Die
Politik des Aristoteles.
Uibersezt
von Christian Garve.
Herausgegeben
mit Anmerkungen und Abhandlungen
von G. G. Sülleborn.
Erster Theil.Wien und Prag.
bey Franz Haas, 1803.Vorerinnerung.Der nächstfolgende Band wird dasjenige
enthalten, was zur Rechtfertigung
dieser Uibersetzung, und was zur
Erläuterung des Werks selbst dienen
kann. Zu beyden finden sich in den
Papieren des verdienten Garve einige
wenige Winke, die ich gewissenhaft benutzen
werde.Erstes Buch.
Erstes Kapitel.
Uiber den Zweck der Staatsvereinigung. In wiefern
die bürgerliche Gesellschaft von andern Gesellschaften
unterschieden ist. sie isi aus mehreren
kleinen zusammengesetzt. Enumeration dieser
Elemente eines Staates.Da jedes gemeine Wesen eine Gesellschaft vereinigter
Menschen ist; jede Verbindung unter den
Menschen aber , um eines boa ihnen beabsichteten
Gutes willen errichtet wird (denn asse handlungen
der Menschen baden eine Absicht . die immer in einem
wirklichen oder scheinbaren Gute liegt) , so
muss die bürgerliche Vereinigung auf dir Erlangung
gewisser Güter abzielen. Und dasjenige Gut, welches
sich die bürgerliche Vereinigung zum 3wecke
macht, muss wahrscheinlich daz höchte aller Güter
seyn , weil die Vereinigung selbst die oberste aller
Verbindungen unter den Menschen ist , und dir
übrigen alle in sich schlicht.Diejenigen irren , welche die Verrichtungen eines
Staatsmanns in smet Republik, eines Königs
, eines Hausvaters und eines herrn über Leib
eigne für einerley, und dieselben Eigenschaften zu
der einen, wie zu der andern, nöthig halten. Die
Meinung dieser Philosophen ist ohngefähr folgende:
"Die bürgerliche, und jene häuslichen Gesellschaften,
sagen sie, sind nicht der Art nach unterschieden,
sondern nur durch die kleinere oder grössere
Anzahl der Personen, aus welchen sie bestehen.
Wer über wenige Sklaven herrscht, heisst Herr;
wer eine ganze Familie regiert, heisst Hausverwalter;
wer über noch Mehrere zu gebiethen hat,
heisst König oder Staatsverwalter. Ein grosses
Hauswesen ist von einer kleinen Stadt in nichts
unterschieden, und zwischen einem Staatsmanne
in Republiken und einem Könige ist kein Unterschied,
als dass der letztre die Regierung allein
führt, der erstre aber mit seinen Mitbürgern in
der Regierung abwechselt; wozu noch diess kommt,
dass der Nahme Staatsmann den Begriff der
Einsichten, mit welchen er die Regierung führt,
schon in sich schliesst, der Nahme König aber
nichts dergleichen andeutet." Das alles aber ist
nicht ganz richtig. Man wird diess einsehen, wenn
wir den Gegenstand nach der Methode untersuchen
werden, die alle unsre wissenschaftlichen Untersuchungen
zu leiten pflegt.So wie man jedes Zusammengesetzte am bessten
kennen lernt, wenn man es in seine einfache
Theile auflöst, die immer zugleich auch seine kleinsten
Theile sind: so werden wir auch, um die Natur
eines Staates einzusehen, die kleinsten Gesellschaften
aufsuchen müssen, aus denen er zusammengesetzt
ist. Daraus wird sich zugleich ergeben warum
diese kleinen Gesellschaften unter sich vom Ganzen
verschieden sind, und bey welcher derselben eine
Wissenschaft oder Kunst in Absicht ihrer Regierung
Statt findet.Man kann die Natur einer Sache nicht besser
erforschen, als wenn man sie unter seinen Augen
entstehen sieht. Diese Methode wollen wir also
auch, in Absicht unsers Gegenstandes, einschlagen.
Zu dem Ende müssen wir zuerst die zwey Menschen
in eine Gesellschaft vereinigen, welche, nach ihrer
Bestimmung, einander durchaus nicht entbehren
können. Diese zwey Menschen sind Mann und
Weib, und ihre Bestimmung ist die Fortpflanzung
ihres Geschlechts. Die Verbindung unter ihnen ist
nicht ein Werk des Vorsatzes und der Vernunft,
sondern des Jnstincts; dergleichen wir bey den
Thieren, und selbst bey den Pflanzen finden, die
sämmtlich einen natürlichen Trieb äussern, ihres
Gleichen zu erzeugen.Die zweyte der einfachsten Natur-Verbindungen
ist die zwischen Herrn und Knecht, zwischen
Regierenden und Regierten, und ihr Zweck ist die
Erhaltung von beyden. Diese Verbindung, sage
ich, ist natürlich. Denn wenn von zwey Menschen
der eine den nöthigen Verstand hat, um Beschlüsse
für die vorliegenden Angelegenheiten zu fassen, der
andre die nöthigen Leibeskräfte, um das Beschlossene
auszuführen: so ist der erste, vermöge seiner
Natur, der Herr und Regierer; und der zweyte
ist, nach der seinigen, der Knecht und Gehorchende
unter beyden. Und diese natürliche Oberherrschaft
ist dem Unterthan eben so nützlich, als dem
Oberherrn.Die eheliche ist nicht zugleich die ursprünglich
herrschaftliche Gesellschaft: und das Weib ist nicht
der gebohrne Sklave des Mannes. Die Natur
macht ihre Werke nicht mit solcher Sparsamkeit,
wie (dem Sprichworte nach), die Stahlarbeiter
den Delphischen Degen, dass ein und dasselbe Ding
zum Werkzeuge vieler Verrichtungen dienen müsse.
