bürger Anzahl vollständig zu erhalten, die nähmlich, dass das Vermögen und besonders Grund und Boden gleicher unter die Familien vertheilt, und für Erhaltung dieser Gleichheit gesorgt wird.Einer solchen Ausgleichung sind unter andern Lykurgischen Gesetzen auch die in Absicht des Kinderzeugens schnurstracks zuwider. Der Gesetzgeber wollte die Spartiaten so zahlreich als möglich haben: und er suchte diess dadurch zu erreichen, indem er jedes Ehepaar aufmunterte so viel Kinder grosszuziehn, als es immer könnte. — Zu dem Ende gab er ein Gesetz, dass, wer Vater von drey Kindern wäre, nicht mehr die gewöhnlichen Stadtwachen thun dürfte, wer viere hätte, von allen öffentlichen Lasten frey seyn sollte. Nun ist aber klar, dass wenn die Familien an Kindern zahlreich sind, Grund und Boden aber so ungleich, als ich oben gesagt habe, vertheilt ist, nothwendig die Ungleichheit noch grösser werden, und zuletzt viele Bettler entstehen müssen.Ein andrer Fehler der Lacedömonischen Verfassung liegt in der Einrichtung ihrer Ephorie. Dieses obrigkeitliche Amt, welches die wichtigsten Sachen unter sich hat, wird nur mit Personen aus dem Volke besetzt. Daher kommen oft äusserst Arme dazu, die eben deswegen sich leicht erkaufen lassen. Diess hat sich schon sonst in mehrern Beyspielen gezeigt, und noch erst neulich bey dem Handel wegen der gemeinschaftlichen Mahlzeiten. Einige bestochne Ephoren handelten dabey so, dass sie, was an ihnen lag, den ganzen Staat zu Grunde gerichtet hätten.Und weil diese Magistratur von einem hohen Ansehn ist, und eine beynahe despotische Gewalt ausübt, so sind die Könige selbst genöthigt worden, den Personen, welche dieselbe begleiten, zu schmeicheln: so dass dadurch aus der Aristokratie beynahe eine Demokratie geworden ist. Dieses Ephoren-Amt ist dem unerachtet einer der Grundpfeiler, worauf die Erhaltung des Spartanischen J Staats beruhet. Denn eben dadurch wird das Volk in Ruhe und in Zufriedenheit erhalten, dass das ansehnlichste und mit den grössten Prärogativen verbundene Amt in seinen Händen ist. Es sey nun also diess Absicht des Gesetzgebers, es sey zufälliger Erfolg gewesen: immer ist es wahr, dass das Jnstitut der Ephorie, an sich betrachtet, den Lacedämonischen Angelegenheiten sehr nützlich gewesen ist. Denn in jedem Staate, der sich aufrecht erhalten soll, müssen die verschiedenen Hauptglieder desselben mit ihrem Zustande zufrieden seyn, und Lust haben zu bleiben, was sie sind, — Das ist nun in Sparta. Die Könige werden in dieser Gesinnung erhalten, weil sie der höchsten Ehre im Staate geniessen; die Vornehmern und Wohlgezognern, weil sie allein ein Recht haben in den Senat zu kommen, dessen Mitglieder nach dem Verdienste und nach persönlichen Eigenschaften gewählt werden; das gemeine Volk, weil aus seiner Mitte das Ephorenamt besetzt wird.So weit ist alles richtig. Es war zweckmässig, dass alle und jede Bürger wahlfähig zum Ephorat gemacht wurden.Aber erstlich ist die Art und Weise der Wahl selbst fehlerhaft. Sie ist kindisch und ungeschickt, Personen von Verdienst vor andern zu dieser Würde zu verhelfen.Zum andern, da die Ephoren, in den wichtigsten Sachen, als Richter zu sprechen haben und doch auf Gerathewohl aus dem grossen Haufen herausgezogen sind; so war es billig, dass sie in ihren Urtheilssprüchen strenge an den Buchstaben der Gesetze gebunden, und nicht (wie doch in Sparta der Fall ist), ihrer eignen Einsicht, d. h., ihrer Willkür überlassen wurden.Ferner ist auch die Lebensart, welche den Ephoren erlaubt wird, dem Geiste und Zwecke der übrigen Verfassung entgegen. Bey den übrigen Bürgern übertritt das Gesetz beynahe die Strenge und artet in Härte aus: daher viele, welche eines so hohen Grades von Enthaltsamkeit und Selbstverleugnung nicht fähig sind, das Gesetz eludiren, und die Vergnügungen heimlich zu geniessen suchen, welchen sie öffentlich zu entsagen scheinen.Auch in Absicht der Einrichtung des Senats sind manche Dinge zu tadeln. Von der einen Seite scheint er im Staate grossen Nutzen zu stiften, da er mit wohlerzognen und zur Tugend gebildeten Männern besetzt ist. Auf der andern aber bleibt es doch noch zweifelhaft, ob es gut sey, dass diesen Männern die Entscheidung der wichtigsten Angelegenheiten auf Zeitlebens anvertraut ist. Denn wäre auch kein andrer Grund dagegen vorhanden: so bleibt es doch wahr, dass der Geist mit den Jahren altert wie der Körper. Ferner, so gut auch die Erziehung dieser Männer seyn mag, so ist es doch vielleicht etwas gewagt, dass der Gesetzgeber ihnen ganz unbedingt als rechtschaffenen Männern traut, und sie daher von aller zu gebenden Rechenschaft freyspricht. Wirklich finden sich Beyspiele genug in Sparta, wo Personen mit dieser Würde begleitet, aus Gefälligkeit oder durch Bestechungen bewogen, das allgemeine Beste, dem Jnteresse dieser oder jener Partey aufopferten. Es wäre also gewiss besser gewesen, wenn die Senatoren wegen des Gebrauchs ihres Ansehns wären verantwortlich gemacht worden.Man kann vielleicht sagen, dass das Amt der Ephoren dazu bestimmt ist, alle andere obrigkeitliche Aemter, also auch die Senatoren zu controlliren, und über das Betragen derselben eine gewisse Aufsicht zu führen. Aber dadurch werden den Ephoren auf der andern Seite zu grosse Rechte eingeräumt: und die Art wie von diesen die obrigkeitlichen Personen zur Verantwortung gezogen werden, ist nicht einerley mit der Rechenschaft, von welcher ich glaubte, dass die Senatoren sie ablegen sollten.Bey der Wahl dieser letztern ist die Prüfung, welche über die dazu fähigen Personen angesteckt wird, kindisch und zwecklos. Auch das ist zu tadeln, dass diejenigen, welche zu dieser Prüfung zugelassen werden sollen, zuerst selbst um diese Würde bitten müssen. Jn einem wohleingerichteten Staate muss jeder, welcher zu einem öffentlichen Amte tüchtig ist, dazu ohne seine Bitten berufen werden, und er muss verpflichtet seyn, es anzunehmen, er mag Neigung dazu haben oder nicht. Lykurg scheint diese Verfügung in eben dem Geiste gemacht zu haben, welcher in andern Theilen seines Systems herrscht. Er wollte den Bürgern seines Staats Ehrgeiz einflössen. Er machte also den Ehrgeitz, so zu sagen, mit zu einer Bedingung, unter welcher jemand Senator werden soll. Denn niemand anders als ein Ehrgeitziger wird um diese Würde zuerst anhalten. Aber wusste er nicht, dass die meisten vorsätzlichen Ungerechtigkeiten, welche von Menschen begangen werden, entweder im Ehrgeitze oder in der Habsucht ihren Ursprung haben?Was die königliche Würde betrifft, so will ich jetzt die Frage nicht berühren, ob es überhaupt für einen Staat (besonders für einen, der aus den Bürgern einer einzelnen Stadt besteht) vortheilhaft sey, oder nicht, eine Magistratur mit diesem Titel und mit den daran haftenden Vorrechten zu haben. Das will ich nur anmerken, dass, wenn Könige seyn sollen, es besser ist, dass dieselben gewählt werden, als das diese Würde, wie in Lacedämon, erblich ist. Bey der Wahl kann auf den Charakter und die bisherige Aufführung der Personen gesehen werden; gebohrne Könige muss der Staat nehmen, wie sie sind. Wie wenig der Spartanische Gesetzgeber den Königen seines Staats zutraute, dass sie immer gut seyn, — oder sich selbst zutraute, dass er sie so machen würde: hat er durch mehrere Merkmahle bewiesen. Er will z. B. dass, wenn einer von diesen Königen von dem Staat mit öffentlichen Aufträgen abgesandt wird, einer seiner Gegner und Rivale ihm mitgegeben werde, seine Schritte zu beobachten; er sieht es als ein Mittel zur Erhaltung des Staats an, wenn die beyden Könige mit einander uneins sind.Auch die Anordnungen wegen der öffentlichen Tische, an welchen die Bürger, in Gesellschaften von gewisser Anzahl abgetheilt, beysamen speisen (welche gemeine Mahlzeiten in Sparta Φ heissen), hat derjenige nicht gut gemacht, wer es auch sey, der sie zuerst eingeführt hat, — Die Unkosten davon nähmlich sollten, nach meiner Meinung, so wie in Creta, aus einem öffentlichen Fond bestritten werden. Bey den Lacedämoniern aber muss jeder sein Contingent dazu beytragen; und diess verursacht nicht geringe Uibelstände, da viele, die an diesen Tischen mitessen sollten, so äusserst arm sind, dass sie diesen Aufwand nicht aufbringen können.Es entsteht also hieraus grade das Gegentheil von dem, was sich der Gesetzgeber bey diesem Jnstitut zum Endzwecke vorsetzte. Er wollte eine gewisse demokratische Gleichheit der Bürger unter einander dadurch erhalten, dass Reiche und Arme unter einander täglich an denselben Tischen ässen. Dass Jnstitut aber trägt auf obige Weise eingerichtet, grade dazu bey, die ganz armen Bürger noch mehr auszuzeichnen und unter die übrigen zu erniedrigen, weil sie an diesen Mahlzeiten nicht Theil nehmen können. Denn es ist durch das Herkommen gleichsam zur Grenze der bürgerlichen Vorrechte bestimmt worden, dass, wer jene Contribution nicht bezahlen kann, auch an diesen Rechten nicht Theil habe.Das Gesetz, wegen der Befehlshaber der Flotte, ist schon von andern getadelt, und mit Recht getadelt worden. Es setzt nähmlich neben die Könige, welche die gebohrnen Generale der Landtruppen sind, so gut als einen dritten König, da es das Commando der Flotte Einer Person, und auf Lebenslang aufträgt. Wie kann aber hieraus etwas anders als Uneinigkeit und Parteygeist entstehen? LDem ganzen System der Spartanischen Gesetzgebung aber kann man auch mit Recht vorwerfen, was Plato zn zuerst in seinen Büchern von den Gesetzen daran gerügt hat: dass es bloss auf Beförderung Eines Theils menschlicher Vollkommenheit, nähmlich der militärischen Tugenden abzielt. Diese finden ihre Anwendung nur im Kriege, und hören auf brauchbar zu seyn, wenn der Sieg erfochten ist. Daher ist es auch gekommen, dass der Lacedämonische Staat so lange geblüht hat, als er immer mit Feinden zu kämpfen hatte; und dass er zu grunde gegangen ist, sobald er zur Herrschaft über dieselben gelangt war. Seine Bürger verstunden nähmlich nicht, ein vernünftiges Leben in Zeiten der Ruhe zu führen, weil sie keine von den Fähigkeiten ausgebildet, keine von den Beschäftigungen geübt hatten, mit welchen die Menschen, auch ohne zu Felde zu ziehn, ihre Zeit gut anwenden und ausfüllen können. Dieses ist aber ein nicht geringer Fehler, der sich auf einen eben so grossen Jrrthum gründet. — Soweit urtheilten sie ganz richtig, dass die Vortheile, um welche die Nazionen mit einander Krieg führen, denen, die innere persönliche Vorzüge besitzen, eher als denen, die derselben ermangeln, zu Theil werden; und dass also die Erziehung der Bürger zu einer gewissen Art der Tugend ein Mittel ist, dem Staate den Sieg und die Uiberlegenheit über seine Feinde zu verschaffen. Aber darinn irrten sie, dass sie diese Vortheile selbst, den Sieg, diese Uiberlegenheit für den letzten Zweck, und die Tugend oder die Ausbildung menschlicher Fähigkeiten und Tugenden bloss als ein Mittel dazu, und nicht, wie sie es wirklich ist, als das höchste Gut selbst betrachteten.Endlich ist in der Spartanischen Verfassung auch der Theil fehlerhaft, welcher die öffentlichen Einkünfte betrifft. Der Staat hat weder liegende Gründe, noch baare Summen im Schatze, ohnerachtet er immer genöthigt ist, grosse und schwere Kriege zu führen. Und das durch die Contributionen der Bürger zu erhebende Geld kömmt schlecht und nicht verhältnissmässig ein, weil, da die Ländereyen fast allein den Spartiaten zugehören, keiner den andern genau zu taxiren, und den Beytrag desselben, ob er seinem Vermögen gemäss sey, zu untersuchen Lust hat. Der Erfolg dieser Einrichtung ist auch gerade wider die Absicht des Gesetzgebers, und wider das, was man jedem Staate wünschen muss, ausgefallen. Das gemeine Wesen ist geldarm, und die Privatleute sind geldbegierig worden.So viel von der Lacedämonischen Verfassung. Die bisher berührten Puncte enthalten ohngefähr die vornehmsten Einwürfe, welche sich gegen dieselbe machen lassen.

Achtes Kapitel.



Schilderung und Beurtheilung der Cretensischen Regierungsform.

Die Cretensische Staatsverfassung ist der Lacedämonischen sehr ähnlich. Einige wenige Puncte sind in der ersten villeicht besser angeordnet: aber in den meisten ist sie weniger vollkommen, und gleichsam weniger ausgearbeitet. Diess ist auch kein Wunder, die Cretensische ist die älteste. Man sagt, und es ist wahrscheinlich, dass die Spartanische eine Copie von der Cretinsischen sey. Die spätern Gesetzgeber aber, die auf den Fusstapfen älterer einhergegangen sind, haben immer an dem Werke derselben gefeilt, und deren noch rohe Jdeen ausgebildet.Es heisst nähmlich, Lykurgus, nachdem er die Vormundschaft seines Neffen Charilai, und die damit verbundene verbundene Regentschaft niedergelegt, und Sparta verlassen hatte, habe die Zeit seiner Abwesenheit grösstentheils in Creta (wegen der zwischen dieser Jnsel und Lacedämon schon längst bestehenden Verwandtschaft) zugebracht, und während dieser Zeit die Verfassungen dieser Jnsel studirt.Diese Verwandtschaft zwischen Sparta und Creta kömmt von einer Colonie, die ehedem aus jener Stadt in diese Jnsel geführt worden ist, und den Staat der Lyctier gegründet hat. Die Colonisten nahmen bey ihrer Niederlassung die Gesetze und Verfassungen an, die sie unter den alten Einwohnern vorfanden. Daher kömmt es auch, dass die um Lyctus herumwohnenden Landleute, die Reste jener alten Einwohner, eben dieselben Gesetze und Gewohnheiten beobachten, wie die Bürger der Stadt, weil sie jene Gesetze als das Werk ihres alten Gesetzgebers des ersten Minos ansehen.Diese Jnsel scheint eine sehr glückliche Lage zu haben, um zur Herrschaft über ganz Griechenland gelangen zu können. Sie überschaut gleichsam alle Theile des mittelländischen Meeres, an deren Ufern die vornehmsten Griechischen Städte und Republiken gelegen sind. Auf der einen Seite ist sie nicht weit vom Peloponnesus entfernt, auf der andern ist sie Asien, gegen Rhodus und das Vorgebirge Triopium zu, eben so nahe. Minos behauptete auch wirklich die Herrschaft zur See und über die Jnseln, wovon er einen Theil eroberte, den andern mit Colonieen besetzte. Endlich da er auch Sicilien angriff: fand er hier, bey der Stadt Kammikum, das Ende seiner Siege und seines Lebens.Jn folgenden Puncten ist die Cretensische Verfassung mit der Lacedämonischen einerley. Jn beyden wird der Acker von Leuten angebauet, die keinen Theil am Bürgerrecht haben, und nicht anders als Leibeigene behandelt werden; —in Sparta von den Heloten, in Creta von den sogenannten πεςιοιχοις. Jn beyden sind die gemeinschaftlichen öffentlichen Mahlzeiten eingeführt. Ein Beweis unter andern, dass diese von Creta nach Sparta gekommen sind, ist, dass der alte Nahme derselben am lezteren Orte ανδςιυ den sie nun mit dem Nahmen ψειδιτα vertauscht haben, eben derselbe ist, welchen die Mahlzeiten noch jetzt in Creta führen. Eine dritte Aehnlichkeit ist in der Regimentsverfassung. Die Lacedämonischen Ephoren haben eben dieselbe Art von Autorität, welche den sogenannten Cosmis in Creta zukömmt. Nur sind der Ephoren nur fünfe, Cosmi hingegen sind zehne. Ferner ist das, was die Versammlung der Aeltesten, oder der Senat in Lacedämon heisst, einerley mit dem, was sie in Creta den Rath nennen. Jn alten Zeiten hatten auch die Cretenser ihre Könige. Jn der Folge schafften sie diese Würde ab, und gaben das sonst damit verbundne Commando über die Armee den Cosmis. — Jn den Volksversammlungen haben in Creta alle Freyen das Recht mit zu stimmen. Nur ist die Macht dieser Versammlungen dahin eingeschränkt, dass sie bloss bestätigen, was der Rath oder die Cosmi beschlossen haben.Was nun die Vergleichung beyder Verfassungen betrifft: so ist zuerst die Cretensische in Absicht der öffentlichen Mahlzeiten zweckmässiger als die Lakonische. Jn Lacedämon zahlt, wie ich schon gesagt habe, jeder etwas Gewisses, um davon die Unkosten dieser Mahlzeiten zu bestreiten; und wer dieses nicht thun kann, ist auch eben dadurch von den bürgerlichen Vorrechten so gut als ausgeschlossen. Jn Creta ist die Einrichtung vielmehr republikanisch. Von von sämmtlichen Früchten, welche der Ackerbau und die Viehzucht liefert, von dem was auf den öffentlichen Ländereyen geerntet, oder von den Periokis gezinset wird, wird ein Theil den Göttern und zu Bestreitung der Unkosten ihres Dienstes, ein andrer wird zu den Staatsbedürfnissen gewidmet, und ein dritter wird zu den mehrmals erwähnten Mahlzeiten angewandt: so dass in Creta alle Bürger, Männer, Weiber und Kinder wirklich aus den öffentlichen Einkünften gespeist werden. Dazu hat ihr Gesetzgeber noch vielerley Anordnungen ausgedacht, um die Mässigkeit im Essen und Trinken, die er für äusserst nützlich hält, zu befördern. Und um die Männer zuweilen von dem Umgange mit ihren Weibern zu entfernen, damit die Familien nicht durch eine zu grosse Anzahl von Kindern beschwert werden, hat er die unnatürlichern Triebe der Männer gegen ihr eignes Geschlecht begünstigt. Ob diess letztre zu billigen oder zu verwerfen sey), ist hier der Ort nicht zu untersuchen. Dass aber überhaupt die ganze Einrichtung der gemeinschaftlichen Mahlzeiten in Creta besser ist, als in Lacedämon, fällt in die Augen.Hingegen ist die Einrichtung in Absicht der Cosmien weit schlechter, als die der Ephoren in Sparta. Das was die letzte Magistratur Nachtheiliges hat, ist in der erstern auch. Beyde, Ephoren und Cosmi, werden durch Zufall, nicht durch Wahl, aus der Anzahl der ernennungsfähigen Personen gezogen. Hingegen fehlt bey den Cosmis das, was das Jnstitut der Ephoren am nützlichsten für den Staat macht, — ich meine, dass, da alle Bürger ohne Unterschied dazu gelangen können Ephoren zu werden, das Volk als theilhabend an dem ersten und vielvermögendsten Posten in der Republik, die Erhaltung der Staatsverfassung wünscht.Diess fällt in Creta weg, wo die Cosmi nicht aus dem gesammten Volke, sondern nur aus gewissen Geschlechtern gewählt werden: so wie hinwiederum niemand in den Staatsrath kömmt, als der zuvor Cosmus gewesen ist.Uiber diesen (den Cretensischen Senat), lassen sich eben die Anmerkungen machen, die wir oben über das ähnliche Staatscollegium in Lacedämon gemacht haben. Auch die Beysitzer des ersten sind nicht verbunden, Rechenschaft über ihre Verrichtungen abzulegen: und dieses Vorrecht ist grösser, als es mit dem Zwecke und dem sonstigen Ansehn dieser Würde bestehn kann. Auch der Cretensische Senator darf sich nicht an den Buchstaben der Gesetze binden, sondern kann nach seinen Einsichten von Recht und Billigkeit Urtheil sprechen: und diess ist für die Freyheit und für eine unparteyliche Rechtspflege gefährlich.Dass in Creta das Volk, ob es gleich an allen diesen Würden keinen Theil hat, doch ruhig geblieben ist, beweist nicht, dass die Einrichtung gut sey. — Die insularische Lage von Creta macht hier den ganzen Vorzug, welche, indem sie den Cosmis die Gelegenheit sich von fremden Mächten bestechen zu lassen, mehr als den Ephoren entzogen hat, erstern überhaupt die Aussicht auf Bereicherung, welche des gemeine Volk am meisten reitzt, benimmt.Das Mittel, wodurch man in Creta den übeln Folgen jener Fehler in der Verfassung abzuhelfen gesucht hat, ist ganz unschicklich, und mehr einem Zustande, wo die Gewalt das erste Gesetz ist, als einem wohlgeordneten Gemeinwesen anpassend. Mehrmahlen nähmlich ist es geschehen, dass die Cosmi, die ihre Gewalt missbrauchten, durch eine gegen sie gemachte Verbündung, entweder ihrer Mitregenten selbst, oder von Privatleuten, abgesetzt, und aus dem Staate verjagt wurden. Auch ist es den Cosmis erlaubt, ihr Amt, wenn sie das Missvergnügen des Volks merken, niederzulegen. Alles das aber hätte lieber zum Voraus durch Gesetze bestimmt, als der Willkür und den Leidenschaften der Menschen, wenn der Fall da ist, überlassen werden sollen. Denn diese letztern sind eine sehr unsichre Norm von den in gefährlichern Zeiten zunehmenden Maassregeln.Das Allerschlimmste in den Cretensischen Gewohnheiten ist, dass sie zuweilen die Magistratur der Cosmien auf eine Zeitlang gänzlich aufheben, welches gemeiniglich alsdann geschiehet, wenn Mächtige im Staate sich einer gerichtlichen Untersuchung, der sie sonst ausgesetzt wären, entziehen wollen. —Woraus klar ist, dass, wenn dieses Verfahren auch etwas Gesetzmässiges in Creta hat, es doch in der That mehr offenbare Gewalt, als Gebrauch eines bürgerlichen Rechts ist. Es geschieht nähmlich alsdann, dass solche Mächtige sich an die Spitze ihrer Freunde und desjenigen Theils des Volks, der ihnen anhängt, stellen, und mit der Gegenpartey einen offenbaren bürgerlichen Krieg führen. Was heisst aber diess anders, als dass der Staat während der Zeit aufhört, Staat zu seyn, und die bürgerliche Vereinigung aufgelöst wird! Jst unter diesen Umständen ein äusserer Feind vorhanden, der den zerrütteten Staat angreifen kann und will: so ist letztrer in der grössten Gefahr des gänzlichen Untergangs. Aber davor ist, wie ich gesagt habe, Creta dadurch behüthet worden, dass es eine Jnsel ist. Die Entfernung der Oerter thut hier das, was man in andern Staaten durch Verbannung der Fremden zu bewirken sucht (nähmlich bey innern Verwirrungen den Einfluss auswärtiger Feinde zu verhindern). Eben diese Lage ist auch Ursache, dass in Creta (die π), die leibeignen Landleute (welche das um jede Stadt liegende Gebieth bewohnen und anbauen), immer in Gehorsam geblieben sind, da die Heloten hingegen sich so oft empört haben. Die Cretenser grenzen nähmlich an keine fremde Macht, welche ihre missvergnügten Unterthanen unterstützen könnte. — Vor kurzem aber sind sie dieser Vortheile beraubt worden; da ein ausländischer Feind den Krieg auf ihre Jnsel hinüber brachte. Und da hat sich denn auch die Schwäche ihrer Staatsverfassung, und das Nachtheilige jener Gesetze, gar bald gezeigt.Diess sey genug von der Cretensischen Gesetzgebung.

Neuntes Kapitel.



Die Chartagische Staatsverfassung.

Auch die Staatsverfassung von Carthago verdient einen Platz in diesen Untersuchungen, da sie für vorzüglich gut gehalten wird, und unter andern ähnlichen einen ausgezeichneten Rang behauptet. Jn einigen Puncten kömmt sie sehr mit der Lacedämonischen überein. Diese drey Staaten, der Spartanische, der von Creta und der von Carthago, haben alle drey viele Aehnlichkeiten unter sich, und grosse Vorzüge vor andern. Ein Beweis, dass der grösste Theil ihrer Einrichtungen weise seyn müsse, ist, dass, da sie alle drey republikanisch sind, und also dem Volke einen gewissen Antheil an der Regierung zugestehen, sie doch in ihrer ursprünglichen Verfassung fortgedauert haben, ohne weder durch einen Volksaufruhr (der von Bedeutung gewesen wäre), zerrüttet, noch von Tyrannen unterjocht worden zu seyn.Die Aehnlichkeiten zwischen den Carthaginensischen und den Lakonischen Einrichtungen sind folgende: Die gemeinschaftlichen Mahlzeiten der sogenannten Brüderschaften in Carthago haben eine Gleichheit mit den Phiditiis in Sparta, die Magistratur der hundert und vier an dem ersten Orte, eine Gleichheit mit dem Amte der Ephoren in dem letztern. Nur ist jene Magistratur besser eingerichtet. Die Ephoren werden, wie ich gesagt habe, aus dem grossen Haufen, auf Gerathewohl gleichsam gegriffen. Jene Hundert werden nach Verdiensten aus den vorzüglichsten gewählt, — Ferner sind Könige und ein Senat in Carthago, so wie es Könige und einen Senat in Sparta gibt: Aber auch dabey ist an jenem Orte die bessere Einrichtung, dass die Könige weder immer aus demselben Geschlecht, noch aus allen Geschlechtern ohne Unterschied, sondern aus den vornehmsten genommen werden, und dass unter mehrern Personen von derselben Familie, nicht immer der Aelteste vermöge eines Gesetzes, sondern der Verdienstvolleste durch Wahl zu dieser Würde erhoben wird. Unstreitig können die damit Begleiteten, da grosse Vorrechte und wichtige Aufträge an ihrem Titel hängen, dem Staate grossen Schaden thun, wenn sie unfähig oder lasterhaft sind; wovon Sparta schon mehrmahlen die traurige Erfahrung gemacht hat.Was nun denjenigen Tadel betrifft, der sich auf Abweichungen des Gesetzgebers von dem Zwecke bezieht, welchen er selbst sich vorgesetzt, von dem Plane den er entworfen hatte: so wird derselbe in allen drey genannten Verfassungen ungefähr der nähmliche seyn. Was aber diesen Plan selbst angeht, der im Ganzen in allen drey Städten auf Aristokratie verbunden mit republikanischer Freyheit hinausläuft: so scheint er in Carthago in einigen Puncten sich zur Oligarchie, in andern zur Volksregierung zu neigen.Jn Carthago sind die Könige und der Senat, wenn beyde mit einander gleichstimmig über eine Angelegenheit urtheilen, Herren darüber, ob sie dieselbe vor die Volksversammlung bringen wollen oder nicht. Sind jene beyden Regierungsglieder nicht einerley Meinung: dann muss das Volk darüber entscheiden. Wenn aber einmahl eine Sache der Volksversammlung vorgelegt wird: dann hat diese nicht nur das Recht, das Gutachten ihrer Obern anzuhören, und zu bestätigen, sondern auch das Recht es zu prüfen, und abzuändern. Ferner steht es jedem, der dazu Lust hat, frey, seine Gegengründe gegen die Vorschläge der Obrigkeit dem Volke öffentlich vorzutragen, eine Sache, die in Lacedämon und Creta nicht erlaubt ist, Diese Einrichtungen sind sehr demokratisch.Hingegen kömmt es wieder einer Oligarchie näher, dass die sogenannten Fünfmänner, die viele und wichtige Angelegenheiten unter sich haben, sich ihre Nachfolger und Collegen selbst ernennen können, dass eben diese ferner die Hundertmänner, die obersten Magistratspersonen wählen; dass sie endlich länger, als irgend eine obrigkeitliche Person, in ihrem Amte bleiben (denn schon wenn sie dazu Anwartschaft haben, und wieder, nachdem sie ihr Amt niedergelegt haben, üben sie gewisse Magistratsrechte aus).Ganz der Aristokratie gemäss aber ist es, dass die Magistratspersonen ohne Besoldung dienen, dass sie nicht durchs Loos ernannt werden; und in demselben Geiste sind noch mehrere andere Puncte. Auch der unter andern, dass alle Processe ohne Unterschied von Magistratspersonen entschieden werden, nicht wie in Sparta, wo die Richter zum Theile Privatpersonen sind.Worin aber die Carthaginensische Verfassung am weitesten von der wahren Aristokratie abweicht, und der Oligarchie sich nähert, ist folgender Punct, der mit der gemeinen Meinung vollkommen übereinstimmt: Es ist Grundsatz derselben, dass bey der Wahl der Magistratspersonen, nicht bloss auf persönliche Vorzüge, sondern auch auf Vermögen gesehen werden müsse. Ohne Zweifel sahe man es als unmöglich an, dass eine Person ohne Vermögen hinlängliche Musse, und die andern nöthigen Eigenschaften haben könne, um Regierungsgeschäfte gut zu verwalten.Wenn es also in dem Geiste der oligarchischen Regierungsform ist, die Magistratspersonen nur aus den Reichen zu wählen, hingegen aristokratisch, bloss auf persönliche Vorzüge zu sehn: so wird eine Anordnung wie die Carthaginensische, wobey Vermögen und Verdienste zugleich in Betrachtung gezogen werden, eine dritte, von Aristokratie und Oligarchie gemischte Regierungsform ausmachen. — Diese Rücksicht auf beydes nehmen sie in Carthago bey der Besetzung aller Aemter, vornehmlich aber bey Besetzung der höchsten, der königlichen und der Generalswürden.Nach meinem Urtheil muss diese Abweichung des Gesetzgebers von dem Charakter einer wahren Aristokratie, für einen merklichen Fehler, den er begangen, angesehen werden. Denn wenn auch der oben angeführte Grund für die Auswahl der Vermögenden richtig ist: so rechtfertigt er doch den Gesetzgeber nicht. Dieser hätte nähmlich gleich von Anfang an darauf bedacht seyn sollen, wie er die vorzüglichsten Bürger, den persönlichen Eigenschaften nach, zugleich in einen solchen äussern Zustand versetzte, dass sie von Nahrungssorge frey, zu edlern Geschäften Musse hätten, und sich nie zu etwas ihrer Unwürdigem, weder als Magistratspersonen, noch selbst als Privatleute entschliessen dürften.Wenn man aber auch auf eine gewisse Wohlhabenheit bey Besetzung der Staatsämter sehen muss, weil dieselben eine Musse von Gewerbsgeschäften verlangen: so ist es doch immer Unrecht, dass die höchsten dieser Aemter, wie das der Könige oder der Heerführer der Truppen, fast ganz allein nach dem Reichthum vergeben, und also auf gewisse Weise käuflich gemacht werden. Ein solches Gesetz muss den Reichthum in ausserordentliche Achtung bringen, und den ganzen Staat geldgierig machen, denn das, was diejenigen, welche am Ruder sitzen, unterscheidet, und was von ihnen am meisten geehrt wird, das erhält auch den Vorzug in der Meinung des grossen Haufens. — Der Staat aber, in welchem nicht persönliche Verdienste mehr als alles andre geachtet werden, kann nicht dauerhaft aristokratisch seyn.Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass, wenn es nothwendig ist Aufwand zu machen, um zu obrigkeitlichen Aemtern zu gelangen, diejenigen, welche sie auf solche Weise gleichsam erkauft haben, suchen werden, von denselben hinwiederum zu gewinnen. Jn der That ist es eine Ungereimtheit, zu glauben, dass der redlichste Mann wenn er arm ist, in Versuchung gerathe, durch die Verwaltung öffentlicher Aemter sich zu bereichern: und doch nicht zu glauben, dass ein schlechter Mensch, der reich ist, aber Aufwand hat machen müssen, sich seines Schadens werde zu erhohlen suchen.Das sollte also Grundgesetz der Aristokratie seyn: dass diejenigen nur zur Regierung gelangen, die alle persönlichen Eigenschaften haben, um gut zu regieren.Und um die oben angezeigte Jnconvenienz zu vermeiden, sollte der Gesetzgeber, wenn er auch keine Vorkehrungen gemacht hatte, um überhaupt die Dürftigkeit verdienstvoller Personen zu verhüthen, doch dafür sorgen, dass die, welche in öffentlichen Aemtern sitzen, von Nahrungssorgen befreyt würden.Auch das scheint mir in der Carthaginensischen Verfassung fehlerhaft, dass viele obrigkeitliche Aemter von Einer Person verwaltet werden. Dann wird jede Sache, welche Menschen hervorbringen, aufs vollkommenste gemacht, wenn sich Ein Mensch immer nur mit einer Arbeit abgibt. Nach dieser Maxime sollte nun auch der Gesetzgeber bey Besetzung der Staatsämter verfahren, und nicht verlangen, dass der Flötenspieler zugleich Schuhe machen solle.Da wo nicht die Kleinheit des Staats, und die geringe Anzahl der Bürger das Gegentheil nothwendig macht, ist es gewiss besser, dass die öffentlichen Aemter unter viele vertheilt sind, sowohl weil diess der politischen Freyheit günstiger, und ein Mittel ist, das Volk für das Jnteresse der Regierung zu gewinnen (da sie gleichsam als ein gemeinsames Gut aller angesehen werden kann), als auch, weil jedes Geschäft besser und geschwinder abgemacht wird, wenn es seinen Mann allein hat, der sich demselben widmet. Wie wahr dieses Letztere sey, zeigt sich im Kriegs- und Seewesen. Jn einer Armee und auf einer Flotte ist das Commando so vertheilt, dass vom Chef bis zum gemeinen Soldaten und Matrosen herunter, fast niemand ist, der nicht einige unter sich hätte, denen er befehlen könnte, so wie jeder wieder andre über sich hat, denen er gehorchen muss.Obgleich auf diese Weise die Verfassung der Carthaginenser oligarchisch geworden ist: so können sie doch den übeln Folgen davon, ich meine der Unzufriedenheit des Volks, vermöge ihrer weitäufigen Besitzungen vorbeugen, indem sie von Zeit zu Zeit einen Theil dieses letztern, in die ihnen unterworfnen Städte absenden. Dadurch allein heilen sie die entstehenden Gährungen, und sichern die Fortdauer der Staatsverfassung. Dieses Hülfsmittel aber kömmt von Vortheilen her, die das Glück ihnen zugeworfen hat, nicht von der Weisheit des Gesetzgebers. Diese letztre aber sollte es seyn, welche einen Staat vor Empörungen und innerer Zerrüttung bewahrte. Wie jetzt die Sachen in Carthago stehn, wenn einmahl ein Unglücksfall diesen Staat treffen sollte, und der grössre Theil ihrer Unterthanen von ihnen abfiele: so würde sich in der Verfassung selbst gar kein Mittel finden, die innere Ruhe zu erhalten.So verhält es sich also mit den Verfassungen von Carthago, Creta, Lacedämon, drey Staaten, die mit Recht in dem Rufe stehen, vorzügliche Gesetze zu haben.

Zehntes Kapitel.



Von der Atheniensischen Staatsverfassung, und einigen andern bekannten Griechischen Gesetzgebern.