Jedes Ding ist bey ihr nur für Einen Endzweck
gemacht. Und in der That werden Werkzeuge dann
am vollkommensten, wenn sie nur zum Dienste einer
einzigen Verrichtung, und nicht für mehrere
zugleich eingerichtet werden.Unter den ungriechischen Nazionen verhält es
sich mit dem weiblichen Geschlechte anders. Hier
ist es in der That zum Sklavenstand herabgewürdigt.
Die Ursache ist, weil unter ihnen überhaupt
die Menschen-Art fehlt, welche von Natur zur Regierung
bestimmt ist: der Mann, welcher eine Sklavin
in seiner Frau heirathet, ist bey ihnen, dem
Geiste nach, eben so gut ein Sklave, als sie. Daher
sagen die Dichter: "es sey billig, dass Griechen
über Barbaren herrschen." Sie setzen nähmlich
voraus, dass ein Barbar seyn, so viel sey,
als zur Unterwürfigkeit gebohren seyn.Aus diesen beyden Verbindungen nun, der ehelichen
und der herrschaftlichen, entsteht zuerst ein
Haus, oder eine Familie. Hesiodus bezeichnet
diese Theile nicht unrichtig in dem bekannten Vers:
μεν πξωτιστα
(Erst das Haus, die Gattin dann, und den
pflügenden Ochsen.)
Der pflügende Ochs stellet hier den Knecht
vor: denn in der That haben die ärmern Landleute
kein andres ihnen dienendes Geschöpf.Diese häusliche Gesellschaft hat noch das Eigenthümliche,
dass die darin vereinigten Menschen
alle Tage und ununterbrochen in Gemeinschaft sind:
Daher nennt sie Charondas δμοσιπυες und der Cretenser
Epimenides σποχαπνες, wovon das erste Leute
anzeigt, die aus einer gemeinschaftlichen Vorrathskammer
zehren, das andre solche, die Feuer
und Heerd mit einander gemein haben.Die erste Gesellschaft nun, die aus der Verbindung
mehrerer Häuser entsteht, ist das Dorf
oder der Flecken; eine Gesellschaft, die nicht
mehr die Befriedigung täglicher Bedürfnisse zur
Absicht hat.Der natürlichste Ursprung eines Dorfs ist daher
zu leiten, wenn die erste Familie Colonieen aus
ihrem Schoosse aussendet. Um desswillen werden
auch solche kleine Volksstämme von einigen Schriftstellern
όμογάλαχτοι genannt, Leute, die an Einer
Mutter Brust gesogen haben. Sie sehen sie als
Kinder und Enkel eines gemeinschaftlichen Aelternpaares
an.Daher kommt es ferner, dass ursprünglich die
Städte von Königen regieret wurden, und jetzt
noch, wo ganze Volksstämme Staaten gebildet haben,
diese von Königen regiert werden. Städte
und Volksstämme entstanden nähmlich aus Familien,
und in der Familie war die monarchische Regierungsform
eingeführt: der Aelteste einer Familie
wird natürlicher Weise das Oberhaupt derselben.
Diese Herrschaft dehnt sich dann leicht auch auf
die Familien aus, welche von der erstern ausgehen, und sich
neben ihr in besondern Häusern ansetzen.Von diesem Zustande der Gesellschaft, worin
die Hausväter die einzigen Obrigkeiten sind, redet
Homer, wenn er von den Cyklopen sagt:
(Ein jeder richtet besonders
Seine Kinder und Weiber.)Das war eine natürliche Folge davon, dass
bey den Cyklopen, wie Homer sie beschreibt, die
Familien von einander abgesondert wohnten. Aber
diese Lebensart war die allgemeine der Menschen
in den ältesten Zeiten.Hieraus lässt sich endlich erklären, wie unter
den Nazionen die Meinung so allgemein geworden
ist, dass die Götter von einem höchsten Gotte beherrscht
werden. Die Nazionen selbst stehen entweder
jetzt noch unter Königen, oder hatten vor Zeiten
welche. Die Menschen sind aber geneigt, so
wie sie ihre Gestalt den Göttern beylegen, so auch
ihnen die Verfassung zuzuschreiben, welche sie unter
sich selbst finden.
Zweytes Kapitel.
Was ein bürgerliches Gemeinwesen sey. Beweis,
dass, die Vereinigung der Menschen zu einem solchen
Gemeinwesen in der Natur gegründet und
derselben gemäss sey.