Unter denen, welche Lehren über die Staatswissenschaft gegeben haben, sind einige, die selbst nie an öffentlichen Geschäften Theil genommen, sondern im Privatstand ihr Leben zugebracht haben. Was über diese und deren politische Entwürfe zu sagen ist, habe ich in den vorhergehenden Kapiteln beynahe alles berührt. Andre aber sind wirklich Gesetzgeber dieses oder jenes Staats gewesen, entweder in ihrem eignen Vaterlande, oder bey auswärtigen Nazionen, von denen sie zu Verwaltung und Anordnung ihrer Angelegenheiten herbeygerufen wurden. Unter diesen letztern Staatslehrern, die zugleich Staatsmänner waren, haben einige bloss Criminal- und Civilgesetze gegeben, andere aber die Grundverfassungen der Staaten selbst gebildet, wie z. B. Lykurgus und Solon. Von diesen beyden Männern haben Sparta und Athen ihre Verfassung sowohl als ihre Gesetzbücher erhalten.Von dem System des Lykurgus habe ich schon geredet. Uiber den Solon ist die herrschende Meinung, dass er ein vortrefflicher Gesetzgeber gewesen sey. Er hat, sagt man, die in Athen von einigen wenigen Familien in Besitz genommene Herrschaft, die allzu willkürlich und gar nicht nach Verdienst aufgetheilet war, zerstört; hat der Knechtschaft des Volks ein Ende gemacht, hat die alte von den Vorfahren eingeführte Demokratie wieder hergestellt, und hat die verschiedenen Regierungsformen auf das weiseste zu Bildung einer freyen Staatsverfassung mit einander vereinigt. Der hohe Rath, der vom Areopagos wo er zusammen kömmt, den Rahmen hat, ist in dem Geiste der Oligarchie. Dass alle Aemter durch Wahl vergeben werden, ist aristokratisch; die Einrichtung der Richterstühle (dass Privatpersonen durchs Loos gezogene Richter sind), ist demokratisch. Diess sind die gewöhnlichen Jdeen von der Solonischen Verfassung.Mir aber scheint Solon, die beyden Einrichtungen, den hohen Rath, und das Wählen der Magistratspersonen, schon vorgefunden, und nur beybehalten zu haben. Das was ihm eigenthümlich zugehört, ist die Macht die er dem Volke eingeräumt hat, indem er die Richter zu allen Tribunälen aus der gesammten Bürgerschaft ohne Unterschied ziehen lässt. Diess aber ist es eben, was einige ihm als einen Fehler vorwerfen. Denn, sagen sie, dadurch hat er die Kraft jener beyden ersten Jnstitute völlig aufgehoben, indem er die Richter, die doch auf gewisse Weise alle Angelegenheiten und Personen des Staats in ihrer Gewalt haben, durchs Loos aus dem grossen Haufen ziehen lässt. Seitdem dieses eingeführt worden, haben alle Staatsverwalter dem Volke wie einem unumschränkten Despoten schmeicheln müssen; und haben daher, um ihm gefällig zu werden, die Verfassung nach und nach rein demokratisch gemacht, wie es jetzo wirklich ist. So hat Ephialtes und nach ihm Perikles das Ansehn des Areopagischen Raths vermindert. Perikles hat überdiess den Richtern einen Gehalt ausgemacht. Jeder Demagoge hat auf gleiche Weise etwas zu der Macht des Volks hinzuzuthun gesucht, bis endlich die Sachen zu der jetzigen Demokratie reif geworden sind: Dieser Erfolg aber scheint nicht im Plan des Solons gewesen, sondern durch Zufälle entstanden zu seyn. Die Siege nähmlich, die im Persischen Kriege zur See von den Atheniensern erfochten wurden, und die Herrschaft des Meeres, die sie dadurch erlangten, diese, da sie dem Volke grösstentheils als Uhrheber zuzuschreiben waren, gaben demselben zuerst den Stolz und das Selbstvertrauen, wodurch es sich in der Folge emporhob. Dazu kamen noch schlechtdenkende Demagogen, die das Volk anführten, wenn es mit den Edeln, im Streit war, und es aufmunterten, seine Ansprüche immer weiter zu treiben.Solon selbst scheint dem Volke eigentlich keine andre Macht gegeben zu haben, als die, welche es in jeder Verfassung haben sollte, nähmlich die obrigkeitlichen Personen zu wählen, und ihnen Rechenschaft abfordern zu können. Denn ist das Volk nicht im Besitz dieser beyden Rechte: so ist es ein Sklave, und gewiss auch zugleich der Feind seiner Obern. Die Magistratspersonen aber will er alle aus bekannten und wohlhabenden Familien genommen wissen, nähmlich aus den obersten drey Volksklassen, wovon die erste die der εν ist (d. h. derer, die fünfhundert Medimnos jährlich einernten), die zweyte, welche so viel Einkünfte hat, als dreyhundert Medimnen werth sind, die Ritterschaft heisst, die dritte, welche zweyhundert Medimnen einnimmt, durch den Nahmen Zeugiten bezeichnet wird. Die der vierten Klasse, wozu alle gehören, die weniger einnehmen, werden vom Solon als Tagelöhner und Söldner angesehen, und sind von allen Regierungsämtern ausgeschlossen.Ausser Solon und Lykurgus sind noch als Gesetzgeber Zaleukus und Charondas berühmt. Der erste ein Lokrier von denen, die am Vorgebirge Zephyrum in Unteritalien wohnen, hat seinem eigenen Vaterlande Gesetze gegeben; der zweyte aus Catanea in Sicilien gebürtig, —sowohl seinen Mitbürgern, als andern Chalcidischen Colonieen in Jtalien und Sicilien. Einige suchen aus verschiedenen Datis zu erweisen, das Onomakritus der erste gewesen sey, der als Gesetzgeber einen gewissen Nahmen erhalten habe. Er soll von Geburt ein Lokrier gewesen, in Creta aber gebildet worden seyn, wo er sich der Wahrsagerkunst wegen lange aufgehalten habe. Dessen Freund und Vertrauter, sagt man, sey Thales, Thaletis Schüler aber seyen Lykurgus und Zaleukus, so wie Charon das der Schüler des Zaleukus gewesen. Bey diesen Behauptungen aber ist die Zeitrechnung nicht sorgfältig genug zu Rathe gezogen worden.Nächst diesen ist noch ein Philolaus bekannt, aus Korinth gebürtig, aus dem Geschlecht der Backchiaden, der den Thebanern Gesetze gegeben hat. Er ist der Liebhaber des Diokles, des berühmten Olympischen Siegers, gewesen, und hat, da dieser der blutschänderischen Neigung seiner Mutter zu entweichen, sein Vaterland verliess, ihn nach Theben begleitet. Hier sind sie beyde gestorben. Noch zeigt man daselbst ihre Gräber, die so gelegen sind, dass man von dem einen Grabhügel den andern sehen kann, gegen das Korinthische Gebieth aber die Lage haben, dass von dem einen die Aussicht bis gegen Korinth reicht, von dem andern aber in die nähmliche Gegend verschränkt ist. Diese Lage der Gräber sey, sagt man, nach dem ausdrücklichen Willen der beyden Männer gewählt worden. Diokles habe, aus Abscheu gegen den Unfall, der ihn in Korinth betroffen, einen Ort zum Grabe haben wollen, von dem man nicht nach Korinth sehen könnte. Philolaus habe das Gegentheil verlangt. — Die Ursache also, welche beyde Männer bewog, ihre Wohnung in Theben aufzuschlagen, wurde auch die Veranlassung, dass Philolaus der Gesetzgeber der Thebaner wurde. Von ihm rühren, ausser mehrern andern, auch die Gesetze von der Annehmung an Kindesstatt her, welche die Thebaner νομξς ε nennen. — Die Verfügungen in denselben sind ihm ganz eigen, und haben zur Absicht, die Gleichheit und die Zahl der Erbgüter zu erhalten. — Charondas Gesetze haben nichts Eigenthümliches, ausgenommen die Criminal-Untersuchung, die er gegen falsche Zeugen verordnet. Er ist der erste, welcher auf dieses Verbrechen eine besondere Aufmerksamkeit gerichtet hat. Jn der genauen Bestimmung und dem deutlichen Ausdrucke seiner Verordnungen übertrifft er selbst unsre heutigen Gesetzgeber.Das Eigne in Philolaus Gesetzen ist die oben gedachte Methode zur Ausgleichung des Vermögens in den Familien.Plato ist der einzige, in dessen Gesetzen die Gemeinschaft der Weiber, Kinder und des Vermögens und die gemeinschaftlichen öffentlichen Mahlzeiten der Frauenzimmer vorkommen. Auch findet sich bey niemanden, als bey ihm, das Gesetz wegen der Trunkenheit, dass bey jedem Gastmahl einer zum Könige des Festes gewählt werden, und dass dieser nüchtern bleiben soll; ferner, dass in den militärischen Uibungen die jungen Leute gewöhnt werden sollen, ihre linke Hand, so wie ihre rechte zu brauchen.Drakon hat an der Staatsverfassung von Athen nichts geändert, sondern nur Gesetze für die Aufführung der Bürger und die Urtheissprüche der Richter gegeben. Diese seine Gesetze unterscheiden sich nicht durch neue ihm eigne Anordnungen, die eine besondre Auszeichnung verdienten, sondern nur durch die Strenge der Strafen.Auch Pittacus gab seinem Vaterlande Gesetze, ohne die Grundverfassung desselben umzubilden. Unter seinen Gesetzen ist eines neu: "dass diejenigen, welche in der Trunkenheit andre schlagen, doppelt soviel Strafe leiden sollen als die, welche es nüchtern thun." Ohne Zweifel sahe er darauf, dass weit mehr Misshandlungen von trunknen als von nüchternen Personen geschehen, und ohne also in Betrachtung zu ziehn, dass dem Trunknen seine Handlung weniger angerechnet werden kann, bestrafte er am härtesten, was dem gemeinen Wesen am schädlichsten wird.Noch muss ich des Androdamas aus Rhegium gedenken, der für die Stadt Chalcis in Thracien ein Gesetzbuch verfasst hat. Aus demselben sind die Gesetze, welche Mordthaten, und die, welche die Erbtöchter betreffen, am bekanntesten. Keines seiner Gesetze aber zeichnet sich durch etwas ganz Eigenthümliches aus.Diess wären demnach die Untersuchungen, welche ich über die vornehmsten, entweder irgendwo wirklich bestehenden, oder von Philosophen in Schriften entworfnen Staatsverfassungen, anstellen zu müssen glaubte.Drittes Buch

Drittes Buch. Erstes Kapitel.



Was das Wort Bürger eigentlich bedeute.

Wer über die Staatsverfassungen Untersuchungen anstellen will, wie vielerley es derselben gibt, wodurch jede sich unterscheidet, und welchen Werth sie hat: der muss vor allen Dingen wissen, was eigentlich Staat heisse; oder wo in jeder Nazion, in jeder Stadt, das was man den Staat nennt, seinen Sitz habe. Denn darüber sind die Meinungen oft getheilt. Wenn z. B. jemand sagt, das hat dieser oder jener Staat gethan, so spricht ein andrer, nicht der Staat, sondern die Oligarchen oder der Despot hat es gethan. — Dieser Begriff Staat muss also nothwendig erst fixirt werden, da alle Geschäfte des Regenten und des Gesetzgebers mit dem, was unter jenem Worte verstanden wird, zu thun haben.So viel ist vorläufig gewiss, dass ein Staat eine gewisse Ordnung und Verbindung mehrerer neben einander wohnenden Menschen bedeutet. Er gehört also unter die zusammengesetzten Gegenstände: er ist zwar Ein Ganzes, aber ein solches, das aus mehrern Theilen besteht, und kann nur durch die Erforschung dieser seiner Theile erkannt werden. Jst der Staat eine Gesellschaft vieler Bürger: so wird man zuerst untersuchen müssen, wer ein Bürger sey, und mit Recht so genennt werden könne.Auch darüber finden Zweifel und verschiedne Meinungen Statt. Nicht alle stimmen überein, einer und derselben Person den Titel eines Bürgers zuzugestehn. Jemand z. B. der in einer Demokratie Bürger ist, würde es in einer Oligarchie nicht seyn. Zu geschweigen, dass zuweilen ein Staat diesen Nahmen ganz fremden Personen beylegt, um sie zu ehren, ohne dass sie deswegen dem Staate incorporiret werden. ,So viel ist deutlich: jemand wird dadurch nicht Bürger einer Stadt, dass er in derselben wohnt. Denn auch die Sklaven und Fremde wohnen darin, und sind nicht Bürger. Auch sind nicht alle diejenigen Bürger Eines Staats, die sich mit einander vereinigt haben, gewisse gegenseitige Gerechtsame, und einen gemeinschaftlichen Richter anzuerkennen. Denn auch durch Verträge verbündete Völkerschaften können in diesem Verhältniss gegen einander stehn.An vielen Orten sind die Fremden, welche in dem Staate wohnen, nicht einmahl in dieser Verbindung mit dem gemeinen ! Wesen. Sie löhnen nicht selbst vor Gericht erscheinen, oder ihre Sachen betreiben: sondern sie müssen unter den Bürgern einen Patron haben, der ihre Stelle verteilt. Sie haben also nur auf eine unvollkommene Weise an jenen Vortheilen, unter gemeinsamen Richtern zu stehn, Antheil. Eben so die Bürgerkinder, die noch nicht in die Bürger-Rollen eingeschrieben sind, und Greise, die schon von allen Staatspflichten entlassen sind, sind ohne Zweifel in gewisser Absicht Bürger zu nennen: aber der Nahme kömmt ihnen doch nicht im vollkommensten Sinne, sondern nur insofern zu, als man etwas hinzusetzt, welches anzeigt, dass jene noch erst das Recht bekommen sollen, diesen Titel zu führen, die ihm nicht mehr ganz Gnüge thun können. Wir suchen aber hier das Jdeal eines Bürgers auf: wir wollen den Mann wissen, dem dieser Nahme absolut und ohne alle Einschränkung zukömmt. Also müssen wir auch die Landesverwiesenen, oder zur Strafe degradirten Bürger hier bey Seite setzen: von welchen beyden man die Frage, "ob und in wie fern sie noch Bürger sind" eben so wie von Kindern und Greisen aufwerfen und eben so beantworten kann.Den Begriff des Bürgers im absoluten und eigentlichen Verstande, kann man durch keine Merkmahle so genau bezeichnen, als dadurch, dass ihm die beyden Rechte zukommen, an dem Urtheilssprechen in Processen, und an der Verwaltung von Regierungsämtern Theil zu nehmen.Unter den Letztern werden einige nur auf eine Zeitlang conferirt; —so, dass sie entweder gar nicht zwey Mahl in die Hände derselben Person kommen: oder doch erst nach Verlauf einer bestimmten Zeit ihr wieder anvertraut werden dürfen. Andre hingegen, wie das Amt eines Richters, und das eines stimmenden Gliedes in der Volksversammlung, werden von jedem Bürger zu unbestimmten Zeiten, aber sein ganzes Leben hindurch, verwaltet.Man wird vielleicht einwenden, dass weder der Richter, noch das Mitglied der Volksversammlung obrigkeitliche Personen sind, und dass niemand um desswillen, weil er diese beyden Rechte ausübt, dafür angesehen wird, als wenn er Aemter in der Regierung begleitete.Aber ist es nicht im Grunde lächerlich, denjenigen, welchen in der That die Entscheidung der wichtigsten Angelegenheiten zusteht, den Nahmen obrigkeitlicher Personen verweigern zu wollen?Doch das würde am Ende nur ein Wortstreit seyn. Es kömmt nichts darauf an, wie man die Geschäfte des Richters und des Ecclesiastes benennen will. Jm gemeinen Sprachgebrauch fehlt allerdings ein gemeinschaftliches Wort, womit man diese beyden Arten der öffentlichen Autorität bezeichne. Jch will sie unterdessen, um sie zu unterscheiden, Regierungs-Aemter ertheilt auf Lebenslang, verwaltet zu unbestimmten Zeiten nennen. — Denjenigen also nehme ich für einen Bürger an, welcher an diesen beyden Sachen Theil hat: und ich glaube, dass diese Definition auf die meisten derjenigen passen wird, welche man gemeiniglich Bürger nennt.Jch kann aber hier nicht unbemerkt lassen, dass bey Materien, wo die unter einen gemeinschaftlichen Nahmen zusammengefasste Sachen doch der Art nach unterschieden sind, so, dass eine derselben als die erste und das Muster der übrigen, die andre nur als die zweyte, und so die folgenden als noch weiter von jenem Modell entfernt angesehen werden müssen: sich oft entweder gar keine oder sehr schwer die gemeinsamen Merkmahle finden lassen, in welchen alle diese Sachen übereinkämen. Nun so ist es wirklich mit der Staatsverfassung beschaffen. Es ist bekannt, dass eine von der andern der Art nach unterschieden ist, dass es unter ihnen einige gibt, die als die ersten und vorzüglichsten anzusehen sind, andre die diesen nachstehen. Nähmlich diejenigen, welche des Hauptendzwecks der bürgerlichen Vereinigung in etwas verfehlen, und von dem Plan, der im Ganzen sichtbar ist, abweichen, müssen nothwendig denen nachstehen, welche diese Mängel nicht haben.Mit der Staatsverfassung ändert sich auch das, was man zu dem Wesentlichen eines Bürgers erfordert. Die Definition, welche ich von demselben gegeben habe, kömmt ihm am vollkommensten und genauesten in der Demokratie zu. Jn andern Regierungsformen sind diese Merkmahle zwar mögliche aber nicht nothwendige Prädikate jedes Bürgers. Jn einigen Verfassungen gibt es kein eigentlich so genanntes Volk; man weiss darin nichts von einer Volksversammlung, sondern nur von einem engern Ausschuss, oder einem Collegio erwählter Personen, welches die Stelle der Volksversammlung vertritt; das Richter-Amt in Civil- und Criminal-Processen ist unter verschiedene einmahl für allemahl bestimmte Tribunale vertheilt; — wie z, B. in Lacedämon, wo Rechtshändel, über das Mein und Dein, und über Contracte, von dem einen und dem andern der Ephoren, nach Beschaffenheit der Gegenstände, abgeurtheilt, Klagen über Mord und Gewaltthätigkeit vor den Senat gebracht, noch andre Rechtssachen von andern Magistratspersonen entschieden werden. Eben so ist es in Karthago. Uiber alle Rechtshändel wird hier von gewissen obrigkeitlichen Personen, die dazu auf immer bestimmt sind, erkannt.Hieraus ergibt sich eine Abänderung von unserer Definition vom Bürger, wodurch sie auch auf die zuletzt gedachten Staatsverfassungen anwendbar wird. Jch sagte, der Richter und das Mitglied der Volksversammlung sey eine Art von obrigkeitlicher Person, die ihr Amt auf immer habe, aber es gelegentlich zu unbestimmten Zeiten verwalte. Jn jenen Verfassungen aber ist auch dieses Amt bestimmt, der Zeit und den Personen nach. Nähmlich von allen, die hier Bürger heissen, wird das Berathschlagen (welches der Volksversammlung zukam), und das Urtheilssprechen, nur gewissen ausgewählten Personen aufgetragen, und zwar entweder denselben Personen über alle Gegenstände, oder einigen über diese, andern über andere. Denjenigen also, welcher das Recht hat, zu einem Mitgliede dieser berathschlagenden oder dieser Urtheilssprechenden Collegien mit ernannt zu werden, den nenne ich einen Bürger dieser Stadt.Und nun, eine Anzahl solcher mit einander vereinigter Bürger, hinlänglich gross, um einander wechselsweise ihre Privat- und den Staat seine öffentlichen Bedürfnisse darreichen zu können, nenne ich einen Staat oder ein gemeines Wesen.Diese Begriffe sind aus der Natur der Sache geschöpft. Nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch nimmt man das zum Merkmahle eines Bürgers an, dass er der Sohn von Aeltern sey, die beyde das Bürgerrecht besessen haben, im Gegensatz dessen, der entweder nur einen Vater oder nur eine Mutter von dieser Beschaffenheit gehabt hat. Andre gehen noch weiter im Geschlechtsregister hinauf, und verlangen, dass auch die Grossväter, entweder nur zwey derselben, oder drey, oder gar alle viere Bürger gewesen seyn sollen. Bey dieser populären und nur oberflächlichen Erklärung, fällt einem leicht der Zweifel ein, wodurch dann jener Grossvater oder Urgrossvater zum Bürger geworden sey. Gorgias aus Leontium empfand diese Schwierigkeit, oder er wollte auch vielleicht nur jene Definition lächerlich machen, indem er sagte: Was von einem Schuhmacher verfertigt werde, sey ein Schuh: und so sey ein Bürger von Larissa, wer auf der Werkstatt eines Larissaermachers fabricirt werde; es gebe aber Meister, die diese Waare verfertigten.Die Wahrheit zu sagen, jene Definition zeigt von der geringen Einsicht ihrer Urheber. Kamen den Personen, die von ihnen für Bürger erkannt werden, die Vorrechte zu, welche ich als Merkmahle des Bürgers angegeben habe: so waren sie Bürger, sie mochten abstammen, von wem sie wollten. — Und wie hätten denn die ersten, die eine Stadt baueten, oder ein gemeines Wesen stifteten, Bürger seyn können, wenn es unumgänglich nothwendig wäre, von Bürgern abzustammen, um selbst einer zu seyn? — Noch vielleicht grössre Schwierigkeiten würde es kosten, diejenigen unter diese Definition zu bringen, die nach einer Staats-Revolution das Bürgerrecht bekommen. Eine solche Veränderung machte Klisthenes, nachdem die Tyrannen verjagt worden waren. Er nahm nähmlich damahls viele aus dem Sklavenstande und Fremde die in Athen wohnten, in die Bürgerzunft auf.Was bey solchen neu gemachten Bürgern zweifelhaft seyn kann, ist nicht, ob sie Bürger sind, sondern nur, ob sie es mit Recht oder Unrecht sind. Wiewohl hinwiederum eine zweyte Frage ausgeworfen werden könnte: ob nicht der, welcher nicht rechtmässiger Weise Bürger ist, so gut als gar kein Bürger sey; — insofern im Moralischen das Unrechtmässige für soviel gilt, als das Falsche, das Unächte.Unterdessen sehen wir doch, dass wir nicht aufhören, diejenigen Personen Obrigkeiten zu nennen, die ihr obrigkeitliches Amt auf eine unrechtmässige Weise verwalten. Das Unterscheidende eines Bürgers aber liegt in einem gewissen Amte, das er verwaltet: er ist, wie ich gesagt habe, nur insofern Bürger, als er an diesen und jenen obrigkeitlichen Geschäften Antheil nimmt. Es ist also klar, dass jene neu aufgenommen, auch ohne Rücksicht auf die Gerechtigkeit der Verkehre, durch welche sie Bürger geworden sind, doch diesen Nahmen verdienen, so lange sie in der wirklichen Ausübung der damit verbundnen Functionen sind.Die andre Frage, ob jemand mit Recht oder Unrecht Bürger ist, kommt einigermassen mit derjenigen, der ich im Anfange dieses Kapitels erwähnte, überein: wenn man nähmlich wissen will: in welchem Falle man eigentlich ein gewisses Unternehmen, dem Staate als Corpori zuschreiben dürfe. Ob z. B. noch derselbe Staat vorhanden sey, wenn in derselben Gesellschaft von Menschen die Regierung aus der oligarchischen oder despotischen, demokratisch geworden ist. Einige glauben, dass, nach einer solchen Veränderung, ein fremder Staat nicht verbunden sey, die Verträge zu halten, die er vor derselben eingegangen: denn er habe diese Verträge mit dem Despoten, nicht mit der Republik geschlossen. Dieses Räsonnement würde von allen Staaten gelten, deren Verfassung, wie es bey so vielen der Fall ist, nicht durch Einsicht des Bessten von der ganzen Communität gewählt worden, sondern durch Uibermacht und Sieg einer Partey entstanden ist. — Es kann nicht richtig seyn, weil es zu viel beweisen würde. Wollte man sagen, nur in einer demokratischen Verfassung sey das, was von der Regierung gethan wird, dem ganzen Staate zuzuschreiben? Aber die demokratische Verfassung kann ebenfalls auf jene gewaltthätige Art entstanden seyn. Jst also bey ihr der Actus des regierenden Theils als Actus des Staats anzusehen: so ist der nähmliche Fall bey der Oligarchie und der Regierung eines Despoten: so lange diese Regierungsform wirklich besteht.

Zweytes Kapitel.



Was ist die Jdentität eines Staates? worauf beruht sie?

Mit der jetzt angestellten Untersuchung ist eine andre Frage verwandt: "wenn und aus welchen Gründen man von einer Stadt (d. h. einem städtischen gemeinen Wesen) sagen kann, dass sie noch dieselbe, oder dass sie nicht mehr dieselbe sey." Die leichteste und oberflächlichste Art, diese Frage zu beantworten, ist, wenn man sagt: "das gemeine Wesen einer Stadt ist dasselbe, wenn die Menschen, welche es ausmachen, dieselben sind, und wenn sie an demselben Orte beysammen wohnen bleiben." Was den letztern betrifft: so ist es sehr wohl denkbar, dass Menschen sich an verschiedne Oerter zerstreuen, und doch zu derselben Stadt gehören können. Auf der andern Seite können Menschen auf derselben Fläche Landes neben einander wohnen, und können doch nicht wohl als ein städtisches Gemeinwesen angesehen werden. Auch die Mauren, die man um diese Fläche zöge, würden es nicht ausmachen. Der Peloponnes könnte ummauert werden: aber er würde desswegen doch nicht Eine Stadt, sondern ein Jnbegriff verschiedener Völkerschaften seyn. Vielleicht war Babylon eine Stadt in diesem Verstande (von der man sagt, dass da sie vom Cyrus eingenommen worden war, am dritten Tage noch einige Quartiere derselben nichts von der Einnahme wussten), und vielleicht ist es jede Stadt von so ungeheurem Umfange, dass sie mehr eine Nazion als ein einzelnes gemeines Wesen in sich schliesst. — Doch diese Fragen, ob Menschen, die getrennt von einander wohnen, oder ob Menschen, die neben einander über einen gewissen massigen Umfang hinaus wohnen, eine und dieselbe Stadt ausmachen können, sind an und für sich weder sehr erheblich, noch sehr schwer zu beantworten. Es kömmt hiebey auf den Begriff Stadt an, der im gemeinen Sprachgebrauch im mannigfaltigen Sinne, bald von den Gebäuden bald von den Menschen gebraucht wird. Jn einer andern Rücksicht gehört diese Untersuchung nicht hieher, wiewohl sie in die Staatswissenschaft überhaupt gehört: — in sofern nähmlich der Politikus wissen muss, bis zu welcher Grösse es nützlich sey, den Umfang einer Stadt anwachsen zu lassen, und ob es besser sey, nur Eine Völkerschaft, einen Stamm, oder mehrere in derselben zu vereinigen.Aber die andre Frage gehört mehr hieher, ob, vorausgesetzt, dass dieselben Menschen an demselben Orte wohnen bleiben, das gemeine Wesen so lange als das nähmliche anzusehn ist, so lange sich das Geschlecht der ersten Anbauer durch die Fortpflanzung erhält, ohnerachtet von den Jndividuis immer nach und nach die einen abgehn, und andre an ihre Stelle treten (ungefähr so wie wir einen Fluss oder eine Quelle immer als dieselben betrachten, obgleich das Wasser was jetzt in denselben fliesst, hinweg läuft, und wieder von anderm zuströmenden ersetzt wird); oder ob diese Ursache, um welcher willen wir eine Nazion, ein Menschengeschlecht immer für dasselbe erkennen, doch nicht hinlänglich sey, um das gemeine Wesen oder die Stadt in diesem Verstande als Eins und dasselbe anzusehen.So viel ist gewiss, wenn wir unter dem Worte Stadt oder Gemeines Wesen, die Verbindung der neben einander wohnenden Menschen, durch einen gewissen gesellschaftlichen Vertrag, verstehen: so ist klar, dass, wenn die Art dieser Verbindung abgeändert wird, auch das gemeine Wesen nicht mehr dasselbe sey, und da diess die Staatsverfassung heisst, mit Umwechselung derselben auch das gemeine Wesen ein anders wird: Ungefähr so wie der Chor auf unsern Schaubühnen aus denselben Personen bestehen kann, und doch für ein anderes Chor gehalten wird, wenn er das einemahl tragische Gesänge und Tänze, das andremahl komische aufführt. Jedes andre zusammengesetzte Ding, dessen Natur und Wesen in der Verbindung vieler Theile besteht, ändert seinen Nahmen, und verliert seine Jdentität, wenn die Zusammensetzungsart dieser Theile gänzlich verändert wird. Dieselben Töne in eine andre und wieder andre Folge und Verbindung gebracht, heissen das einemahl die Dorische, das andremahl die Phrygische Modulation.Hieraus ist also klar, dass, um von der Jdentität eines Staats (eines gemeinen Wesen) zu urtheilen, ob es noch das alte, oder ein neues entstanden sey, hauptsächlich auf die Constitution desselben gesehen werden müsse. Der Staat kann noch der nähmliche seyn, als vor 50 Jahren, wenn gleich jetzt ganz andre Menschen in dem Gebieth desselben wohnen: und er kann ganz ein anderer werden, indess die Einwohner unverändert bleiben. Ob aber in einem solchen Falle die vor der Veränderung geschehenen öffentlichen Verhandlungen und Verträge auch nach derselben ihre Giltigkeit behalten oder nicht: davon muss an einem andern Orte gehandelt werden.

Drittes Kapitel.



Ob die Tugend des Bürgers und die des Menschen einerley sey?

Mit den bisher abgehandelten Materien hängt eine andre Untersuchung zusammen: die, ob die Tugend des rechtschaffenen Mannes, und die Tugend des guten Bürgers für eine und dieselbe Tugend zu halten sey, oder ob sie verschieden sind? Um uns den Weg dahin zu bahnen, müssen wir erst von der Bürgertugend einige bestimmtere Begriffe festzustellen suchen.Der Bürger ist im Staat, wie der Seefahrende im Schiffe, ein Glied einer zu einem gewissen Zwecke vereinigten Gesellschaft. Die, welche auf einem Schiffe mit einander zur See gehen, haben zwar verschiedene Functionen, und nach denselben auch verschiedne Nahmen: der eine ist Bootsknecht, der andre Schiffskapitän, der dritte Steuermann. Jeder hat in dieser ihm eignen Qualität auch eine besondre Tugend; d. h. es sind jedem gewisse besondre Eigenschaften nöthig, um das vollkommen zu seyn, was er seyn soll. Aber es gibt auch Eigenschaften, die sie alle gemeinschaftlich haben müssen, in sofern sie alle an einem gemeinsamen Endzwecke arbeiten, nähmlich an einer sichern und glücklichen Fahrt, wornach der Steuermann sowohl als der Matrose verlangt. Diese Eigenschaften in ihrer Vollkommenheit nun werden die Tugend der Seeleute ausmachen.Auf gleiche Weise haben die Bürger eines Staats, obschon ungleich unter sich in Rang und Verrichtungen, doch Einen Zweck, woran sie arbeiten, nähmlich die Erhaltung der unter ihnen errichteten Verbindung. Diese Verbindung und die Bedingungen derselben machen die Staatsverfassung aus. Die Tugend des Bürgers also, welche nichts anders als der Jnbegriff der zu jenem Endzwecke erforderlichen Eigenschaften ist, ist nur eine relative Tugend, sich beziehend auf die Verbindung desselben mit andern zu einer bürgerlichen Gesellschaft, und auf die Art dieser Verbindung oder die Constitution. Da es nun mehr als Eine Gattung von Staatsverfassung gibt: so kann die Tugend des guten Bürgers nicht unter allen Umständen eine und dieselbe, sie kann also nicht eine absolute und vollkommne Tugend seyn. — Diejenige Tugend aber, um deren willen wir einen Menschen, einen biedern Mann, einen vortrefflichen Menschen nennen, ist etwas Absolutes und Vollständiges, denn sie ist der Jnbegriff solcher Eigenschaften, die an sich, und ohne Beziehung auf etwas anders Vollkommenheiten sind. Es ist demnach möglich, dass jemand ein guter Bürger sey, und doch derjenigen Tugend ermangele, welche den vortrefflichen Menschen macht.Auch noch von einem andern Gesichtspuncte kann man ausgehen, um zu untersuchen, in wiefern zur besten Verfassung des gemeinen Wesens die Tugend des einzelnen Bürgers nothwendig sey.Es ist nicht zu denken, dass ein ganzer Staat aus lauter vortrefflichen Menschen bestehe. Aber als Bürger müssen doch alle gut seyn, und ihr Werk, wie es sich gehört, verrichten, wenn der Staat blühen soll. Diess kann nur von einer Art der Tugend herkommen, die jeder besitzt. Da nun unmöglich alle Bürger, auch in den vortrefflichsten Staaten, an Vorzügen des Verstandes und Herzens einander gleich seyn können; alle aber die Bürgertugend haben müssen, wenn der Staat in guter Verfassung seyn soll: so muss Bürgertugend, und Menschentugend von einander verschieden seyn.Noch eins: Der Staat, wie so viele Werke der Natur, muss aus einem edlern und einem unedleren Theile bestehen, So besteht das Thier aus Körper und Geist, die Seele enthält Verstand und Sinnlichkeit in sich. Mann und Frau, Herr und Knecht sind nothwendig, um eine Familie auszumachen. Ein Staat begreift alle diese Dinge und noch mehrere ungleichartige unter sich. Wie wäre es also wohl möglich, dass er von allen seinen Bürgern eben dieselben Eigenschaften, und also eine gleiche Tugend fordern könnte? Diess ist eben so wenig möglich, als man im Ballet vom Solotänzer und vom Figuranten gleiche Geschicklichkeiten im Tanzen fordern darf.So viel erhellet aus allem diesen mit Gewissheit, dass im Allgemeinen die Tugend des Bürgers und die des Menschen nicht einerley ist.Aber daraus folgt nicht, dass es nicht gewisse Bürger gebe, bey denen die Erfüllung ihrer Bürgerpflicht alle diejenigen Vollkommenheiten des Charakters voraussetze, die wir die menschliche Tugend nennen. Vielleicht gehören die, welche den Staat regieren, zu solchen Bürgern. Niemand kann ein guter Regent eines Staats seyn, wenn er nicht ein Weiser und ein rechtschaffener Mann ist. Auch der, welcher dem Staate als Rathgeber oder in irgend einem Zweige öffentlicher Geschäfte dienen will, muss Klugheit und Einsicht haben.Damit stimmt die Meinung derjenigen überein, welche den, der zum Regieren und zu obrigkeitlichen Aemtern bestimmt ist, auch auf eine eigne Art erzogen wissen wollen. — Jn den ältesten Zeiten schon sehen wir, dass die Söhne der Könige, sorgfältiger als die Söhne der übrigen, im Reuten und in kriegerischen Uibungen unterrichtet wurden. Und Euripides sagt zu einem solchen Lehrer:"Nicht in gefallenden Künsten, in Tugenden nützlich dem Staat, in diesen sollst du mich üben." und er scheint dadurch ebenfalls anzuzeigen, dass der zum Regieren Bestimmte eine eigne Art der Bildung haben müsse,Wenn demnach die Eigenschaften, welche die Regententugend ausmachen, eben dieselben sind, welche wir als absolute Vollkommenheiten der menschlichen Natur ansehn, und Menschentugend nennen, wenn hingegen Bürger auch derjenige seyn kann, welcher bloss regiert wird, und also die Regententugenden nicht bedarf: so folgt, dass, im Allgemeinen betrachtet, Bürger- und Menschentugend nicht einerley ist, obwohl bey einer gewissen Klasse der Bürger, und in gewissen Regierungsformen die letztre nöthig seyn kann, um die Pflichten der ersten zu erfüllen. Dieser Unterschied der Qualitäten, die zum Regieren und zum Gehorchen gehören, kann machen, dass der, welcher die ersten in einem hohen Grade hat, wie Jason sagte, nach der obersten Gewalt hungert und durstet, weil er nähmlich nicht versteht als eine Privatperson zu leben.Hier begegnet uns aber eine neue Schwierigkeit. Es wird so oft als ein grosses Verdienst gelobt, — eben sowohl befehlen als gehorchen zu können: und es wird insbesondere als das Verdienst eines echten Bürgers angesehen, beydes zu verstehen, als Obrigkeit und als Untergebener seine Rolle gleich gut zu spielen.Wenn wir nun die Regententugend, und die Tugend, welche den vorzüglichen Menschen macht, für einerley annehmen; die Bürgertugend aber beydes in sich begreifen soll, regieren und regiert werden zu können: so würde folgen (da die Regententugend die höhere ist), dass es nicht so lobenswürdig sey, beydes, als nur eines hiervon zu wissen.Um das gehörig zu beurtheilen, in welchem Falle der, welcher andern befiehlt, und der, welcher dessen Befehle ausrichtet, einerley wissen, einerley Geschicklichkeit haben müsse, und in welchem Falle jeder von ihnen andre Kenntnisse und Tugenden branche; — und in wiefern also der wahrhaft gute Bürger an beydem Theil haben müsse: — diess zu beurtheilen, muss man auf folgendes Acht geben:Es gibt eine Gattung der Herrschaft, derjenigen gleich, welche der Hausherr über seine Sklaven führt: vermöge welcher er sie nähmlich zu den gemeinen aber nothwendigen Diensten des Lebens braucht: Bey dieser ist es nicht nothwendig, dass der Herr dasjenige zu machen verstehe, was der Untergebne thun soll. Es ist genug, wenn er versteht die Arbeitsamkeit desselben zweckmässig anzuwenden. Ja grade umgekehrt, es würde dem Herrn unanständig und erniedrigend für ihn seyn, wenn er jenes wüsste, ich meine, wenn er seinem Sklaven in der Geschicklichkeit gut bedienen zu können gleich käme.Nun gibt es aber, wie ich gesagt habe, mehrere Arten Sklaven, oder in einem sklavischen Zustande lebender Menschen: weil es nähmlich verschiedene Arten der Verrichtungen gibt, die alle gleich niedrig und knechtisch sind. Eine Klasse davon machen die Handwerker aus. Diess sind, wie es schon ihr Nahmen anzeigt, die von der Anwendung ihrer Hände mehr als ihres Kopfes leben. — Unter diese gehören auch die mechanischen Künste, die die Griechen β nennen. Weil allen diesen etwas Sklavischen anzukleben scheint: sind vor Alters in vielen Republiken, diejenigen, welche eine solche Nahrung treiben, von allen öffentlichen Aemtern ausgeschlossen gewesen: diess geschah nähmlich so lange, als noch kein eigentliches gemeines Volk, kein Pöbel, der doch Bürgerrecht gehabt hätte, in den Städten vorhanden war.Die Verrichtungen deren also, welche in dieser Gattung der Herrschaft der gehorchende Theil sind, braucht der, welchem wir als Mann oder als Bürger Tugend oder Vollkommenheit zuschreiben, nicht zu verstehen, es sey dann, dass er diess bloss seiner eignen Unterhaltung und seines Nutzens wegen wolle. Denn da er niemahls in den Fall kommen kann, Sklave oder sklavisch arbeitender Handwerker seyn zu müssen, so wenig dieser in den Fall kommen kann, ihm als Herr zu befehlen: so hat er auch nicht nöthig, die für diese Lage nöthige Eigenschaften sich zu erwerben.Nun gibt es aber noch eine andre Art von Herrschaft, die, welche ein Freyer über andre Freye führt, die, wo Regierende und Gehorchende, von gleicher Geburt, von gleicher Natur und Bestimmung sind; und wo die den erstern aufgetragene Herrschaft nur die Zusammenstimmung der Vielen zu Einem Endzwecke erleichtern soll. Diess ist die eigentliche politische Regierung; es ist diejenige, welche der Regierende erst dadurch lernen muss, indem er zuvor regiert worden ist und gehorcht hat. Von dieser Art sind die Commandostellen in der Armee. Wer Reuterey anführen soll, muss zuvor als Reuter unter Anführung eines andern gedient haben. Der General, der Oberste, der Hauptmann, lernen erst ihre Befehlshaberstellen gehörig begleiten, indem sie vorher andern Generalen, Obersten, Hauptleuten, unterworfen gewesen sind. Und in Beziehung auf diese Art der Obern ist es richtig, dass niemand gut befehlen kann, als der zuvor gehorchen gelernt hat. 'Diess hindert demohnerachtet nicht, dass, obgleich der recht vollkommne Bürger beydes wissen soll, die Regierung führen, und sich von der Regierung brauchen lassen, obgleich auch der vorzügliche Mensch zu beyden aufgelegt seyn soll: doch die Tugend, welche zu dem ersten erfordert wird, noch etwas Verschiednes sey von der Tugend, welche man in letzterm Falle ausübt. Es gibt nähmlich von den menschlichen Tugenden, die mit denselben Nahmen belegt werden, von Gerechtigkeit, Mässigung u. s. w. mehrere Arten. Diess zeigt sich an dem Beyspiele der beyden Geschlechter. Mässigung und Muth sind Tugend für den Mann und die Frau. Aber die männliche Mässigung und der männliche Muth sind von ganz anderer Art; als die weiblichen Tugenden gleichen Nahmens. Ein Mann würde noch feige scheinen; wenn er nicht mehr Muth hätte, als von einem tapfern Frauenzimmer gefordert wird; und eine Frau würde noch vorlaut und geschwätzig scheinen, wenn sie nur eben so zurückhaltend wäre, als es der Mann seyn muss. So sind auch die öconomischen Tugenden des Mannes und der Frau verschieden. Der Mann muss diejenigen haben, die zum Erwerben, die Frau diejenigen, B welche zum Aufbewahren und Erhalten gehören.Die drey genannten Tugenden Mässigung, Gerechtigkeit und Muth müssen, ob wohl in verschiednem Maasse und Art, dem regierenden und dem regierten Theile gemein seyn. Aber die Klugheit, die Einsicht ist die dem regierenden ganz allein eigene Tugend. Der, welcher regiert wird, darf nicht die eigne vollständige Erkenntniss der Sache haben, zu welcher er mitwirkt; er darf nur durch beygebrachte richtige Meinungen in dem Theile, der ihm aufgetragen ist, aufgeklärt werden. Er verhält sich zum Regierenden, wie der Verfertiger der Flöte zu dem Flötenspieler. Der letzte ist es, welcher das Jnstrument braucht, welcher also Zweck und Vollkommenheit desselben durch eigne Erfahrung kennt: der erste muss nur die Anweisung des Musici annehmen, und vollziehn.Ob demnach die Tugend des guten Bürgers, und die des vollkommenen Menschen einerley, oder verschieden von ihr sey; und in wiefern, mit welchen Einschränkungen man das eine oder das andre bejahen müsse, wird sich aus dem bisher Gesagten mit hinlänglicher Deutlichkeit ergeben.Uiber den Begriff des Bürgers ist aber noch eine Frage übrig, welche mit der vorhergehenden Abhandlung zusammen hängt: ob nur der für einen wahren Bürger im eigentlichen Verstande gelten könne, der mit an der Regierung Theil hat, oder ob auch die gemeinen, obgleich freygebohrnen Handwerker, deren Körper durch ihre Handthierung verunstaltet, und deren Seele eben desshalb nicht cultivirt wird, für Bürger zu achten sind. Jst das letztere: so würde es möglich seyn, jenen Begriff von Tugend auf alle Bürger auszudehnen. Nähme man das erstre an, und schlösse alle diese von (e der Bürgerzahl aus: — wohin sollte man sie rechnen? Reisende sind sie nicht, die sich nur als Gäste aufhielten: Fremdlinge, die nur bloss unter fremden Schutz sich begeben hätten, auch nicht. Oder sagt man, dass diess nichts für ihr Bürgerrecht beweise: auch die Sklaven, auch die Freygelassenen, wären Einwohner der Stadt, nicht Gäste, nicht Schutzverwandte; aber doch nicht Bürger? Soviel ist unstreitig, dass nicht alle diejenigen für Bürger zu halten sind, ohne welche die bürgerliche Gesellschaft nicht seyn und bestehn kann. Auch selbst die Bürger-Kinder, obgleich unter keine der obigen Rubriken zu bringen, sind doch nicht so ächte und so vollständige Bürger als ihre Väter.Diesen Begriffen war auch in den ältern Zeiten die Unterordnung der Stände gemäss. Die ganze Klasse der von grober Handarbeit sich nährenden, so wie die Fremdlinge wurden zum Sklavenstande gerechnet. Und noch jetzt sind viele aus beyden Klassen wirklich Leibeigne. Auch wird in der That der Staat, welcher am bessten eingerichtet ist, dem niedrigen Handwerker nicht das volle Bürgerrecht zugestehn.Wenn man aber alle diese für Bürger annehmen will: so wird man alsdann den Begriff der Bürgertugend ändern, oder sagen müssen, dass der, welchen wir gegeben haben, nicht auf alle Einwohner der Stadt, auch nicht auf alle Freygebohrnen, die den Nahmen Bürger führen, sondern nur auf diejenigen passe, die sich nicht durch ihre Handarbeit ihr Brot erwerben dürfen. Von diesen letztern verrichten einige diese Handarbeiten nur zum Bessten eines einzigen: dieses sind die wahren eigentlichen Sklaven: andre dienen damit dem ganzen Publico; diese sind entweder Tagelöhner oder Handwerksmeister.Diese Darstellung der Sachen kann die Untersuchung derselben erleichtern. Nähmlich, da es mehrere Staatsverfassungen gibt: und nach denselben die verschiedenen Klassen der Einwohner bald mehr, bald weniger Rechte haben: so muss auch der Nahme Bürger Personen ganz verschiedner Art beygelegt werden; und diese Verschiedenheit in der Ausdehnung dieses Begriffs muss vorzüglich bey den untern Bürgerständen vorkommen. Jn der einen Verfassung werden Tagelöhner und Handwerker nothwendig zu Bürgern mitgezählt werden müssen; in einer andern wird es unzulässig seyn, ihnen diesen Titel zu geben. Diess letztere wird der Fall, z. B., in denjenigen Staaten seyn, die wahrhaft aristokratisch regiert seyn, und Aemter bloss nach persönlichen Eigenschaften, und nach innerer Würdigkeit der Personen austheilen wollen. Denn es ist unmöglich, dass Leute, die mit Tagelöhner- oder gemeiner Handwerksarbeit ihr Leben zubringen, sich jene Verdienste erwerben, oder die Tugenden, von welchen die Rede ist, cultiviren könnten. Jn oligarchisch regierten Staaten, können Tagelöhner nicht Bürger seyn, denn die Theilnehmung an öffentlichen Aemtern hängt hier von einer gewissen Grösse des Vermögens ab: Tagelöhner aber können sich niemahls viel Vermögen erwerben. Handwerker aber können in denselben Bürger werden: denn es gibt ihrer viele, die sich durch ihr Gewerbe bereichern.Jn Theben ist ein Gesetz, dass niemand, der nicht seit zehn Jahren aufgehört habe, Waaren auf dem Markte feilzubiethen, zu obrigkeitlichen Aemtern zugelassen werden könne.Jn vielen Städten suchen die Gesetze auch Fremde herbeyzuziehn, indem sie ihre Verbindung mit Bürgerstöchtern begünstigen. So wird in einigen Demokratien derjenige für Bürger angesehen, der nur eine Bürgerin zur Mutter hat, wenn auch der Vater ein Fremder gewesen.Jn Absicht der ehelichen und unehelichen Kinder sind die Gesetze ebenfalls ungleich. Da wo sich Mangel an ehelich erzeugten Bürgerkindern fand, nahmen sie, um die Volksmenge nicht zu sehr abnehmen zu lassen, auch die Bastarte zu Bürgern an. Wenn aber dieselben Staaten reicher an Menschen wurden, machten sie die Schranken stufenweis enger, und benahmen zuerst den Kindern die mit einer Sklavin oder einem Sklaven erzeugt worden waren, dann denen, welche nur von mütterlicher Seite von Bürger-Geschlechtern abstammten, das Bürgerrecht; bis sie zuletzt nur bloss die von einem Bürger mit einer Bürgerin ehelich erzeugten Kinder für Bürger gelten liessen.Das klare Resultat von allem diesem ist: es gibt mehrere Arten der Bürger: diejenigen sind es im vorzüglichen Verbande, die an den Ehren stellen der Republik Theil haben. Denn so sagt Homer: "wie den verachteten Flüchtling, ohne Würden und Rang" er sieht also als das Kennzeichen eines Flüchtlings, eines Fremden an, dass er an der Würde der Republik, wohin er seine Zuflucht genommen, keinen Theil hat.Wo dieses nicht durch ausdrückliche Gesetze deutlich bestimmt wird: da geschieht es, um einen Theil der Einwohner gleichsam zu hintergehn, und ihnen mit dem Titel eines Bürgers zu schmeicheln, ob ihnen gleich die wesentlichen Rechte desselben entzogen sind.Die im Anfange aufgeworfne Frage also: ob die Tugend, nach welcher man jemanden einen vorzüglichen Mann nennt, und die, nach welcher er ein guter Bürger heisst, eine und dieselbe, oder ob eine von der andern verschieden ist; diese Frage ist durch das bisherige so beantwortet worden: Es hängt diess von den Rechten ab, die in jedem Staate den Bürgern überhaupt eingeräumt, von den Pflichten, die von ihnen gefordert werden. Nach diesen gehören in dem einen Staate zu den Requisiten eines Bürgers alle Tugenden des Menschen; in andern nicht; aber auch im ersten Falle sind es nicht durchaus alle, welche den Nahmen eines Bürgers führen, von welchen diese Tugenden gefordert werden, sondern nur die, welche die vorzüglichsten Rechte eines Bürgers besitzen, welche an der Staatsverwaltung Theil nehmen, und die öffentlichen Angelegenheiten, es sey in Gesellschaft mit andern, entweder wirklich in Händen haben, oder in ihre Hände zu bekommen hoffen können.