Die nun aus der Vereinigung mehrerer Dorfschaften
entstehende, schon beynahe vollständige und
sich selbst genug seyende Gesellschafl, ist eine Stadt,
oder ein bürgerliches Gemeinwesen.Diese Verbindung wird zuerst der Selbsterhaltung
wegen errichtet: der spätere Endzweck, der
bey ihrer Fortdauer hinzutritt, ist erhöhte Glückseligkeit.Wenn nun jene einfachern Verbindungen des
Hauses und des Fleckens natürlich sind; so ist auch
die bürgerliche Vereinigung natürlich. Denn erstens
ist sie die Vollendung von jenen. Jn allen
Dingen aber zielt die Natur auf Vollendung ab, und
zeigt sich im Vollendeten am deutlichsten. Wenn
wir die Natur eines Menschen, eines Pferdes oder
eines Hauses bestimmen wollen: so betrachten wir
jeden dieser Gegenstände, wie er dann beschaffen
isi, wenn er seine völlige Reife und Ausbildung
erlangt hat. Ferner das, um desswillen andere
Dinge vorhanden sind, und das ihren Endzweck
ausmacht, ist als das Bessere anzusehen. Sich
selbst genug zu seyn, ist ein solches Ziel, dem jedes
Naturproduct zueilt: dieser Zustand ist also
der vollkommenste.Hieraus ist klar, dass die bürgerliche Gesellschaft,
wie sie in ihrer ersten und einfachsten Form,
in einer Stadt besteht, unter die Werke der Natur
gehört, und der Mensch ein zum bürgerlichgesellschaftlichen
Leben bestimmtes und eingerichtetes
Geschöpf ist. Der Mensch, welcher nicht durch zufällige
Umstände, sondern vermöge seiner Natur,
ausser aller bürgerlichen Gesellschaft lebt, ist entweder
mehr, oder weniger, als ein Mensch. Von
der letztern Art ist der, welchen Homer durch die
beschimpfenden Beywörter schildert:(Ohne Zunft, ohne Gesetz, ohne Heerd.)Ein Mensch, der von Natur einen solchen
Charakter hat, ist gewiss zugleich ein Freund des
Krieges, ein Räuber, ein Ungerechter: so wie Vögel,
die sich nie paaren, und kein eignes Nest haben.Ein Beweis, dass der Mensch von Natur noch
mehr zur politischen Geselligkeit geschaffen und mehr
dazu geschickt gemacht sey, als die Biene, oder
irgend eines der Thiere, die in Heerden unb Schwärmen
beysammen leben, ist folgendes. Die Natur
macht gewiss nichts ohne Absicht. Nun hat unter
allen Thieren der Mensch allein die Sprachfähigkeit.
Alle haben zwar eine Stimme, und geben
unartikulirte Töne von sich, wodurch sie ihre angenehmen
g oder schmerzhaften Empfindungen anzeigen.
Denn so weit reichen ihre Naturkräfte, dass
sie Lust und Unlust unterscheiden: und dem zufolge
haben sie auch das Vermögen, diese Empfindungen
den Geschöpfen ihrer Art anzuzeigen. — Die
Sprache aber ist dazu bestimmt, zu erkennen zu
geben, was der Redende für nützlich oder für schädlich. —
und also auch, was er für gerecht und
für ungerecht hält. Diess ist das Unterscheidende
des Menschen, was kein Thier mit ihm gemein
hat, dass er fähig ist, sich vom Guten und Bösen,
von Recht und Unrecht Vorstellungen zu machen.
Und die wechselseitige Mittheilung dieser
Vorstellungen, die Einstimmung mehrerer Menschen
in denselben, macht eben das Band der häuslichen
und der bürgerlichen Gesellschaft aus.Obgleich die Familie aus einzelnen Menschen
und die Stadt aus mehrern Familien besteht: so
kann man doch in gewisser Absicht sagen, dass die Stadt
oder das Gemeinwesen das Erste und Ursprüngliche
sey, — und dass die Familie und der einzelne
Mensch nur davon abgeleitete Wesen sind. Denn
das Ganze ist nothwendig das Fundament der
Theile, und muss also als selbstständiger und ursprünglicher
betrachtet werden. Sobald der ganze
Körper stirbt: so ist auch Hand und Fuss todt.
Wenigstens existiren sie nur der äussern Gestalt und
dem Nahmen nach, so wie man auch eine von
Stein so gebildete Form eine Hand nennt. Eine
todte Menschenhand ist mit einer steinenen von einerley
Art. Jedes Ding ist das, was es ist, eigentlich
nur durch die ihm beywohnende Kraft, —
durch seine Fähigkeit so oder anders zu wirken. —Wenn
diese aufgehört hat, so hat es seine wesentlichste
Eigenschaft verloren; so ist es nicht mehr
dasselbe Ding, — und es sollte nicht mehr den
alten Nahmen behalten, wenn man nicht oft Dinge
bloss um äussrer Aehnlichkeit willen gleichförmig
benennte.Wenn nun also der Mensch ohne die bürgerliche
Gesellschaft nicht bestehen kann, und getrennt
von ihr, sich nicht selbst genugsam ist: so verhält
er sich zu jener Gesellschaft nicht anders, als wie
jeder Theil sich zu seinem Ganzen verhält. Das
Ganze aber ist das Selbstständige und Ursprüngliche,
der Theil das Abhängige und Hergeleitete. — Also
ist auch der Staat das erstre, der einzelne
Mensch das andre.Gibt es Menschen, die an dieser Vereinigung
nicht Theil nehmen können, oder derselben aus Allgnugsamkeit
nicht bedürfen: so sind sie zwar hiervon
eine Ausnahme; — sie sind selbständige Ganze,
nicht Theile eines andern Ganzen. Aber sie
sind auch, wie ich schon gesagt habe, besser oder
schlechter als Menschen, — sie sind Götter oder
Thiere.Jn der That ist der Trieb und die Anlage zur
bürgerlichen Vereinigung allen Menschen gemein.
Demohnerachtet war derjenige der grösste Wohlthäter
des menschlichen Geschlechts, der diese Vereinigung
zuerst zu Stande brachte. Denn so wie
der Mensch, wenn seine Natur gleichsam vollendet,
und er zu dem ausgebildet ist, was er seyn
soll, das vortrefflichste aller Geschöpfe ist: so ist er
auch, wenn er, gesetzlos und ohne Begriffe von
Recht und Unrecht, verwildert, das schlimmste unter
allen. Denn nie ist die Ungerechtigkeit fürchterlicher,
als wenn sie Waffen hat. — Der Mensch
wird aber mit mächtigen Waffen gebohren, da ihm
Verstand und Geisteskräfte zu Theil geworden sind.