Viertes Kapitel.



Einleitung in die Untersuchung der verschiednen Staatsformen. Zweck der Staatsverfassung.

Nach Endigung dieser Untersuchung ist nun zunächst die Frage zu beantworten: ob es nur Eine Form der Staatsverfassung gebe, oder mehrere; und wenn mehrere, wie viele derselben sind, wodurch sie sich von einander unterscheiden, und was jede Eigenthümliches habe.Die Staatsverfassung ist nichts anders, als die Regel, wornach die Verbindung der Menschen in einer bürgerlichen Gesellschaft angeordnet ist, besonders die Regel, welche die Rechte der verschiednen Regierungs-Aemter, und am meisten die Rechte der höchsten Obrigkeit bestimmt.Die Natur der Staatsverfassung hängt hauptsächlich davon ab, in wessen Händen die höchste Gewalt ist. Jst sie bey dem Volke, so heisst die Verfassung demokratisch. Jst jene Gewalt in einer gewissen Anzahl von Familien erblich: so ist der Staat eine Oligarchie. Hiervon ist die wahre republikanische Verfassung unterschieden, wo das Volk, aber ein edles und gutes Volk, gesetzmässig regiert. . Alle übrige Regierungsformen, die eigne Nahmen haben, erhalten sie auf gleiche Weise von dem im Staate herrschenden Theile.Vor allen Dingen muss ausgemacht seyn, erstlich, warum die Menschen zuerst sich zu einer bürgerlichen Gesellschaft vereiniget haben; zweyten, wie vielerley Arten der Herrschaft von Menschen über Menschen, oder von einem Gliede einer Gesellschaft über die übrigen Glieder, es gebe.Schon in den ersten Kapiteln, wo ich von der häuslichen häuslichen und herrschaftlichen Gesellschaft und deren Regierung handelte, habe ich gesagt: dass der Mensch ein von der Natur zum geselligen bürgerlichen Leben gebildetes Geschöpf ist. Und desshalb suchen die Menschen sich mit ihres Gleichen zu verbinden, auch wenn sie die Hülfe derselben nicht brauchen. Aber allerdings kömmt der gegenseitige Nutzen, den sie einander leisten können, hinzu, sie noch stärker an einander zu ziehn, in so fern jeder wünscht, das glücklichste und angenehmste Leben zu führen, welches ohne Mitwirkung vieler andern nicht möglich ist. Dieses also, das glückselige Leben, ist als der vornehmste und allgemeinste Zweck, warum bürgerliche Gesellschaften errichtet worden, anzusehn: ein Zweck, den sowohl jedes Jndividuum für sich, als die Gesellschaft im Ganzen erreichen soll.Doch treten Menschen auch bloss darum in Verbindung, um ihr Leben zu erhalten, ohne noch an Glückseligkeit zu denken. Vielleicht liegt aber schon im Leben selbst etwas von Glückseligkeit. Wenigsten sehen wir, dass die Menschen, wenn die Uibel, die sie im bürgerlichen Leben drücken, nicht überwiegend gross sind, zufrieden mit der blossen Existenz, in ihrem Zustande gerne beharren, und die Verfassung, unter der sie stehen, aufrecht erhalten. Ja bey dem grössten Theil der Menschen ist die Liebe zum Leben so gross, dass sie selbst mitten unter grossen Quaalen lieber aushalten, als dem Leben entsagen. Ohne Zweifel also, dass in dem blossen Gefühl des Daseyus für die Menschen eine Annehmlichkeit, ein gewisser Genuss liegt, den die Natur damit verbunden hat.Was zweytens den Hauptunterschied in der Natur der Regierungen anbetrifft, so ist derselbe nicht schwer anzugeben, da er auch in andern mehr populären Schriften oft vorgekommen ist. Die Herrschaft des Despoten, oder die über Leibeigne ist die eine Art der Regierung. Sie unterscheidet sich dadurch, dass, obgleich, in Facto, der von der Natur zum Gebiether und der von ihr zum Sklaven gebildete Mensch, beyde in diesem ihrem Verhältnisse gegen einander, ein gleiches Jnteresse finden, doch der Herr zum directen Zwecke seiner Beherrschung nur seinen eignen Nutzen hat, den Nutzen des Leibeignen aber nur per accidens daraus entsteht. Nähmlich die Erhaltung des Knechts ist nothwendig, wenn nicht die ganze Herrschaft mit allen davon abhängenden Vortheilen des Herrn ein Ende haben soll.Die zweyte Gattung ist die Herrschaft der Aeltern über die Kinder, des Mannes über die Frau, des Hausvaters über die sämmtlichen freyen Hausgenossen, — welche ich die Familien- oder häusliche Regierung nenne. Diese hat entweder bloss das Besste der Untergebnen, oder das gemeinschaftliche Besste beyder, des Obern und der Untern, zum Endzweck.Sie ist nähmlich den Künsten ähnlich, die auch eine gewisse Art der Herrschaft ausüben, z. B. der Arzneykunst und der Gymnastik. Beyde suchen ihrer Bestimmung nach und zunächt nicht den Nutzen des Arztes oder des gymnastischen Lehrmeisters, sondern den Nutzen der Kranken oder der Lehrlinge. Zufälliger Weise und unter besondern Umständen ist es aber sehr wohl möglich, dass sie dem Künstler selbst zum Vortheil dienen. Der Meister, der andern die gymnastischen Uibungen lehrt, kann zugleich selbst sich mit üben, so wie der Schiffscapitän immer mit einer von den Seefahrenden ist, welche durch die kluge Regierung seines Schiffes erhalten werden. Beyde, der gymnastische Lehrer und der Schiffscapitän, haben zunächst das Besste der ihnen Untergebnen zur Absicht. Wenn sie aber selbst mit diesen in gleichem Falle sind, oder sich freywillig zu ihnen gesellen: so können sie auch an den Vortheilen, welche sie diesen verschaffen, Theil nehmen. Der Schiffscapitän ist nothwendig zugleich Passagier; und der Fechtmeister kann zugleich einer der Mitfechtenden werden.Von dieser letzten Art soll nun auch die Herrschaft der Obrigkeit in einem Staate seyn. Um desswillen wird es auch in einem solchen Staate, wo alle Bürger sich als ursprünglich gleich oder doch einander ähnlich betrachten, verlangt, dass die obrigkeitlichen Stellen wechselsweise bald diesem bald jenem zu Theile werden. Anfangs geschahe diess aus der natürlichen Ursache, weil jeder, der eine Zeitlang ein obrigkeitliches Amt verwaltet, während derselben seine eignen Angelegenheiten versäumt, und nur für das Wohl Andrer gesorgt hatte, wünschte, nunmehro auch wieder sein eignes Jnteresse besorgen zu dürfen. Die Aemter waren bloss Dienste, dem Publico geleistet, die billiger Weise einer nach dem andern über sich nehmen musste.Jetzt ist die Sache anders. Um der Vortheile willen, die mit obrigkeitlichen Aemtern verbunden sind, und um der Gelegenheiten willen, die sie darbiethen, sich von den öffentlichen Einkünften zu bereichern, wollen alle gerne diese Regierungsstellen auf immer behalten. — Ohne Zweifel würde, wenn kränkliche Menschen zufälliger Weise so lange gesund wären, als sie die Regierung führten, die Begierde und das Streben darnach nicht weniger eifrig als jetzt seyn; obgleich Gesundheit des Regierenden gewiss nicht der Endzweck ist, wozu ihm die Herrschaft übergeben wird.Jch schliesse mit diesem Satz: Alle die Staatsverfassungen, bey welchen das allgemeine Besste des ganzen Staats Zweck der Regierung ist, sind, nach den wesentlichen Grundsätzen der Gerechtigkeit, gut und vollkommen. Alle die aber, bey welchen bloss auf das besondre Besste des regierenden Theils gesehen wird, sind fehlerhaft, und sind nur Ausartungen jener richtigen Staatsverfassungen. Denn in ihnen hat die Regierung gegen die Unterthanen das Verhältnis eines Herrn gegen Leibeigne. Ein Staat aber ist eine Gesellschaft freyer Leute,

Fünftes Kapitel.



Drey verschiedne Staatsformen; ihr Werth und ihre Ausartung,

Nachdem diese allgemeine Unterschiede in dem Wesen der Herrschaft auseinander gesetzt worden; kommen nun zunächst die besondern Gattungen der Staatsverfassungen, ihrer Zahl und ihren Eigenschaften nach, zu betrachten vor; und zwar zuerst die vollkommenen und regelmässigen. Denn die Abweichungen von der Regel, die fehlerhaften Verfassungen, welche Ausartungen der erstern sind, lassen sich alsdann sehr leicht finden.Da aber Staatsverfassung so viel als Regierungsform, und diese davon abhängt, wer in einem Staate die Souveräns-Rechte besitze: so werden sich hauptsächlich drey Arten der erstern deutlich unterscheiden lassen. Die oberste Macht des Staats ist nähmlich entweder in den Händen eines Einzigen, oder einiger Wenigen, oder des grössern Theils des Volks.Wenn dieser Einzige, oder die Wenigen, oder die Menge, ihre Regierung zu dem gemeinschaftlichen Bessten aller abzwecken lassen: so ist jede dieser Verfassungen nach unsrer obigen Erklärung und regelmässig, Jst es aber bloss das Besste dieses Einzigen, oder der Wenigen, oder des gemeinen Volks, worauf bey jeder derselben gesehen wird: so sind sie Ausartungen. Denn entweder muss man die übrigen, die an der Staatsverbindung, obgleich nicht an der obersten Macht, Theil haben, gar nicht Bürger nennen: oder ihr Vortheil gehört mit zu dem allgemeinen Bessten des Staats.Man pflegt aber bey derjenigen Alleinherrschaft eines Einzigen, die auf das Besste des ganzen Staats abzielt, den Monarchen König zu nennen. Jst die höchste Gewalt mit eben gedachter Einschränkung in den Händen mehrerer Personen, aber doch an sich nur weniger, so heisst die Verfassung eine Aristokratie, oder die Herrschaft der Bessten, es sey, weil in derselben nur die vorzüglichern Bürger zur Regierung gelangen, oder weil die, welche regieren, sich das Besste des Staats und aller, die zu demselben gehören, zur Absicht vorsetzen.Wenn endlich das Volk, und zwar auch zu der Absicht des gemeinen Bessten aller, die Regierung führt: so bekommt diese Verfassung im Griechischen den generischen Nahmen aller Staatsverfassungen π: im Teutschen können wir sie die achte republikanische Regierungsform heissen.Es ist aber, wie sich denken lässt, nur ein glücklicher Zufall, wenn die Regierung der Menge eine solche regelmässige Staatsverfassung ist. Denn dass ein Mensch, oder dass Wenige einige zu einem so hohen Grade von geistiger Vollkommenheit gelangen, als zum guten Regieren nöthig ist, lässt sich als möglich annehmen. Aber dass eine ganze Menge aus lauter vortrefflichen Männern und zwar in dem ganzen Umfange menschlicher Tugenden vortrefflich, bestehen sollte, ist sehr unwahrscheinlich. Am ersten lassen sich die kriegerischen Tugenden von ihr erwarten, denn diese entstehen da am leichtesten, wo viele beisammen sind, und sich einander wechselsweise Muth einflössen. Um desswillen ist auch in diesen republikanischen Verfassungen dieses das Merkmahl der an der Regierung Theil habenden Bürger, dass sie die Waffen in Händen haben, und für die übrigen zu Felde ziehn.Von diesen drey genannten Verfassungen gibt es nun eben so viel Ausartungen. Der Tyrann ist ein gesetzwidriger König. Die Oligarchie ist eine ausgeartete Aristokratie; und die Demokratie eine fehlerhafte Republik. Die Tyranney nähmlich ist die Herrschaft eines Einzigen, bloss zu dem Bessten dieses Einzigen abzweckend. Die Oligarchie ist eine Regierungsform, die bloss das Besste der wenigern Reichern, — die Demokratie eine, die bloss das Besste der Aermern zur Absicht hat. Keine dieser Verfassungen hat das, was allen nützlich ist, zum Augenmerk.Diese Erklärungen sind an sich deutlich. Demohnerachtet muss ich noch einige Betrachtungen über die Natur jeder dieser Verfassungen hinzufügen, um einige dabey vorkommende Zweifel und Schwierigkeiten zu heben. Der Philosoph, der irgend einen Gegenstand theoretisch untersucht, und nicht bloss practische Regeln geben will, muss keinen Umstand, so klein er auch scheinen mag, übergehn, sondern die Wahrheit vollständig und bis auf den Grund zu erforschen suchen.Es ist, wie schon gesagt worden, die Tyranney eine despotische Monarchie, oder die Alleinherrschaft eines einzigen, der gegen die ganze übrige bürgerliche Gesellschaft in dem Verhältnisse eines Herrn gegen Leibeigne steht. Die Oligarchie ist da, wo nur die, welche Vermögen besitzen, an der Regierung Theil nehmen; die Demokratie, wo das Heft der Regierung in den Händen des ärmern grossen Haufens ist.Hier zeigt sich nun die erste Schwierigkeit, und diese betrifft die Richtigkeit unsrer Eintheilung. Wenn sich nun an irgend einem Orte der Fall ereignete, dass die grössere Anzahl wohlhabend wäre, und diese grössre Anzahl die Regierung in Händen hätte: so würde nach obigen Erklärungen diess eine Demokratie zu seyn scheinen, weil der grosse Haufe regierte, und doch auch keine Demokratie, weil die Reichen regierten.Wenn es sich auf der andern Seite irgendwo träfe, dass der Armen weniger wären als der Reichen, dass jene Wenigen aber sich über diese vielen Meister zu machen gewusst, und also die oberste Gewalt in Händen hätten: würde diess eine Oligarchie seyn, weil der kleinere Theil regierte, oder eine Demokratie, weil die Aermern regierern?Die Unterscheidungsmerkmahle der verschiedenen Regierungsformen schienen also nicht richtig angegeben zu seyn.Wollte man die Wohlhabenheit und die geringere Anzahl, und hinwiederum die grössre Anzahl und die Armuth als zwey zusammengehörige Merkmahle der oben genannten Regierungsformen mit einander verknüpfen und so definiren: die Oligarchie sey, wo alle Regierungsämter von den Reichern besetzt würden, die zugleich an Anzahl die wenigern wären; die Demokratie sey, wo die Aermern herrschten, wenn diese zugleich die grössre Anzahl ausmachten: so würde daraus eine andre Schwierigkeit entstehn. Es würden nähmlich alsdann zwey Regimentsverfassungen ohne Nahmen seyn, die, wo die Reichern, wenn ihrer die grössre Zahl wäre, — und die, wo die Aermern, wenn sie den kleinern Theil ausmachten, regierten.Diese Betrachtungen selbst aber führen uns bey weiterm Nachdenken darauf, dass bey der Oligarchie sowohl als bey der Demokratie die Anzahl der Regierenden — der Umstand, dass sie dort den kleinern, hier den grössern Theil der Bürger ausmacht, — nur ein zufälliger, aber fast nie ausbleibender Nebenumstand ist. Es liegt nicht in der Natur der Verfassungen, dass dort die Wenigern reich, hier die Mehrern arm seyn müssen; es liegt in der Natur der Dinge und der Menschen, dass diess allenthalben wirklich sich so verhält. Jener Umstand kann also keinen Grund geben, neue Klassen von Regierungsformen zu machen. Das, wodurch sich Demokratie und Oligarchie eigentlich unterscheiden, ist immer, dass dort die Aermern, hier die Reichern regieren. Und wo Reichthum das Recht zur Regierung gibt, es mögen derer viel oder wenig seyn, die Reichthum besitzen, da ist Oligarchie; wo die Aermern daran Theil haben, da ist Demokratie. Aber freylich ist es, wie ich gesagt habe, in Facto immer der Fall, dass der Reichen weniger, der Armen mehr sind. Denn nur Wenige haben Gelegenheit und Talente, sich Vermögen zu erwerben: Aber an dem Rechte freyer Bürger nehmen alle Theil. Und daraus entsteht dann die Rivalität zwischen beyden, und der Streit über die Theilnehmung an den Regierungsgeschäften.

Sechstes Kapitel.



Uiber die Verschiedenheit der Gerechtsamen der Bürger in den verschiedenen Staatsverfassungen.

Zuförderst müssen wir betrachten, welches die Grenzen sind, die zwischen Demokratie und Oligarchie angenommen werden, und worin sich das, was in der einen und in der andern Regierungsform recht ist, von einander unterscheidet. Alle jene Verfassungen haben nähmlich gewisse Grundsätze des Rechts zu ihrer Basis, und suchen dieselbe zu befolgen: aber sie folgen dem Rechte nur bis zu einem gewissen Puncte; sie nehmen für absolut recht an, was es nur beziehungsweise und unter gewissen Einschränkungen ist.Zum Beyspiel, die Gleichheit scheint eine Regel der Gerechtigkeit zu seyn: und diese befolgt die Demokratie; aber sie ist es nur für Personen, die N einander gleich sind. Auch das Ungleiche kann gerecht seyn: wenn es nähmlich Personen widerfährt, die ungleich sind. Gemeinhin aber lassen die Menschen diese Beziehung auf die Beschaffenheit der Personen aus, und urtheilen desswegen über das Recht falsch. Die Ursache ist, weil sie dabey über sich selbst urtheilen sollen, die meisten aber in ihrer eignen Sache schlechte Richter sind.Das was Recht und Gerecht ist, ist eben sowohl nach Beschaffenheit der Personen als nach Beschaffenheit der Gegenstände verschieden (wie ich diess in der Ethik weiter ausgeführt habe). Uiber die letzte Verschiedenheit (in Absicht der Gegenstände) sind die meisten Menschen einstimmig: aber wegen der erstern sind sie sehr ungleicher Meinung, zuerst aus der Ursache die ich schon angezeigt habe, weil sie dabey über sich selbst urtheilen müssen, welches sie selten mit hinlänglicher Unparteylichkeit zu thun im Stande sind; sodass aber auch, weil, wenn sie etwas in gewisser Absicht, unter gewissen Bedingungen gerecht finden, sie es für absolut und an sich gerecht halten. Die einen zum Beyspiele, weil andre ihnen in dem einen Stücke, im Vermögen nicht gleich sind, sehen diese als durchaus und in aller Absicht unter ihnen an. Die andern, weil sie in einem gewissen Punct den übrigen Bürgern gleich sind, ich will setzen darin, dass sie so gut wie diese Freygebohrne sind, halten sich ihnen für völlig gleich.Die Hauptsache aber, worauf es hierbey ankömmt, zieht keiner von beyden in Betrachtung, Wenn nähmlich die Menschen bloss des Vermögens wegen zusammengetreten wären. und sich in eine Gesellschaft vereinigt hätten: so wäre es billig, dass jeder an den Vorrechten dieser Gesellschaft in eben dem Maasse Theil nähme, als er zu dem Eigenthum derselben beygetragen hat: und so würden alsdann die oligarchischen Principien richtig seyn. Denn sicher wäre es höchst ungerecht, dass von zwey Personen, deren eine 99 Minen, die andere nur eine beygetragen hätte, um die Summe von hundert voll zu machen, letztrer doch von dem zusammengeschossenen Kapital so viel Vortheil zöge als der erstere; es möchten übrigens beyde gleich bey Errichtung der Gesellschaft da gewesen oder erst nach der Hand hinzugetreten seyn.Ganz anders ist die Sache, wenn die Menschen nicht bloss des Lebens wegen, sondern der vollkommensten Thätigkeit wegen in Gesellschaft getreten sind. Wäre das erstre, so müssten auch die Sklaven und die Thiere selbst zum Staatskörper gehören, weil doch auch diese darin leben. Sie werden aber nicht dazu gerechnet, weil sie an derjenigen Glückseligkeit, welche der eigentliche Endzweck des bürgerlichen Lebens ist, keinen Theil nehmen, ich will sagen, weil sie nicht nach eignem Gefallen selbstthätig zu seyn bestimmt sind.So wenig als das blosse Zusammenleben der Menschen das Wesentliche eines Staats ausmacht: so wenig besteht es auch ganz allein in dem Bündniss zu gemeinschaftlicher Vertheidignug, um sich vor Beleidigung mit vereinten Kräften zu schützen.Auch liegt es nicht in dem Verkehr, welchen die im Staate lebenden Menschen, es sey zum Umtausch ihrer Bedürfnisse, oder es sey zur Mittheilung ihrer Gedanken, mit einander haben. — Sonst wären auch die Carthaginenser und Tyrrhener, und alle die, welche miteinander durch Verträge und Handlungsverkehr in Verbindung stehn, Bürger desselben Staats. — Jene beyde Völker stehen in solchen Verbindungen. Es sind zwischen ihnen, wegen der wechselseitigen Einführung der Producte und Kaufmannswaaren, Verabredungen getroffen. Sie haben einander versprochen, sich nicht zu beleidigen, und sie haben sich anheischig gemacht, einander im Kriege beyzustehn. — Aber es fehlt bey dieser Vereinigung, was zur Einheit des Staats gehört, dass sie einerley Obrigkeiten hätten, welche über die Erfüllung dieser Contracte wachten: — jedes dieser verbündeten Völker hat dazu bey sich eigne Personen gewählt. — Es fehlt noch weiter, dass sie sich eines um des andern körperliche, geistige und moralische Beschaffenheit bekümmerten. Diese Bundsgenossen sehen nicht darauf, dass alle die, welche unter dem Bunde stehn, nicht ungerechte Leute seyn, dass sie nicht den Charakter haben sollen, welcher zu Bosheiten führt, sondern nur darauf, dass sie in Bundessachen nicht ungerecht handeln.Diejenigen aber, welche einem Staate Gesetze vorschreiben, und ihm eine wahrhaft gute Verfassung geben wollen, haben allerdings die persönlichen Eigenschaften der Bürger, die Beförderung der guten, die Verhinderung der schlimmen zum Augenmerk. — Es muss also zu dem Wesen und zu dem eigentlichen Endzweck eines Staats gehören, dass die Bürger durch ihre Vereinigung bessere, vollkommnere Menschen, in der That und Wahrheit zu werden suchen. Nimmt man diese Absicht hinweg: so ist die übrige bürgerliche Gemeinschaft nichts weiter, als ein Trutz- und Vertheidigungs-Bündniss, von andern solchen Bündnissen dadurch unterschieden, dass dort die Verbündeten nahe bey einander wohnen, hier entfernt, Auch ist alsdann das Gesetz nichts anders, als der Bundes-Vertrag, und wie der Sophist Lycophron sagt, der Guarant der einander versprochenen Contractsbedingungen: aber nicht dazu bestimmt, nicht darauf eingerichtet, die Bürger gut und gerecht zu machen.Wie richtig diese Darstellung der Sache sey: erhellt auss folgendem: Gesetzt dass jemand zwey verbündete Städte, z. B. Korinth und Megara, auf einen Fleck zusammenbrächte, dass die Mauern derselben an einander stiessen: würden desshalb beyde nur Eine Stadt ausmachen? — Das würde selbst dann noch nicht Statt finden, wenn die Einwohner von beyden festsetzten, dass sie sich unter einander mit Beybehaltung aller Bürgerrechte, für ihre Nachkommen verheirathen könnten; welches doch eine der Verbindungen ist, wodurch die bürgerliche Gesellschaft sich vorzüglich unterscheidet. —Man setze andre, die zwar nicht zusammenhängende Wohnungen hätten, aber doch einander nahe genug wohnten, um mit einander im Verkehr stehn zu können, zugleich aber über dieses Verkehr Gesetze unter einander gemacht hätten, dass keiner den andern beym Tausch der Waaren übervortheilten sollte, — möchten sie doch auch die Arbeiten unter sich vertheilt haben, und der eine ein Zimmermann, der andre ein Ackerbauer, der dritte ein Schuster seyn: so würden sie doch, wenn keine weitere Gemeinschaft unter ihnen vorwaltete, nicht als in einen Staat vereiniget angesehen werden können. Und warum nicht? — Nicht desswegen, weil sie einander nicht nahe genug wohnten. Denn man mache auch sie zu unmittelbaren Nachbarn, ohne zugleich ihre Verhältnisse anderweitig enger zu knüpfen: so würde doch jeder sein Haus als einen eignen kleinen Staat ansehen können, und sie alle zusammen würden nur als Verbündete zu betrachten seyn, die sich wechselsweise gegen Beleidigungen zu Hülfe kommen wollten. Auch dann würde diese Gesellschafl dem genau der Natur der Dinge nachforschenden Philosophen noch kein Staat im eigentlichen Verstande zu seyn scheinen: vorausgesetzt, dass diese Menschen, nachdem sie auf einen Fleck zusammen gekommen wären, gegen einander keine genauere Beziehung bekommen hätten, als die auch in der Entfernung zwischen ihnen Statt fand.Aus allem diesen ist klar, dass das Wesentliche der Staats-Verbindungen, weder in dem Gemeinschaftlichen des Wohnplatzes, noch darinnen liegt, dass die Menschen sich anheischig machen, einander nicht zu beleidigen, noch darinnen, dass sie über den Umtausch der Produkte Verabredungen unter sich machen. Alles das wird nothwendig vorausgesetzt, wo man sich eine bürgerliche Gesellschaft denken soll. Aber alles jenes kann vorhanden seyn, und doch ist die Gesellschaft noch kein Staat. Dieser ist nähmlich eine völlige Gemeinschaft aller der Dinge, die zum glücklichen Leben gehören, eine Gemeinschaft, die sich sowohl auf die Wohnplätze als die Geschlechter und Familien erstreckt, und die zur Absicht hat, den Zustand der Menschen vollkommen in seiner Art und selbstgenugsam zu machen.Eine solche Verbindung wird freylich nicht Statt finden, als unter Menschen, die in einem eingeschränkten Raum beysammen wohnen, und die sich unter einander verheirathen. Nur unter solchen können engere Bündnisse entstehen, dergleichen wir unter den Bürgern unsrer Städte finden, dass einige als Schwäger und Verwandte, andre als Zunftgenossen, als Theilhaber an denselben Opfermahlen, endlich als blosse gute Gesellschafter, und die sich durch wechselseitigen Umgang ihre Zeit verkürzen, zusammenhängen. Aus dem letztern entsteht die eigne Art von Verbindung, die wir Freundschaft nennen. Denn das öftre Umgehen mit einander zielt eigentlich dahin ab, Freundschaften zu stiften; und Freundschaft kann nicht entstehn, wo nicht Umgang vorhergegangen ist. Alles das sind Mittel zum Zwecke, der Zweck der Staatsvereinigung aber ist Glückseligkeit. Und ein Staat ist diejenige zwischen mehreren Geschlechtern der Menschen und ihren Wohnörtern gemachte Verbindung, welche zur Vollkommenheit und Selbstgnugsamkeit ihres Zustandes gehört. — Diese Vollkommenheit des Zustandes besteht in der dem Menschen angemessensten Thätigkeit. Und der letzte Zweck der bürgerlichen Vereinigung ist also nicht das Beysammenseyn, sondern die grössre Wirksamkeit aller Glieder zu guten und löblichen Handlungen.Nun erhellet also erstlich, welche Art der Ungleichheit in den Personen es sey, die auch ungleiche Rechte nach sich ziehe. Nähmlich denjenigen, die zu diesem jetzt genannten Zweck der bürgerlichen Gesellschaft das Meiste beytragen, gehört auch ein grössrer Theil von den Gütern und Vorrechten derselben, als denen, die zwar der freyen oder der edlen Geburt nach jenen gleich oder ihnen selbst überlegen, aber in Absicht der Bürgertugenden unter ihnen sind, —oder als denen, die zwar grössre Reichthümer, aber geringere persönliche Verdienste besitzen.Aus dem bisher Angeführten ist also klar, dass die, welche die Gerechtsamen der Bürger in den verschiedenen Regierungsformen so verschieden bestimmen, alle gewisse Gründe des Rechts für sich anzuführen haben, aber grösstentheils das Recht immer von Einer Seite ansehn.

Siebentes Kapitel.



Mögliche Uibelstände und Mängel in allen den genannten Verfassungen.

Neue Schwierigkeiten zeigen sich, wenn auszumachen ist, bey wem im Staate die höchste Gewalt seyn soll? Sie kann nähmlich entweder dem Volke, oder den Reichen, oder den Vornehmsten und Gesittetsten, oder einem Einzigen, welcher für den Vortrefflichsten unter allen gehalten wird, oder Einem, der sich mit Gewalt derselben bemächtigt hat, zugehören. Jeder dieser Fälle hat seine Jnconvenienzen.Denn erstlich, wenn der ärmere und grössre Theil das Heft des Staats in Händen hat, und er, kraft seiner Souveränität, die Reichen plündert, und ihr Vermögen unter sich vertheilt: ist diess nicht ungerecht? Und doch ist es der Actus einer nach der Voraussetzung rechtmässigen Herrschaft. Aber was wollte man noch ungerecht nennen, wenn man jene äusserste Gewaltthätigkeit für gerecht erklärte? Uiberdiess, wenn man auch alles andre zugibt: so wird doch der Staat selbst, durch diese von der Menge an dem Eigenthume des kleinern Theils verübte Räuberey, zernichtet, indem die Bande der gesellschaftlichen Vereinigung aufgelöst werden. Nie aber kann eine Sache durch das, was in ihr gut und untadelhaft ist, zu Grunde gehn: noch können Handlungen, die gerecht sind, Ursachen von dem Ruin einer geselligen Verbindung werden. Also scheint zu erhellen, dass jenes Gesetzes, welches dem Volke alle Gewalt in die Hände gibt, nicht gerecht seyn könne.Jn dem letztern Falle einer Monarchie, die durch Gewaltthätigkeit erworben worden, scheint jede Handlung, die ein solcher Monarch thut, ungerecht seyn zu müssen. Er kann wenigstens wahrscheinlich eben so wie das Volk seine Uibermacht brauchen, den Reichen ihre Schätze abzunöthigen.Jst es aber desshalb nun ausgemacht, dass gerechter Weise nur die Wenigern und die Reichen regieren sollen?Wie, wenn nun diese eben das thun, wenn sie gleichfalls rauben, und dem grossen ärmern Haufen sein Eigenthum entreissen: ist das gerecht? So müssten es ja die Räubereyen des Volks und des Tyrannen auch sein.Ganz augenscheinlich sind alle diese Verfassungen, wo bey Vertheilung der höchsten Gewalt, bloss auf die grössere oder geringere Zahl, auf Reichthum oder Armuth gesehen wird, fehlerhaft und in sich ungerecht.Die Guten, die Gesitteten, die Rechtschaffenen sind es, welche eigentlich herrschen sollen, und denen die höchste Gewalt im Staat anzuvertrauen ist.Aber alsdann werden alle andre auf gewisse Weise als unehrlich angesehen werden müssen. Denn die Ehre im Staate ist nichts anders als ein Antheil an den obrigkeitlichen Würden, oder ein Anspruch auf dieselben: und derjenige ist eigentlich geehrt, der ein solches mit Würde verbundenes Amt begleitet, oder begleitet hat. Wo aber immer nur unter demselben Kreise von Personen die Regierung eingeschlossen bleibt, da sind alle andern von den obrigkeitlichen Aemtern und also auch von der damit verbundnen Ehre ausgeschlossen.Vielleicht ist es aber noch besser, dass nur ein Einziger, der für den Vortrefflichsten unter allen gehalten wird, regiere?Aber alsdann ist die Anzahl derer, die ohne politische Ehre sind, noch viel grösser: alle Vorzüge und Rechte des Staats sind in einem noch weit engern Raum zusammengepresst.Doch vielleicht wird jemand sagen: schon das ist überhaupt fehlerhaft, wenn Menschen und nicht die Gesetze die oberste Gewalt im Staate haben, da jene, es mögen ihrer viele oder wenige, sie mögen besser oder schlechter geartet seyn, doch immer den der Menschheit eignen Leidenschaften unterworfen bleiben.Aber ist das nicht im Grunde ein Wortspiel? Denn die Constitutions-Gesetze bestimmen nur, welche und wieviel Menschen regieren sollen. Sind also diese Gesetze oligarchisch: so haben sie alle die Unbequemlichkeit, die wir zuvor von der Oligarchie angemerkt haben; sind sie demokratisch: so sind dagegen eben die Einwürfe als gegen die Demokratie selbst zu machen.Von den übrigen Puncten wird noch bey einer andern Gelegenheit die Rede seyn. Hier will ich nur über den Satz, den viele behaupten, "dass es dem gesammten Volk mehr zukomme zu regieren, als den Wenigen, selbst wenn diese die Vortrefflichern sind," anmerken, dass sich zwar eben sowohl Gründe dafür als dawider anführen lassen, der Satz selbst aber dreh im Ganzen eine Wahrheit zu enthalten scheint.Es ist nähmlich begreiflich, dass Viele, wovon jeder kein vorzüglicher Mann ist, doch, wenn sie zusammenkommen, besser seyn, oder mehr von den zu einer guten Regierung erforderlichen Eigenschaften enthalten können, als die Wenigen, auch zusammengenommen, nicht einzeln betrachtet. So wie zusammengetragne Gerichte ein prächtigeres Gastmahl ausmachen können, als das, welches auf Unkosten eines Einzigen ausgerichtet wird. Man kann sich vorstellen, dass unter der Menge jeder einzelne eine gewisse, wenn auch noch so kleine, Portion von Einsichten und Tugenden besitze. Die Summe derselben macht die Einsicht und Tugend der Versammlung aus, so wie die körperliche Kraft derselben, aus den vereinigten Kräften der Hände, Füsse und Sinne der einzelnen Personen besieht, die nun zusammen wie Eine Person agiren. Daher kömmt es, dass das Publikum oder das Volk ein guter Richter über Werke der Musik, der Mahlerey oder der Poesie seyn kann. Keiner aus demselben versteht das Kunstwerk ganz zu beurtheilen: aber jeder ist im Stande, ein Stück davon, dieser das eine, jener das andre richtig zu beurtheilen, alle zusammen also urtheilen richtig über das Ganze.Darum sind eben die vorzüglichern Menschen von den gemeinern, die schönern Körpergestalten von den gewöhnlichen, und die Kunstwerke in Gemählden von den natürlichen Gegenständen, die sie nachahmen, unterschieden, dass dort Eigenschaften, Züge und Annehmlichkeiten in einem Subject vereinigt sind, die hier sich unter viele zerstreut befinden. Einzeln ist es möglich, in einem wirklichen Menschen ein schöneres Auge, in einem andern ein anderes schöneres Glied zu finden, als das Auge oder das Glied in der Jdealen Schönheit des Mahlers ist: Aber in keinem findet man alle Theile schön, wie in diesem.Ob sich nun in jedem Volke und bey jeder Menge, die Vielen gegen die Wenigen so verhalten, dass in jenen zerstreut mehr Vollkommenheiten als in diesen vereinigt, vorhanden sind: das lässt sich mit Gewissheit nicht bejahen. Ja vielmehr gibt es Mengen, bey welchen es augenscheinlich verneint werden muss. Obiger Satz könnte sonst auch auf die Thiere angewandt werden, von denen doch niemand behaupten wird, dass eine Heerde derselben zusammen mehr Vorzüge habe als ein einzelner Mensch. Aber gibt es nicht auch Menschen, die sehr wenig über die Thiere erhaben sind?Jndess ist soviel gewiss, dass es Fälle gibt, wo der Satz wahr ist, und wo in der Menge, obgleich aus unvollkommnern Subjecten bestehend, sich doch in der Summe Vorzüge vor einzelnen noch so Vollkommnen finden.Hierdurch würde sich also eine von den oben gegen die höchste Gewalt des Volks gemachten Einwendungen heben, und zugleich sich die Frage auflösen lassen, welches eigentlich die Zweige der Staatsverwaltung sind, über welche die Anzahl aller Freygebohrnen oder das Volk zu gebiethen haben soll. Jch nenne Volk den Jnbegriff aller, welche sich weder durch Reichthum noch durch persönliche Eigenschaften vor andern hervorthun. Dass solchen die Verwaltung hoher Staatsämter anvertraut werde, ist für das gemeine Besste zu gefährlich. Denn bald würden sie aus Bosheit mit Vorsatz Unrecht thun, bald aus Unwissenheit Fehler wider ihren Willen begeben. Jhnen aber auf der andern Seite gar keinen Antheil an der Regierung zu geben, würde dem Staate leicht Unruhen und Rebellionen zuziehen können. Es bleibt also nichts übrig, als sie in zwey Stücken an der Regierung Theil nehmen zu lassen, dadurch, dass aus ihnen die Glieder des Senats, und dass aus ihnen die Richter genommen werden. Nach diesen Grundsätzen haben auch Solon und einige andre Gesetzgeber verfahren, die dem Volk das Recht die Magistratspersonen zu wählen, und das, sie zur Verantwortung zu ziehn, überlassen. Sie setzen nähmlich voraus, dass, wenn alle aus dem Volke zusammenkommen, das Resultat sämtlicher Empfindungen und Urtheile sowohl über das Verdienst der zu wählenden, als über Schuld oder Unschuld der Angeklagten ziemlich richtig sey: obgleich jeder einzelne für sich über die vorliegenden Sachen nur sehr mangelhaft urtheilen könnte, und dass auf diese Weise der grosse Haufe gemeiner Menschen, besonders wenn die Bessern sich unter ihn mischen, dem Staate nützliche Dienste zu leisten vermöge. So wie in den Speisen, wenn das, was blosser Ballast ist, mit dem eigentlich Nährenden vermischt ist, ein gesünderes Nahrungsmittel entsteht, als wenn das Nahrhafte allein in eine kleinere Masse concentrirt wird.Aber auch diese Vertheilung der Staats-Gewalt ist Schwierigkeiten unterworfen.Die erste ist, dass es scheint, es dürfe niemand urtheilen, ob ein Arzt seinen Patienten recht curirt hat, als der, welcher selbst im Stande sey den Patienten bey einer gleichen Krankheit zu curiren und gesund zu machen, d. h. der welcher selbst Arzt ist, — Eben das gilt von andern Künsten und praktischen Wissenschaften. Wie der Arzt nur Aerzten von seinem Verfahren Rechenschaft ablegen und von ihnen gerichtet werden kann, so scheint es, sollte jeder, der etwas auszuführen unternimmt, nur denen verantwortlich seyn, welche die Sache selbst ausführen können.Um diese Schwierigkeit zu heben, muss man einen dreyfachen Sinn unterscheiden, in welchem man von jemanden sagen kann, dass er Arzt ist: erstens, wenn er wirklich eine ganze Cur zu führen und anzuordnen versteht; zweytens, wenn er die Vorschriften eines andern geschickt anzuwenden und zur Ausführung zu bringen im Stande ist; zum dritten, wenn er, ohne die Kunst ausgeübt zu haben, sich allgemeine Kenntnisse über dieselbe erworben hat. Das erste ist der Architect, das zweyte ist der Zimmermann, der unter ihm arbeitet, das dritte ist der Mann von Geschmack. Dieser dreyfache Unterschied findet sich in allen Künsten. — Nun zieht man aber, um über ein vollendetes Werk zu urtheilen, eben sowohl diejenigen zu Rathe, welche bloss allgemeine Kenntnisse davon haben, als die, welche die Kunst angelegentlich studirt haben.Jn Absicht der Wahlen scheinen eben die Einwürfe und eben die Antworten Statt zu finden. An und für sich sollte man glauben, könne der zu einem Geschäfte den rechten Mann wählen, der selbst das Geschäfte versteht; nur Geometrieverständigen komme die Wahl zu, wenn ein Geometer, nur der Schifffahrt Kundigen, wenn ein Schiffskapitän gewählt werden solle. Und wenn über einige Künste und Arbeiten diejenigen allenfalls zu urtheilen verstehen, die nicht vom Handwerke sind: so sind sie doch wenigstens nicht bessere Richter, als diese.Nach diesem Räsonnement würden also dem Volk weder die Wahlen der Magistratspersonen, noch die Urtheilssprüche über dieselben, wenn sie Rechenschaft ablegen sollen, anzuvertauen seyn.Aber vielleicht ist dieses Räsonnement bey einem Volke, welches nicht ganz von der Natur verwahrloset und ohne alle Cultur ist, um der schon oben angeführten Gründe willen, nicht anwendbar. Es kann, wie ich schon gesagt habe, geschehen, dass, obgleich jeder einzeln aus dem Volke ein schlechterer Richter über die vorliegende Sache ist, als der, welcher sie zu machen gelernt hat, doch alle, wenn sie zusammen kommen, und nach der Mehrheit der Stimmen entscheiden, richtiger, oder wenigstens nicht schlechter, als die Leute vom Handwerk darüber urtheilen. Es gibt ferner unstreitig Künste, über deren Werke die, welche sie verfertigen, nicht nur nicht die einzigen, sondern nicht einmahl die bessten Richter sind, das sind nähmlich die, deren Producte andern zum Gebrauche übergeben werden, wodurch diese Kenntnisse von dem Werthe derselben erhalten, die nicht von der Kenntniss der Kunst abhängen. So kann über die gute Einrichtung eines Hauses, nicht bloss der, welcher es erbaut hat, sondern auch und noch weit besser derjenige, welcher es braucht, urtheilen, das ist der Herr und Verwalter des Hauses. Die Güte eines Steuerruders beurtheilt ohne Zweifel der Steuermann besser als der Zimmermann, und die gute Zurichtung eines Tractaments die Gäste besser als der Koch.Diese erste Schwierigkeit scheint also auf solche Weise sich heben zu lassen.Es gibt aber noch eine zweyte, die mit dieser zusammenhängt. Das ist diese. Es scheint ungereimt, dass der gemeine Haufen über grössere Gegenstände soll zu gebiethen haben, als die Bessern. Die Wahlen der Magistratspersonen aber, und die Abforderung der Rechenschaft wegen der verwalteten Aemter gehören unter die wichtigsten Gegenstände. Das sind aber, wie ich schon gesagt habe, die beyden Zweige der Regierung, welche am gewöhnlichsten dem Volke, auch von weisen Gesetzgebern, anvertraut worden sind. Die Volksversammlung ist es, in welcher jene beyden Sachen entschieden werden. Um aber in den Volksversammlungen eine Stimme zu haben, um in den Senat zu kommen, O oder zum Richter genommen werden zu können, dazu wird gemeiniglich nur der Besitz eines geringen Vermögens, und kein bestimmtes Alter gefordert. Um hingegen Schatzmeister des Staats, oder Anführer der Truppen zu werden, oder ein anderes der hohen Staatsämter zu begleiten: dazu wird ein viel grösseres Eigenthum und ein reiferes Alter erfordert.Auf diesen Einwurf liesse sich wohl auf eine ähnliche Weise antworten.Jene Einrichtung ist vielleicht nicht so unrecht, als sie zu seyn scheint. Denn weder das Mitglied einer Volksversammlung, noch der Beysitzer des grossen Raths, noch der Richter übt für sich allein obrigkeitliche Rechte aus: sondern die ganze Versammlung, der vereinigte Rath und das Gerichtscollegium in Corpore ist die Obrigkeit. Die einzelnen Personen, aus welchen diese drey Collegia bestehn, sind nur Theile eines mit obrigkeitlichen Rechten beliehenen Ganzen.Gesetzt also auch, dass jene Gegenstände, welche diejenigen Collegia, wozu jeder Bürger Zutritt hat, zu besorgen haben. die wichtigsten wären: gesetzt, dass es ein Grundsatz wäre, dass die wichtigsten Gegenstände nur denen anvertraut werden könnten, welche das grösste Eigenthum im Staate besitzen: so wären auch nach diesen Voraussetzungen jene Einrichtungen zu rechtfertigen. Denn, da die Volksversammlung, der Senat, die Gerichtshöfe aus vielen Personen bestehn: so muss auf die Summe des Eigenthums, welches in den Händen aller zusammen genommen ist, gesehen werden: und diess ist gewiss grösser, als das Vermögen der Wenigen, welche zu den höchsten Staats-Aemtern berufen werden.Diess mag also zu Erörterung dieser Sache genug seyn.Aus jener ersten Einwendung folgt nichts so deutlich als diess: dass erstlich die Gesetze, aufs weiseste abgefasst, die oberste Richtschnur des Verfahrens, und die Regierer des Staats seyn müssen, — und dass die Obrigkeit, sie mag nun eine einzige Person seyn, sie mag aus vielen bestehn, nur über die Dinge Herr seyn müsse, welche von den Gesetzen unmöglich haben können zum voraus entschieden werden; —weil es nähmlich überhaupt sehr schwer ist, unter allgemeine Sätze alle Besonderheiten einzelner Fälle zu bringen.Welches aber diejenigen Gesetze sind, welche man als weise abgefasst ansehen kann: diess ist freylich aus dem bisher Gesagten noch nicht klar, und bleibt zu künftigen Untersuchungen ausgestellt. So viel ist gewiss, dass die Gesetze immer mit den Staatsverfassungen in Uibereinstimmung stehen, und mit diesen zugleich gut oder schlecht, gerecht oder ungerecht sind. Das erste, dass die Gesetze sich nach der Versagung richten müssen, leidet keinen Zweifel: und die Folge ist also auch ungezweifelt, dass in einer wohlverfassten Republik, gute und gerechte Gesetze, in einer fehlerhaft zusammengesetzten, schlechte und ungerechte Gesetze zu erwarten sind.

Achtes Kapitel.



Uiber die Grundsätze bey Vertheilung der Staatsämter.

Da alle Wissenschaften und Künste einen Endzweck haben, und dieser Endzweck in einem gewissen Gut bestehet, welches sie hervorzubringen suchen: so muss wohl von der edelsten und höchsten unter ihnen, welches unstreitig die Anordnung und Regierung der bürgerlichen Gesellschaft ist, auch der Endzweck ein Gut von grössten Werth seyn. Dieses durch die bürgerliche Vereinigung gesuchte Gut nun ist die Aufrechthaltung und Beobachtung dessen, was Recht ist, und dieses ist zugleich das, was der Gesellschaft nützlich ist.Nach den allgemeinen Begriffen der Menschen besteht das Recht in einer gewissen Gleichheit und Proportion; und hierüber stimmen sie in einem gewissen Grade mit den Resultaten der philosophischen Untersuchungen überein, dergleichen ich in meiner Ethik angestellt habe. Sie geben nähmlich zu, dass dabey auf zweyerley zu sehen sey, auf die Personen, und auf die Sachen oder Handlungen, welche unter ihnen vorgehn; und dass in der Uibereinstimmung des Verhältnisses der einen mit dem Verhältnisse der andern, die Gerechtigkeit liege: so z, B, dass Personen die gleich sind, auch gleicher Vorzüge geniessen, oder sich einander auf gleiche Art begegnen. Nur fragt sich, welches sind die gleichen, welches die ungleichen Personen: worin ist diese Gleichheit oder Ungleichheit zu suchen, wornach ist sie abzumessen? Hier liegt die Schwierigkeit, und hier ist es, wo die Untersuchungen des politischen Philosophen anfangen müssen.Jst es ein jeder Vorzug, den ein Mensch vor dem andern in dem Besitz irgend eines Guts voraus hat, welcher ihn berechtigt, bey Austheilung der politischen Würden und Vorzüge einen grössern Antheil zu fordern, so vollkommen auch im übrigen ihre Gleichheit seyn möchte? So könnte vielleicht jemand denken, wenn er bloss bey abstracten Begriffen bliebe. Denn nach der der strengen Theorie, wo eine Verschiedenheit der Personen ist, da ist auch eine Verschiedenheit ihrer Gerechtsamen, oder dessen, was für sie schicklich ist. — Augenscheinlich aber kann dieses Principium übertrieben werden: denn wäre es uneingeschränkt richtig: so würde auch Gestalt und Grösse und Gesichtsfarbe, und jede noch so kleine Vollkommenheit, in welcher der eine Mensch vor dem andern einen Vorzug hätte, ihm einen Anspruch auf höhere Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft geben.Vielleicht aber ist die Unrichtigkeit dieses Satzes zu sehr in die Augen fallend, als dass er viele irre führen könnte. Es ist bey allen Professionen, die gewisse Wissenschaften oder Geschicklichkeiten voraussetzen, klar, dass in Absicht der Dinge, die zu dieser Profession gehören, keine andre Ungleichheit in Betrachtung kömmt, als die Ungleichheit in ihrer Geschicklichkeit. So, wenn zwey Flötenspieler in ihrer Kunst einander gleich sind, und zwey Flöten von ungleichem Werthe, unter sie ausgetheilt werden sollten: so hat der von beyden, welcher von besserer Geburt ist, desswegen kein Recht auf die bessere Flöte. Denn diese seine vorzüglichere Geburt wird nicht machen, dass er desshalb auf der besseren Flöte schöner spielt. Hingegen ist es schicklich, dass dem, welcher das Werk am bessten zu machen versieht, auch das beste Werkzeug gegeben werde. — Wir wollen, um die Sache noch klärer zu machen, den Fall noch etwas bestimmter angeben. Wir wollen setzen, der eine der beyden Flautenisten sey dem andern als Musicus überlegen, sey aber an Geburt oder an Schönheit noch weiter hinter ihm zurück, als er an Geschickligkeit sein Jnstrument zu spielen, über ihn erhaben ist: so wird demohnerachtet, obgleich Geburt und Schönheit grössre Güter sind, als die Kunst die Flöte zu blasen, und der letztre noch dazu in diesen grössern Gütern einen grössern Vorsprung hat, als der erstre in den kleinern, es wird, sage ich, wenn Flöten auszutheilen sind, doch die bessre Flöte billiger Weise diesem zu geben seyn. Es müssten nähmlich, wenn es anders seyn sollte, Reichthum und Geburt einen Einfluss auf die Ausübung der Künste haben, deren Werkzeug die Flöte ist. Sie haben aber keinen.Ferner würde, wenn obiger Satz in seiner Allgemeinheit gelten sollte, folgen, dass jede Art von Gütern mit jeder andern noch so verschiednen Art durch einen gleichen Massstab ausgemessen werden könne. Wenn man z. B. dem einen seiner körperlichen Grösse wegen einen Vorzug geben wollte: so müsste überhaupt die Körpergrösse sich mit Freyheit oder Reichthum dem Werthe nach vergleichen lassen. Man müsste sagen können: wenn Cajus an Körpergrösse um so viel mehr vor dem Sempronius voraus hat, als Sempronius vor jenem an Tugend: so muss im Ganzen die Grösse des Sempronius vorgezogen werden. Alsdann aber müssten alle, auch die ungleichartigen Dinge gegen einander genau ausgeglichen werden können. Denn, wenn von einer gewissen Sache diese und diese Quantität für mehr werth angesehen wird, als eine bestimmte Quantität einer andern: so muss es auch gewisse Quantitäten von beyden geben, wo sie einander als gleich angesehen werden.Da eine solche Gleichung aber nicht möglich ist: so ist es der Vernunft gemäss, dass im bürgerlichen Leben nicht jede Ungleichheit der Personen zu dem Grunde eines Wettstreites um politische Würden angenommen werde. Nicht, weil der eine schneller, der andre langsamer läuft, kann jener einen Anspruch machen, im Staate eine grössre Rolle zu spielen. Dieser Vorzug kommt in Betrachtung und wird ihm Ehre zuziehen, sobald sich beyde in den gymnastischen Uibungen als Wettläufer sehen lassen. Jm Staate aber und bey der Regierung können keine andre Unterschiede der Personen Ungleichheit der Rechte veranlassen, als die Unterschiede in solchen Eigenschaften, die zum Daseyn, zur Aufrechthaltung, oder Vollkommenheit der bürgerlichen Gesellschaft nothwendig sind. Aus diesem Grunde machen unter den Gliedern des Staats, die Freyen, die Edeln, und die Reichen scheinbar vernünftige Ansprüche auf die Würden und Aemter desselben. Denn ohne freygebohrne Bürger lässt sich kein Staat denken, eben so wenig kann er ohne solche bestehen, die zu den öffentlichen Bedürfnissen beytragen. Menschen ohne alles Eigenthum können so wenig, als blosse Sklaven einen Staat formiren. Ausser diesem ist zum Bestehen einer bürgerlichen Gesellschaft noch Beobachtung der Gerechtigkeit unter den Bürgern, und kriegerische Tugend zur Vertheidigung nöthig. Wenn ohne das erstre, — ohne Freyheit und Eigenthum der zusammentretenden Menschen, das Entstehen eines Staates unmöglich ist, so ist ohne das letztre, ohne Gerechtigkeit und Tapferkeit, sein Wohlstand und Fortdauer nicht möglich.Unter diesen Eigenschaften also scheint mit Recht ein Rangstreit Statt finden zu können, welche von ihnen am meisten zur Errichtung und Erhaltung eines Staats beytragen. Jnsofern aber der Endzweck des Staats, nicht bloss das Beysammenleben der Bürger, sondern ihre Glückseligkeit und die besste Anwendung ihrer Kräfte ist: in so fern können mit dem grössten Rechte intellectuelle und moralische Cultur, Wissenschaft und Tugend, um den Vorzug des grössern zu dem politischen Endzwecke beygetragenen Antheils streiten.Da es aber nicht den Regeln der Schicklichkeit gemäss ist, dass die, welche in Einer Eigenschaft gleich sind, in allen Sachen gleiche Rechte haben, oder dass die, welche in Einem Puncte ungleich sind, in allen Verhältnissen als ungleich behandelt werden: so sind alle die Verfassungen, wo der Vorzug des Reichthums ober der Geburt u.s.w. auf alle Arten der politischen Würden Anspruch gibt, fehlerhaft.Jch habe schon zuvor gesagt, dass jede dieser Klassen relative Gründe habe, einen Vorzug vor andern Bürgern zu begehren, aber keine ein absolutes Recht, alle Arten der Vorzüge zu fordern. Die Reichen desswegen, weil sie einen grössern Antheil an Grund und Boden haben, welches eigentlich ein gemeinschaftliches Gut des ganzen Staats isi, ferner desswegen, weil ihnen, nach dem grösseren Theil, bey den Verhandlungen über Mein und Dein, mehr zu trauen ist. Die Edelgebohrnen desswegen, weil sie eben den Vorzug, der die Freygebohrnen zu Bürgern macht, nur in einem höhern Grade haben. Sie sind also, wenn man sich so ausdrücken darf, mehr Bürger als die von unedler Abkunft. Daher auch dieser Vorzug der edlern Geburt eigentlich nur innerhalb der Grenzen des Staats gilt, von dem die Edlen die ersten Bürger sind. Ferner desswegen, weil nach der Regel von bessern Aeltern auch bessre Kinder gebohren werden. Der Adel nähmlich ist ein sich fortpflanzender Vorzug des Geschlechts. Auf gleiche Weise und mit eben so gutem Grunde kann die moralische Tugend auf Vorrechte Anspruch machen. Denn die Gerechtigkeit, welche von den andern nothwendig begleitet wird, ist das vornehmste Band, wodurch die menschliche Gesellschaft zusammengehalten wird.Auch die grössre Anzahl kann vor der kleinern insofern Vorrechte zu haben begehren, als sie in der Summe mehr Reichthümer oder mehr Tugend zu besitzen glauben können, als den Wenigern zusammengenommen, zukommen.Wenn es nun Personen von allen diesen Arten in einer und derselben Stadt gibt, wenn einige darinn reich, andre von edlerer Geburt, noch andre von vorzüglichern persönlichen Eigenschaften sind; und wenn es ausser diesen nun noch einen grossen Haufen von Bürgern gibt, die sich durch nichts hervorthun: wie wird nun zwischen diesen der Wettstreit über die Würden des Staats entschieden werden?Was jene obengenannten Regierungsverfassungen betrifft: so kann in denselben dieser Streit nicht Statt finden: da der charakteristische Unterschied derselben in der Bestimmung des herrschenden Theiles liegt, dass nähmlich in der einen (in der Oligarchie) die Reichen, in der andern (in der Aristokratie), die persönlich Vorzüglichern, u. f. f. die höchste Gewalt besitzen.Wir wollen nun aber einmahl annehmen, dass von allen diesen Klassen zugleich bey Errichtung eines Staats Personen vorhanden sind, und die Verfassung noch unbestimmt ist: wie wird man die Vorrechte derselben ausgleichen müssen?Wenn besonders die Anzahl der durch persönliche Vorzüge sich Hervorthuenden sehr klein ist: auf welche Art wird man zu entscheiden haben? Wird man bloss darauf zu sehen haben, ob diese Wenigen hinlänglich sind, der Administration des Staats vorzustehen: oder wird man eine so grosse Anzahl von Personen zur Regierung zulassen müssen, als nöthig ist, um einen kompleten Staat selbst zu bilden?Es ist noch ein andrer Einwurf, den man allen den Parteyen, welche sich um die politischen und obrigkeitlichen Vorrechte streiten, entgegen setzen kann. Nähmlich, wenn der eine um des grössern Reichthums, die andern ihres bessern Herkommens weges ausschliessend sich die Regierungsämter zueignen: so gestehn sie ja dadurch zu, dass, wenn es einen Einzelnen gäbe, der reicher wäre, als sie alle, dieser über sie alle allein herrschen müsste, oder dass Einer von uraltem Geschlechte über alle die, welche bloss als Freygebohrne um geringere Unterschiede der Familien mit einander wetteifern, der Herr seyn müsse. Eben diess würde bey Aristokratien gegen die, welche sich um ihres Vorzugs an Tugend und persönlichen Eigenschaften willen zum Regieren berufen glauben, gesagt werden können. Denn, wenn alle Optimaten einer Stadt von einem Einzigen an Geistesvorzügen übertroffen würden: so würden sie auch diesen für ihren Oberherrn von Rechtswegen erkennen müssen.Eben so, wenn man die höchste Gewalt, die in den Händen des grössern Theils des Volks ist, dadurch vertheidigt, dass die grössre Anzahl auch mehr Vollkommenheit in sich enthalte, so wird nach eben den Grundsätzen, wenn ein Einziger, oder wenn Einige Wenige gefunden würden, welche die in jenem Volke zerstreuten Vollkommenheiten in sich vereinigten, die Herrschaft des Volks aufhören, und diesen überlassen werden müssen.Alle diese Betrachtungen scheinen es klar zu machen, dass keine von jenen Bestimmungen, nach welchen die eine oder die andre der mehr genannten Klassen begehrt allein zu herrschen, und von den übrigen allen verlangt, sich beherrschen zu lassen, vollkommen richtig und von Einwendungen frey ist.Selbst die gerechtest scheinenden Ansprüche, welche Tugend oder Reichthum Einigen im Volk geben mag, über den übrigen Theil desselben zu herrschen, kann doch der grosse Haufe ihrer Unterthanen gegen sie umkehren. Denn es ist sehr wohl denkbar, dass dieser grosse Haufen zusammengenommen, mehr Eigenthum oder mehr Tugend besitzt, als jeder einzelne oder jene wenige.Und hernach kann man auch (und diess beyläufig anzumerken), die von einigen aufgeworfene Frage beantworten, auf wessen Jnteresse ein Gesetzgeber, welcher seinem Staat die vollkommensten Gesetze geben will, sein Augenmerk richten, wessen Besstes er sich zum Ziele setzen müsse, ob das Jnteresse des bessern, oder das Jnteresse des grössern Theils; wenn besonders der Fall so ist, wie ich ihn zuvor setzte, das Schlechtere und Bessere, Aermere und Reichere in einem Staate vermischt sind.Jch antworte: das, was vollkommen ist, umfasst immer das Ganze einer Sache. Und die vollkommensten Gesetze müssen also auf den Nutzen des ganzen Staats und aller seiner Bürger abzielen. Bürger aber in Abstracto ist der, welcher im Staat sowohl am Regieren als am Gehorchen Theil hat. Bürger in Concreto ist nach den Einrichtungen jeder Staatsverfassung etwas andres. Jn der bessten Staatsverfassung ist es derjenige, der sowohl, wenn er selbst Geschäfte zu dirigiren, als wenn er unter der Direction andrer zu handeln hat, seine Handlungen weiss zu dem wahren Zwecke der bürgerlichen Vereinigung, zur Beförderung der Tugend und der edlern Geistesthätigkeit hinzulenken.

Neuntes Kapitel.



Uiber die Erhaltung des Gleichgewichts in einem Staate.

Wenn in einem Staate ein Einziger ist, der alle übrige an Tugend so weit übertrifft, dass ihre sämmtliche Vollkommenheit, und ihre vereinigten politischen Kräfte, mit den Vollkommenheiten und Kräften jenes Einen in keinen Vergleich kommen; oder wenn anstatt des Einen, mehrere, aber von zu geringer Anzahl, um selbst einen politischen Körper auszumachen, sich in dem nähmlichen Verhältniss gegen den übrigen Haufen befinden: so ist in der That dieser Eine, — so sind diese Mehrere nicht mehr als Glieder des Staats und Mitbürger der andern zu betrachten. Es würde eine augenscheinliche Ungerechtigkeit gegen sie seyn, sie mit den übrigen an gleichen Rechten Theil nehmen zu lassen, da sie über diese an persönlichen Eigenschaften so gar weit erhaben sind. Ein solcher Mensch würde als ein Gott unter den übrigen zu betrachten seyn, der mit ihnen in keinen gesellschaftlichen Bund treten kann. Wo diess Statt finden soll: da muss es Gesetze geben, welchen alle Verbündete unterworfen werden. Gemeinschaftliche Gesetze können aber nur der Natur nach Gleichen gegeben werden. Jene höheren Wesen sind sich selbst ein Gesetz. Jeder andre Mensch würde nur lächerlich werden, welcher sich zum Gesetzgeber für sie aufwerfen wollte. Sie würden ihm ungefähr so antworten können, wie die Löwen den Haasen, nach dem Antisthenes, antworteten, da diese in der Thierversammlung auftraten, und verlangten, dass alle Thiere gleiche Rechte haben sollten.Hierin liegt auch die Ursache, warum diejenigen Städte, deren Verfassung demokratisch ist, den Ostracismus bey sich eingeführt haben. Weil bey diesen mehr als bey allen andern Verfassungen auf Gleichheit der Bürger als auf ein nothwendiges Requisit zur Einigkeit gesehen wird: so ist es bey ihnen zum Gesetze geworden, dass diejenigen Bürger, welche an Reichthum oder an Menge der Freunde, oder in irgend einer Sache, die einen grossen Einfluss auf die bürgerliche Regierung gibt, sich über die übrigen zu sehr zu erheben scheinen, — auf bestimmte Zeiten durch Mehrheit der Stimmen von ihrer Republik entfernt, und gleichsam ins Exilium geschickt werden.Auch nach der Fabel liessen die Argonauten den Herkules um einer ähnlichen Ursache willen zurück, Sie wollten nähmlich nicht auf eben demselben Schiffe mit einem Manne reisen, der so weit über sie alle erhaben war. Daher diejenigen, welche das Verfahren der sich zu unumschränkten Herrn aufwerfenden, und den Rath, welchen Periander dem Thrasybulus gab, ohne Einschränkung missbilligen, nicht ganz richtig urtheilen. Die Geschichte sagt nähmlich, Periander habe dem an ihn vom Thrasybulus abgeschickten Bothen nichts geantwortet, habe aber in seiner Gegenwart den über die übrigen hervorragenden Kornhalmen die Aehren abgeschlagen. Der Bothe, ohne zu wissen warum Periander dieses thue, habe seinen Herrn berichtet, was er gesehen habe: und Thrasybulus habe bald verstanden, dass er nach Perianders Rathe die zu mächtigen Männer von Athen aus dem Wege räumen solle.Dieses nun ist nicht bloss zur Aufrechterhaltung der Regierung eines Tyrannen nöthig, noch wird es von Tyrannen allein practicirt: sondern bey oligarchischen und demokratischen Regierungen geschieht das nähmliche. Der Ostracismus z. B. ist die Befolgung eines solchen Periandrischen Raths, insofern dadurch die Bürger, welche zu sehr über die andern hervorragen, durch die Verweisung aus dem Vaterlande, niedriger gemacht werden.So verfahren gegen ganze Städte und Nazionen diejenigen, welche die Herrschaft über sie erlangt haben. So z. B. die Athenienser gegen die Samier, Chier und Lesbier. Denn kaum war ihre Herrschaft über diese Jnseln befestigt, als sie anfingen, den Verträgen zuwider, sie zu schwächen. Der König der Perser hat die Meder, Babylonier und die andern der ihm unterworfnen Völkerschaften, die wegen der ehemahls besessnen Herrschaft mehr Muth und Stolz als die übrigen hatten, oft bloss desswegen gedrückt, um sie zu demüthigen.Und diese Maassregel ist, im Allgemeinen betrachtet, nicht bloss bey den fehlerhaften Staatsverfassungen, deren Ursprung Gewalt und Unrecht ist, sondern bey allen nöthig. Zwar bey den letztern müssen die Regenten sie um ihrer eignen Sicherheit wegen ergreifen. Aber bey den bessten und gerechtesten Regierungen kann diese Maassregel bloss in Rücksicht auf das allgemeine Besste nothwendig werden.Man kann etwas Aehnliches auch bey der Ausübung andrer Künste und Wissenschaften finden. — Ein Mahler wird einen Fuss, der nach Proportion des übrigen Körpers zu lang ist, in keiner seiner Figuren stehen lassen, wenn es auch noch ein so schöner Fuss wäre. — Eben so wenig wird ein Schiffsbauer einen Schiffsschnabel, oder irgend einen andern Theil seines Baues dulden; der ausser Verhältniss mit den übrigen Theilen ist. Der Direktor eines Singchors, wird den, welcher lauter und schöner singt, als alle die übrigen, nicht mit diesen zugleich ein musikalisches Stück aufführen lassen.Es folgt also nicht, dass Monarchen, wenn sie nach den oben gedachten Maassregeln handeln, sich als Feinde ihres Staates beweisen, wofern nur ihre Alleinherrschaft, welche sie dadurch befestigen, dem Staate nützlich ist.Es folgt ferner, dass der Ostracismus, wenn er bloss gegen die anerkannt zu grosse Uiberlegenheiten einzelner Bürger gerichtet ist, in Demokratien gute politische Gründe für sich habe.Freylich ist es besser, wenn der Gesetzgeber gleich ursprünglich die Staatsverfassung so gut eingerichtet hat, dass sie eines solchen Heilmittels nicht bedarf. Aber wenn dieses nicht ist: so ist es auch noch ein Gut, im Fall einer solchen eintretenden Gefahr, Vorkehrungen dagegen bereit zu haben.Aber in den wenigsten Städten wird der Ostracismus als eine solche von den Gesetzen vorbereitete Anstalt gebraucht. Gemeiniglich wird es nur durch Aufruhr und durch Factionen entschieden, wer unter dem Prätext derselben verwiesen werden soll.So viel ist also klar, dass eine dergleichen Einrichtung bey denjenigen Staaten, deren Ursprung unrechtmässig, und deren Verfassung fehlerhaft ist: zu ihrer Erhaltung durchaus nothwendig, und eben desswegen für sie gerecht sey. Es ist ferner klar, dass, wenn man sie auch in andern für gerecht erklärt, diess nicht unbedingt, sondern nur in Rücksicht auf die vorwaltende Gefahr, der nicht anders abzuhelfen ist, geschehen könne.Am schwierigsten ist es, bey dem aufs vollkommenste verfassten Staat, zu beantworten, was zu thun sey, wenn einer seiner Bürger sich von den andern, nicht durch äussre Vorzüge, als Stärke, Reichthum und Menge der Freunde, sondern durch Tugend und Geistesgaben zu sehr unterscheidet. — Auf der einen Seite scheint es sehr ungerecht und ? schädlich, den bessten Bürger aus dem Staat zu vertreiben. Auf der andern scheint es auch unmöglich, dass schlechtere Menschen über einen solchen herrschen sollen: wie wenn Menschen mit dem Jupiter die Herrschaft so theilen wollten, dass er, wenn die Reihe an ihm käme, auch gehorchen müsste.Es bleibt nichts übrig, als das, was ich schon gesagt habe: alle übrigen müssen sich diesem Einzigen freywillig unterwerfen. Er ist der gebohrne und lebenslängliche König seines Staats.

Zehntes Kapitel.



Monarchie und deren Arten.

Vielleicht ist es hier der gelegenste Ort, nach den bisherigen Betrachtungen, von der königlichen Regierung zu handeln. Jch habe diese unter die gerechten und gesetzmässigen Verfassungen gerechnet. Es ist aber nunmehro noch genauer zu untersuchen, ob, wenn in einer Stadt oder in einem Lande ein Staat zur Glückseligkeit der Einwohner errichtet werden soll, es zweckmässig sey, ihnen einen König, oder ob es besser ist, ihnen eine andre Regierungsform zu geben; — und wenn keines von beyden im Allgemeinen wahr ist, unter welchen Umständen die königliche Regierung vorzuziehn, unter welchen sie zu verwerfen ist.Vor allen Dingen muss man untersuchen, ob es nur eine einzige Art der königlichen Gewalt, oder ob es Unterschiede derselben gebe. Und hier fällt es nun gar bald in die Augen, dass dieser Nahme mehrere Gattungen unter sich begreift, und dass der Charakter der Regierung nicht bey allen derselbe ist.Zuerst biethet sich uns die in der Lacedämonischen Regierung noch bestehende königliche Würde dar, —und dieser König scheint unter allen Königen am meisten durch Gesetze eingesetzt, und eingeschränkt zu seyn. Er hat nicht die höchste Gewalt in allen Zweigen der Regierung, sondern nur in den Sachen die zum Kriegswesen gehören, und zwar während wirklicher Feldzüge. Ferner sind die Sachen, welche den Gottesdienst betreffen, den Königen übergeben. Die königliche Würde ist also in Lacedämon eigentlich die erbliche und Zeitlebens fortdauernde Oberbefehlshaberstelle über die Truppen. Er ist nicht Herr über Leben und Tod, ausser wenn er in wirklicher Ausübung irgend einer seiner königlichen Functionen ist. So war es auch mit den uralten griechischen Königen, die auch nur, während ihre Völker gegen den Feind ausgezogen waren, das Recht, Ungehorsame zu tödten, ausübten, und zwar weniger in Form einer rechtlichen Bestrafung, als einer zur Erreichung des Zwecks nothwendigen Gewaltthätigkeit: Homer ist dafür mein Gewährsmann. Jn der Volksversammlung verträgt bey ihm Agamemnon alle Schimpfreden, die gegen ihn ausgestossen werden. Aber wenn seine Völker zur Schlacht auszogen, dann hatte er die Macht, auch den zu tödten, welcher nicht seine Pflicht that. Denn so sagt er selbst:"Wer aber feige von mir die Schlacht verlassend ertappt wird, Der entgeht gewiss den Hunden und Vögeln als Raub nicht." Diess ist also die erste Gattung der königlichen Würde, welche nichts anders, als das auf Zeitlebens ertheilte Amt eines obersten Anführers des Heeres ist. Diese Würde kann entweder erblich und einem gewissen Geschlechte eigen seyn, oder durch Wahl verliehen werden.Von dieser sehr unterschieden ist eine zweyte Art monarchischer Herrschaft, dergleichen die Könige der meisten barbarischen Nazionen besitzen. —Sie kömmt der despotischen Gewalt eines Tyrannen sehr nahe; aber sie unterscheidet sich von ihr dadurch, dass sie doch durch Gesetze regulirt, und durch das Herkommen bestätigt ist. Weil nähmlich einige Nazionen von Natur einen knechtischern Geist haben als andre, wie diess von den Barbaren im Gegensatze der Griechen, und von den Asiatern im Gegensatze der Europäer unstreitig ist, so ertragen sie auch eine despotische Herrschaft besser, und können also derselben, aus freywilligen Einstimmung, und, ohne mit Gewalt unterdrückt zu werden, lange unterworfen bleiben. Die Regierung ihrer Monarchen ist also tyrannisch, in Absicht des Umfangs und des Willkürlichen ihrer Gewalt; sie ist aber fester gegründet und ruhiger, weil sie die von ihren Vorältern ihnen überlieferte Regierungsform, und weil sie gesetzmässig ist. Daher ist auch die Leibwache, mit der ihre Monarchen ihre eigne Person beschützen, nicht die Leibwache eines Tyrannen, sondern eines rechtmässigen Königs. Es sind nähmlich ihre eignen Unterthanen, denen sie die Waffen in die Hände geben, und von denen sie sich bewachen lassen. Die Tyrannen aber entwaffnen die ihrigen, und miethen fremde zu ihrer Leibgarde. Die Ursache ist, weil jene nach den Gesetzen und dem Herkommen, und also über Freywillige, diese über Unwillige herrschen. Die erstern können also von ihren Bürgern, — diese müssen gegen ihre Bürger geschützt werden.Zu diesen zwey Gattungen der Monarchen kömmt noch eine dritte, solcher Könige, wie wir sie in dem alten Griechenlande finden, und die von ihnen Asymnetä genannt wurden. Es war diess eine Art unumschränkter Wahlmonarchie. Sie kam mit der königlichen Gewalt bey den Barbaren darin überein, dass sie, so wie diese, auf Gesetze gegründet war: aber sie unterschied sich von ihr, indem sie nicht von Vater auf Sohn forterbte. — Einige dieser Asymneten besassen ihre Würde auf zeitlebens; andre erhielten sie nur für gewisse bestimmte Zeiten, oder Verrichtungen. So wählten die Mitylenäer den Pittacus zu ihrem Oberhaupte gegen die Exulanten, an deren Spitze Antimenides und der Dichter Alcäus standen. Alcäus selbst sagt es in einem seiner Rundgesänge, dass sie den Pittacus zum Tyrannen wählten. Denn er macht ihnen Vorwürfe, dass sie "in der zerrütteten und zum Untergange von den Göttern geweihten Stadt, den Feind des Vaterlandes, Pittacus, vom allgemeinen Taumel der Verwunderung für ihn ergriffen, zum Herrn setzten." Alle diese Monarchen waren und sind, in Absicht des Unumschränkten ihrer Gewalt, den Despoten ähnlich; in Absicht des Freywilligen, in der Unterwerfung ihrer Unterthanen, den vorgedachten Königen.Es gibt noch eine vierte Art königlicher Alleinherrschaft, das ist die, welche zu ein Heldenzeiten ihren Ursprung in der freyen Wahl der Unterthanen hatte, durch die Erbfolge aber in denselben Familien fortdauerte, zugleich aber durch Gesetze in ihrem Umfange und Rechten bestimmt wurde. Die ersten nähmlich, welche Wohlthäter eines gemeinen Wesens wurden, entweder durch Erfindung und Einführung nützlicher Künste, oder durch glücklich geführte Kriege, oder indem sie die zerstreut wohnenden Menschen zuerst zusammengebracht, oder ihnen feste Wohnsitze und Landeigenthum verschafft hatten, wurden von den Völkern, um die sie sich verdient gemacht, freywillig zu Königen erhoben, und ihre Kinder wurden von der nächsten Generation schon als erbliche Könige angenommen. — Jhre Gewalt erstreckte sich zuerst auf die Anführung der Kriegsheere, ferner auf den Gottesdienst, in so weit er nicht durch einen eignen Priesterstand besorgt werden muss, endlich auf die Entscheidung der Rechtshändel. Bey Verwaltung dieses Richteramtes mussten sie, an einigen Orten, jedesmahl den gewöhnlichen Eid ablegen, an andern waren sie davon freygesprochen. — Die Ablegung des Eides geschahe durch Erhebung des Szepters. Jn den ältesten Zeiten hatten sie sowohl über die einheimischen als über die auswärtigen Angelegenheiten, sowohl im Kriege als im Frieden zu gebiethen. Jn der Folge aber, nachdem die Könige selbst einige ihrer Rechte ausgegeben hatten, andre von den Völkern ihnen waren genommen worden, blieb ihnen in den meisten Städten nur die Aufsicht über die Opfer übrig, und auch in denen, wo sie noch am meisten von der diesem Titel angemessenen Gewalt behielten, wurden sie doch zu blossen Heerführern, deren Oberherrschaft sich nur auf die ins Feld ziehende Mannschaft erstreckte.