Wendet er diese aufs Böse an, so muss er nothwendig
ärgern Schaden stiften, als irgend ein
Thier, entblösst von denselben, thun kann. Und
diess lehrt auch die Erfahrung: Nichts ist unbändiger,
in allen Begierden der Wollust und des
Gaumens unersättlicher, zu allen Grausamkeiten
und Frevelthaten mehr aufgelegt, als ein Mensch
ohne alle Moralität. Moralität und Gerechtigkeit
aber sind Folgen der Bildung, die der Mensch nur
in der bürgerlichen Gesellschaft erhält. Denn das
Gerichtswesen erhält die Ordnung aller bürgerlichen
Vereinigung. Das Gerichtswesen aber ist
die Beurtheilung dessen, was Recht oder Unrecht ist.
Drittes Kapitel.
Bestimmung der abzuhandelnden Materien. Herrschaftliche
Verbindung, ihre Natürlichkeit.
Wenn nun also ein Gemeinwesen, so wie es
zuerst in Einer Stadt völlig gebildet erscheint,
nach dem bisher Gesagten, aus Familien und einzelnen
Häusern, als seinen Theilen, besteht: so ist
klar, dass in einem Werke über die Politik, von
der Regierung des Hauses oder der Familie zuerst
gehandelt werden müsse. Ein vollständiges Haus
besteht, wie wir gesehen haben, aus zweyerley
Gesellschaften, aus einer Gesellschaft unter Freyen,
und aus einer zwischen Herrn und Sklaven. Jene
ist wieder doppelt, die Gesellschaft zwischen Mann
und Frau, und die zwischen Aeltern und Kindern.
Es wird sich daher die Lehre von der häuslichen
Gesellschaft in diese drey Hauptstücke theilen, in
das von der herrschaftlichen, von der ehelichen
und von der älterlich-kindlichen Gesellschaft;
unter welchen die zweyte und dritte, im
Griechischen, so wie im Teutschen die erste und
letzte, von den Philosophen hat eigne Nahmen bekommen
müssen, da sie im gemeinen Sprachgebrauche
keine hatten. Von jeder dieser Verbindungen
ist zu untersuchen, was sie sey, oder wie sie
entstehe, und wie sie seyn solle, oder wodurch sie
ihrem Endzwecke entspreche.Die Rigierung der häuslichen Gesellschaft,
glauben einige, bestehe ganz und gar in nichts anderm,
als in der Sorge für Erwerbung und Erhaltung
des Vermögens. Andre sehen diese Besorgung
wenigstens für den wichtigsten Theil jener
Regierung an. Jn der That ist sie ein Theil davon,
und als solcher muss sie auch hier in Betrachtung
gezogen werden.Zuerst will ich von dem Verhältnis zwischen
Herrn und Knecht reden, — theils um zum praktischen
Gebrauche die nothwendigen Regeln zu finden,
theils um zu sehen, ob wir nicht auch in der
Theorie hierüber zu richtigern Grundsätzen, als die
gemeinhin angenommen sind, gelangen können.Die Meinungen nähmlich über die Natur des
Herrn- und Sclavenstandes sind getheilt. Einige
sehen die Regierung, die der Hausherr über sein
Gesinde führt, als eine Willenshaft, als eine Kunst
an, die er ausübt; und glauben, (wie ich gleich
anfänglich gesagt habe) dass diese Kunst eben dieselbe sey,
mit der, welche den guten Hausvater
im Ganzen, den guten Staatsmann in Republiken,
und den guten König als solchen auszeichnet.Andre hingegen halten das Herrschen über
Leibeigne an und für sich für etwas Widernatürliches.
Sie sagen: bloss auf die Gesetze und das
Herkommen sey es gegründet, dass der eine Mensch
ein Freyer, der andre ein Leibeigner sey. Von
Natur sey zwischen beyden kein Unterschied. Daher
B
sey auch die Herrschaft der Erstern über die Andern
ungerecht, weil sie sich ursprünglich nur aus
einer Gewaltthätigkeit erklären lasse.Meine Jdeen hierüber sind folgende. Hab
und Gut, oder ein Eigenthum gehört mit zum
Hause, oder ist durchaus nothwendig, wenn die
häusliche Gesellschaft bestehen soll. Die Beschäftigung
also, dieses Hab und Gut sich zu verschaffen
und zu brauchen, gehört mit zu der häuslichen
Verwaltung oder Regierung (zur Oeconomie).
Ohne gewisse äussre Hülfsmittel nähmlich, (die wir
Nothwendigkeiten des Lebens nennen) ist es unmöglich
zu leben, —geschweige denn glücklich zu leben.