Eilftes Kapitel.



Einige Bemerkungen zur Prüfung der monarchischen Staatsform.

Es gibt demnach vier Arten königlicher Gewalt. Die erste, welche wir die der heroischen Zeiten nennen können, war eine Herrschaft über Freywillige, und eine durch Gesetze bestimmte Herrschaft, die sich auf das Commando über die Kriegsheere, auf die Verwaltung des Rechts und auf die Besorgung des Gottesdienstes erstreckte. Die zweyte ist die Königswürde unter den Barbaren, die in gewissen Familien erblich, unumschränkt, aber doch auf Gesetze gegründet ist. Die dritte ist die Regierung der Asymneten, einer Art von Despoten, die ein Volk freywillig auf eine Zeitlang über sich setzt; Die vierte ist die Spartanische, welche in nichts anderm als einem erblichen Commando über die Truppen und über das Kriegswesen besteht.Noch ist eine fünfte Gattung von Königsregierung übrig, wenn ein einziger Mensch in die Stelle einer ganzen Stadt, eines ganzen Volks tritt, und als ihr Repräsentant über alles zu gebiethen hat, was dieser Stadt, diesem Volke zugehört. Der Hausherr und Oekonom ist König in einer Familie: und ein solcher König ist Hausvater in einer Stadt, über eine, oder mehrere Völkerschaften.Von diesen unterschiedenen Arten der königlichen Gewalt, sind es eigentlich nur zwey, die hier zu untersuchen vorkommen: das ist die, welcher wir zuletzt erwähnt haben, und die, welche wir von dem bekanntesten Orte, wo sie eingeführt ist, die Spartanische nennen wollen. Des sind die beyden Extrema der höchsten und niedrigsten königlichen Gewalt, zwischen welchen ihre andere Arten in der Mitte sind. Die Könige denen diese zukommen, haben über weniger Gegenstände zu gebiethen, als die zuletzt genannten wahren Alleinherrscher, und über mehr, als die Herakliden in Sparta. Auf zwey Fragen reducirt sich also unsre Untersuchung: erstlich, ist es einem Staate nützlich, oder nicht, dieselbe Person auf immer, und zum alleinigen Befehlshaber ihrer Truppen, es sey nach einer gewissen freigesetzten Erbfolge in demselben Geschlecht, oder durch Wahl zu bestimmen? Zweytens, ist es einem Staate nützlich oder nicht, wenn ein Einziger über alles, was zum Staate gehört, zu gebiethen hat?Was jene auf Zeitlebens ertheilte, oder in einer Familie forterbende Generalswürde betrifft, so macht dieselbe nicht sowohl ein Stück der Grund-Verfassung eines Staats aus, als sie vielmehr eine besondre Methode in der Verwaltung desselben ist. Es kann dieselbe daher in allen Regierungsformen Statt finden; und wir dürfen sie demnach, da wir hier von den verschiedenen Verfassungen reden, bey Seite setzen.Die Königswürde der zweyten Art, ist wirklich eine eigene Gattung der Staatsverfassung, und diese müssen wir also näher betrachten, um die dabey aufzuwerfenden Fragen zu beantworten.Die erste derselben ist ohne Zweifel diese, ob es besser ist, von Einem guten Menschen, oder von guten Gesetzen regiert zu werden.Diejenigen, welche sich für die Herrschaft eines Königs erklären, sagen: "Gesetze sind nur Allgemeinsätze: sie können also niemahls zum voraus vorschreiben, was in jedem individuellen Falle zu thun ist. Jn der Ausübung jeder andern Kunst ist es ein Hinderniss ihres Fortgangs, wenn Künstler sich nach einmahl festgesetzten niedergeschriebenen Gesetzen auf immer und ewig richten sollen. Auch in Egypten, wo das Herkommen alles gilt, erlaubt man doch den Aerzten, nach vier Tagen der Krankheit, wenn sich keine Besserung einstellt, von der traditionellen Curart abzuweichen, macht sie aber, wenn sie diess früher thun, wegen des Ausgangs verantwortlich. — Es kann also aus gleichen Ursachen auch nicht die besste Regierungsform seyn, wenn die Regierung sich in allen Puncten nach den Buchstaben alter geschriebener Gesetze richten muss."Die Gegenpartey führt hingegen an: "dass auch die Menschen, welche an der Stelle der Gesetze regieren sollen, sich nach allgemeinen Maximen in ihrem Verfahren richten; dass hingegen zum Regieren gewiss der Obere tauglicher sey, bey welchem gar nichts Leidenschaftliches möglich, als der, welchem es angebohren ist; und dass der erstre Fall nur bey der Regierung der Gesetze Statt findet, der andere nothwendig bey der Regierung eines Königs eintritt, weil die Natur der menschlichen Seele eine solche völlige Vernichtung der Leidenschaften nicht zulässt."Dagegen werden die Erstern erwiedern, "dass dieser Nachtheil der königlichen Regierung dadurch wieder gutgemacht werde, dass der Regent, welcher die gegenwärtige Lage und Umstände mit Augen sieht, besser seine Entscheidungen auf das Jndividuelle derselben anpassen kann, als der alte Gesetzgeber seine Vorschriften."Das Resultat der beyderseitigen Gründe mag ungefähr folgendes seyn:Erstlich muss doch ein Mensch der erste Gesetzgeber seyn, —und dazu sind die Könige, von denen wir reden, bestimmt.Die einmahl gegebenen und gebilligten Gesetze müssen aufrecht erhalten werden, aber doch so, dass es den Regenten überlassen bleibe, in Fällen, wo die buchstäbliche Befolgung der Gesetze den Zweck derselben zerstören würde, Ausnahmen davon zu machen. Denn das ist eigentlich das Amt der Regenten, über alle die Dinge, welche das Gesetz entweder gar nicht, oder nicht gut zum voraus hat bestimmen können, Entscheidungen zu geben.Die zweyte Frage ist: "wenn nun nicht bloss Gesetze, sondern Menschen regieren müssen: welches ist besser, dass Einer oder dass Alle regieren?"Zieht man die Erfahrung zu Rathe: so findet man Städte genug, wo viele zusammentreten, um gemeinschaftlich, als Volksversammlung zu entscheiden, als Senat zu berathschlagen, als Gerichtscollegium Urthel zu sprechen. Alle diese Actus sind nichts anders, als Entscheidungen, die sich auf individuelle Fälle beziehen.Vielleicht ist von den in solchen Collegien Zusammenkommenden jeder Einzelne verglichen mit dem Monarchen, weit hinter diesem zurück. Aber eine ganze Stadt, der Jnbegriff vieler solcher mittelmässigen Menschen kann doch für besser gehalten werden, als der Eine Vorzügliche, so wie ein von mehrern zusammengetragenes Gastmahl prächtiger, als das von einem Einzigen ausgerichtete, seyn kann, wenn gleich dieser weit mehr aufgewandt hat, als irgend einer von jenen.Uiberdiess ist das Viele nicht so leicht dem Verderbnist unterworfen, als das Wenige. So wie eine grosse Menge Wasser nicht so leicht in Fäulniss übergeht, als eine kleine Quantität desselben: so kann auch eine grosse Anzahl von Menschen nicht so leicht moralisch verdorben werden, als Einer oder wenige. Wenn dieser Eine von Zorn oder von einer andern Leidenschaft einmahl überwältigt ist, so wird sein Urtheil unvermeidlich missgeleitet. Aber nicht eben so leicht ist es, dass alle Glieder einer zahlreichen Versammlung zugleich in Zorn gerathen, oder gleiche Fehltritte begehn. Wir setzen voraus, dass diese Versammlung aus Freygebohrnen besteht, die eine dieser Geburt angemessene Erziehung genossen haben; wir setzen ferner voraus, dass sie nichts ohne Vorschrift der Gesetze entscheidet, ausgenommen in Fällen, wo diese unvermeidliche Lücken gelassen haben. — Wenn diess nun von einer solchen Versammlung, und die nach dem grössten Theile aus guten Menschen und Bürgern besteht, nicht leicht sollte geschehen können: würde es dann von einem Einzigen eher zu erwarten seyn? Lässt sich hoffen, dass dieser Eine weniger verführbar sey, als die Viele, welche wir alle als gut angenommen haben? Ohne Zweifel ist die Wahrscheinlichkeit für die Vielen."Aber diese letztern werden sich in Parteyen theilen, wo Einer regiert, finden keine Factionen Statt."Darauf ist vielleicht zu erwiedern, dass, wenn mehrere gleich verständig und rechtschaffen sind, sie auch mit einander einstimmig sind, so sehr als es der Eine mit sich selbst seyn kann.Wenn man dann also die Herrschaft Vieler, die alle tugendhafte Männer sind, eine Aristokratie nennt; und die Herrschaft eines Einzigen mit dem Königstitel belegt: so müsste, nach den bisherigen Gründen, jede Stadt, in welcher es möglich wäre eine Anzahl sich gleicher guter Männer zu finden, die Aristokratie der königlichen Regierung vorziehn, und das sowohl bey denjenigen obrigkeitlichen Aemtern, welche mit einer executiven Macht versehen, als bey denen, welche ohne dieselbe sind.Vielleicht wurde bloss desswegen bey den ersten Anfängen bürgerlicher Gesellschaften die königliche Regierung gewählt, weil es damahls weniger möglich war, eine Anzahl an Verstand und Charakter zum Regieren fähiger Menschen zu finden, besonders in Städten, die noch sehr klein und arm an Bürgern waren. — Uiberdiess waren es von einzelnen Menschen, ganzen Gemeinheiten erwiesene Wohlthaten, welche diese bewogen, jene zu Königen über sich zu setzen. Diese Wohlthaten selbst charakterisirten die Personen, von welchen sie herrührten, als Männer von vorzüglichen Eigenschaften.Nachdem aber viele eine gleiche Bildung erhalten hatten, und zu gleichen Geistesvorzügen gelangt waren: wollten diese sich die Erhabenheit eines Einzigen über sie nicht mehr gefallen lassen, sondern strebten nach gemeinschaftlicher Theilnehmung an gleichen Vorrechten, und errichteten eine republikanische Verfassung. Nachdem unter diesen Aristokraten Verderbnisse eingerissen waren, und sie sich von den Gütern des gemeinen Wesens bereichert hatten: entstand ganz natürlich die Oligarchie. Der Reichthum nähmlich wurde nach und nach unter ihnen der Massstab des Werths, und der giltigste Anspruch auf Gewalt. — Von dieser Verfassung war der nächste Uibergang zur willkürlichen Herrschaft sich aufwerfender Tyrannen, und von dieser tyrannischen Monarchie zur Demokratie. Jndem nähmlich die Macht so wie der Reichthum, wegen der habsüchtigen Operationen derer, die am Ruder waren, sich immer in eine kleinere und kleinere Anzahl von Familien concentrirte, vermehrte sich die Anzahl derer, welche zum Volke gehörten, so dass endlich dieses durch solchen Zuwachs mächtiger und muthiger gemacht, ihre Beherrscher angriff, und sich der obersten Macht im Staate bemächtigte.Vielleicht ist es auch, nachdem die Städte grösser und die Bürger zahlreicher geworden sind, nicht möglich, dass in denselben das Volk nicht einen Antheil an der Regierung habe.Gesetzt nun aber, man sähe es als ausgemacht an, dass es einer Stadt am erspriesslichsten wäre, die Regierung einem Könige zu übergeben: wie soll es nun mit der Nachfolge gehalten werden? Sollen seine Kinder die königliche Würde von ihm erben? Diess ist, wenn er solche Nachkommen hat, wie wir sie oft von den Königen und Fürsten entspringen sehen, für den Staat höchst nachtheilig. —Auf der andern Seite wird wohl ein König, der die Macht und die Gelegenheit dazu hat, seinen Kindern die Nachfolge in der Regierung zu verschaffen, dieselbe andern als diesen überlassen? Das ist höchst unwahrscheinlich. Es würde dazu eine mehr als menschliche Tugend gehören.Eine andre schwierige Frage betrifft die vollziehende Macht, welche einem Könige anvertraut werden soll. Muss er eine solche Anzahl Bewaffneter zu seinem Gebothe haben, dass er die, welche nicht gehorchen wollen, zwingen könne? Oder, wenn nicht, auf welche Weise soll er die Regierung vorwalten? Denn wenn er auch auf eine gesetzmässige Weise zur Herrschaft gelangt ist, wenn er auch in seiner Regierung nichts nach seiner Willkür wider die Gesetze vornimmt: so muss er doch noch eine Gewalt in Händen haben, mit welcher er die Gesetze selbst gegen die Uibertreter aufrecht erhalten könne.Doch in Absicht eines solchen Königs, dergleichen wir zuvor beschrieben haben, ist es vielleicht nicht schwer, hier eine Bestimmung zu finden. Er muss nähmlich nothwendig eine bewaffnete Macht zu seinem Gebothe haben. Diese muss so gross seyn, dass sie der Gewalt, welche jeder einzelne Bürger oder auch ein Complott von mehrern dagegen anwenden könnte, überlegen ist, der Macht des ganzen Volks aber nicht das Gleichgewicht hält. Von dieser Stärke waren die Leibwachen, welche in jenen alten Zeiten, von denen ich oben redete, denjenigen von den Städten bewilliget wurden, welche sie in gefährlichen Zeitläuften als Aesymneten oder Dictatoren über sich setzten. Auch war diess das Maass, welches jemand den Syracusanern anrieth der Leibwache des Dionysius zu geben, als dieser bey dem Volke um eine militärische Bedeckung angehalten hatte.

Zwölftes Kapitel.



Gründe gegen die unbeschränkte Monarchie.

Die bisherigen Untersuchungen betrafen die königliche Würde im Allgemeinen: die, welche jetzo folgen, gehen bestimmter auf diejenige Gattung der Könige, welche unumschränkte Gebiether über alle Angelegenheiten des Staats sind. Jch habe schon gesagt, dass dasjenige Staatsamt, welches in einigen Republiken mit dem Königstitel verbunden, aber ganz den Gesetzen unterworfen ist, keine eigne Regierungsform ausmacht. Jn allen Verfassungen kann es ein erbliches oder auf Lebenslang einem Menschen anvertrautes Generalat geben. Diess kann eben sowohl bey der Aristokratie als bey der Demokratie bestehn. Viele tragen auch die innern Verwaltung einem Einzigen auf. Eine solche Magistratsperson ist in Epidamus und in Opus, obgleich am letztern Orte mit geringerm Ansehn.Aber die von mir sogenannte Παμβασίλεία, — die wo einer alles und nach seinem Willen regiert, —macht, wie ich gesagt, eine eigne Regierungsform aus, über welche noch verschiedenes zu sagen ist.Einigen scheint überhaupt diese Regierungsform wider die Natur zu seyn. Da wo der Staat aus Personen gleiches Stammes, die einander an Charakter und Geist ähnlich sind, besieht, ist es unnatürlich, dass Einer über alle übrige herrsche. Was unter zwey gleichen dem Einen Recht ist, muss dem Andern auch Recht seyn, das will das Gesetz der Natur; und die welche ähnliche innere Vorzüge haben, müssen auch ähnlicher äusserer Vorrechte gewürdiget werden. Jst es den Menschen nach ihrem physischen Theile schädlich, wenn die, der körperlichen Constitution nach Gleiche, ungleiche Nahrungsmittel und Bekleidung bekommen, oder wenn die einander Unähnliche auf einerley Art gespeist und bekleidet werden; so muss es ihnen auch nach ihrem moralischen Theile schädlich seyn, wenn ein gleiches Missverhältniss zwischen ihren Geistesbeschaffenheiten und den Ehrenposten, die sie im Staat einnehmen, herrscht. herrscht.Unter Gleichen ist also diess die Regel der Schicklichkeit, dass keiner mehr herrscht als er beherrscht wird. Diess findet nur auf eine Art Statt, wenn nähmlich alle nach der Reihe zur Regierung gelangen. Eine solche Anordnung der Regierungsfolge macht schon ein Staatsgesetz aus. Und es ist demnach das Gesetz und nicht ein einzelner Mensch, welcher die oberste Gewalt im Staate haben muss.Nach eben diesem Räsonnement folgt, dass, wenn Menschen eine Regierung anvertraut werden muss, diese nur zu Wächtern und Dienern der Gesetze bestellt werden.Allerdings, sagen diese Gegner der königlichen Gewalt, müssen Obrigkeiten in einem Staate seyn, aber nicht alle obrigkeitliche Gewalt muss sich in den Händen eines Einzigen vereinigen, wenn mehrere unter sich Gleiche vorhanden sind.Dass man sagt, die Gesetze könnten nicht zum voraus alles entscheiden, ist kein Grund zur Einführung einer unumschränkten königlichen Gewalt. Denn was die Gesetze nicht thun konnten, wird der Verstand eines einzigen Menschen nicht ergänzen. Aber die Gesetze geben nicht bloss Vorschriften, sie sind auch bestimmt die Bürger zu bilden und zu unterrichten. Und wenn sie diess gethan haben, so können sie es den obrigkeitlichen Personen in den verschiednen Staatsämtern getrost überlassen, das nach ihrem bessten Wissen und Gewissen zu entscheiden und einzurichten, was die Gesetze unausgemacht lassen. Sie können es den Bürgern auch erlauben, Aenderungen in den Gesetzen zu massen, wenn sie durch hinlängliche Erfahrungen davon versichert sind, dass die neue Einrichtung besser ist. Zu allem diesem ist also nicht die gesetzgeberische Gewalt eines Einzigen nothwendig.Der welcher sagt, dass der Geist nur regieren soll, scheint zu wollen, dass Gott und die Gesetze regieren. Denn die Gesetze sind die reinen Ausdrücke vernünftiger von Leidenschaften freyer Uiberlegungen. Wir aber verlangt, dass ein Mensch regiere, setzt dem Geiste noch das Thier zur Seite. Denn die sinnliche Begierde, die von der menschlichen Natur unzertrennlich ist, ist thierisch. Eben so ist es der Zorn, der auch die bessten Männer zuweilen überfällt, und der besonders obrigkeitlichen Personen sehr gefährlich ist. Verstand ohne sinnliche Begierde kann man also unter den Menschen nirgends anders finden, als in den allgemeinen Begriffen und Sätzen, die sie durch das Nachdenken erfinden, —wozu die Gesetze gehören.Das Beyspiel, welches die Gegner von der Schädlichkeit unveränderlicher Regeln in der Ausübung der Künste anführen, — dass es eine sehr schlechte Cur-Methode sey, wenn der Arzt nach geschriebnen Gesetzen curiren muss, und dass es weit rathsamer sey, sich der Einsicht des Menschen, der die Kunst ausübt, zu überlassen, —ist nicht passend auf den Gegenstand, von dem wir reden. Der Arzt hat keine Versuchung, aus Liebe oder aus Hass seinen vernünftigen Einsichten entgegen zu handeln. Er hat nur ein Jnteresse, das, seinen Kranken gesund zu machen, wovon seine Belohnung abhängt. Personen aber, welche Regierungsämter verwalten, sind sehr der Gefahr ausgesetzt, sich leidenschaftlich für oder wider gewisse Parteyen einnehmen zu lassen, und vieles wider ihre bessre Erkenntniss zu thun, um die eine zu begünstigen, der andern zu schaden. Hätte man gegen einen Arzt den Verdacht, dass er wohl von unsern Feinden bestochen seyn könnte: so würde man auch lieber wünschen, dass er an gewisse Regeln in seiner Cur gebunden wäre, als dass er willkürlich sie anordnen dürfe. —Wir sehen auch, dass, sobald Künstler mit Sachen zu thun haben, in welche sich ein starkes persönliches Jnteresse einmischt, sie ihrer eignen Einsicht nicht mehr trauen. Ein Arzt, wenn er krank wird, ruft einen andern Arzt zu Hülfe: und ein Lehrer der Gymnastik zieht einen andern Meister zu Rathe, wenn er selbst Leibesübungen vornehmen will. Sie fürchten hier nicht mehr so richtig urtheilen zu können, weil sie über Dinge, die sie alle zu nahe angehen, und in dem Zustande einer Leidenschaft urtheilen sollen.Das Gerechte ist das Unparteyische. Die Gesetze aber sind unparteyisch.Ferner unter den Gesetzen sind nicht bloss die geschriebnen Gesetze zu verstehn. Es gibt andre, die durch die stillschweigende Uibereinstimmung Aller und durch die Erfahrung der Zeiten entstanden sind, Diese Gewohnheits-Gesetze, die man auch Sitten nennt, betreffen in der That noch höhere Gegenstände, und sind selbst heiliger und ehrwürdiger als die geschriebnen Gesetze. Wenn es also auch sichrer ist, einem Menschen als geschriebnen Gesetzen auf immer zu gehorchen, so ist es dem ohnerachtet nicht ohne Gefahr, diesen Menschen auch über die Gewohnheiten und die Sitten hinweg zu setzen.Ferner: Ein Einziger kann nicht alles übersehen. Er muss also mehrere unter sich haben, denen er einen Theil seiner Oberherrschaft anvertraut. Aber wäre das nun nicht einerley, ob diese mehrere gleich anfangs die Regierung unter sich getheilt hätten, oder ob sie von dem Einen in ihre Aemter eingesetzt werden?Dazu kömmt, was ich schon mehrmahlen gesagt habe: wenn der Eine desswegen der Regierung würdig ist, weil er ein vorzüglicher Mann ist: so sind zwey solcher Männer, die zusammen doch besser sind als Einer, noch mehr werth zu regieren. Das sagt der Homerische Spruch:"Zweyer Tapfern vereinigte Kraft entscheidet das Treffen." und der Wunsch des Agamemnons: "Möchte doch Weisen wie Nestor nur zehn Kronion mir schenken, Bald säh Trojens Mauern ich niedergetrümmert im Staube."Dass nicht durchaus ein Monarch nothwendig sey, das Mangelhafte der Gesetze zu ergänzen, ist daraus klar, dass ja in mehreren Orten die Magistratspersonen, die nur einen bestimmten Theil der Geschäfte unter sich, und eine abhängige Gewalt haben doch, (so wie auch die Richter, die nicht einmahl für Magistratspersonen angesehen werden), das Recht besitzen; in ihrem Departement nach ihrer Einsicht zu entscheiden, was die Gesetze unentschieden gelassen haben.Die Gesetze können also nicht, im eigentlichen Verstande, allein und ohne die hinzutretende Uiberlegung und Autorität von Obrigkeiten regieren und das Einzelne anordnen. Bey Sachen, von denen es möglich ist, sie unter allgemeine Gesetze zu bringen, ist kein Streit, dass die Willkür der Menschen davon aufgeschlossen werden müsse. Aber da es andre und nicht wenige gibt, die mit allen ihren Verschiedenheiten sich durch Gesetze nicht umfassen lassen: so entsteht bey diesen die Frage, wie viel man dem Buchstaben der Gesetze, wenn es gute Gesetze sind, und wie viel man der Willkür der Obrigkeit, wenn es eine gute Obrigkeit ist, überlassen müsse. Uiber die meisten der Angelegenheiten z. B. über welche in einem Staate berathschlagt wird, ist es unmöglich von einem Gesetzgeber Entscheidungen zu erwarten.Also nicht darüber ist der Streit, ob es nothwendig sey, dass über solche Gegenstände Menschen den Ausspruch thun, sondern nur, ob nothwendig nur Einer in höchster Jnstand alles entscheiden müsse, oder ob diese Function unter mehrern vertheilt seyn könne.Wenn die Gesetze und Sitten gut sind, so bilden sie diejenigen, welche zu obrigkeitlichen Aemtern bestimmt sind. Und es ist also zu erwarten, dass jeder von ihnen die nöthigen Eigenschaften haben wird, um über die ihm anvertrauten Geschäfte richtig zu urtheilen.Es scheint sogar ungereimt zu seyn, dass Einer mit zwey Ohren besser hören, und mit zwey Händen und Füssen besser die Sachen ausführen solle, als Viele mit vielen.Jn der That veranstalten es die Monarchen auch so, dass viele Augen, Ohren, Hände und Füsse ihnen wie ihre eignen dienen. Sie nehmen nähmlich die, welche sie für Freunde ihrer Regierung und ihrer Personen halten, zu ihren Gehülfen und Mitregenten an.Sind diese von ihnen gewählten Werkzeuge ihrer Regierung, nicht, wofür sie sie halten, — d, h, nicht Freunde: so werden sie auch ihren Absichten entgegen wirken, und den Geschäften schaden. Sind sie aber Freunde des Monarchen wie der Monarchie, so lässt sich voraussetzen, dass sie ihm gleich und ähnlich waren. Wenn es also hier nützlich war, dass diese von den Monarchen zu Theilnehmern an seiner Alleinherrschaft angenommen wurden: so würde es ja eben so nützlich gewesen seyn, wenn diese Gleiche und Aehnliche die Regierung unter sich mit gleicher Autorität getheilt hätten.Diess sind ungefähr die Gründe, welche gegen die Alleinherrschaft eines Einzigen angeführt werden.Vielleicht muss man aber die Nazionen und Menschen unterscheiden, welchen eine Regierungsform gegeben werden soll: und vielleicht passen jene Gründe auf einige derselben, auf andre nicht. Es gibt gewisse Menschenarten, die von Natur despotisch beherrscht seyn wollen; andre, bey denen eine königliche Regierung sowohl gerecht und schicklich, als nützlich ist; noch andre, denen eine republikanische Regierungsform von Rechtswegen zukommt und eben so zuträglich ist. Aber kein Volk, keine Umstände kann es geben, denen die Tyranney oder irgend eine der andern aus ihren Schranken gewichnen Verfassungen angemessen wäre. Denn diese sind an und für sich der Natur entgegen.Was nun diejenige Verfassung betrifft, wo Einer Herr von allen ist, so kann dieselbe in einem Staate, der aus sich gleichen und ähnlichen Personen besteht, weder gerecht noch nützlich seyn; weder alsdann wenn gar keine Gesetze vorhanden sind, und dieser Eine die Stelle der Gesetze vertritt, noch alsdann, wenn Gesetze vorhanden sind, und er der einzige Handhaber derselben ist; — weder, wenn er unter Guten ein guter wie alle andre, —noch wenn er unter Schlechten so schlecht ist, wie die übrigen; ja selbst dann nicht, wenn er zwar unter allen einen Vorzug an persönlichen Verdiensten hat, aber doch keinen Vorzug von einem gewissen Grade. Welcher dieser Grad sey, ist oben schon einigermassen angezeigt worden, muss aber noch genauer bestimmt werden. Vor allen Dingen aber muss erst ausgemacht werden, welches die Charaktere eines zur monarchischen, aristokratischen oder republikanischen Verfassung vorzüglich fähigen und vorbereiteten Volks seyen.Diejenige Gesellschaft von Menschen ist einer königlich-monarchischen Regierung empfänglich, in welcher sich Eine Familie über die andern an Würde und Verdiensten weit erhoben hat, und in welcher die andern so gegen diese Familie gesinnt sind, dass sie auch die politische Erhabenheit derselben ohne Murren ertragen.Dasjenige Volk wird sich leicht unter eine Aristokratische Regierungsform bringen lassen, in welchem mehrere einander gleiche, aber von anerkannter Uiberlegenheit über den grossen Haufen, in Absicht der Fähigkeit zur Verwaltung politischer Angelegenheiten, vorhanden sind, und in welchem zugleich dieser grosse Haufen diesen Bessern die Regierung zu überlassen, doch mit Beybehaltung aller Rechte freyer Menschen, aufgelegt ist.Dasjenige Volk endlich ist für eine freye republikanische Regierungsform eingerichtet, von welchem der grössere Theil kriegerisch ist, — dann eben sowohl die Fähigkeiten hat zu regieren, als die Kunst versteht zu gehorchen; endlich sich nach Gesetzen bequemt, welche die Magistraturen zwar vornehmlich nach der Würdigkeit, aber bey gleichem Verdienst den Wohlhabendern zutheilen.Wenn es also unter einem Volke eine Familie oder auch eine einzelne Person gäbe, welche so vorzügliche Geisteskräfte und Tugenden besässe, dass diese die Summe der in dem übrigen Haufen zerstreuten Kräfte und Tugenden überträfe: dann wäre es die höchste Gerechtigkeit, dass diese Person Monarch, dass in dieser Familie die königliche unumschränkte Macht erblich sey.Und dieses Recht stützt sich nicht nur auf eben die Gründe, um welcher willen die, welche aristokratische, oligarchische, oder demokratische, Regierungsformen errichten, die Souverainität demjenigen Theile des Staats zueignen, nach dessen Oberherrschaft diese Regierungsformen benannt werden, — nähmlich um eines gewissen Vorzuges oder einer Uiberlegenheit willen, welche diesem Theile zukömmt: sondern es bekömmt dadurch noch ein höheres Ansehn, dass in dem jetzigen Falle, nicht von jeder Uiberlegenheit, sondern von der persönlichen an Geistesvorzügen und Tugenden die Rede ist. Denn auf welche Weise sollte wohl eine unter ihrem Volk so weit hervorragende Person oder Familie behandelt werden? — Sie, dieses ihres Vorzugs wegen, umzubringen, oder zu verbannen, es sey mit Schimpf oder mit Ehre, kann unmöglich dem Verhältnisse derselben angemessen seyn, Eben so wenig schicklich ist es, dass dieselbe, so wie andre Bürger, wechselsweise Magistraturen begleiten und regieren, und dann wieder im Privatstande seyn und regiert werden solle. — Hier ist eine Ausnahme von dem Grundsatze: dass der Theil nicht grösser seyn könne, als das Ganze. Dieser Theil übertrifft an moralischer Grösse, wie wir angenommen haben, dass Ganze, er kann also nicht bloss die Rechte eines Theils haben. Es bleibt also nichts anders übrig, als dass dieser Eine, es sey Mensch oder Geschlecht, ganz allein und auf immer Beherrscher aller übrigen sey.Was also die königliche oder monarchische Gewalt und Würde betrifft; wie viel verschiedene Arten es davon gibt, und ob überhaupt diese Regierungsform für die Staaten nützlich sey oder nicht, und welchen, und auf welche Weise sie das eine oder das andre seyn könne: diese Untersuchung sehe ich durch das bisher Gesagte als geendigt an.Jch habe oben gesagt, dass es drey regelmässige Verfassungen gebe. Jn jeder derselben gibt es noch Abwechselungen des bessern und schlechtern. Am bessten ist jede Verfassung bestellt, wenn die absolut Bessten am Ruder sind. Diess letztre findet aber nur alsdann Statt, wenn entweder Einer, oder ein ganzes Geschlecht, oder mehrere, an innern Gaben und Tugenden über die andern dergestalt hervorragen, dass sie diese zu dem vollkommensten und wünschenswürdigsten Leben durch ihre Regierung bringen, diese hingegen nur durch ihre Folgsamkeit dazu gebracht werden können: Da wir nun gleich anfangs gezeigt haben, dass die Tugend, welche den vollkommenen Menschen, und die, welche den vollkommenen Bürger in einer gut verfassten Republik macht, eine und dieselbe ist: so ist klar, dass, um einen Staat zu erbauen, der vollkommen gut, es sey monarchisch, es sey aristokratisch regiert werde, eben dieselbe Methode nöthig, eben dieselben Mittel anzuwenden seyn, durch welche ein einzelner Mensch zu einem tugendhaften und vollkommnen Manne gebildet wird. Dieselbe Erziehung gehört dazu, dieselben Sitten und Gewohnheiten müssen herrschend gemacht werden, bey der Person, welche ein vorzüglicher Mensch, und bey der, welche ein guter Staatsmann oder König werden soll.Nach diesen Erörterungen ist es nun Zeit, die Natur und die Entstehung des in jeder Gattung vollkommensten Staats zu untersuchen, durch welche Eigenthümlichkeiten er sich unterscheide, was er sey, und auf welche Weise er könne zu Stande gebracht werden. Der Gegenstand ist wichtig: und verlangt also auch eine verhältnissmässige Aufmerksamkeit.Viertes Buch.

Erstes Kapitel.



Hauptprobleme der Politik.

Jn allen Künsten und Wissenschaften, welche eine ganze Gattung von Dingen umfassen, die zu einem gemeinschaftlichen Endzwecke gehören, und nicht bloss einen einzelnen Theil der Gattung bearbeiten, liegt es dem Künstler oder dem Lehrer eben so sehr ob, das absolut Besste in seiner Gattung, als das in jedem gegebenen Falle mögliche, und demselben angemessene Gute zu kennen, und hervorzubringen. Ein Meister der Gymnastik zum Beyspiel muss wissen, welche Art von Leibesübungen diesem und diesem Körper zukommen: diess schliesst schon in sich, dass er auch wissen muss, welches die an sich besste Art der Leibesübungen sey: denn das sind die, welche dem am schönsten gebauten und am bessten unterhaltenen und verpflegten Körper zukommen. Er muss ferner wissen, welches diejenige Gymnastik ist, die sich im Durchschnitt für die meisten Körper schickt. Ja, wenn jemand auch freywillig nur eine minder vollkommene Kenntniss und Geschicklichkeit in den Fechterkünsten zu erlangen sich vorsetzt: so muss er ihm auch diesen Grad und nicht mehr zu verschaffen wissen, wenn er ein vollkommner Lehrer in seinem Fache seyn soll. — Eben das, sehen wir, wird von einem Arzt, und einem Schiffsbaumeister, wie von einem Schneider, von den grössten wie von den geringsten Künstlern, gefordert. Also wird es auch in Absicht politischer Gegenstände, zu eben derselben Wissenschaft gehören, zu finden, welches die an sich wünschenswürdigste Verfassung und Regierung sey, wenn keine äussre Hindernisse und Einschränkungen vorhanden sind, —und welches die unter bestimmten Umständen eines Staats, wenn diese, wie häufig der Fall ist, die absolute Vollkommenheit nicht erlauben, mögliche und diesen Umständen angemessenste Verfassung sey. — Der Gesetzgeber und wahre Staatsmann muss sowohl die absolut besste als die nach Umständen und in dem vorliegenden Falle besste Staatseinrichtung kennen: Er muss aber drittens auch diejenige kennen, die bey willkürlich vorausgesetzten Bedingungen und Einschränkungen anzurathen ist. Jhm liegt es nähmlich ob, wenn er dazu aufgefordert wird, einen jeden Staat und dessen Einrichtung, so wie sie einmahl da sind, in Untersuchung zu ziehn, das Eigenthümliche derselben Verfassung und die Art ihrer Entstehung zu erforschen, und dann noch anzugeben, wie er bey dieser Verfassung, sey sie gut oder schlecht, noch am längsten erhalten werden könne. Es sey zum Beyspiel ein Staat unfähig, die an sich bessre Regierungsform anzunehmen, weil er mit den Bedürfnissen und Hülfsmitteln des Lebens nicht hinlänglich versorgt ist; eben dieser habe aber auch nicht einmahl eine so gute Verfassung, als er wohl den Umständen nach haben könne: demohnerachtet muss der Staatskünstler ihn, so, wie er ist, aufrecht zu halten wissen. Endlich, ausser allem diesen, muss er auch den wirklichen Zustand der Dinge kennen, und wissen, welche Verfassung und Regierung für die meisten der jetzt vorhandnen Staaten, so wie sie einmahl sind, passend sey, Daher die meisten, welche bisher über Politik und Staatsverfassung geschrieben haben, wenn sie auch im Allgemeinen viel Gutes sagen, doch das auf die wirkliche Welt Anwendbare und also Brauchbare verfehlen. Nicht bloss das, was das Besste, sondern auch das was möglich ist, sollte der Gegenstand ihrer Untersuchung seyn: sie sollte eben sowohl die leichter zu erreichende und mehrern gemeine Vollkommenheit als die höchste und seltenste in Erwägung ziehn. So aber bleiben jetzt die Meisten bey der Ausführung eines Jdeals einer ganz vollkommnen Republik stehen, zu deren Bildung sich viele äussere Umstände und Hülfsmittel vereinigen müssen. Diejenigen, welche sich noch herablassen, von gemeinern und mehrmahlen anzutreffenden Verfassungen zu reden, nehmen doch nur irgend eine einzelne, als die Spartanische oder eine ähnliche zu ihrem Muster, und wollen alle übrigen nach dieser umschaffen. Die wahre Aufgabe aber, die der Staatslehrer auslösen soll, ist, in jeder bürgerlichen Gesellschaft diejenigen Ordnungen einzuführen, zu deren Annahme die Glieder der Gesellschaft am leichtesten bewogen, und zu deren Befolgung sie am ehesten geschickt gemacht werden können. Denn es ist kein geringeres Werk, einen schon vorhandenen Staat bis auf einen gewissen Grad zu verbessern, als einen neuen zu errichten, so wie es gleich schwer ist, versäumten Unterricht nachzuhohlen, als, von Anfang an, andre etwas zu lehren. Ausser den allgemeinen Einsichten also von dem, was an sich zur bessten Anordnung eines Staats gehört, muss der wahre Politiker auch im Stande seyn, den wirklichen Staaten, so fehlerhaft oder verdorben sie seyn mögen, zu Hülfe zu kommen. Das kann er aber nicht, wenn er nicht weiss, wie viel Verschiedenheiten in jeder Regierungsform vorkommen können.Solche Modificationen wollen einige gar nicht zulassen. Sie glauben, dass es nur Eine Art von Demokratie gebe, die diesen Nahmen verdiene, nur Eine Oligarchie, — u.s.w. Darin irren sie aber sehr.Also, wie gesagt, die verschiedenen Bestandtheile jeder Regierungsform, die Veränderungen, die in diesen Bestandtheilen selbst vorkommen können, und die verschiedenen Arten der Zusammensetzung derselben, dürfen dem Lehrer unsrer Wissenschaft nicht verborgen seyn.Dieselbe Einsicht, welche ihm in Absicht der Verfassungen nöthig ist, die ist ihm auch in Absicht der Gesetze nöthig. Er muss wissen, welches die bessten an sich, und welches die zu jeder Verfassung passenden sind. Denn die Gesetze richten sich immer nach den Verfassungen, und werden auch immer nach Maassgabe der Verfassungen eingeführt, —nicht die Verfassungen nach den Gesetzen. Jch verstehe aber unter Verfassung, wie ich schon gesagt habe, diejenige Anordnung, welche die Rechte zu befehlen und zu gehorchen bestimmt, welche sagt, wo die Souverainität des Staats residirt, und wie die verschiedenen Zweige der Macht ausgetheilt sind, und welches der Zweck der ganzen Vereinigung ist. Gesetze aber sind die einzelnen und genauern Bestimmungen jener in der Verfassung ausgetheilten Rechte, nach welchen den Obrigkeiten vorgeschrieben wird, wie sie in Führung ihrer Geschäfte verfahren, und wie sie die Uibertretung der Regel verhindern sollen. Woraus klar ist, dass in den Gesetzen eben so viel Verschiedenheiten Statt finden müssen, als es deren in den Staatsverfassungen gibt. — Jst nicht bloss Eine, sondern sind mehrere Demokratien und Oligarchien möglich: so können auch nicht eben dieselben Gesetze allen demokratisch oder oligarchisch genannten Staaten zukommen und nützlich seyn.

Zweytes Kapitel.



Uibergang und Einleitung zu den hieher gehörigen speciellen Untersuchungen.