Diess kann noch aus einem andern Gesichtspuncte
gefasst werden. Jede Kunst hat ihre eigne Werkzeuge,
ohne welche das, was sie hervorbringen will,
nicht zu Stande gebracht, oder doch nicht, wie sichs
gehört, ausgearbeitet werden kann. Das häusliche
Leben und die häusliche Administration hat
gleichfalls die ihrigen.Nun sind von diesen Werkzeugen die einen leblos,
die andern lebendig. Zum Beyspiel, für den
Steuermann ist das Ruder das leblose, und der
Ruderknecht das lebendige Jnstrument. Jn jeder
Kunst ist der Handlanger als eine Art von Werkzeug
zu betrachten.Jedes Stück, welches man zum Hab und
Gut einer Familie rechnet, ist nichts anders als
ein Werkzeug, welches zum Leben und dem Wohlseyn
derselben dient. Die Summe aller dieser
Werkzeuge macht das Vermögen oder den Reichthum
der Familie aus. — Der Knecht nun ist als
ein lebendiges Eigenthumsstück anzusehen, insofern er
ein lebendiges Werkzeug abgibt.Jn der That sind zum Gebrauch aller todten
Werkzeuge lebendige nothwendig. Wenn die Jnstrumente
der Künste, bloss auf Befehl des Künstlers,
oder aus eigner Empfindung dessen, was zu thun
sey, ihr Werk vollbrächten; wenn sie den Kunstwerken
des Dädalus, oder den vom Vulkan verfertigten
Dreyfüssen gleich wären, von welchen der
Poet sagt:
"dass sie sich von selbst in die heilige
Versammlung begaben;"
wenn, auf gleiche Weise, das Weberschiff von selbst
zwischen Zettel und Eintrag hin und her liefe, oder
der Schlägel des Cytherspielers von selbst die rechten
Saiten träfe: so würden Menschenhände bey
keiner Kunst zur Ausübung nöthig seyn. Ein Baumeister
also würde auch keiner Zimmerleute und
Handlanger, und eben so wenig ein Herr und Hausvater
der Dienstbothen und Sclaven bedürfen.Zwischen jenen Werkzeugen der Künste aber,
und diesen, die wir zur Habe oder zum Reichthum
einer Familie rechnen, ist ein Unterschied, auf
den ich aufmerksam machen muss. Jene sind Werkzeuge,
um erwas machen oder hervorbringen zu
helfen; diese sind Werkzeuge, nur um das Thun
oder das Handeln überhaupt zu erleichtern.
Durch das Weberschiff, wenn es hin und her geworfen
wird, entstehet etwas; und die Absicht
desselben liegt nicht bloss in dem Gebrauche. Durch
den Gebrauch eines Kleides oder eines Bettes
hingegen entstehet nichts; und man erwartet
keinen weitern Endzweck davon, als den man erhält,
während dass man es braucht.So wie nun das Machen und das Thun,
das heisst, die Hervorbringung einer Sache, und
die blosse Thätigkeit unsrer Kraft, von einander verschieden
sind: so müssen auch die Werkzeuge verschieden
seyn, welche zu jedem gehören. — Das Leben
nun besteht aus einer Reihe von Thätigkeiten; sein
Endzweck liegt in ihm selbst, nicht in etwas, das
dadurch hervorgebracht werden soll. Der Dienstbothe
oder Sclave, der als Werkzeug zum Bestehen
oder zur Bequemlichkeit des häuslichen Lebens dienen
soll, ist ein Werkzeug des Thuns, des Handelns,
— d. h. von Thätigkeiten, die in sich selbst
ihren Endzweck haben: — und insofern ist er also
mit jedem andern Eigenthumsstücke von gleicher
Art.Wenn man von einem Hausrathe sagt, er
sey des Cajus: so schliesst diess ähnliche Begriffe
in sich, als wenn man von einem Theile sagt:
es sey der Theil des Ganzen. Nähmlich der
letzte Ausdruck sagt nicht nur, dass der Theil auf
das Ganze diejenige Beziehung habe, um derentwillen
er Theil heisst: sondern er sagt auch, dass
er dem Ganzen zugehöre und von ihm abhängig sey.
Auf gleiche Weise sagt der erste Ausdruck nicht bloss,
dass das Eigenthum mit dem Cajus in derjenigen
Verbindung stehe, welche es zum Eigenthum macht:
sondern auch, dass es ganz von dem Cajus unzertrennlich,
und zugleich von ihm abhängig sey. Der
Herr heisst auch Herr des Knechtes, aber er
ist desswegen nicht ganz des Knechtes. Der
Knecht aber ist Knecht des Herrn, und ist
zugleich ganz und gar des Herrn.Diess, glaube ich, dient zur Erklärung dieses
Verhältnisses, und zur Einsicht in die Natur der
Herrschaft und der Sclaverey. Ein Mensch nähmlich,
der von Natur nicht sein eigen, sondern eines andern
ist, der ist von Natur Sclave. Derjenige ist
aber eines andern, welcher, ob er gleich Mensch ist,
— doch als ein Eigenthumsstück, als ein Theil der
Habe eines andern anzusehen ist, und diess ist er
alsdann, wenn er nur als Werkzeug der Thätigkeit
eines andern wirkt.Nur frägt sich jetzt weiter: ob wirklich Menschen
von Natur so beschaffen sind, und ob es also
deren gebe, denen es besser, — und bey denen es
also auch gerecht ist, das sie als Sclaven dienen; oder
ob alle sclavische Dienstbarkeit wider die Natur und
wider das Recht sey?Diese Frage lässt sich aber sowohl aus Gründen
als nach Erfahrungen sehr leicht entscheiden.Erstlich, das Herrschen, und Beherrschtwerden
überhaupt, gehört nicht nur unter die
nothwendigen, sondern auch unter die nützlichen
Dinge. Eben so unleugbar ist es, dass zwischen
gewissen Dingen, schon von ihrer Entstehung an,
sich ein solcher Unterschied findet, wodurch die einen
zur Regierung, die andern zur Abhängigkeit bestimmt
werden. — Die Arten von regierenden sowohl
als abhängigen Subjecten sind unzählich. Jede
Art aber ist desto vorzüglicher, je vollkommner
und besser die Wesen sind, über welche geherrscht
wird. So ist die Herrschaft über Thiere etwas Höheres,
als die über leblose Dinge; die über Menschen
etwas Besseres, als die über Thiere. Das Werk
nähmlich, das von den Bessern hervorgebracht wird,
ist selbst auch das vorzüglichere. Wo aber ein
Theil herrscht, der andre beherrscht wird, da gibt
es ein gemeinschaftliches Werk, an welchem beyde
arbeiten.Nun ist ohne Zweifel das Werk des vollkommneren
Wesens auch das vorzüglichere Werk.