Jch habe in meinen vorhergehenden Untersuchungen alle Staatsverfassungen eingetheilt, in drey regelmässige, die königliche, die aristokratische Regierung, und die im eigentlichen Verstande freye Republik; und in drey Ausartungen von diesen, den Despotismus, die Oligarchie, und die Volksregierung. Von der Aristokratie und der Regierung eines Königs habe ich bisher geredet. Hier heisst, den Jnbegriff dieser Regierungsformen entwickeln, zugleich so viel, als untersuchen, welches die besste Form in den unter diesen beyden Benennungen stehenden Staatsverfassungen sey. Denn das macht das Wesentliche der Würde eines Königs und der Aristokraten, dass sie auf Tugend oder auf persönliche und Geistesvorzüge ihre Rechte gründen, dass aber die solcher Gestalt verfassten Staaten auch die äussern nöthigen Hülfsmittel zu ihrer Aufrechterhaltung haben, wird in jedem Falle vorausgesetzt. — Jch habe ferner genauer angegeben, worinen die Monarchie von der Aristokratie verschieden sey: und welche Monarchie man eigentlich mit dem Nahmen einer königlichen Regierung belegen dürfe. Es ist also nur noch übrig, von der eigentlichen republikanischen Verfassung, der ich den allgemeinen Nahmen Staatsverfassung (πολιτεία) in einem eingeschränktern Sinn, und gleichsam Vorzugsweise beylege, und von jenen drey ausgearteten Formen, dem Despotismus, der Oligarchie und der Demokratie zu handeln.Das ist schon aus dem Bisherigen klar, welche unter diesen ausgearteten Verfassungen die schlimmste, welche die weniger schlimme seyn müsse, u.s.w. Ohne Zweifel muss die besste und göttlichste Einrichtung, wenn sie ausartet, und sich verdirbt, die schlimmste hervorbringen. Diess ist aber ausgemacht die königliche Regierung. Denn entweder verdient ein König diesen Nahmen nicht, oder er ist es nur, weil er sehr weit alle seine Unterthanen an Tugend und Vollkommenheit übertrifft. Der Despotismus also, die Ausartung der Königsmacht verdient unter den schlechten Verfassungen die erste Stelle, und ist also von derjenigen, mit welcher er Aehnlichkeit zu haben scheint, im Grunde am meisten entfernt. — Nach ihm folgt die Oligarchie, die von der Aristokratie, deren Auswuchs sie ist, ebenfalls sehr weit sich entfernt. Die erträglichste ist die Demokratie, die mit der wahren Republik, von der sie entartet ist, immer noch einige Aehnlichkeit behält.Einer meiner Vorgänger, Plato, hat schon etwas Aehnliches behauptet: aber er hat dabey nicht mit mir einerley Gesichtspunct gehabt. Er sagt: wenn alle Regierungsformen Oligarchie z. B. Demokratie u.s.w. in ihrer Art gut sind, und was sie seyn sollen, so ist unter ihnen die Demokratie die schlechteste. Wenn sie aber alle verdorben sind, so ist die Demokratie die erträglichste. Jch aber glaube, dass jene genannten Verfassungen nie vollkommen gut seyn können, dass sie nur Ausartungen der bessern sind, mit denen sie Aehnlichkeit haben; dass sich also im genauesten Sinne nicht sagen lässt, dass eine Oligarchie besser sey als die andre, sondern nur, dass sie weniger schlecht sey. Und so lässt sich also auch nicht eine Vergleichung zwischen Oligarchie und Demokratie, jede als gut, und dann wieder als verdorben betrachtet, anstellen, da es immer schon, so zu sagen, verdorbne Formen von Staatsverfassungen sind. Doch diese genauere und critische Unterscheidungen gehören für einen andern Ort. Hier habe ich noch zu untersuchen, erstlich, wie vielerley es Gestalten und Arten der Demokratie und Oligarchie gebe, wenn es einmahl ausgemacht ist, das das Wesentliche dieser Modificationen bestehen könne: Ferner, welche nach der bessten noch an sich am wählenswürdigsten, oder die in den meisten Umständen mögliche und schickliche sey? z. B., wenn man eine gewisse Art der Aristokratie für eine vorzügliche Staatsverfassung annimmt, welche Modalitäten und Bestimmungen sie haben müsse, wenn sie auf den grössten Theil unsrer bekannten Städte passen solle? Drittens, wie zwischen den Hauptgattungen selbst die Wahl anzustellen ist; denn es gibt Nazionen und Gemeinheiten, denen die demokratische Verfassung beynah nothwendig, andre, bey denen es die oligarchische ist. Viertens, auf welche Weise es ein Gesetzgeber anzufangen habe, wenn er diese oder jene Regierungsform, als Demokratie oder Oligarchie, und jede besondre Unterart derselben wirklich einführen, oder einen Staat nach derselben errichten wolle. Nach einer kurzen Behandlung aller dieser Gegenstände, ist zuletzt noch zu untersuchen, welches die erhaltenden Kräfte, welches die zerstörenden, sowohl für alle Staatsverfassungen überhaupt, als für jede Form derselben insbesondre sind: und welche Ursachen in der Natur der Dinge, oder in der Aufführung der Menschen, das Eine oder das Andre bewirken?

Drittes Kapitel.



Rechtfertigung der obigen Eintheilung der Regierungs-Formen.

Die Ursache, welche macht, dass es mehrere Arten von Staatsverfassungen gibt, liegt darinnen, dass der Staat selbst aus mehr als einem Theile besteht, — dass er ein zusammengesetztes Wesen ist. Denn zuerst, gehört zu jedem Staate ohne Ausnahme, eine Vielheit einzelner Häuser und Familien. Dann ist unter diesen Vielen wieder ein Unterschied. Einige sind reich, andre arm, andre in der Mitte zwischen beyden. Von den Reichen sowohl als von den Armen sind einige kriegrisch und geschickt die Waffen zu führen, andre dazu unfähig oder davon abgeneigt. Endlich sehen wir, dass von der geringern Klasse, die wir das Volk nennen, einen Theil die Ackersleute, einen andern die gemeinen Handwerker, einen dritten die Handelsleute und Krämer ausmachen. Auch unter den Vornehmern und Notabeln ist wieder ein Unterschied nach Massgabe des Reichthums und der Besitzungen. Einige sind so wohlhabend, dass sie Pferde halten und immer beritten seyn können. Denn diess kann man als ein Zeichen einer vorzüglichen Wohlhabenheit ansehn. Daher auch in den ältern Zeiten, in denjenigen Städten, deren Hauptkriegsmacht in Reuterey bestand, die Regierungsform meistentheils oligarchisch war, weil nur diejenigen an der Regierung Theil nahmen, die reich genug waren, zu Pferde Kriegsdienste zu thun. — Dass aber die Reuterey bey diesen so vorzüglich geschätzt wurde, kam daher, weil sie derselben gegen die oft ganz nahe an ihre Stadt grenzenden Nachbarn bedurften. Jn diesem Falle waren die Eretrier und Chalcidäer auf der Jnsel Euböa, die Einwohner von Milet am Mäander, und mehrere andre Asiatische Griechen.Ausser dem Unterschiede an Vermögen gibt es noch andre, die unter der vornehmern Klasse selbst neue Absonderungen machen. Einige davon halten ihr Geschlecht für edler, andre glauben, an persönlichen Eigenschaften einen Vorzug zu haben. Und wenn es noch andre Abstufungen gibt, dergleichen ich bey der Abhandlung über die Aristokratie gedacht habe, so entstehn daraus eben so viele Theile einer Stadt. Von diesen Theilen nun haben bald alle Antheil an der Rigierung, bald nur einige, — hier mehrere, dort wenigere. — Wie nun diese Theile der Art nach von einander verschieden sind, so müssen auch diejenigen Verfassungen der Art nach von einander verschieden seyn, in welchen entweder der eine oder der andre der herrschende ist.Nähmlich die Staatsverfassung ordnet die Regierung an und theilt die Magistraturen aus. Sie wird daher von jedermann eingetheilt, nachdem die Macht und die obrigkeitlichen Würden entweder einigen Gliedern als den Reichen allein, oder den Aermern allein, ausschliessend eigen, oder mehrern, z. B. Reichen und Armen, nach einer gewissen Proportion gemein sind. Dieser verschiedenen Austheilungen der Macht kann es nun so viele geben, als verschiedene Bestandtheile in einem gemeinen Wesen vorhanden sind, die einen gewissen Vorrang vor einander begehren.Viele glauben diese Untersuchungen einfacher zu machen, indem sie, so wie einige Geographen nur zwey Hauptwinde annehmen, Südwinde und Nordwinde, von welchen alle die übrigen nur Abweichungen seyn sollen, auch nur zwey Haupt-Regierungsformen gelten lassen, die demokratische, wo Viele, die Menge, und die oligarchische, wo Wenige regieren. Alsdann nähmlich sehen sie die Aristokratie für eine Art der Oligarchie, und das, was ich Republik im eigentlichen Verstande nenne, für eine Art von Demokratie an; so wie jene Geographen den Abendwind zu einer Unterart des Nordwindes, und den Morgenwind zu einer des Südwindes machen. Mit den musikalischen Tonarten machen es einige eben so; nehmen nur zwey Hauptunterschiede, die Dorische und die Phrygische, an, und suchen alle übrige Tonleitern unter eine von diesen beyden Rubriken zu bringen. — So gewöhnlich nun auch jene Abtheilung der Staatsverfassungen seyn mag, und so einfach sie zu seyn scheint: so ist doch die unsrige, glaube ich, richtiger und besser, nach welcher zuerst die regelmässigen (es mögen denn nun eine oder mehrere seyn), von den unregelmässigen und ausgearteten unterschieden werden (so wie, wenn eine Modulation als die am meisten harmonische gefunden wäre, und die übrigen nach der mehrern oder weitern Entfernung von der vollkommensten Harmonie classificirt würden), und dann diese unregelmässigen selbst darnach eingetheilt werden, dass die eine mehr Stärke und eine strengere Unterordnung in die Regierung bringen, welches die oligarchischen Verfassungen thun, die andern aber eine losere und mehr nachgebende Verbindung zwischen Obrigkeit und Unterthanen hervorbringen, welches der Fall bey den demokratischen ist.

Viertes Kapitel.



Demokratie und deren Arten.

Es ist nicht genug, wie viele glauben, Demokratie und Oligarchie bloss nach dem Nahmen zu definiren, so dass jene die Regierung der Menge, diese die Herrschaft Weniger anzeige. Auch in Oligarchien und allenthalben herrscht gewissermassen der grössere Theil. Jm Gegentheil, wenn in einer Stadt tausend dreyhundert Einwohner wären, und darunter tausend Reiche, diese aber den dreyhundert Armen, die übrigens frey, und jenen in allen andern Stücken gleich wären, keinen Theil an der Regierung liessen: so würde man nicht sagen können, dass diese Stadt demokratisch regiert würde. — Auf gleiche Weise, wenn irgend wo die Armen an Anzahl geringer als die Reichen, sie doch zu überwältigen gewusst, und die Macht des Staats allein an sich gerissen hätten: so würde man diess doch nicht eine Oligokratie nennen.Weit richtiger also drückt man sich aus, wenn man sagt: das Wesen der Demokratie besteht darin, dass die Freygebohrnen ohne Unterschied, — das Wesen der Oligarchie, dass die Reichen regieren. Es ist aber etwas Zufälliges, welches doch nach der Natur der Sache gemeiniglich geschieht, dass der Freygebohrnen viele, der Reichen wenige sind. Eben so würde, wenn die Grösse des Körpers (wie man sagt, dass es in Aethiopien geschieht), oder die Schönheit der Massstab wäre, nach welchem die Macht und der Antheil an den Regierungsämtern ausgetheilt würde, es zufälliger Weise geschehn, dass die Macht in die Hände weniger kommen und also eine Art von Oligarchie entstehen würde, weil es nähmlich der vorzüglich grossen und der schönen Leute immer nur wenige gibt.Kömmt aber dann wirklich der Fall vor, dass an einem Orte der Freyen wenig sind, und diese über viele, die aber nicht so freygebohren als sie sind, herrschen, so ist diess deswegen nicht eine Oligarchie zu nennen. Dieser Fall existirte in Apollonien, das am Jonischen Meere liegt, und in Thera, in welchen beyden Städten nur die Nachkommen derjenigen Geschlechter zu den Regierungsämtern Zutritt hatten, welche zuerst diese Kolonien gegründet hatten, und die ersten Bürger derselben gewesen waren, daher sie sich einen grossen Vorzug der Geburt vor den übrigen Einwohnern, deren Anzahl weit grösser war, zuschrieben. Eben so wenig ist das eine Demokratie, wenn irgendwo durch einen seltnen Zufall der Reichen mehrere, diese aber im ausschliessenden Besitze der Regierung sind, — so wie diess vor Zeiten in Kolophon soll Statt gefunden haben, wo vor dem Kriege, den die Stadt mit den Lydiern führte, der grössre Theil der Bürger sehr ansehnliches Vermögen erworben hatte.Beydes also muss, nach der Natur und dem Sprachgebrauch, zusammen genommen werden, Anzahl und Verschiedenheit des Standes und Vermögens, um die Kennzeichen der Demokratie und Oligarchie zu bestimmen: Wo die Freyen und ohne Ausschliessung der Armen, die natürlicher Weise den grössern Theil ausmachen, regieren, da ist die erstre der beyden Verfassungen; wo die Reichen und Edeln allein herrschen, und zugleich, wie gewöhnlich, die geringere Anzahl ausmachen, da ist die zweyte.Jch habe schon gesagt, dass die Verschiedenheit der Regierungsformen aus der Mehrheit ihrer Theile entstehe. — Wenn man diese Theile selbst aufzählte: so würde man finden, wie viel es überhaupt Verfassungen geben könne, welches die Ursache davon sey, und dass es gewiss mehrere, als obige zwey geben müsse. Die Vergleichung mit der Klassification der Thierarten wird diess deutlicher machen. Um diese zu machen, war es vor allen Dingen nöthig, zuerst zu bestimmen, welches die nothwendigen Gliedmassen und Organe sind, die jedes Thier haben muss. Es muss nähmlich nothwendig wenigstens einige der sinnlichen Werkzeuge haben; es muss ferner ein Organ zur Aufnahme und zur Verarbeitung der Nahrungsmittel haben, dergleichen unser Magen und unsre Gedärme sind; es muss endlich Gliedmassen haben, durch deren Hülfe es sich fortbewegt. Wenn also auch die Thiere nicht mehr als diese genannten Gliedmassen hätten, es aber bey jedem dieser Gliedmassen Verschiedenheiten gäbe, so, dass sich mehrere Gattungen der Mägen, der Gedärme, der Sinnen und der Bewegungswerkzeuge gedenken liessen: so würden doch schon so viele Gattungen der Thiere daraus entstehen, so viele verschiedene Verbindungen jener Theile möglich sind. Denn in einer und derselben Gattung kann nicht das ein Thier ein anderes Maul, einen andern Magen haben als das andre. Wenn also die ungleichartigen Gliedmassen zusammen gesetzt werden: so entstehen, erstlich, daraus andre und andre Thier-Geschlechter; und zweytens sind dieser Gattungen so viele, als jener Zusammensetzungen möglich sind.Auf ganz gleiche Weise verhält es sich mit den Staaten und ihren Verfassungen. Dass sie aus mehrern Theilen bestehen, ist schon mehrmahlen gesagt worden. Einer dieser Theile ist der, welcher sich mit Hervorbringung der Nahrungsmittel beschäftigt; das sind die Land- und Ackersleute; ein andrer ist der, weicher sich mit den mechanischen Künsten und Handarbeiten abgibt, wovon wieder einige die ersten und gemeinsten Bedürfnisse herbeyschaffen, die andern nur für die Auszierung und das Vergnügen des menschlichen Lebens, oder, wie man zu sagen pflegt, für den Luxus arbeiten. Ein dritter Theil ist der, welcher sein Geschäft auf den Marktplätzen hat; — ich meine den, welcher sich mit dem Umtausch der Waaren, mit Kaufen und Verkaufen, es sey mit dem Grosshandel oder mit der Krämerey abgibt. Einen vierten Theil machen die Tagelöhner, und die, welche bloss mit ihrer Stärke arbeiten, aus. Ein fünfter ist der, welcher für den Staat zu Felde ziehn und Krieg führen soll; — und dieser ist gewiss nicht weniger nothwendig, als irgend einer der zuvor genannten, wenn nicht alle Bürger, bey dem ersten Angriffe, den sie von Auswärtigen leiden, in Knechtschaft gerathen sollen. Ein Staat aber, der seiner Constitution nach in Knechtschaft gerathen müsste, verdient diesen Nahmen nicht. Er soll, wie gleich anfangs gesagt worden, sich selbst genugsam und also unabhängig seyn: zwey Dinge, die der Knechtschaft gerade entgegenstehn.Es ist also, um diess beyläufig zu erinnern, in der Republik des Plato, mehr scheinbar als richtig und vollständig, wenn Sokrates sagt, dass um eine Gesellschaft auszumachen, nur vier Glieder die durchaus nothwendigen Bestandtheile derselben sind: — der Landmann, der Weber, der Leder- und Schuhmacher, und der Baumeister. Er geht aber selbst von diesem seinem Ausspruche ab, und setzt bald (ohne Zweifel weil er fühlte, dass jene Menschen sich die nothwendigen Bedürfnisse noch nicht verschaffen können), den Arbeiter in Erz und Metallen, — dann wieder die Viehhirten, — endlich den Kaufmann und Krämer hinzu. Alles das sind also Neuangeworbene, womit er seine anfangs noch unvollendete Stadt zu ergänzen sucht. — Und doch auch dann ist es auffallend, dass er die bürgerliche Gesellschaft, bloss um der Bedürfnisse und Nothwendigkeiten des Lebens willen, und nicht um des moralischen Guten und der geistigen Glückseligkeit willen errichtet glaubt, ferner, dass er den, welcher das Land bauet, und den welcher Schuhe macht, für gleich wichtige Bestandtheile des Staats hält. Den die Waffen führenden Theil setzt er nicht eher hinzu, als bis er den Staat so weit hat anwachsen lassen, dass er bis an das Gebieth seiner Nachbarn stösst, und dadurch mit ihnen in Krieg geräth. — Aber auch, wenn nur vier oder noch so wenige Personen beysammen in Gemeinschaft mit einander leben sollen: so muss gleich anfangs jemand unter ihnen seyn, der ihnen Recht spreche, und der auch seine Urthelssprüche zur Vollziehung bringe. Wenn beym Thiere die Seele ein wesentlicherer Bestandtheil ist, als der Körper: so muss auch in einem Staate die Klasse, welche denselben vertheidigt, und in demselben die Gerechtigkeit austheilt, für wesentlicher angesehen werden, als die, welche bloss für die körperlichen Bedürfnisse sorgt. Zu dieser Seele des Staats muss man auch noch denjenigen rechnen, der für die Uibrigen rathschlägt, und Entschlüsse fasst; welcher also diejenige Verrichtung im Staat über sich hat, die im Menschen dem Verstande zukömmt.Die genannten Unterschiede geben eben so viele Bestandtheile der Staaten an: und es thut nichts zur Sache, ob dieselben wirklich abgesondert von einander existiren, oder in denselben Personen vereiniget sind. Es ist sehr wohl möglich, dass die, welche das Land bauen, zugleich zufälliger Weise Soldaten sind, und der Fall kömmt häufig vor. Aber desswegen sind doch diese beyden Qualitäten wesentlich unterschieden. Und man kann also die welche die Waffen führen, eben sowohl als die, welche über die Staatsgeschäfte Rath halten, für eigne Bestandtheile der Staaten ansehen.Die siebente Klasse ist die, welche mit ihrem Vermögen oder Eigenthum dem Staate beysteht; die achte, welche ihre Geisteskräfte und ihre Zeit für ihn anwendet, und die obrigkeitlichen Aemter besorgt. Es ist nähmlich unmöglich, dass ein Staat bestehe, wenn er nicht Obrigkeiten, und wenn er nicht öffentliche Veranstaltungen hat, die Aufwand erfordern. Es müssen also Personen in ihm seyn, welche die obrigkeitlichen Aemter verwalten, und diese Veranstaltungen von ihrem Gelde machen können.Endlich ist noch die Klasse übrig, von der ich kurz zuvor redete, die die Rechtsstreitigkeiten der Bürger entscheidet.Wenn nun alles dieses in einem Staate gethan werden, und auch gut, nach Pflicht und nach Gerechtigkeit gethan werden muss: so müssen auch Personen darinnen seyn, welche die Fähigkeiten und Tugenden wahrer Staatsmänner besitzen.Was nun die übrigen Eigenschaften, ausser Reich- und Armseyn, betrifft, wodurch sich die genannten Bestandtheile unterscheiden: so können mehrere in denselben Personen sich vereinigt finden. Die Landbauer können zugleich Soldaten und Künstler seyn. Die, welche über die Führung der allgemeinen Geschäfte rathschlagen, können zugleich die Richter in Privatstreitigkeiten seyn. Fast alle machen ohne Ausnahme Anspruch auf politische Tugend, und auf die Eigenschaften, welche zu Begleitung der meisten obrigkeitlichen Aemter gehören. Nur Reichthum und Armuth können unmöglich bey denselben Personen beysammen seyn. Daher scheinen auch die Wohlhabenden und die Dürftigen, die beyden Hauptklassen jedes Staats zu seyn. Wozu noch kömmt, dass, gewöhnlicher Weise jener wenige, dieser viele sind, beyde Theile noch mehr einander entgegengesetzt zu seyn scheinen. Daher ist es geschehn, dass man vornehmlich nach dem Uibergewicht des einen oder des andern derselben, die Staatsverfassungen abgetheilt, und die Demokratie und Oligarchie als die zwey Hauptarten derselben angesehen hat. Wie unrichtig dieses sey, und warum, habe ich schon oben gesagt. Noch will ich nur etwas von den verschiedenen Unterarten der Demokratie und Oligarchie hinzusetzen. Das Volk nähmlich, und der Adel, beyde haben, dem zu Folge was ich bisher ausgeführt habe, mehrere Abtheilungen. Vom Volke erstlich, besteht, wie gesagt, ein Theil aus Bauern, ein andrer aus Handwerkern, ein dritter aus Mark- und Handelsleuten, ein vierter aus Seeleuten, — und diese letztern sind wieder entweder mit dem Seekriege, oder mit der Ein- und Ausfuhr von Producten, oder mit dem Transport von Gütern und Reisenden, oder mit der Fischerey beschäftigt. Jede dieser Klassen ist an vielen Orten sehr zahlreich. So sind es die Fischer zu Tarent und Byzanz; die Matrosen auf Kriegsschiffen zu Athen; die Kauffahrteyschiffer zu Aegina und Chios; die Transportschiffer zu Tenedos. Eine fünfte Volksklasse sind die, welche sich für Lohn zu allerhand Handarbeiten verdingen, gar wenig Eigenthum haben, und keinen Tag ohne Arbeit seyn können, um für diesen Tag ihr Brot zu gewinnen. Noch gehören zum Volk diejenigen, die war frey, aber nicht von natürlicher und mütterlicher Seite zugleich Bürger sind, und so noch manche andre, die unter dem grossen Haufen vermischt und verborgen leben.Der Adel, zweytens, theilt sich nach Maassgabe des Reichthums, der mehr oder weniger alten und edlen Herkunft, der bessern oder schlechtern Erziehung, der persönlichen Vorzüge, und andrer ähnlichen Verschiedenheiten in eben so viele kleinere Zweige.Unter den Demokratien ist demnach die erste und im eigentlichsten Verstande die, deren Verfassung nach der vollkommensten Gleichheit eingerichtet ist. Die Grundgesetze dieser Demokratie verlangen nähmlich zur Gleichheit, dass die Armen nicht mehr, nicht weniger Rechte haben, als die Reichen; dass kein Theil über den andern Herr sey, sondern beyde gleichen Antheil am Herrschen und Gehorchen haben. Soll, wie viele glauben, Freyheit und Gleichheit am meisten in der Demokratie zu finden, und ihr unterscheidender Charakter seyn: so muss es bey dieser Form der Demokratie Statt finden, da in derselben alle an den Vortheilen der bürgerlichen Verbindung gleichen Antheil nehmen. Da indessen hier die Meinung des grössern Theils die Entscheidung gibt; der grössre Theil aber gemeinhin zum Volke gehört: so ist es doch eigentlich das Volk, welches regiert, und die Verfassung ist demnach demokratisch. Diess ist die erste Gattung der Demokratie.Eine zweyte ist, wenn die Wahl zu Magistraturen zwar auf einen Censum, oder auf die, welche eine gewisse bestimmte Summe Vermögens besitzen, eingeschränkt, aber diese Summe geringe ist. Alsdann ist immer die Hoffnung zu obrigkeitlichen Würden zu gelangen, sehr vielen gemein, da alle die, welche jenes kleine Vermögen besitzen, Anspruch darauf haben, und nur diejenigen ausgeschlossen sind, welche desselben verlustig gegangen sind.Eine dritte Form der Demokratie ist, welche das Recht, zu Magistraturen zugelassen zu werden, allen Bürgern unter der Bedingung zugesteht, dass sie von niemanden abhängig, keines Verbrechens wegen angeklagt, und keiner öffentlichen Unehre unterworfen sind, übrigens aber Gesetze zum Grunde legt, nach welchen die Magistratspersonen sich richten müssen.Eine vierte lässt auch diese Einschränkung weg, und gibt das Recht zu obrigkeitlichen Würden allen, die nur wahre Bürger sind: wieder mit der Voraussetzung, dass Gesetze da sind, deren blosse Anordnung und Vollziehung den Magistratspersonen überlassen ist.Eine ganz andre Gattung von Demokratien ist es, wenn alles Uibrige dem obigen gleich ist, aber keine feste und unveränderliche Gesetze respectirt werden, sondern das Volk oder die Mehrheit der Stimmen der höchste und alleinige Gesetzgeber allein ist. Dieser Fall findet sich an allen Orten, wo die Schlüsse der Volksversammlung entscheiden, über alle Sachen. und ohne Rücksicht auf Gesetze. Er ist gemeiniglich nicht der ursprüngliche Zustand dieser Staaten, sondern ein Werk der Demagogen und Volksschmeichler. Aber umgekehrt ist es auch wahr, dass es in Städten, die eine an Gesetze gebundne Demokratie haben, keine Demagogen gibt, d. h. dass es nicht jedem erlaubt ist, dem Volke zu rathen, der nur das Volk durch Beredtsamkeit und Schmeicheley zu gewinnen weiss; sondern dass dort die angesehensten und bessten der Bürger den Volksversammlungen vorsitzen. Wo hingegen Gesetze nicht vorhanden sind, oder keine hinlängliche Gewalt haben, da entstehen Demagogen. Das Volk wird alsdann ein aus vielen Köpfen zusammengesetzter Monarch. Nähmlich die höchste Gewalt kömmt in der Demokratie den Vielen, aus welchen das Volk besteht, nur collective zu, wenn sie in Corpore vereinigt sind, aber sie ist nicht unter die Einzelnen vertheilt. Denn auf diese zwiefache Weise kann man sich eine Herrschaft Vieler denken. Und wenn daher Homerus sagt, dass eine Vielherrenregierung nicht gut sey, so ist es zweifelhaft welche er meint, ob die, wenn viele zusammen eine höchste Obrigkeit ausmachen, oder wenn Regenten neben einander, jeder in einem gewissen Fache, unumschränkt zu herrschen haben.Ein solches Volk nun, um darauf zurückzukommen, das an keine Gesetze gebunden ist, ist zu einem despotischen Gebrauche seiner Gewalt geneigt, und wird endlich daran gewöhnt. — Die Schmeichler sind also bey ihm in Ehren. Uiberhaupt was unter den Königen der Despot, das ist unter den Demokratien ein solches Volk. Beyde haben ähnliche Sitten, beyde sind geneigt diejenigen zu unterdrücken, welche gewisse Vorzüge haben. Die Schlüsse der Versammlung, und die Edicte des Fürsten, der Demagoge und der Höfling sind vollkommen analogische Dinge. So wie beym Despoten niemand mehr gilt, als der Schmeichler: so vermag bey einem solchen Volk der Redner, der dessen Gunst gewonnen hat, alles. Diese Redner suchen mehr und mehr Sachen für die Gerichtsbarkeit des Volks zu ziehn, und machen dadurch die Schlüsse desselben von den Gesetzen immer unabhängiger; weil sie selbst auf diese Weise gross werden. Denn wenn das Volk uneingeschränkt regiert, sie aber die Meinungen des Volks leiten, und auf die Folgsamkeit des grössern Theils rechnen können: so sind sie in der That die obersten Regenten. Wie die Geschäfte, so auch die Richtersprüche, suchen diese Demagogen in die Hände des Volks zu bringen, und wenn sie besonders eine obrigkeitliche Person anklagen wollen, so ist immer ihr Vorschlag, den sie durch scheinbare Gründe unterstützen, dass die Volksversammlung über sie Gericht halten soll. Das Volk nimmt diese Aufforderung willig an: und so verlieren alle obrigkeitlichen Aemter in den Augen des grossen Haufens, der sich für ihren Richter ansieht, ihr Ansehn und ihre Würde.Diese Demokratie verdient den Tadel, dass sie so sehr Demokratie ist, dass sie aufhört eine wirkliche Verfassung und Ordnung des Staats zu seyn. Denn wo Verfassung und Ordnung ist, da müssen Gesetze das Allgemeine bestimmen; die obrigkeitlichen Personen aber, und die, welche in dem Staate die höchste Gewalt haben, müssen über das Einzelne entscheiden. — Daher ein solcher Zustand, wo die Schlüsse der Volksversammlung alles, auch das Allgemeine anordnen, wofern unter Demokratie eine nach gewissen Regeln verfasste Regierungsform verstanden werden soll, nicht einmahl den Nahmen Demokratie verdient. Denn eigentlich kann und soll eine Volksversammlung über nichts, als über einzelne Dinge entscheiden. So viel sey also von den Demokratien und ihren Unterschieden gesagt.

Fünftes Kapitel.



Verschiedene Arten der Oligarchie.

Von den Oligarchen ist eine Gattung die, wo die Wahlfähigkeit zu obrigkeitlichen Aemtern nach dem Vermögen bestimmt, aber ein solches Vermögen dazu erfordert wird, dass der grösste Theil der Bürger, die gemeiniglich ärmer sind, daran nicht Theil haben kann. Eine zweyte Gattung, wenn ursprünglich die Magistrats-Collegien nur mit Personen von ansehnlichem Vermögen besetzt werden, sie aber nun an die Stelle der abgehenden selbst die neuen Glieder wählen dürfen. — Wählen sie nun diese aus allen Bürgern ohne Unterschied, nach dem Verdienste: so nähert sich die Verfassung einer Aristokratie. Wählen sie aber nur aus gewissen bestimmten Geschlechtern: so ist sie mehr oligarchisch.Eine dritte Art der Aristokratie ist, wenn die obrigkeitlichen Würden erblich sind, und der Sohn dem Vater nachfolgt.Eine vierte ist, wenn, alles übrige so angenommen wie zuvor, die Magistratspersonen und Collegia, allein und ohne sie einschränkende Gesetze, regieren.Man sieht leicht, dass was der Despotismus unter den Monarchien, die zuletzt erklärte Demokratie unter andern Demokratien, eben diess jene Oligarchie unter den gleichnahmigen Verfassungen sey. — Sie wird daher auch durch einen eignen Nahmen, den der Dynasten-Regierung davon abgesondert.Zu dieser Entwickelung der verschiedenen Arten demokratischer und oligarchischer Regierungsformen muss ich noch diess hinzusetzen, dass mancher Staat nach seinen Grundgesetzen keine demokratische Form hat, und doch zufolge der darin herrschenden Erziehung und Gewohnheiten, demokratisch regiert wird; dass hinwiederum bey andern den Gesetzen nach die Verfassung demokratisch ist, und doch die wirkliche Regierung noch Herkommen und Sitten, sich der Oligarchie nähert. Dieses ist besonders der Fall, wenn Revolutionen in solchen Staaten sich ereignet haben. Denn nicht immer werden nach einer solchen die Gesetze geändert: vielmehr dauert die Anhänglichkeit an dieselben oft noch fort, und die siegende Partey sucht nur de facto allerhand Vortheile über ihre Gegner zu erhalten. Dadurch geschieht es also, dass, indem diejenigen, welche die Revolutionen veranlasst haben, das Heft der Regierung in Händen halten, und die alten Gesetze, die noch fortdauern, diese mit dem wirklichen Zustande der Dinge in Widerspruch gerathen.

Sechstes Kapitel.



Fortsetzung des Vorigen.

Diese verschiedenen Formen also der Demokratie und Oligarchie, habe ich gesagt, lassen sich aus der Verschiedenheit der Theile und Klassen, die in einem Staate von einander abgesondert existiren, erklären, und sind eine nothwendige Folge derselben. Z. B. da es mehrere Klassen auch unter dem, was man Volk oder Plebejer nennt, gibt: so müssen entweder alle, oder nur einige, an der Staatsverwaltung Theil haben. — Wenn nun die Klasse derjenigen, die sich mit dem Landbau beschäftigt, die Eigenthum, aber ein mittelmässiges Eigenthum hat, den grössten Theil der Gewalt in Händen hat: so wird diess eine Demokratie seyn, aber eine Demokratie, die nach Gesetzen regiert. Es wird eine Demokratie seyn, weil auch alle die andern, welche nicht Landbauer sind, wenn sie nur so viel Vermögen erwerben, .als ein Grundstück nach den Gesetzen betragen muss, — an den Vorrechten derselben Theil nehmen können. Es wird aber eine gesetzmässige Demokratie seyn, weil jene mittelmässige Landbesitzer sich nur durch ihre Arbeit unabhängig erhalten, aber nicht ihre Zeit müssig zubringen können. Daher sie sehr wohl zufrieden sind, dass fixe Gesetze der Verwaltung der Staatsangelegenheiten vorgeschrieben sind, und zu Versammlungen nur dann zusammenkommen, wenn solche wirklich nothwendig sind. — Wäre nicht ein Weg für alle Bürger offen, an der Staatsverwaltung Theil zu nehmen: so würde die Verfassung oligarchisch seyn. — Und hätten die Bürger, welchen diese Rechte zukommen, so viel Musse, sich sehr oft zu versammeln und Schlüsse zu machen, so würden sehr bald Unordnungen einreissen. Diess ist aber in der gedachten Demokratie nicht, wenn die Privatpersonen nur mittelmässig vermögend sind, oder der Staat selbst noch keine Einkünfte von aussen hat, durch die er seine müssiggehenden Bürger unterhalten könne.So sieht diese erste Art der Demokratie aus. Die zweyte und dritte, wo entweder alle Bürger, die von jeder Criminal-Untersuchung, Schulden und jeder öffentlichen Mackel frey sind, oder alle Bürger, die nur freye Leute sind, Anspruch darauf haben, zu den Magistraturen zugelassen zu werden, wo aber doch die wenigsten wirklich dieselben suchen oder verlangen, weil sie bey mässigem Vermögen, und dem Mangel öffentlicher Einkünfte, aus denen sie bezahlt werden könnten, ihre eigne Angelegenheit besorgen, und nicht Musse haben, sich mit den Staatsgeschäften abzugeben. — Aus diese Demokratien werden immer das Gesetz zur Grundfeste und Richtschnur ihrer Verwaltung machen.Eine vierte von jener verschiedene Art der Demokratie entsteht in Städten, aus diesen selbst, mit der Länge der Zeit, und selbst durch das Glück derselben. Wenn nähmlich solche über ihre ursprüngliche Grösse sehr anwachsen, auswärtige Einkünfte bekommen: so entsteht daraus, dass, da nun der grosse Haufe auch nach eben diesem Maasse emporsteigt, alsdann wirklich alle sich mit der Staatsverwaltung befassen, und an derselben Theil haben wollen. Es können nähmlich nun auch die Aermern eine Besoldung oder eine Beysteuer von dem Staate bekommen, wodurch sie in den Stand gesetzt werden müssig zu gehn, und an den öffentlichen Angelegenheiten in den Versammlungen oder auf den Richterbänken Theil zu nehmen. Jn diesem Zustande ist es gemeiniglich der grosse Haufe der Geringern, der am meisten Musse hat. Denn wenn sein Unterhalt vom Staat gesichert ist: so hat er nun keine eignen Angelegenheiten mehr zu besorgen: der Reiche aber wird durch die Verwaltung seiner Güter abgehalten. Daher diese oft am meisten von den Volksversammlungen wegbleiben, und sich dem Urtheilssprechen entziehn. Die Folge davon ist, dass der grössre Theil der Armen und Niedrigen im Volk fast allein Herr vom Staate wird, wodurch die Unordnungen einreissen, und die Gesetze hintangesetzt werden. — Diess also sind die mannigfaltigen Gestalten der Demokratie: und diess sind die Ursachen derselben.Unter den Oligarchien ist die erste Art die, wenn viele ein hinlängliches Vermögen besitzen, aber niemand grosse Reichthümer. Da hier alle diejenigen, welche diesen mittlern Grad von Wohlhabenheit erreiten, Regierungs-Glieder, und dieser also viele sind: so ist es nothwendig, dass Gesetze, und nicht bloss die Menschen herrschen. Da keine grosse Ungleichheit des Vermögens unter ihnen ist: so sind sie desto weiter von der Alleinherrschaft Eines oder Weniger entfernt, und da sie nicht so viel Einkünfte besitzen, dass sie ganz müssig seyn, und ohne Arbeit leben könnten, noch so wenig, dass der Staat sie ernähren müsste: so sind sie sehr zufrieden, dass Gesetze da sind, welche die Geschäfte anordnen, und verlangen nicht alles selbst nach Willkür zu entscheiden.Eine ganz andre Gestalt bekommt die Oligarchie da, wo ihrer weniger sind, die Vermögen besitzen, aber diese Wenigen grössres Vermögen haben. Diese Wenigen haben also viel mehr Gewalt in Händen, sie machen also auch Anspruch auf grosse Vorzüge vor ihren Mitbürgern. Sie wählen daher nach Gefallen aus diesen, wen sie an Aufträgen und Geschäften der Regierung vollen Theil nehmen lassen. Weil sie aber demohnerachtet noch nicht so mächtig sind, dass sie sich getraueten, ohne alle Gesetze zu regieren: so geben sie die Gesetze, welche zu dieser Form schicklich und zur Erhaltung derselben dienlich sind.Wenn nun aber die Ungleichheit der Glücksgüter noch grösser wird, die Anzahl der Reichen sich verkleinert, der Reichthum dieser Wenigen aber noch sehr anwächst: so zieht sich die Oligarchie noch mehr zusammen, und bekömmt eben dadurch mehr Stärke und Gewalt. Diess ist die dritte Gattung. Diese Reichen nehmen alsdann nicht nur alle Regierungsämter in Besitz, sondern führen auch durch Gesetze die Erblichkeit derselben ein, und versichern also ihren Söhnen die Nachfolge darin nach ihrem Tode.Wenn endlich diese immer anwachsende Ungleichheit den äussersten Grad erreicht, und die übermächtigen Reichen nach eben der Proportion ihren Anhang vermehren: so nähert sich endlich die Regierung dieser Dynasten, der unumschränkten Monarchie; sie fangen an sich ihrer Gewalt bloss nach Willkür zu bedienen, und legen die Gesetze bey Seite. Dann entsteht die vierte Art der Oligarchie, die das Analogon von der zuletzt genannten Gattung der Demokratie ist.

Siebentes Kapitel.



Aristokratische Regierungsformen.

Ausser Oligarchie und Demokratie, sind nach der gewöhnlichen Eintheilung, noch zwey Regierungsformen, die aristokratische und monarchische, welche den Umfang der möglichen Verfassungen erschöpfen sollen. Es gibt aber in der That noch eine fünfte, welche ich mit dem allgemeinen Nahmen der Verfassung oder der Republik Vorzugsweise belege, die aber, weil sie selten unter wirklichen Staaten vorkömmt, denjenigen, die die verschiednen Formen der Regierung auszählen, zu entwischen pflegt, und auch selbst vom Plato in seiner Republik übergangen worden ist. Jetzt habe ich nun von den Verschiedenheiten zu reden, die bey der aristokratischen Form Statt finden. Die vollkommenste Aristokratie, welche allein dieses Nahmens ganz werth ist, ist diejenige, wo die regierenden Personen aus denen gewählt werden, die an sich, in Rücksicht auf wahre und allgemeine menschliche Tugend die bessten sind, nicht bloss die bessten in Rücksicht auf solche Eigenschaften, die bey Voraussetzung dieser und dieser Umstände für Tugenden gelten. Jn diesem Staate allein ist der, welcher gut und gepriesen ist als Bürger, zugleich absolut und lobenswürdig als Mensch: da hingegen die, welche man in den übrigen Staaten gute Bürger nennt, nur eine relative Tugend in Beziehung auf die Erfordernisse und den Nutzen dieser Staaten haben.Es gibt nun aber auch andre Regierungsformen, welche man zu den Aristokratien zählt, weil ihre Einrichtungen sowohl von den oligarchischen als denen der Republik im eigentlichen Verstande abgehn, —und man sie also unter keine andre Benennung zu bringen weiss, ob sie gleich diese im vollkommensten Verstande nicht verdienen. Das sind die, wo die Magistratspersonen zugleich nach dem Vermögen und nach persönlichen Verdiensten gewählt werden. Nähmlich auch in denen Staaten, wo Tugend und geistige Vollkommenheit nicht der gemeinschaftliche Endzweck und die allgemeine Bemühung der Gesellschaft ist, gibt es doch eine gewisse Anzahl von Personen, die in einem bessern Rufe als andre stehn, die man für redliche, gesittete, wohlerzogne Leute hält. Wo also bey Besetzung der Regierungsämter auf diese vorzüglich Rücksicht genommen wird, wenn man auch dabey zugleich auf Vermögen und die Stimme des Volks sieht: da ist doch noch Aristokratie, aber eine zweyte untere Art davon. Eine dritte ist, wie die in Lacedämon, eine Mischung von Aristokratie und Demokratie, wenn der Reichthum nicht in Betrachtung kömmt, sondern nur die persönlichen Verdienste und die Volksstimmen entscheiden, wer zu den Magistraturen gelangen solle. — Die vierte und unterste Art der Aristokratie wird erst aus dem folgenden Kapitel klar werden, sie ist die eigentlich so genannte Republik, wenn sich dieselbe zur Oligarchie neigt.

Achtes Kapitel.



Republik im vorzüglichen Sinne des Worts. Tyrannie.

Es ist uns also noch übrig von der eigentlich, und vorzugsweise sogenannten Republik und von der Tyrannie zu reden. Dieser wird billig zu allerletzt gedacht, da sie am allerwenigsten verdient, eine Verfügung, d. h. eine Ordnung genannt zu werden, unsre Untersuchung aber eigentlich auf Staaten geht, die eine Verfassung haben. Von jener aber, der Republik, findet die Abhandlung hier, nach der von der Demokratie und Oligarchie, ihre schicklichste Stelle, weil ihr Wesen nach Auseinandersetzung dieser, deutlicher eingesehen wird: Sie ist nähmlich, um es kurz auszudrücken, eine Mischung von beyden. Oder vielmehr, unter solchen Mischungen pflegt diejenige, welche sich mehr der Demokratie nähert, mit diesem Nahmen genannt zu werden: die aber, welche sich zur Oligarchie neigt, wird mit unter die Aristokratien gerechnet. Die Ursache ist, weil mit dem Reichthum, wenn er besonders in den Familien länger fortdauert, auch ein gewisser Adel derselben, und eine bessre Erziehung der aus ihnen Abstammenden, vorbunden zu seyn pflegt; weil zweytens die Reichen weniger Ursachen haben, Ungerechtigkeiten zu begehn, da sie schon dasjenige besitzen, um desswillen andre ungerecht sind. Daher werden auch die Reichen in den Städten immer zugleich, die guten Bürger (viri boni) die Angesehnern, der bessre Theil genannt. Weil nun das Wesen der Aristokratie darin besteht, den Bessern im Staate den Vorzug und die Herrschaft zu geben, die Oligarchie aber die Reichen vorzieht, welche auch persönlich über die Aermern erhaben zu seyn scheinen: so geschieht es, dass eine Republik, die mit Freyheit der Bürger doch oligarchischen Grundsätzen folgt, und die Reichen begünstigt, mit einer Aristokratie Aehnlichkeit bekommt.Es scheint unter die unmöglichen Dinge zu gehören, dass eine wahrhaft aristokratisch, d. h. von den Bessten regierte Stadt, nicht zugleich gute Gesetze haben solle, oder dass die dergleichen haben könne, welche von schlechten Menschen beherrscht wird. Auf der andern Seite scheint es gleich unmöglich, dass die Stadt, bey welcher nicht gute Gesetze und Einrichtungen zum Grunde der Verfassung liegen, lange ihre aristokratische Form, oder das Uibergewicht der Bessern behalten könne. —Damit aber eine Stadt den Vortheil guter Gesetze geniesse, ist es nicht genug, dass die Gesetze gut und weislich abgefasst sind, es ist auch nothwendig, dass sie das gehörige Ansehn haben, um Gehorsam zu erhalten. Unter dem Worte Ε also, welches diesen einer Stadt zukommenden Vortheil bezeichnet, ist zweyerley zu verstehen, erstlich, dass darin die Bürger den vorhanden Gesetzen gehorchen, zum andern, dass die Gesetze, welchen sie so treu anhängen, wirklich gut sind (denn es ist sehr wohl möglich, dass Gesetze in grossem Ansehn stehn und heilig befolgt werden, —und doch schlecht sind). — Wenn man aber von guten Gesetzen redet, so ist diess wieder auf zwiefache Art zu verstehn: entweder dass dieselben an sich und absolut gut sind, oder dass sie in Beziehung auf diejenigen, welchen sie gegeben worden, die bessten sind, deren sie fähig waren.Diess also gibt am meisten einem Staate den Nahmen eines aristokratischen, wenn die Würden und Aemter nach Tugend, d. h. nach gewissen persönlichen Verdiensten ausgetheilt werden. Denn das ist kurz der Charakter jener drey so oft genannten Verfassungen, dass die Bestimmung des herrschenden Theils in der Aristokratie, durch persönliche Eigenschaften, in der Oligarchie durch Reichthum, in der Demokratie, durch die freye Geburt gemacht wird. Ein Punct dagegen, in welchem alle drey übereinkommen, ist, dass die Mehrheit der Stimmen und der Meinungen entscheidet. Denn sowohl in der Oligarchie, als in der Aristokratie und bey der Volksregierung, wird dasjenige zum Gesetze, was dem grössten Theile derer gefällt, denen die oberste Macht des Staats zukömmt.Weil nun in den meisten Städten bey Ertheilung der Würden, auf Tugend wenig, auf Reichthum und freye Geburt aber beynahe ganz allein gesehen wird, so werden solche gemischte Regierungsformen, die nur darauf abzielen, Reiche und Arme nach gewissen Proportionen in der Staatsverwaltung zu vereinigen, nach unsrer vorigen Erklärung, Republiken heissen. — An den meisten Orten vertreten die Wohlhabenden die Stelle der Guten, ich will sagen, sie werden grösstentheils, ohne weitre Untersuchung für eine bessere, mehr begabte, mehr gesittete Klasse von Menschen gehalten.Also noch einmahl: drey Eigenschaften sind es, welche den Menschen Ansprüche geben, gleiche Rechte in Absicht der Verwaltung der Staaten zu fordern: wenn sie freygebohren, wenn sie reich, und wenn sie mit vorzüglichen Gaben und Tugenden ausgerüstet sind (denn die vierte Eigenschaft, die man auch noch dazu rechnet, ein edles Herkommen, ist unter zweyen von den genannten Stücken enthalten, und eine Folge derselben: Adel nähmlich entsteht aus nichts anderm, als aus den einem Geschlecht schon Alters her eigenthümlichen Reichthümern und Tugenden). Wenn nun von diesen drey Eigenschaften, nur zwey, Freyheit und Reichthum, von einer Staatsverfassung für giltige Ansprüche anerkannt werden, und die, welche sie besitzen, also die Reichen, und die Armen wenn sie freygebohren sind, in der Verwaltung des Staats mit einander verbunden werden: so ist diese Verfassung eine Republik zu nennen. Wird aber auf jede der drey Eigenschaften in der Staatsverfassung besondre Rücksicht genommen, und die Regierung unter alle drey Klassen vertheilt: so ist diess eine Aristokratie, und zwar weit mehr als irgend eine der im vorigen Kapitel genannten, die erste und vollkommenste ausgenommen.So viel ist also klar: dass es ausser Monarchie, Demokratie und Oligarchie noch andre Arten der Verfassungen gibt, — Republiken und Aristokratien. Jch habe gezeigt, wie sie beschaffen, von einander verschieden und einander ähnlich sind.

Neuntes Kapitel.



Wesen einer Republik.

Nach diesen allgemeinen Erörterungen, ist nunmehro zu entwickeln, auf welche Weise neben der Demokratie und Oligarchie diese so genannte Republik ihren Platz findet, und nach welchen Regeln dieselbe eingerichtet werden müsse. Zu dem Ende müssen wir uns die Eigenthümlichkeiten jener beyden nochmahls deutlich vorstellen, —von jeder derselben etwas entlehnen, und aus diesen zusammengetragenen Stücken gleichsam ein neues Gebäude zusammensetzen. Es gibt aber drey Arten dieser Zusammensetzung oder Mischung. Die erste ist, wenn die Verfügungen der einen Gesetzgebung zu denen der andern hinzugefügt werden, und auf beyde Sachen zugleich Rücksicht genommen wird, wovon in jeder Verfassung nur eine in Betrachtung kam. Die Einrichtung der Rechtspflege kann hier zum Beyspiel dienen. Jn oligarchischen Staaten, pflegt den Reichen eine Geldbusse aufgelegt zu werden, wenn sie sich weigern, sich zu Richtern brauchen zu lassen; den Armen aber wird kein Sold dafür bezahlt, wenn sie sich dem Geschäfte unterziehn. Jn Demokratien hingegen, bekommen die Aermern eine Schadloshaltung an Gelde für die Versäumung ihrer Zeit, wenn sie Richter sind, und die Wohlhabenden bezahlen keine Geldbusse, wenn sie nicht Richter seyn wollen. Es ist also eine Mischung und Zusammensetzung beyder Einrichtungen, wenn beydes geschieht, wenn zu gleicher Zeit den Reichen im Fall der Weigerung eine Geldstrafe dictirt, und den Aermern, wenn sie sich zu Richtern brauchen lassen, eine Geldbelohnung bewilligt wird. Diess als das Mittel zwischen jenen beyden Extremis, ist der Natur der gemischten Regierungsform, die ich Republik nannte, gemäss.Eine zweyte Art der Verknüpfung ist, wenn von Einrichtungen, die in der Demokratie oder der Oligarchie bis zu einem grossen Extrem getrieben werben, das Mittlere angenommen wird. — Z. B. Jn jener ist die Regel, dass entweder gar kein, oder ein geringes Einkommen erfordert wird, wenn jemand in der Volksversammlung eine Stimme haben soll, in dieser wird ein ansehnliches Einkommen dazu erfordert. Es ist also eine Mischung beyder Regeln, wenn weder das eine noch das andre geschieht, sondern ein mittleres mässiges Einkommen festgesetzt wird, mit dessen Besitz der Zutritt zur Volksversammlung verbunden sey. —Eine dritte Art der Zusammensetzung ist, wenn getheilt wird; wenn von mehrern zusammengehörigen Einrichtungen einige Stücke aus der Demokratie, einige aus der Oligarchie genommen werden. Z. B. Es ist demokratisch, dass die obrigkeitlichen Aemter durchs Loos, es ist oligarchisch, wenn sie durch Wahl ausgetheilt werden. Es ist ferner der Demokratie gemäss, keine bestimmte Einkünfte zur Wahlfähigkeit der Candidaten bey obrigkeitlichen Aemtern zu fordern: es ist der Oligarchie gemäss, einen gewissen Massstab darüber festzusetzen. Es ist daher republikanisch, oder dem Geist der aus beyden gemischten Regierungsform gemäss, von beyden eine ihrer Regeln zu nehmen, also z. B. die Magistraturen von der Wahl abhängen zu lassen, wie in der Oligarchie, und zugleich die Wahlfähigkeit dazu an kein bestimmtes Einkommen zu binden, wie in der Demokratie. — So viel von den verschiedenen Methoden, wie die Eigenthümlichkeiten verschiedener Verfassungen in einer mittlern Regierungsform vereinigt werden können.Das Kennzeichen aber, dass diese Mischung von Demokratie und Oligarchie gehörig geschehn, und vollständig genug sey, ist diess, wenn man die neue Regierungsform mit einem von jenen beyden Nahmen benennen kann, ohne sehr von der Wahrscheinlichkeit abzuweichen. Die Erfahrung lehrt, dass die, welche von vermischten Regierungen reden, leicht darein verfallen, sie bald unter die eine bald unter die andre der Klassen zu setzen, aus welchen ihre Theile entlehnt sind, und dass überhaupt das Mittlere den Charakter habe, dass die beyden Extrema in demselben durchschimmern, und es unter verschiedenen Gesichtspuncten bald das eine bald das andre von demselben zu seyn scheint. — Diess wiederfährt z. B. der Lacedämonischen Staatsverfassung sehr häufig. Viele reden von ihr als von einer Demokratie: weil sie wirklich viel demokratische Einrichtungen hat. Von der Art ist die von der Ernährung und Erziehung der Kinder. Die Kinder der Reichsten werden eben so gespeist und in allen Stücken gehalten, — sie werden eben so erzogen, wie die Aermsten ihre Kinder verpflegen und erziehn können. Eben diess findet in Absicht der Lebensart bey dem nächst folgenden Alter, bey den Jünglingen, und selbst bey den erwachsenen Männern Statt. Weder der Reiche noch der Arme führt seine Haushaltung abgesondert, so dass sie dem andern verborgen bliebe. Was ihre Kost betrifft, so geniessen beyde dieselbe, nähmlich die, welche sie an den öffentlichen Tischen, an denen sie in Gesellschaft essen, finden. Und Kleidung trägt auch der Reichste keine andre, als die sich jeder von den Armen eben so wohl verschaffen kann. Eine andre demokratische Einrichtung ist: dass von den angesehensten Magistraturen und Würden, die einen durch die Wahl des Volks besetzt, mit den andern Leute aus dem Volke begleitet werden können. Die Senatoren werden durch die Stimmen des Volks gewählt, und die Ephoren werden aus dem Volke gezogen.Andere hingegen halten die Spartanische Verfassung für eine Oligarchie, weil sie hinwiederum auch viele dem Geiste dieser Regierungsform gemässe Einrichtungen hat. Z. B. dass alle Aemter durch Wahl, und keines durchs Loos vergeben werden. Ferner, dass es nur einige wenige Personen gibt, welchen das Recht, über Leben und Tod zu entscheiden, Landesverweisung, und andre solche wichtige Strafen zu verhängen, zusteht.Wie gesagt also, die gemischte Regierungsform, muss, wenn die Zusammenfügung genau und gut gemacht ist, —nach Verschiedenheit der Gesichtspuncte, in denen man sie betrachtet, bald die eine bald die andre der beyden in sich vereinigen, bald wieder keine von beyden zu seyn scheinen.Sie muss ferner noch, um ihren Endzweck zu erfüllen, von der Art seyn, dass sie sich durch sich selbst aufrecht erhalten könne, nicht bloss durch die äussern Umstände aufrecht erhalten werde. — Jch will so viel sagen, es ist nicht gnug, dass sie desswegen besteht, weil der grössre Theil ihrer Nachbarn es sich gefallen lässt, dass diese Verfassung fortdaure (denn diess könnte auch bey einer sehr schlecht eingerichteten Constitution Statt finden): sondern sie muss sich dadurch erhalten, dass kein Glied des Staats selbst eine andere Verfassung wünscht. Diess also ist die Art und Weise, wie die sogenannte Republik, und die mit ihr verwandten Aristokratien gleichsam erbauet werden müssen.

Zehntes Kapitel.



Vom Despotismus.

Es ist noch die Materie von dem Despotismus übrig. Nicht dass dieselbe eine weitläuftige Untersuchung erforderte oder verdiente. Aber sie kann doch nicht in einem Werke übergangen werden, wo von allen Verschiedenheiten der Regierungsformen, unter welche auch die Herrschaft des Tyrannen, obgleich durch einen Missbrauch gesetzt worden, abgehandelt werden soll.Was die monarchische Gewalt überhaupt betrifft; so haben wir von derselben oben geredet, da wir diejenige Art derselben, welche vorzüglich den Nahmen der königlichen Regierung verdient, und untersuchten, ob sie der bürgerlichen Gesellschaft nützlich sey oder nicht, wie sie entstehn, und auf welche Weise sie eingerichtet werden müsse. Zugleich haben wir an eben dem Orte der tyrannischen Monarchien gedacht, und von denselben zwey Gattungen bemerkt, die mit der königlichen Regierung, so wie unter sich selbst, viel Aehnlichkeit haben (diese Aehnlichkeit besteht vornehmlich darin, dass sie, obgleich gesetzlos, in der Ausübung der Macht doch ihren Ursprung von Gesetzen, und von der Einwilligung des Volks herleiten). Die einen dieser gesetzmässigen Despoten finden wir bey einigen barbarischen Völkern, die sich freywillig der unumschränkten Gewalt eines Einzigen unterworfen haben. Die andern sind die sogenannten Aesymneten, die Monarchen der griechischen Völkerschaften in den allerältesten Zeiten. — Diese altgriechischen, und jene barbarische Despoten sind nicht in allen Stücken dieselben. Aber darin kommen sie überein: sie gleichen von der einen Seite den rechtmässigen Königen, in sofern sie mit Einwilligung der Unterthanen und zufolge gewisser Gesetze herrschen, —und sie sind Tyrannen ähnlich, in sofern sie despotisch, und nach ihrem blossen Willkür regieren.Die dritte Gattung der tyrannischen Monarchie, die, welche am eigentlichsten diesen Nahmen verdient, und der königlichen am meisten entgegengesetzt ist, ist die, wenn ein Einzelner, unumschränkt, und ohne Rechenschaft ablegen zu dürfen, über seine Mitbürger, die ihm gleich, oder besser als er sind, wider ihren Willen, nicht zu dem Endzwecke ihr Besstes zu befördern, sondern nur seinen Eigennutz und seine Leidenschaften zu befriedigen, regiert. Es ist natürlich, dass eine solche Regierung nie auf dem guten Willen der Unterthanen gegründet seyn kann, da kein Freygebohrner sich je freiwillig eine solche Herrschaft gefallen lassen wird.

Eilftes Kapitel.



Welches ist die besste Regierungsform?

Welches ist die besste Verfassung für die meisten Staaten, und welches ist die besste Art zu leben für die meisten Menschen? Diess letztre kann unmöglich bestimmt werden nach einem Grade von Tugend und Geistesvollkommenheit, zu der der gemeine Haufe nie gelangen kann; auch nicht nach Erziehung und Cultur, wozu immer sowohl natürliche Anlagen als äussere Hülfsmittel gehören; und die erstre kann nicht das vollkommne Jdeal eines Philosophen seyn, welcher bloss sagt was er wünscht, nicht was möglich ist. Sondern jenes glückliche Leben muss in etwas gesetzt werden, woran die meisten Menschen Theil haben können; und jene Güte der Staatsverfassung muss in solchen Einrichtungen bestehn, welche die meisten Städte bey sich einführen können.Die Aristokratie zum Beyspiele ist nicht diese für die meisten Staaten besste Regierungsform. Diejenigen Gattungen derselben, die den Nahmen eigentlich verdienen, sind von den Umständen und der Lage, in welcher sich die meisten Städte befinden, zu weit entfernt, als dass sie daselbst errichtet werden könnten; und die andern nähern sich schon der andern Form, welche wir Republik genannt haben, und müssen mit ihr in Praxi für einerley behandelt werden.Die Beurtheilung aber aller Regierungsformen in Absicht auf die beyden obigen Fragen, muss aus denselben Grundbegriffen hergeleitet werden. Wenn es nähmlich richtig ist, was in der Ethik gesagt worden, dass das glückselige Leben in einem ungehinderten Fortgange der Thätigkeit des Menschen nach den Vorschriften der Tugend bestehe, diese Vorschriften der Tugend aber die Regel seyn, immer zwischen zwey Extremis das Mittel zu beobachten: so muss nothwendig das Leben, welches auch in einer gewissen Mittelmässigkeit geführt wird (welche Mitte freylich für den einen nicht dieselbe seyn wird, als für den andern), das glücklichste Leben seyn.Derselbe Maassstab, nach welchem das Gute oder Böse in dem Leben der Bürger geschätzt wird: nach demselben muss es auch in der Staatsverfassung geschätzt werden. Denn diese ist gewissermassen das Leben oder die Lebensweise des Staats.Jn allen Staaten nun gibt es drey Abtheilungen: die sehr Reichen, die sehr Armen und die von mittelmässigem Vermögen. Wenn nun überhaupt zugegeben wird, dass das Mässige, und das Mittlere das besste sey: so muss auch unter den verschiedenen Glücksumständen ein mittelmässiges Eigenthum das vorzüglichste seyn. Jn der That ist diess die Lage, in welcher der Mensch am leichtesten seine Leidenschaften der. Vernunft unterwirft. Der übermässig schöne, starke, vornehme, reiche, und hinwiederum der ganz arme, schwache, verachtete, beyde haben es sehr schwer, wenn sie der Vernunft gehorchen sollen. Die einen sind mehr zur übermüthigen Beleidigung andrer, und zu Anrichtung grosser Uibel, die andern mehr zu niederträchtigen Bosheiten, und zu oft wiederhohlten, aber kleinen Beschädigungen andrer geneigt. Denn, wie ich an einem andern Orte gesagt habe, die meisten Ungerechtigkeiten entstehen aus einer dieser beyden Quellen: entweder aus Stolz und Ehrgeiz, oder aus Eigennutz und Neid.Was die Staatsverwaltung anbetrifft, so sind die, welche auf den zwey äussersten Stufen der Glücks-Leiter stehn, am wenigsten geneigt Aemter zu begleiten, besonders solche, die mehr Beschäftigung geben, als Macht oder Vortheile gewähren; dergleichen diejenigen sind, welche in den einzelnen Zünften die Ordnung erhalten sollen, oder auch die Stellen in zahlreichen Rathsversammlungen. Diese Abgeneigtheit aber ist den Staaten sehr schädlich. Dazu kömmt, dass diejenigen, welche ein Uibermaass an Glücksgütern, an Stärke, an Reichthum, an Freunden und dergleichen besitzen, weder sich regieren zu lassen Lust haben, noch in der That zu gehorchen verstehn. Und diess wird ihnen schon von den ersten Kinder-Jahren an, in dem Hause ihrer Aeltern zur andern Natur. Denn sogar ihren Lehrern werden sie gewöhnt, nicht zu gehorchen.Diejenigen hiergegen, welche an allen jenen Gütern einen zu grossen Magel haben, sind niedergeschlagenen und knechtischen Geistes. Daher sie gar nicht zu herrschen, und wenn sie beherrscht werden, keine als eine knechtische Unterwürfigkeit zu beweisen wissen; so wie jene hinwiederum sich gar keiner Art von Herrschaft unterwerfen, und wenn sie regieren, despotisch regieren wollen. So theilt sich alsdann der Staat, anstatt aus freyen Leuten zu bestehn, in Despoten und Sklaven, wovon die einen mit Verachtung gegen ihre Mitbürger, die andern mit Neid gegen dieselben angefüllt sind: und beydes ist von den Gesinnungen der Freundschaft und der Eintracht weit entfernt, durch welche Glieder eines gemeinen Wesens mit einander vereiniget werden sollen.Jede Verbindung unter den Menschen setzt etwas von freundschaftlichen Gesinnungen zum voraus. Denn auch dieselbe Strasse mögen Leute, die sich recht hassen, nicht gerne mit einander betreten. Vorzüglich aber verlangt die bürgerliche Vereinigung eine solche Disposition der Gemüther, wie sie unter Gleichen und Aehnlichen zu seyn pflegt. — Diese Disposition aber, so wie diese Gleichheit selbst, findet am meisten unter denen Statt, die im Mittelstande leben. Es muss daher nothwendig derjenige Staat am bessten verwaltet und regiert werden, in welchem der Mittelstand der zahlreichste ist, weil dieser grade aus solchen Leuten besteht, wie sie, nach den oben festgestellten Grundsätzen zur Errichtung und zum Bestand eines Staats erfordert werden.Auch sind es diese vom Mittelstande, welche in allen Staaten, unter den übrigen Bürgern, das gesichertste Daseyn haben, und sich am längsten erhalten. Denn weder sind sie nach anderer Eigenthum begierig, wie die Armen, noch reitzt das, was sie besitzen, die Habsucht ihrer Mitbürger, wie die Schätze der Reichen die Armen reitzen. Und indem sie also weder andre angreifen, noch den Angriffen andrer ausgesetzt sind, so fallen bey ihnen die zwey Hauptanlässe, welche Gefahr und Untergang bringen können, hinweg, und sie bringen daher ihre Tage in Sicherheit und Ruhe zu Ende. Um desswillen wünschte sich Phocylides mit Recht, zu diesem glücklichen Mittelstande zu gehören, in dem bekannten Vers:"Mittelstand ist der besste: o wäre diess Loos mir gefallen!"Unter keinen also ist das Band bürgerlicher Vereinigung fester, als unter diesen Leuten von mittlerem Vermögen und Range; und diejenigen Staaten sind einer guten Regierung am ersten empfänglich, bey welchen der Mittelstand zahlreich ist, und das Uibergewicht hat; das Uibergewicht, wo nicht über die beyden Klassen, zwischen welchen er in der Mitte steht, doch wenigstens über eine. Denn alsdann hält er wenigstens die Waage in seinen Händen, und kann, indem er seine Macht auf die andre Schaale legt, immer das Gleichgewicht wieder herstellen, und hindern, dass kein Theil den andern unterdrücke.Diess hängt freylich zum Theil vom Zufalle ab. Und man kann es also als ein Geschenk des Glücks für einen Staat ansehn, wenn seine Bürger, besonders die, welche an seiner Regierung Theil haben, Vermögen, aber mässiges und gleiches Vermögen besitzen. Denn da, wo die einen überschwenglich reich sind, die andern nichts haben, kömmt die Gewalt entweder in die Hände des alleruntersten Pöbels, oder sie wird einigen wenigen Familien zu Theil; oder ein Tyrann bemächtigt sich ihrer. Ja vermöge der Natur der Dinge grenzen die Extrema an einander. Die äusserste Demokratie und die äusserste Oligarchie geht leicht in den Despotismus über: die mittlern und gemischten Verfassungen viel weniger. Welches die Ursache sey, werde ich in dem Folgenden sagen, wo ich von den Veränderungen der Regierungsformen, und dem Uibergange der Staaten aus einer Form in die andre reden werde.Der Satz, auf dem ich jetzt bestehe, ist, dass die mittlern Verfassungen, d. h. die, wo das Mittlere herrscht, die bessten sind. Sie sind vor Aufruhr und bürgerlichem Zwiste am meisten sicher. Denn in einem Ganzen, wo das Mittel, welches die weit von einander abstehenden Theile verbindet, zahlreich und stark ist, sind am wenigsten Trennungen, und also, wenn dieses Ganze ein Staat ist, am wenigsten Factionen und bürgerliche Kriege zu besorgen. Um desswillen werden auch grosse Städte gemeiniglich weniger dadurch beunruhigt, als kleine. Denn der mittleren, die zu keiner Partey gehören, sind in ihnen mehrere. Jn kleinen Städten kann es sehr wohl geschehen, dass sich die ganze Communität in zwey Theile theilt, so dass gar kein Parteyloser übrig bleibt. Auch können in ihnen beynahe alle reich oder alle arm seyn.Aus einer gleichen Ursache sind im Durchschnitte die Demokratien sichrer und dauerhafter als die Oligarchien; weil sie nähmlich gemeiniglich einen zahlreichern Mittelstand haben, und diesen Mittelstand mehr an den Aemtern und Verrichtungen des Staats Theil nehmen lassen, als die Oligarchien. Jst diess nicht, fehlt der Mittelstand in einem demokratischen Staat: haben die ganz Armen bloss durch ihre Menge die Oberhand: so entstehn sehr bald Excesse und die Verfassung geht zu Grunde.Ein Beweis, wie nützlich der Mittelstand den Staaten sey, ist, dass die grössten Gesetzgeber aus demselben hergekommen sind. Solon war einer der mittelmässig wohlhabenden Bürger seiner Stadt, wie aus seinen Versen erhellet; Lykurgus war dasselbe in der seinigen, denn obgleich aus königlichem Stamme, war er doch nicht Erbe der Krone. Chorondas war in gleichem Falle, und so die meisten andern.Hier sehn wir auch die Ursache, warum in den meisten Städten, entweder Demokratie oder Oligarchie in ihrer äussersten Ausdehnung herrscht, in so wenigen eine gemischte Regierungsform Statt findet. Es sind in ihnen der mittelmässig Begüterten zu wenig: daher die, welche die beyden äussersten Grenzen ausmachen, das ganz arme Volk oder die ganz Reichen, nachdem der eine oder der andre Theil das Uibergewicht hat, die Macht des Staats an sich reissen, und also die Verfassung völlig demokratisch oder völlig oligarchisch machen. Dazu kömmt, dass in solchen Städten gemeiniglich, vor Festsetzung ihrer jetzigen Constitution, Aufruhr und bürgerliche Kriege zwischen den Factionen vorhergegangen sind. Welcher Theil nun über seinen Gegner gesiegt hat, der hat, weit entfernt eine Regierungsform auf Gründe der Gleichheit und gemeinschaftlicher Rechte zu erbauen, das Uibergewicht in der Staatsverwaltung als Lohn des Sieges sich zugeeignet. So hat der siegende Adel Oligarchien, das siegende Volk Demokratien errichtet. Endlich hat auch von den beyden Griechischen Staaten, Athen und Lacedämon, welche zum Ansehn von Heerführern in Griechenland gelangt sind, jeder seine eigne Verfassung in den Städten, die unter ihm standen, einzuführen gesucht; Athen hat, wo es konnte, Demokratien, Sparta Oligarchien errichtet: beyde haben dabey nicht auf den Nutzen der Stadt, deren Regierungsform sie regulirten, sondern auf ihren eigenen Vortheil gesehn. — Und durch alle diese vereinigten Ursagen ist es geschehn, dass man fast nirgends, oder an äusserst wenigen Orten, und nur in kurzen Zeiträumen gemischte Regierungsformen, von gemässigten Grundsätzen findet. Nur ein einziger Mann aus der alten Zeit ist bekannt, der, da er die Regierung in Händen hatte, sich bewegen liess, eine solche Anordnung in seinem Staate zu machen. Es ist auch schon in den meisten Städten Denkungsart und Gesinnung durch Gewohnheit und Länge der Zeit dahin gediehen, dass niemand mehr die Gleichheit will, sondern jeder entweder zu herrschen begehrt, oder zufrieden ist unter dem Joch zu leben.Was wir also bisher abgehandelt haben, ist erstlich, welches die bessre Regierungsform sey, und warum sie so, wie wir angaben, seyn müsse. Wenn man über die vollkommenste Staatsverfassung einig ist: so ist es leicht, die am Range zweyte, dritte, und die folgenden zu bestimmen. Denn jede ist nach dem Maasse vollkommner, als sie sich der ersten nähert: und um desto schlechter, als sie sich von ihr entfernt. Doch ist diess nur von der absoluten Vollkommenheit zu verstehen. Bey der relativen kann es anders seyn. Das ist die, welche nach gewissen schon unabänderlichen Voraussetzungen unter diesen Umständen, die besste seyn soll. Jn Absicht solcher kann es sehr wohl kommen, dass einem gewissen gegebnen Staate diejenige Verfassung unter zweyen die zuträglichere ist, die an und für sich der andern weit nachzusetzen wäre, wenn man alle Umstände nach seinen Wünschen einrichten könnte.

Zwölftes Kapitel.



Verhältniss der Menschen zum Staate, nach Quantität und Qualität.

Die zunächst hiermit zusammenhängende Untersuchung ist, die Beschaffenheit der Staatsverfassung mit der Beschaffenheit der Menschen, die in denselben leben sollen, zu vergleichen, um zu sehen, wie beyde sich zusammen schicken. Zuerst aber muss über dieses Verhältniss der Staatsverfassung zu der Qualität der Bürger des Staats, das Gemeinschaftliche, was in allen einerley ist, angegeben werden. Es muss nähmlich, wenn eine Staatsverfassung bestehen soll, der Theil des Staats, welcher die Fortdauer derselben wünscht, denjenigen überwiegen, welcher sie nicht will, Bey jedem Staat aber lassen sich die darin lebenden Menschen nach den beyden Categorien der Quantität und der Qualität unterscheiden. Wenn ich von ihrer Qualität rede, so verstehe ich darunter Freyheit, Reichthum, Geistesbildung, edle Geburt; oder das Gegentheil. Die Quantität besteht in der grössern oder mindern Anzahl der Menschen. Nun ist es möglich, dass unter den Theilen, aus welchen ein Staat zusammengesetzt ist, dem einen die Qualität, dem andern die Quantität zukömmt. Z. B. dass die Edeln oder die Reichen die kleinere Zahl ausmachen, die Gemeinen und die Armen die grössre; —dass aber der erstre Theil nicht so sehr an Quantität den letztern übertrifft, als er von ihm an Qualität oder an Menge übertroffen wird. Um dieser Ursache also, muss beydes gegen einander abgewogen werden, und das zusammengesetzte Verhältniss bestimmt die Staatsverfassung. Zum Beyspiel, wo der Aermere gegen den Reichern die zuvor angegebene Proportion hat, da ist die Anlage zur Demokratie; und zwar die Anlage zu der einen oder andern Demokratie insbesondre, nachdem diese oder jene Klasse des Volks in dem bemeldeten Verhältnisse steht. Uiberwiegt die Anzahl der Ackersleute auf die gedachte Art, so ist es eine Demokratie der Grund-Eigenthümer, die erste und besste unter allen. Haben die l: Handwerker und Tagelöhner das erforderte Uibergewicht, so entsteht die letzte und schlechteste. Gleiche Bewandnisse hat es mit den Klassen und Demokratien, die zwischen beyden sind.Da aber, wo die Klasse der Angesehnen und Reichen an Qualität ein grösseres Uibergewicht hat, als der andre Theil an Quantität: da entsteht natürlicher Weise eine Oligarchie, und zwar grade diese oder eine andre Art der Oligarchie, nachdem diese oder eine andre Klasse der notabeln Bürger in gedachter Proportion zu den Untern steht. — Jn allen Fällen aber muss der Gesetzgeber die mittlere Klasse zu Hülfe nehmen, und sie für seine Staatsverfassung zu gewinnen suchen. Gibt er oligarchische Gesetze: so muss er demohnerachtet dabey auf die Gesinnungen und die Denkungsart des Mittelstandes sehn; gibt er demokratische, so muss er den Mittelstand selbst in die Verfassung zu verflechten suchen.Jst aber an einem Orte diese mittlere Klasse selbst die zahlreichste: dann, und nur dann kann eine wahre republikanische Regierungsform auf sichere Grundlagen erbaut werden und dauerhaft seyn. Denn, dass jemahls die beyden äussersten Stände, die Reichen und die Armen sich gegen diesen Mittelstand vereinigen sollten, ist nicht zu befürchten. Keiner von beyden Theilen wird sich selbst seine Knechtschaft unter dem andern Theil zubereiten wollen. — Um aber eine Staatsverfassung hervorzubringen, woran sie gemeinschaftlich Theil hätten, haben sie eine solche Unternehmung nicht nöthig: denn sie können keine finden, womehr alles gemeinschaftlich wäre, als eben die ist, welche sie zu zerstören suchten. Die einzige Modalität, die noch übrig wäre, dass sie nähmlich wechselsweise die Regierung führten und die Staatsämter begleiteten, werden sie aus Misstrauen gegen einander niemahls annehmen, — Allenthalben aber trauen entgegenstehende Parteyen dem, welchen sie als ihren natürlichen Schiedsrichter ansehen. Der in der Mitte steht, ist aber der natürliche Schiedsrichter der Extremen.Je besser nun eine Regierungsform gemischt ist, so dass alle Glieder des Staats daran Theil haben, desto dauerhafter ist sie.Viele auch von denen, die Aristokratien haben errichten wollen, haben darin gefehlt, nicht nur, dass sie den Reichen zuviel einräumen, sondern, dass sie das Volk vor den Kopf stossen und von der Regierung ganz und gar ausschliessen. Nothwendig aber muss mit der Zeit, nach dem Ausspruch eines Dichters "aus Gutem, das bloss scheinbar ist, Böses entstehn, das reell ist."Zu grosse Vorrechte der Reichen richten eine freye Staatsverfassung eher zu Grunde, als zu grosse Vorrechte des Volks.

Dreyzehntes Kapitel.



Verhältnis der Bürger zur obersten Macht und Gesetzgebung. Jhr wahrer oder scheinbarer Antheil daran.

Es sind fünferley Massregeln, welche man in den gemischten Regierungsformen zu nehmen pflegt, um das Volk zu täuschen, und ihm einen rechtlichen Antheil an der Regierung zu geben, indess man den reellen verhindert. Sie betreffen die Volksversammlungen, die obrigkeitlichen Aemter, die Richterstühle, die Bewaffnung und die Gymnasia. Jn Absicht der ersten besteht diese Maassregel darin, dass es allen Bürgern freygegeben wird, in die Versammlung zu kommen, dass aber den Reichen eine Geldbusse aufgelegt werde, wenn sie nicht darin erscheinen, entweder ihnen allein, oder doch ihnen eine weit grössere. Jn Absicht der obrigkeitlichen Aemter, wird denen, die ein gewisses bestimmtes Vermögen haben, nicht erlaubt, Aemter, zu denen sie gewählt worden, von sich abzulehnen; Aermern wird es erlaubt. So in Absicht der Richterstühle, steht für die Reichen Strafe drauf, wenn sie nicht Richter seyn wollen, so bald sie das Loos oder die Reihe trifft: für die Aermern steht keine Strafe drauf, oder eine weit geringere, wie nach Charondas Gesetzen. An einigen Orten ist das Gesetz, dass es jedem Bürger, der sich meldet, und sich dazu in das desshalb gehaltne Register einschreiben lässt, frey stehe, in der Volksversammlung zu erscheinen, und Richter zu seyn, dass aber die eingeschriebenen, wenn sie nun doch nicht in der Versammlung erscheinen, oder doch nicht Richter seyn wollen, grosse Geldstrafe bezahlen müssen. Dadurch geschieht es, dass die Armen abgeneigt sind, sich einschreiben zu lassen: und da sie also nicht eingeschrieben sind, weder zu der Versammlung, noch zu den Richterstühlen Zutritt haben. Aehnliche Verordnungen sind in Absicht des Besitzes der Waffen und der gymnastischen Uibungen im Schwange. Den Aermern ist es bloss erlaubt, Waffen sich anzuschaffen, und die kriegerischen Uibungen zu erlernen: aber den Reichem sind Strafen dictirt, wenn sie sich keine Waffen angeschafft und keine gymnastische Uibungen gelernt haben. Augenscheinlich in der Absicht, damit die Furcht vor der Strafe mache, dass keiner von diesen letztern, aber von den erstern viele es unterlassen mögen, da sie nichts zu befürchten haben. Das sind also oligarchische Kunstgriffe der Gesetzgebung, um die Macht unvermerkt aus den Händen des Volks in die Hände Weniger zu spielen.Dem wird nun in Demokratien durch andre Künsteleyen entgegen gearbeitet. Hier bekommt nähmlich der Aermere, wenn er in der Volksversammlung oder in den Richterbänken erscheint, eine Art von Sold, — und der Reiche bezahlt keine Busse, wenn er nicht erscheint.Augenscheinlich muss also der, welcher eine von demokratisch und oligarchischen gehörig gemischte Form errichten will, beyde Maassregeln vereinigen. Er muss die Aermern besolden und den Reichern die Geldstrafe anlegen. Auf diese Weise würde er sicher seyn, dass beyde Parteyen an den gesetzgebenden und an den Recht sprechenden Collegiis Theil nehmen würden. Nach jenen zuvor beschriebenen Einrichtungen nimmt nur immer eine Partey wirklichen Antheil. — Jnsbesondre nach denen, welche die Bewaffnung und Leibes-Uibungen betreffen. Denn in einer Republik sind nur diejenigen wahrhaftig Bürger, welche die Waffen in Händen haben, und im Gebrauch derselben geübt sind.Was den Maassstab des Vermögens betrifft, welches von demjenigen gefordert werden soll, der zu diesem oder jenem Vorrechte des Staats zugelassen wird, so ist dieser im Allgemeinen nicht zu bestimmen: sondern er muss sich nach der Summe der grössten Reichthümer richten, die im Staate vorhanden sind. Jmmer aber muss er so bestimmt seyn, dass die Anzahl derer, welche an der Regierung einigen Antheil haben, grösser sey, als die Anzahl derer, welche davon ausgeschlossen sind.Es ist zwar wahr, dass die Aermern, auch, wenn sie zu den Ehrenämtern des Staats keinen Zutritt haben, doch sich gerne zufrieden geben, und ruhig bleiben, wenn sie nur nicht von denen, die über ihnen sind, übermüthig behandelt, oder in ihrem Eigenthum gekränkt werden. Aber diess ist nicht leicht auf immer zu erwarten. Dazu wäre nothwendig, dass die, welche am Ruder sind, immer von Natur rechtschaffene und menschenfreundliche Männer wären, und eine so glückliche Beständigkeit des Zufalls findet sich nicht.Dazu kömmt, dass die Aermern, wenn sie im Frieden zurückgesetzt werden, im Kriege sich weigern, Soldatendienste zu thun, wofern sie nicht Sold und Unterhalt bekommen; und dass sie hingegen bereit sind, für einen jeden zu Felde zu ziehen, der ihnen Sold und Unterhalt verschafft.Jn einigen Städten ist die Macht des Staats bey denen, welche die schwer bewaffnete Jnfanterie ausmachen, es sey, dass sie noch jetzt darunter dienen, oder dass sie ehedem dazu gehört haben. Bey den Maliensern ist die ganze Regierung in den Händen beyder: die obrigkeitlichen Personen aber werden nur aus denen erwählt, welche jetzt wirklich als Soldaten dienen. So war auch die älteste Regierungsform der Griechen nach Abschaffung der königlichen Würde beschaffen. Nur die Krieger machten die Regierung und den Staat aus. Und zwar anfangs vornehmlich die Ritter, oder die, welche zu Pferde dienten, weil auf die Reuterey die Stärke der Heere und die Uibermacht im Kriege ankam. Die Ursache ist, weil schwer bewaffnetes Fussvolk, ohne regelmässige Abtheilung und Stellung der Haufen von gar keinem Gebrauch im Kriege ist. Von dieser Kunst ein Herr zu ordnen, hatten jene Alten keine Kenntniss, noch weniger waren sie darin geübt. Jhre eigentliche Stärke bestand also in der Reuterey. Nachdem aber die Städte grösser geworden sind, und die schwer bewaffnete Jnfanterie mehr im Kriege zu gelten angefangen hat: sind auch derer, welche an der Regierung Theil genommen, mehrere geworden. Daher die Regierungsformen, welche bey uns noch als aristokratisch angesehen werden, bey den alten schon Demokratien heissen. Sie waren gewohnt, nur Monarchien oder Oligokratien unter sich zu sehen, Einen oder Wenige über sich herrschen zu lassen. Und diess ganz natürlich. Denn da überhaupt das, was wir jetzt das Volk nennen, nicht zahlreich und nicht in ein Corpus vereinigt, regelmässig abgetheilt und in Waffen geübt war; so liess es sichs leichter gefallen, beherrscht zu werden.