Das Untergeordnete dient also alsdenn zum bessern
Zwecke.Dass aber jede Herrschaft eine solche vereinigte
Wirkung mehrerer Wesen voraussetzt, bestätigt sich
aus der Erfahrung des umgekehrten Satzes. Allenthalben
nähmlich, wo aus vielen Dingen Ein
Ganzes zusammen gesetzt ist, oder wo viele in Gemeinschaft
mit einander getreten sind, es mag nun
diese Verbindung mit oder ohne Cohäsion seyn: da
zeigt sich immer ein regierenden Principium, ein
herrschender Theil, von dem die übrigen in ihrer
Lage und Bewegung bestimmt werden. Diess findet
sogar bey leblosen Gegenständen Statt, z. B.
bey der Harmonie mehrerer Saiten, wo immer
ein Ton der Grundton ist. Aber ganz vorzüglich
ist es von lebenden Wesen wahr.Zuerst besteht jedes Thier aus Leib und Seele, wovon
jenes der dienende, dieses der herrschende
Theil ist. —Nähmlich, um zu wissen, wie ein Ding seiner
Natur nach beschaffen sey, muss man dasselbe nicht
in seinem verdorbnen, sondern in seinem natürlichen
und vollkommnen Zustande betrachten. So muss
man an dem bessten, an Leib und Seele vollkommensten
Menschen aufsuchen, was zur Natur des
Menschen gehört. Bey diesem nun verhält sich die
Sache so, wie ich gesagt habe: Die Seele regiert,
der Körper gehorcht. Freylich bey schlechten und
bey kranken Menschen scheint der Körper oft über
den Geist zu herrschen: aber diess geschieht eben, weil
sie sich in einem widernatürlichen Zustande befinden.Es findet sich aber im Menschen noch überdiess
das Beyspiel der zwiefachen von mir unterschiedenen
Herrschaft, von der, womit der Herr seine
Sclaven, und von der, nach welcher ein Staatsverwalter
die Bürger regiert. Die Seele nähmlich
herrscht über den Körper als Despot, der Verstand
über die sinnlichen Begierden als König und Obrigkeit.Jn diesem Beyspiele nun ist es ganz klar, dass
es eine der Natur gemässe und eine nützliche Herrschaft
gäbe. Es ist der Natur des Körpers gemäss,
und es ist ihm nützlich, dass er von der Seele regieret
wird; es ist für den leidenschaftlichen Theil
unserer Seele natürlich und nützlich, dass er dem
vernünftigen unterworfen ist. Beyde, der obere und
der untere Theil in diesen beyden Verbindungen leiden,
wenn der Rang unter ihnen gleich ist, oder
die Herrschaft abwechselt.Eben das findet man bestätiget, wenn man
den Menschen in Verbindung mit den Thieren, oder
diese in ihren Verhältnissen gegen einander betrachtet.
Weil die zahmen Thiere besser sind, als die
wilden, und der Mensch besser als sie alle: so ist
es auch allen nützlich, dass sie von dem Menschen
beherrscht werden. Denn so ist für aller ihrer Erhaltung
besser gesorgt.Ferner weil das männliche Geschlecht von Natur
vollkommner und mehr begabt ist als das weibliche:
so ist auch jenes mit Recht der herrschende,
dieses der unterworfne Theil.Auf gleiche Weise verhält es sich nun in Absicht
aller Menschen von ungleichen Naturkräften.
Geht diese Ungleichheit so weit, dass sie dem Unterschiede
zwischen Seele und Körper, zwischen
Mensch und Thiere nahe kömmt, (und diess findet
alsdenn Statt, wenn der eine Mensch nur bloss die
Kräfte seines Körpers zu gebrauchen weiss, und körperliche
Arbeiten das höchste sind, was er leistet):
so ist dieser der gebohrne Sclave, für den es eben
so natürlich und nützlich ist, beherrscht zu werden,
als es für den unterworfnen Theil in allen vorhergenannten
Fällen war.Dieser Beweis lässt sich noch auf eine andere
Art wenden. —Derjenige ist von Natur ein Sclave,
der dazu gemacht ist, eines Andern zu
seyn, oder der nicht anders als verbunden mit einem
andern, und unzertrennlich von ihm wirken
kann. Diess ist aber der Fall alsdenn, wenn er
nur grade so viel Verstand hat, um zu begreifen,
was der andre ihm zu thun vorschreibt, nicht so
viel, um selbst einzusehen, was er thun soll. Ein
solcher ist von den Thieren nur insofern unterschieden,
als diese nicht durch die Mittheilung der Gedanken
eines andern, sondern nur durch Empfindungen
und Einwirkung auf ihre Sinnlichkeit regiert
werden. Auch ist der Gebrauch, den man
von solchen Menschen und den man von den Thieren
macht, nicht sehr ungleich. Beyde, nähmlich die
Sclaven und die zahmen Thiere, helfen uns zu den
Bedürfnissen des Lebens durch ihre körperlichen
Kräfte und Fertigkeiten.Der Absicht und der ursprünglichen Einrichtung
der Natur nach, sollten ohne Zweifel die Körper
sowohl als die Seelen der freyen und der dienstbaren
Menschen verschieden seyn: jene sollten stark
und nervigt, zu schweren und niedrigen aber nothwendigen
Arbeiten, diese schlank, feiner gebaut, zu
Sclavendiensten untauglich, aber zu den Verrichtungen,
die im bürgerlichen Leben vorkommen, geschickt
seyn, — Verrichtungen, unter welchen sich
die Geschäfte des Krieges und die der innern Staatsverwaltung
am deutlichsten auszeichnen. — Allein
in der Wirklichkeit trifft es sich oft, dass jene zwey
Sachen getheilt sind, dass der eine Mensch den
Körper eines Freyen, der andre die Seele desselben
hat.Jn der That, auch schon die körperliche Verschiedenheit
kann als ein natürlicher Grund der Unterordnung
angesehen werden. Denn wenn es Menschen
gäbe, die an Schönheit und körperlichem Bau
die übrigen Menschen so weit überträfen, als einige
Bildnisse der Götter von den bessten Meistern gearbeitet,
die Gestalten der wirklichen Menschen übertreffen:
würden wir nicht sagen, dass diese andern
nichts bessers werth sind, als, jenen zu dienen?
Wenn dieses aber von den Vorzügen der Gestalt
gilt: wie viel mehr Recht hat man nicht bey einem
ähnlichen Unterschiede der Seelen so zu entscheiden?
Nur ist es nicht so leicht, die Vorzüge einer Seele
vor der andern zu erkennen, oder die Grade dieser
Vorzüge abzumessen.So viel ist also aus allem zusammengenommen
klar, dass es Menschen gibt, die von Natur frey, andre,
die von Natur Sclaven sind, d. h. solche,
bey denen es billig und ihnen selbst nützlich ist, dass
sie andern dienen und von andern beherrscht werden.
Viertes Kapitel.
Einwürfe gegen jene Theorie. — Nicht alle gesetzlich
Freye und Sclaven sind es von Natur: aber
es gibt deren, die es von Natur sind. Gerechtigkeit
und Nützlichkeit des Sclavenstandes.
Jndessen sind, wie ich schon gesagt habe, die
Meinungen hierüber getheilt, und auch die, welche
das Gegentheil behaupten, haben einige nicht ganz
verwerfliche Gründe anzuführen.Es gibt allerdings eine doppelte Sclaverey:
eine natürliche, von welcher ich bisher geredet habe, und
eine, welche bloss auf positiven Gesetzen beruht.Nähmlich jede allgemeine Uibereinkunft unter
den Nazionen kann als ein Gesetz angesehen werden.
Eine solche Uibereinkunft ist, dass jm Kriege
der Uiberwundne, mit allem was er hat, dem Uiberwinder
zugehöre. Gegen diese Convention nun treten
viele Rechtslehrer auf und klagen sie einer innern
Ungerechtigkeit und eines Widerspruchs mit
höhern, von allen Menschen anerkannten Gesetzen
an. Es wäre von den gefährlichsten Folgen, sagen
sie, wenn es Grundsatz seyn sollte, dass der, welcher
die Gewalt hat einen andern zu zwingen, und
ihm an Kräften überlegen ist, der rechtmässige Herr
und Gebiether desjenigen wäre, welchen er gezwungen
hat.Auch die Philosophen und Gelehrten sind über
diesen Punct ungleicher Meinung. Die Ursache dieser
Misshelligkeit ist, weil auf gewisse Weise der
bessere, der vortrefflichere Mensch, dem schlechtern
auch an Kräften zum Zwingen überlegen ist; — und
wenn er die äussern Hülfsmittel dazu hat, auch am
ersten im Streite mit ihm die Oberhand behalten
wird. So also, dass der Uiberwinder immer einen
Vorzug wenigstens in gewissen Vollkommenheiten
über den Besiegten zu haben, und die äussre
Uibermacht nicht ohne eine gewisse innere Erhabenheit
zu seyn scheint. Aber nicht diess,
sondern die Gerechtigkeit der Sache ist der Gegenstand
des Streits. Was heisst also gerecht?
Einige erklären Gerechtigkeit durch Gesetzmässigkeit.
Andre hingegen sagen, eben diess sey der erste Grundsatz
der Gerechtigkeit, dass der Bessere und Vorzüglichere
über den Schlechtern herrsche.Wenn man diese noch von einander abweichende
Begriffe bey Seite setzt, so kann dem Satze,
"dass der durch Geisteskräfte und Tugenden über
andre Erhabne ein natürliches Recht habe, über
andre zu herrschen" nichts Gründliches entgegengesetzt
werden.Noch Andre schlagen einen Mittelweg ein, und
sagen: die durch den Krieg entstandne Sclaverey
sey hypothetisch gerecht, insofern sie den Gesetzen
des Kriegs gemäss sey, aber nicht absolut gerecht,
weil der Krieg selbst ungerecht seyn könne.Uiberhaupt ist es unzulässig, einen Menschen
als rechtmässig zum Sclaven gemacht zu betrachten, dessen
Natur und Eigenschaften ihn nicht zu Sclavendiensten
bestimmt haben. Sonst müssten ja auch
Personen aus den edelsten Geschlechtern Sclaven
und sclavischen Herkommens seyn, wenn sie von
ohngefähr in Kriegsgefangenschaft gerathen, und
darin verkauft worden wären.Um desswillen wollen auch diejenigen, welche
jenes Kriegsrecht vertheidigen, es nicht von kriegsgefangenen
Griechen, sondern nur von Barbaren
gelten lassen, dass diese durch die Uiberwindung
Sclaven werden.Und indem sie dieses sagen, behaupten sie eben
unsern bestrittnen Satz, dass gewisse Menschen von
Natur oder vermöge ihrer angebohrnen Eigenschaften
zu Sclaven mehr als andre bestimmt sind.Sie müssen nähmlich alsdann annehmen, dass
gewisse Menschen immer Sclaven sind, in welchem
Zustande der Unabhängigkeit sie sich auch befinden,
andre niemahls Sclaven sind, wenn sie auch vom
Schicksal zur Dienstbarkeit erniedriget worden sind.Es ist damit gerade so wie mit dem Adel, einem
andern angebohrnen Unterschiede. Die, welche
den Abel der Griechin für besser halten, als den
der Nichtgriechen, müssen glauben, dass die Edeln
der erstern allenthalben edel sind, die Edeln der andern
nur in ihrem Lande: grade als wenn es einen
absoluten und einen verhältnissmässigen Adel gäbe.