Vierzehntes Kapitel.



Staatseinrichtung. Das berathschlagende Corpus.

Nachdem ich also die Verschiedenheiten der Regierungsformen, und auch diejenigen, welche sich unter einem und demselben Nahmen verstecken, (weil in der That ganz ungleichartige Verfassungen Demokratien u.s.f. heissen) angegeben habe: kommt nun noch Verschiednes anzumerken vor, welches entweder alle insgesammt, oder jede insonderheit angeht. Jch mache davon den Anfang, dass ein guter Gesetzgeber, wenn er von dem urtheilen will, was dem Staate nützlich sey, in allen Versagungen auf drey Stücke zu sehen, und seine Maassregeln in Rücksicht auf den Nutzen dreyer Hauptzweige der Regierung zu nehmen habe, welche, wenn sie wohl eingerichtet sind, nothwendig den ganzen Staat im Wohlstande erhalten, und wenn sie sich verändern, nothwendig Veränderungen der ganzen Verfassung und des Zustandes der Republik nach sich ziehn. Von diesen drey Stücken ist das erste der über die öffentliche Angelegenheiten rathschlagende Theil: und die Frage ist, aus was für Personen er bestehen solle? Das zweyte betrifft die ausübende Gewalt, oder die obrigkeitlichen Aemter. — Wie viele sollen ihrer seyn: über welche Sachen soll jedes Gewalt haben, und wie sollen die, welche sie begleiten, gewählt werden? Das dritte Stück ist die richterliche Gewalt: wer sollen die seyn, welche in den bürgerlichen Streitigkeiten entscheiden?Was nun das berathschlagende Corpus anbetrifft, so ist der Geschäftskreis desselben folgender: über Krieg und Frieden, über zu schliessende Bündnisse oder über die Aufhebung derselben zu entscheiden, neue Gesetze zu geben oder alte abzuschaffen, über die Verbrechen, worauf Todesstrafe, Landesverweisung, Verlust der Güter steht, zu richten, endlich die Rechenschaft von den Magistratspersonen und den Administratoren des Staats abzufordern.Die Macht nun, über alle diese Puncte zu entscheiden, wird entweder allen Bürgern zusammengenommen, oder nur einigen gegeben, mit einer einzigen oder mit mehrern obrigkeitlichen Würden verbunden; — oder einige dieser Gegenstände werden allen zur Entscheidung überlassen, andre gewissen besondern Personen zu besorgen aufgetragen. Die erste Einrichtung, wenn alle Bürger zusammen, und über alle jene Puncte zu sprechen haben, ist demokratisch. Denn diese Regierungsform verlangte eine solche vollkommne Gleichheit. Der Arten und Weisen aber, wie alle zu diesen Entscheidungen concurriren können, sind mehrere. Die eine ist, wenn das Ganze in Theile getheilt wird, und ein Theil nach dem andern, wie die Reihe an jeden kömmt, dieses Staats-Conseil formiret, wie diess in dem Staatssystem Teleklis des Milesiers der Fall ist. Auch in andern Staatsverfassungen ist die Einrichtung, dass jenes berathschlagende Collegium von den zusammentretenden sämmtlichen Magistratspersonen formirt wird, zu den Magistraturen selbst aber alle Bürger gezogen werden, und zwar so, dass von den Klassen, in welche die Bürgerschaft getheilt wird, als den Zünften (Φμλδτς) oder noch kleinern Abtheilungen, eine nach der andern an die Reihe komme, wahlfähig zu seyn, bis die Wahl durch alle hindurchgegangen ist: eine Versammlung des gesammten Volks aber findet nur alsdann Statt, wenn neue Gesetze gegeben, Veränderungen in der Regierungsform gemacht, oder Verordnungen der Obrigkeit den sämtlichen Bürgern auf die authentischste Art bekannt gemacht werden sollen.Eine zweyte Methode, wie am berathschlagenden Collegio alle Theil haben können, ist, wenn das ganze Volk in Corpore dieses Collegium ausmacht, — dieses geschieht, wenn den Volksversammlungen die Wahl der Magistratspersonen, die Gesetzgebung, die Entschlüsse über Krieg und Frieden, und die Abforderung der Rechenschaft von den obrigkeitlichen Personen, die Erkenntniss über die übrigen Staatsangelegenheiten aber den respectiven Obrigkeiten und Officianten aufgetragen wird, welche die Ausführung derselben zu besorgen haben, wobey es nun noch Bedingung seyn muss, dass diese Obrigkeiten aus allen Bürgern ohne Unterschied durchs Loos, oder durch Wahl gezogen werden.Eine dritte Methode ist, wenn die sämmtlichen Bürger sich nur zur Wahl der obrigkeitlichen Personen, zu Annehmung der Rechenschaft von denselben, zu Berathschlagungen über Krieg oder Bündnisse versammeln, — alles übrige aber (also auch die Gesetzgebung) von den obrigkeitlichen Personen besorgt wird, welche letztern aber alsdann gewählt werden müssen, besonders diejenigen, wo eigentliche Wahl Statt findet, d. h, die zu ihrer Administration besondre Kenntnisse, und eigne Qualitäten nöthig haben.Die vierte Art ist, wenn alle Bürger in der Volksversammlung vereinigt, über alles zu entscheiden haben, den obrigkeitlichen Personen aber nichts weiter übriggelassen ist, als diese Entscheidungen durch provisorische Urtheile vorzubereiten und zu leiten. Und auf diese letzte Art sind nun die äusserst demokratisch verfassten Städte eingerichtet; welche Art der Demokratie ich mit der Dynasten-Regierung unter den Oligarchien und mit der Tyranney unter den Monarchien in Vergleichung gesetzt habe.Alle bisher angeführte Einrichtungen des berathschlagenden Theils sind demokratisch.Oligarchisch ist die, wenn nur einige Personen über alles rathschlagen.Auch diese Einrichtung hat noch viele Verschiedenheiten.Wenn z. B. diese Einigen gewählt werden und zur Wahlfähigkeit nur ein mittelmässiges Vermögen erfordert wird; wenn also eben um dieser Mittelmässigkeit des erforderlichen Vermögens willen mehrere zu Stellen in diesem Staatsrathe gelangen können, wenn demselben nicht frey steht, Aenderungen in Dingen zu machen, welche die Gesetze von ihrer Gerichtsbarkeit aufgenommen haben, wenn von Zeit zu Zeit diejenigen, welche das bestimmte Vermögen erwerben, auch unter die an jenen Berathschlagungen Theilhabenden Bürger aufgenommen werden: so ist die Einrichtung zwar oligarchisch, aber es ist eine gemässigte und der republikanischen Form sich nähernde Oligarchie.Wenn aber ausdrücklich ein Theil der Bürgerfamilien von aller Theilnehmung an den öffentlichen Berathschlagungen auf immer ausgeschlossen ist, übrigens das Collegium, welchem dieselben zukommen, wie zuvor, den Gesetzen unterworfen ist; so ist is reine, wahre Oligarchie.Wenn endlich die einmahl in diesem Collegio Sitzenden das Recht haben, an die Stelle der abgehenden Mitglieder die neuen selbst zu wählen, oder, wenn das Recht darin zu sitzen, erblich ist, und vom Vater auf dem Sohn übergeht; wenn das Collegium endlich auch über die Gesetze selbst zu urtheilen hat: so ist diese Einrichtung nothwendig in einem noch höhern Grade oligarchisch.Eine dritte Hauptmodification des berathschlagenden Theiles in der Staatsverfassung ist, wenn über einige Gegenstände alle Bürger zusammen, über andre nur gewisse Personen, und zwar wieder über verschiedene Verschiedne zu rathschlagen und zu entscheiden haben; wobey wieder die Verschiedenheit vorkömmt, dass diese entweder durch Wahl oder durchs Loos bestimmt werden. Diess ist alsdann aristokratisch-republikanisch. Es kann nun hiebey entweder Wahl und Loos getheilt werden, so, dass zu einer Klasse von Gegenständen, die Berathschlagenden gewählt, zu einer andern erloost werden (und bey dem Loose kann entweder ein Urtheil über die Personen, über welche geloost werden soll, vorhergegangen seyn oder nicht); oder Wahl und Loos wird mit einander verbunden; so, dass erst eine gewisse Anzahl wählbarer Personen durchs Loos gezogen, und aus diesen gewählt wird. Wenn dieses ist: so ist die Einrichtung halb aristokratisch, halb republikanisch.Diess sind also die verschiedenen Arten, wie nach der Verschiedenheit der Regierungsformen der berathschlagende Theil derselben angeordnet wird. Es ist aber für diejenige Demokratie, welche gegenwärtig diesen Nahmen beynahe ausschliessend bekömmt, d. h. wo das Volk Herr von Allem, auch über die Gesetze ist, nützlich, es in Absicht der öffentlichen Berathschlagungen und Beschlüsse so zu halten, wie es in den Oligarchien in Absicht der richterlichen Functionen gehalten wird. Diese bedrohen nähmlich diejenigen, welche nach dem Geiste der Verfassung Richter seyn sollen, mit Strafe, wenn sie sich davon zurück ziehn; — Die Demokratie hingegen gibt den Armen, damit sie gereitzt werden, die Richterstühle zu besuchen, eine Belohnung dafür. Jn Absicht nun der öffentlichen Berathschlagungen sollen beyde Maassregeln vereiniget, und die Reichern genöthigt, die Aermern angelockt werden, den Versammlungen, worin gerathschlagt wird, beyzuwohnen. Denn das ist gewiss, dass die Entschlüsse am bessten ausfallen, wenn alle Klassen ihre Rathschläge vereinigen; wenn das Volk mit den Vornehmern und Angesehnern, und diese mit den gemeinen Volksklassen über die Angelegenheiten Abreden nehmen. Eben so, wenn nicht das ganze Corpus der Bürgerschaft, sondern gewisse Collegia, die Berathschlagungen über die öffentlichen Angelegenheiten halten: so ist es abermahls nützlich, dass die Glieder dieses Collegii, oder dieser Collegien, in gleicher Anzahl oder doch mit gleichem Einfluss, aus jenen beyden Hauptklassen der Nazion, es sey durchs Loos gezogen, es sey gewählt worden. Aus gleichem Grunde ist es nützlich, dass, wenn die geringere Volksklasse die Vornehmern an Anzahl weit übertrifft: die Geldbelohnung, die die ärmern Bürger auffordern soll, den Versammlungen beyzuwohnen, nicht allen und jeden, welche aus dieser Klasse in der Versammlung erscheinen, zu Theile, sondern auf eine gewisse der Menge der Vornehmern proportionirte Zahl eingeschränkt wird.Jn Oligarchien hingegen ist es zur Erhaltung und Festigkeit der Verfassung zuträglich, dass entweder aus dem Volke einige ausgewählt werden, welche den berathschlagenden Versammlungen des Adels beywohnen, oder dass, wie in mehrern Staaten dieser Art es wirklich geschieht, ein Collegium eingerichtet werde, welches unter dem Nahmen von Gesetzwächtern, oder von vorbereitendem Rathe, über die der Volksversammlung vorzutragenden Angelegenheiten erst rathschlage, und letztre über nichts entscheiden könne, als über die Vorschläge, welche jenes Collegium vor die Versammlung bringt. Auf diese Weise ist das Volk nicht ganz von den Berathschlagungen über Staatsangelegenheiten ausgeschlossen, und hat demohnerachtet nicht die Macht etwas in der Verfassung zu ändern. Soll das Volk noch enger eingeschränkt werden: so wird der Versammlung entweder bloss die Bestätigung der Schlüsse jenes vorsitzenden Collegii überlassen, oder es wird ihr doch wenigstens nicht erlaubt, etwas denselben Widersprechendes zu beschliessen. — Oder man kann auch das Volk bloss zur Einhohlung seiner Meinungen versammeln, die Entscheidungen der Sachen aber den Magistratscollegiis überlassen. Uiberhaupt sollte man grade das Gegentheil von dem thun, was jetzt in den meisten Städten geschieht. Man sollte dem Volke die verneinende Stimme oder das Recht die Vorschläge der Magistratspersonen zu verwerfen, aber nicht eine bejahende, oder das Recht neue und andre Verfügungen zu machen, geben: sondern im Falle dass ein Vorschlag verworfen würde, sollte die Sache von neuem vor die obrigkeitlichen Collegia kommen. Jetzt verfährt man in vielen Städten grade auf die entgegengesetze Weise. Die Wenigen, oder die Magistratspersonen haben das Recht zu verwerfen und zu cassiren, was vom Volke vorgeschlagen wird; aber sie haben nicht das Recht etwas anders positiv fest zu setzen: sondern die Sache muss alsdann von neuem vor das Volk gebracht werden.Diess sind meine Jdeen von dem Theile der Regierungen und Staatsverfassungen, welcher über allgemeine Angelegenheiten rathschlägt und Entschlüsse fast.

Fünfzehntes Kapitel.



Executive Gewalt. Obrigkeiten.

Die nächstfolgende Untersuchung betrifft den mit der Ausführung der Beschlüsse beschäftigten Theil, oder die eigentlichen obrigkeitlichen Aemter. Auch dieser Theil der Verfassungen hat mannigfaltige Verschiedenheiten: 1) in Absicht der Anzahl der Aemter, unter wie viele die Geschäfte getheilt werden sollen; 2) in Absicht der Gegenstände, welcher Geschäftskreis jedem Amte untergeben sey; 3) in Absicht der Zeit, auf wie lange jedes conferirt werde (in einigen Orten bleiben die Magistratspersonen in ihrem Posten nur ein halbes Jahr, in andern ein ganzes, in noch andern länger als ein ganzes oder weniger als 6 Monathe; hierbey ist nun die Frage, ob es besser sey die Aemter auf zeitlebens, oder auf lange Zeit zu ertheilen, oder besser sie kurzdauernd zu machen, ferner ob es besser sey, oft dieselben Personen zu denselben Aemtern zu nehmen, oder niemahls eine Person zweymahl dazu gelangen zu lassen); 4) in Absicht der Art und Weise der Ernennung zu den Aemtern, aus welchen Klassen die damit zu begleitenden zu nehmen sind, von wem sie ernannt und bestimmt werden, und nach welcher Methode diese Bestimmung geschehen solle.Um über diese Puncte zu entscheiden, muss man wissen, wie vielerley Arten möglich sind; und dann diese Arten den Formen der Constitution anpassen, so dass man angeben könne, welche in der einen, und welche in der andern Regierungsform die zuträglichste ist.Auch das ist schon nicht leicht zu bestimmen, welche öffentliche Verrichtungen man eigentlich Aemter und obrigkeitliche Aemter nennen solle. Denn die bürgerliche Gesellschaft bedarf vielerley Verwaltungen von Geschäften, die gewissen Personen entweder durchs Loos oder durch Wahl aufgetragen werden und ihnen eine gewisse Würde geben, ohne sie doch desswegen zu obrigkeitlichen Personen zu machen. Von dieser Art sind erstlich die Priesterlichen Würden, die gewiss für etwas ganz anders als obrigkeitliche Aemter zu halten sind. Dazu gehören ferner die Herolde, die öffentlichen Ausrufer, die, welche die Theaterchöre und Aufzüge bey den Bacchus- und andern Festen anführen. —Auch die, welche zu Abgesandten an andre Staaten gewählt werden, sind im Dienste des Publikums. —Ein andrer Unterschied ist folgender: Einige Staatsaufträge geben eine Autorität in Beziehung auf einen gewissen Zweck, und über die Handlungen aller Bürger, in sofern sie zu diesem Zwecke conrurriren; z. B. der Feldherr hat über alle Bürger zu befehlen, die zu Felde gehn. Andre geben nur ein Commando über einen gewissen Theil der Bürger. Dahin gehören z. B. die in einigen Staaten eingeführten Aemter eines Polizey-Aufsehers über die Weiber oder über die Kinder. Einige öffentliche Verrichtungen sind bloss ökonomisch: denn so werden in gewissen Staaten Personen ausdrücklich dazu gewählt, das Getreide in den Magazinen beym Empfang und der Auslieferung zu messen. Andre sind blosse Hand- und körperliche Dienste, dergleichen reiche Leute sich von ihren Sklaven verrichten lassen.Jm eigentlichsten Verstande heissen nur diejenigen Aufträge obrigkeitliche Aemter, welche das Recht geben, über öffentliche Angelegenheiten Schlüsse zu fassen, über Recht und Unrecht geschehener Handlungen zu entscheiden, und gewissen Personen zu befehlen. Diess letzte ganz vorzüglich, denn das Recht zu befehlen ist das unterscheidende Kennzeichen einer Obrigkeit.Doch in Absicht des Gebrauchs und der Ausübung kommt es auf eine so genaue Bestimmung der Wortbedeutung nicht an, weil darüber ein Streit entsteht, ob diese oder jene Geschäftsführung mit Recht ein obrigkeitliches Amt heissen könne oder nicht, ob gleich die Untersuchung davon ihren anderweitigen theoretischen Nutzen hat. Aber davon ist sehr oft bey der wirklichen Anordnung eines Staats die Frage, welche Aemter und wie viele derselben durchaus nothwendig sind, zur Existenz und zum Bestehen eines Staats, und welche, ob gleich nicht unentbehrlich, doch zur Vollkommenheit eines Staats nützlich sind. Darüber kann in allen Staaten, aber am meisten in kleinen, Streit entstehn. Jn grössern nähmlich ist es möglich und es ist auch zu rathen, dass jedem besondern Geschäfte auch ein besonders Amt gewidmet werde. Da die Anzahl der Bürger in demselben gross ist, so kann auch die Anzahl derer gross seyn, welche daraus zu öffentlichen Aemtern gezogen werden. Es ist daher auch möglich, dass grosse Zeiträume gesetzt werden können, ehe dasselbe Amt wieder an die nähmliche Person komme, oder dass gewisse Aemter auch an Eine Person nur einmahl kommen. Und gewiss besser wird jedes Werk gemacht, wenn der, welchem dasselbe zu besorgen aufgetragen ist, nur mit einem Gegenstande, als wenn er mit vielen zu thun hat.Jn kleinern Städten aber ist es nothwendig, dass viele Aemter unter wenige Personen vertheilt, und also Einer Person mehrere aufgetragen werden. Die geringe Anzahl der Einwohner überhaupt lässt nicht zu, dass eine grosse Anzahl derselben in den Regierungssälen auf einmahl beschäftigt sey. Denn wenn dieser ihre Amtszeit zu Ende ist, wo würden dann ihre Nachfolger zu finden seyn!Zuweilen haben kleine Städte eben die Magistratspersonen und eben die Gesetze nöthig, als die grossen Städte. Aber der Unterschied ist: in diesen kommen dieselben Geschäfte oft vor, und sie bedürfen also immer gewisser Personen die solche verwalten: in jenen aber ereignen sich die Fälle, wo gewisse Angelegenheiten zu besorgen sind, nur von Zeit zu Zeit: und es ist also nicht nothwendig, dass immer eine bestimmte Person denselben allein obliege: sondern, ohne dass es den Geschäften schade, oder eine Verrichtung die andere störe, können mehrere einer und derselben Person anvertrauet werden. Die Magistraturen müssen in kleinen Städten, wegen der Volksarmuth, wie gewisse Kücheninstrumente seyn, die man zugleich zum Leuchten und zum Braten braucht.Wenn nur erst ausgemacht ist, wie viel obrigkeitliche Aemter überhaupt in jeder Stadt nothwendig sind, und wie viele, ohne nothwendig zu seyn, doch heilsam und zu rathen sind: so wird sich auch leichter erkennen lassen, welche dieser Aemter zusammen vereinigt werden können, und welche getrennt bleiben müssen.Auch das muss nicht untersucht bleiben, welche obrigkeitliche Verrichtungen desswegen mehrern übertragen werden müssen, weil an verschiedenen Theilen und in verschiedenen Orten der Stadt, derselbe Gegenstand einen besondern Aufseher fordert, und welche einem Einzigen aufgetragen werden können, weil die Autorität und die Besorgung dieses Einzigen sich auf die ganze Stadt erstrecken kann. Z. B. wenn gute Zucht und Ordnung der Gegenstand ist: so ist die Frage, ob für den Markt und die Kaufmannsläden eine eigne Magistratsperson zu creiren ist, die hier Ordnung halte, eine andere, welche gleiche Polizeyaufsicht an andern Orten der Stadt führe: oder ob es thunlich sey, die Aufrechterhaltung guter Ordnung in der ganzen Stadt nur einem Einzigen zu übergeben.Eine andre Frage ist, ob man die Magistraturen abtheilen müsse nach den Gegenständen, oder nach den Menschen, über welche sie die Aufsicht haben. Z. B. ob eine eigne obrigkeitliche Person bloss zur Aufsicht über Ordnung und Sittlichkeit zu setzen sey, oder ob ein besondrer Aufseher über die Weiber, ein andrer über die Jugend verordnet werden müsse.Ferner, ist nach der Verschiedenheit der Regierungsformen, auch die Abtheilung und die Natur der obrigkeitlichen Aemter verschieden? so dass es andre Aemter in einer Monarchie gibt, welche weder die Demokratie noch die Oligarchie kennt, und umgekehrt? oder sind die Aemter selbst einerley, werden aber nur in jeder Constitution mit andern Personen, aus andern Klassen besetzt? z. B. in den Aristokratien mit solchen, die eine gute Erziehung und Unterricht bekommen haben, in Oligarchien nur mit Personen die ein gewisses Vermögen besitzen, in Demokratien mit allen die freygebohren sind? Es gibt Ursachen, warum in der einen Regierungsform mehrere Aemter bey einander seyn können, die in einer andern getrennt seyn müssen. Jn der einen ist es schicklich, dass gewisse Aemter mit grossem Ansehn verbunden sind, die nach der Beschaffenheit einer andern Verfassung nur wenig zu bedeuten haben. Auch gibt es in der That gewisse jeder Regierungsform eigenthümliche Aemter. So ist das Amt der Probulen (d. h. derer, die zuvor berathschlagen und entscheiden, was in die Volksversammlung gebracht werden soll), nicht demokratisch, aber ein aus dem Volke gezogener Senat ist es. Denn immer muss es ein Concil geben, dessen Geschäfte es ist, die Sachen, ehe sie dem ganzen Volke vorgelegt werden, zu untersuchen, um dieses nicht zu lange und zu oft von seinen Arbeiten abzuhalten. Besteht nun dieses Concil aus wenigen Personen: so ist es ein oligarchisches Jnstitut. Und von dieser Art sind die sogenannten Probulen, deren immer nur einige wenige seyn müssen. Zuweilen sind beyde dieser Jnstitute bey einander, so dass es ausser dem zahlreichen Senat, noch ein kleineres Collegium von eigentlichen Räthen oder Probulen gibt. Jn diesem Falle ist dieser kleine Rath zur Einschränkung und Schwächung des grössern bestimmt, und gibt, wenn dieser der Demokratie günstig ist, das Gegengewicht für die Oligarchie.Auch in denjenigen Demokratien wird das Ansehen des Senats beynahe vernichtet, in welchen das Volk fast unaufhörlich zusammenkömmt, und sich über alle Angelegenheiten berathschlaget. Dieses kann aber nur Statt finden, wo die Bürger, welche die Volksversammlung ausmachen, wohlhabend sind, oder ausdrücklich dafür, dass sie in der Versammlung erscheinen, einen Lohn erhalten. Da sie in beyden Fällen sich von ihren Nahrungs-Geschäften losmachen können: so sind sie bereit, sehr oft zusammen zu kommen, und urtheilen und entscheiden also alles durch sich selbst.Ein Aufseher über die Jugend, ein Aufseher über das weibliche Geschlecht, und überhaupt Magistratspersonen, die über das Sittliche der Bürger eine specielle Aufsicht führen, sind nur in Aristokratien schicklich, aber der demokratischen Form sind diese Aemter nicht angemessen, denn wie könnte man die Weiber und Kinder armer Bürger so unter Aufsicht und bey der geforderten Sittsamkeit erhalten, da sie ihres Unterhalts wegen oft ausgehn und unter fremde kommen müssen? auch nicht der oligarchischen; denn die Weiber der Reichen, die zugleich herrschen, lieben und begünstigen den Luxus. Diess sey genug als Fingerzeig, um über diese Gegenstände weiter nachzudenken.Uiber die Art und Weise aber, wie diese Aemter zu besetzen sind, muss ich nun noch von den ersten Grundbegriffen an, meine Gedanken entwickeln. Es kömmt bey der Bestimmung derselben auf drey Puncte an, welche, wenn sie nach ihren verschiedenen Modificationen betrachtet, und wenn diese Modificationen mit einander so vielfach als es möglich ist zusammengehalten werden, nothwendig alle erdenklichen Verfassungen in der Amtsbesetzung darlegen.Von diesen drey Puncten ist der erste: wer diejenigen sind, welche die Aemter besetzen; der zweyte, mit was für Personen sie besetzt werden können; der dritte, nach welchen Regeln und Methoden die Besetzung geschieht. Bey jedem dieser drey Puncte sind drey verschiedene Fälle möglich. Denn erstlich geschieht entweder die Ernennung zu den Aemtern durch die Bürger insgesammt, oder nur durch einige aus den Bürgern; — und eben so können zu Verwaltung der Aemter entweder alle Bürger, oder nur gewisse genommen werden; etwan nur die, welche durch Geburt oder durch ein bestimmtes Vermögen, oder durch irgend einen andern Vorzug ausgezeichnet sind; in Megara z. B. wurden lange Zeit nur die zu Magistraturen zugelassen, welche zusammen mit den exulirenden Ablichten sich conföderirt, und die Waffen gegen die Volkspartey ergriffen hatten. Und endlich geschieht die Besetzung selbst entweder durch Wahl oder durchs Loos. Dazu kömmt aber noch ein dritter Fall bey jedem Puncte, dass nähmlich beydes zugleich nur bey verschiedenen Aemtern Statt finde, so dass bey Besetzung einiger alle Bürger concurriren, das Recht andre zu besetzen nur gewissen Personen ausschliessend zusteht; dass zu Begleitung einiger Aemter alle Bürger qualificirt sind, zu Verwaltung anderer besondre Eigenschaften erfordert werden, das endlich einige Aemter durch Wahl, andre durchs Loos ausgetheilt werden. Jeder von diesen drey Artikeln lässt also vielerley Verschiedenheiten zu. Dann erstlich, wenn Bürger zur Ernennung der Magistratspersonen concurriren, und sie solche hinwiederum aus allen ernennen: so geschieht diess entweder durch Wahl oder durchs Loos; ferner geschieht es entweder so, dass jederzeit die sämmtliche Zahl aller Bürger wählbar ist, oder so, dass die Wählbarkeit durch die verschiedenen Eintheilungen des Volks (diese mögen nun nach Zünften, oder nach Quartieren, oder nach den Ortschaften, wo sie ihre liegenden Gründe haben, gemacht werden), die Reihe nach herumgehn. Oder endlich wird bey einigen Aemtern das Eine, bey andern das Andre beobachtet. — Zweytents, wenn nur einige und gewisse Personen sind, welche das Recht zu den Magistratswürden zu ernennen haben: so ernennen sie die, welche sie begleiten sollen, entweder aus allen Bürgern, oder nur aus gewissen Klassen, in beyden Fällen entweder durch Wahl oder Loos; — oder sie besetzen gewisse Aemter auf die eine, andre auf die andre Weise. Es gibt also in allen zwölf mögliche Verschiedenheiten, die Combinationen ungerechnet.Unter diesen Formen und Einrichtungen sind zwey demokratisch, wenn alle aus allen die zur Besetzung der Magistraturen nöthige Personen, es durchs Loos, es sey durch Wahl, es sey durch beydes ernennen (dass nähmlich zu einigen Stellen gewählt, über andre gelooset wird). Wenn aber nicht alle, sondern gewisse Personen die Besetzung der Aemter über sich haben, sie aber entweder aus allen wählen, oder einige Aemter aus der gesammten Bürgerschaft, andre aus gewissen Klassen besetzen: so ist diess nicht republikanisch oder der Verfassung eigen, die wir πολιτείαν genennt haben. Sind die, welche die Magistratspersonen ernennen, nur Einige und Bestimmte aus den Bürgern, und sind die, aus welchen die obrigkeitlichen Personen genommen werden können, wieder nur auf einen bestimmten Theil der Bürgerschaft eingeschränkt: so ist die Einrichtung im Geiste der Oligarchie. Geschieht endlich diese Ernennung vom gesammten Volke, aber nur aus den dazu bestimmten Klassen, und zwar durch Wahl, so ist diess aristokratisch. So vielerley Verschiedenheiten gibt es also in der Art, die Personen zu den Magistraturen zu ernennen: und so hängen diese Verschiedenheiten mit den Regierungsformen zu sammen. — Welche Methode aber sich zu jedem Amte schickt, nach Verschiedenheit der Macht, welche jedem Amte anvertraut ist, wird aus dem Folgenden erhellen. Jch nenne aber Macht des Amts, die Art von Geschäften oder Personen, welche der damit Begleitete unter sich hat, z. B. wenn das eine die Aufsicht über die öffentliche Einkünfte, das andre das Commando über die Stadtwache mit sich führet. Nach Beschaffenheit der Geschäfte muss auch die Gewalt verschieden seyn, welche das Amt ertheilt. Denn eine andre Autorität übt der Feldherr über die in Krieg ziehende Truppen, eine andre der Markt-Polizey-Director über die Käufer und Verkäufer aus.

Sechzehntes Kapitel.



Gerichtsverwaltung.

Nach dem Staatsrath, oder dem über die öffentlichen Angelegenheiten berathschlagenden Corpore, und nach den obrigkeitlichen Aemtern, die die gefassten Entschlüsse ausführen, ist nun das dritte, worauf ein Gesetzgeber zu sehn hat, die Verfassung der Richterstühle. Hier wird es gleichfalls nöthig seyn, auf obige Art die verschiedenen möglichen Fälle abzuzählen. Diese Verschiedenheiten beruhen aber auf drey Puncten: auf der Frage, wer soll Richter seyn, —worüber soll er Urthel zu sprechen haben? und wie soll er Urthel sprechen? Die erste Frage heisst soviel: sollen alle Bürger das Recht haben, zu Richtern in bürgerlichen Streitigkeiten genommen werden zu können oder nicht? Die zweyte soviel: wie vielerley Tribunäle und Jurisdictionen muss man in einen Staat einfuhren? Die dritte endlich, soll die Mehrheit der Stimmen allein entscheiden, oder soll das Loos zu Hülfe genommen werden?Zuerst also: wie vielerley gibt es Tribunäle? Jch zähle derselben achte. Das erste ist das, zur Untersuchung und Rechnungs-Abnehmung von denen, die ein öffentliches Amt verwaltet haben. Das zweyte für Verbrecher, durch welche das öffentliche Eigenthum geschmälert worden. Das dritte für solche, welche die Staatsverfassung angreifen. Das vierte zur Beurtheilung der von Magistratspersonen willkürlich aufgelegten Strafgelder. Das fünfte zur Entscheidung von Civilprocessen und zwar über grössere Summen. Das sechste über Todtschlag. Das siebente über die Angelegenheiten der Fremden. — Da der Todtschlag entweder aus Vorsatz und mit Willen, oder unfreywillig und durch Zufall geschehen seyn kann; und da, wenn es auch zugestanden ist, dass er vorsätzlich geschehen sey, doch noch darüber gestritten werden kann, ob er unter den Umständen gerecht und erlaubt war: so entstehn eben so viele Unterarten von dem Gericht über Todtschlag: es sey nun, dass jede derselben andern, oder alle denselben Personen, zur Entscheidung übergeben seyn. — Eine vierte Untersuchung hängt damit zusammen, — über Todtschläger, welche sich um ihrer That willen selbst aus ihrem Vaterlande verbannt haben, wenn dieselben von ohngefähr wieder zurückkommen. Ein Tribunal, welches hierüber richtete, war von den Atheniensern in dem Dorfe Phreatium errichtet. Es sind aber diess Fälle, die nur in grosses Städten, und auch in diesen nur sehr selten vorkommen. Von dem Gericht, welches über die Angelegenheiten der Fremden spricht, gibt es wieder zwey Abtheilungen, eine, welche über die Streitigkeiten, . die zwischen Fremden und Fremden vorfallen, das andre, welches über die zwischen Fremden und Einheimischen Recht spricht.Ausser allem diesem ist noch ein Bagatel-Gericht nöthig, welches über Contracte und Forderungen, von geringem Belange, die sich z. B. von einer bis zu fünf Drachmen, oder nicht viel höher erstrecken, aburtheilen. Auch diese Kleinigkeiten müssen ihre Schiedsrichter haben, aber sie verlangen natürlicher Weise keine so zahlreichen Collegia. — Von dem Gericht über Todtschläge und dem über Fremde brauche ich nichts mehr hinzuzusetzen; von dem über die Verbrechen aber, welche gegen den ganzen Staat begangen werden, muss noch etwas gesagt werden. Diese sind es, welche, wenn sie nicht durch Richter und Recht auf die gehörige Weise untersucht und bestraft werden, die meisten Anlässe zu Aufruhr, Entzweyung der Bürger, und zu Veränderung der ganzen Verfassung geben.Was nun die Personen betrifft, welche Richter seyn sollen: so haben entweder alle Bürger das Recht, zu Richtern in allen Gerichten genommen zu werden, und die, welche es sind, werden aus der gesammten Bürgerschaft entweder durchs Loos oder durch Wahl gezogen. Oder wenn die richterliche Fähigkeit in allen Tribunälen allen Bürgern zukömmt: so können doch in gewissen derselben, oder bey gewissen Gegenständen, die wirklichen Richter durch Wahl, in andern Tribunälen bey andern Gegenständen durchs Loos bestimmt werden. So entstehen also vier Unterarten, für den ersten Fall, wenn die Richterfähigkeit allen Bürgern gemein ist. Eben so viele finden sich für den zweyten Fall, wenn überhaupt die Richter nur aus einer gewissen bestimmten Anzahl und Klasse der Bürger genommen werden dürfen. Denn auch alsdann werden die aus dieser ein geschränkten Anzahl jedesmahl zu Richtern Ernennte, entweder für alle Tribunäle und bey allen Sachen durchs Loos, oder für alle und bey allen durch Wahl, oder für einige durch Loosen, für andre durch Wählen gezogen; oder endlich sind einige Tribunäle aus gewählten und durchs Loos ernannten Mitgliedern zusammengesetzt. —Wie gesagt, diese Unterabtheilungen sind den vorigen vollkommen ähnlich. Nun können aber auch die Haupt-Unterschiede selbst combinirt werden: ich will sagen, dass für einige Tribunäle die Richter aus der ganzen Bürgerschaft gezogen werden dürfen, für andre nur aus einer bestimmten Klasse; für noch andre theilweise, halb aus allen, halb aus gewissen Personen; und in allen diesen Fällen ist es wieder entweder Wahl oder Loos oder beydes, durch welches die jedesmahligen Richter bestimmt werden.So vielerley sind also die Arten, die Tribunäle zu constituiren. Die erste derselben, wenn die Richter aus der gesammten Bürgerschaft und für alle Arten von Urtheilssprüchen gezogen werden, ist demokratisch. Die zweyte, wenn für alle Tribunäle, und für alle Sachen, die Richter nur aus gewissen Bürgern, oder einer bestimmten Klasse genommen werden, ist oligarchisch. Die dritte, wenn für gewisse Sachen die Richter aus allen Bürgern ohne Unterschied, für andre Sachen, oder andre Tribunäle, nur aus einer eingeschränkten Anzahl genommen werden, ist aristokratisch, und der von mir πολιτεία genannten Verfassung gemäss.Jnhalt.

Erstes Buch *). Seite

Kap. I. Uiber den Zweck der Staatsvereinigung Unterschied der bürgerlichen Gesellschaft von andern. Jhre Theile 5 —II. Was ein bürgerliches Gemeinwesen sey Natürlichkeit eines solchen Gemeinwesens 11 —III. Herrschaftliche Verbindung 16 —IV. Freye und Sklaven 26 —V. Erwerb und Erwerbekunst 33 —VI. Handel, Tausch, Geld-Reichthum 40 —VII. Jst der Erwerb Sache des Haus- und Staatsverwalters? — Alleinhandel 48 —VIII. Dreyerley Arten der Herrschaft in der Familie. Vergleichung mit der politischen 56

Zweytes Buch —

I. Welches die besste Staatsverfassung sey. Platons Jdeal 65 —II. Platons Gemeinschaft der Weiber und Kinder 71 —III. Platons Gemeinschaft der Güter 79 —IV. Kritik des Platonischen Werks von den Gesetzen 92 — V. Uiber das Jdeal des Phaleas 102 —VI. Uiber den Plan des Hippodamus 111 —VII. Die Lacedämonische Verfassung 122 —VIII. Die Cretensische 136 —IX. Die Carrhagische 143 —X. Die Atheniensische 150

Drittes Buch —

I. Was das Wort Bürger eigentlich bedeute 158 —II. Was die Jdentität eines Staats? 167 —lll. Ob die Tugend des Bürgers und die des Menschen einerley sey? 170 *) Jn den ersten beyden Büchern ist der Uibersetzer von der gewöhnlichenKapitel-Abtheilung aus guten Gründen abgegangen. , Jnhalt. SeiteKap. IV. Einleitung in die Untersuchung der verschiedenen Staatsformen 183 — V. Drey verschiedne Staatsformen 188 —VI. Uiber die Verschiedenheit der Gerechtsamen der Bürger in den verschiedenen Staatsverfassungen 193 —VII. Mögliche Uibelstände und Mängel in derselben 201 —VIII. Uiber die Grundsätze bey der Aemter-Vertheilung 212 —IX Uiber die Erhaltung des Gleichgewichts in einem Staate 221 —X. Monarchie und deren Arten 226 —XI. Einige Bemerkungen zur Prüfung der monarchischen Staatsform 232 —XII. Gründe gegen die unbeschränkte Monarchie 240

Viertes Buch. —

l, Hauptprobleme der Politik 252 —II. Uibergang und Einleitung zu den hieher gehörigen speciellen Untersuchungen 257 —III. Rechtfertigung der obigen Eintheilung der Regierungsformen 260 —IV. Demokratie und deren Arten 264 —V. Verschiedne Arten der Oligarchie 276 —VI. Fortsetzung 278 — VII. Aristokratische Regierungsformen 283 —VIII. Republik im vorzüglichen Sinne. Tyrannie 285 —IX. Wesen einer Republik 289 —X. Vom Despotismus 294 —Xl. Welches ist die besste Regierungsform? 296 —XII. Verhältniss der Menschen zum Staate 304 —XIII. Verhältniss der Bürger zur obersten Macht und Gesetzgebung. 308—XIV. Staatseinrichtung. Das berathschlagende Corpus 312 —XV. Executive Gewalt. Obrigkeiten 320—XVI. Gerichtsverwaltung 330