Ungefähr in diesem Geiste sagt die Helene beym
Theodectes: "Von beyden Seiten stamm ich von
den Göttern, wer wagt es, Sclavin mich zu nennen?
Wer?" Die, welche eine solche Sprache
führen, gründen den Unterschied zwischen Freyen
und Knechten, zwischen Edel und Unedel, auf nichts
anders, als auf persönliche Vorzüge der erstern und
Mängel der letztern. Sie glauben nähmlich, dass
jedes Geschöpf nur seines Gleichen erzeuge, und
dass, so wie von Thieren nur Thiere, von Menschen
nur Menschen, so auch von vorzüglichen,
grossen Menschen, wieder nur vorzügliche und grosse
Menschen entspriessen. Und ohne Zweifel ist diess
auch die Absicht und die Tendenz der Natur: aber
oft hindern sie äussre Ursachen, dass sie ihren Zweck
nicht erreicht.Hieraus erhellet nun, dass in dem oben angezeigten
Streite beyde Theile Gründe vor sich haben,
dass es Freye und Leibeigene gäbe, und andre,
die es nicht nach der Natur sind.So viel bleibt indessen gewiss: dass der Abstand gewisser
Menschen von einander wirklich so gross ist,
dass es dem einen nützlich ist, als Sclave zu leben,
dem andern, Herr zu seyn. Es ist nähmlich gerecht
und dem allgemeinen Bessten gemäss, dass derjenige
herrscht, welcher die zum Gebiethen nöthigen
Eigenschaften hat, derjenige gehorcht, welcher zur
Befolgung fremder Befehle gemacht ist; und zwar,
dass jeder grade die Art von Herrschaft habe, und
in der Art von Unterthänigkeit sey, zu welcher die
natürlichen Anlagen bey ihm vorhanden sind. Unter
diesen Arten nun ist eine, die Herrschaft des Hausherrn
über seine Sclaven. Auch diese kann dem unterworfenen
Theile nützlich seyn. Denn vom Missbrauche,
von Tyranney, ist hier nicht die Rede.
Diese ist bey jeder Herrschaft dem Gebiethenden sowohl
als dem Gehorchenden schädlich.Jn der That, wenn das Ganze und der Theil
immer ein gemeinschaftliches Jnteresse hat; — und
wenn diess das eigenthümliche Verhältnis des Sclaven
zu seinem Herrn ist, dass er gleichsam als ein
Glied von dem Körper desselben, aber als ein davon
abgesondertes und mit eignem Leben begabtes
Glied angesehen werden kann: so muss auch Herr
und Knecht ein gemeinschaftliches Jnteresse haben.
Um desswillen ist auch zwischen beyden, wenn jeder
von ihnen zu dem Stande wirklich gebohren ist, in
welchem er sich befindet, eine natürliche Freundschaft;
— grade das Gegentheil hingegen, wenn
sie wider die Bestimmung der Natur, bloss durch
Zwang und Gesetze in dieses Verhältniss gegen einander
gebracht worden sind.Durch die bisherigen Entwickelungen lassen sich
nun einige der oben vorgelegten Fragen entscheiden.
Es ist z. B. klar, dass die Herrschaft des Hausherrn
über seine Sclaven, des Hausvaters über
die ganze Familie, und die des Staatsmanns über
Bürger, nicht, wie einige glauben, von einerley
Art, sondern dass sie wesentlich unterschieden sind.
Der Herr ist ein Freyer unter Sclaven, der
Hausvater ein Monarch über Unterthanen, der
Staatsverwalter ein Regent auf eine Zeitlang
über freye Bürger seines Gleichen.Das was den Herrn im ersten Verstande
mach, ist nicht wie beym Regenten, eine gewisse
Wissenschaft die er besitzt, eine Kunst die er ausübt;
sondern ein natürlicher angebohrner Vorzug.
Der Unterschied zwischen Freyen und Sclaven liegt
darin, dass jeder so oder anders von Natur beschaffen
ist, nicht dass er diess oder etwas anders
gelernt hat.Demohnerachtet gibt es auch gewisse Kenntnisse
und erlernte Geschicklichkeiten, die den Herrn
und die den Diener zu dem was jeder seyn soll,
mehr ausbilden. So errichtete jemand in Syrakus
ein Jnstitut, wo er, für eine bestimmte Summe,
junge Sclaven zu den gewöhnlichen Bedienten-Arbeiten
abzurichten versprach. Es gehören aber noch
mehrere andre Künste hieher, die sich lehren und
erlernen lassen: z. B. die Kochkunst. Und so viel
es Gattungen und Dienstleistungen gibt, die durch
Sclaven geschehen (wovon einige niedrig aber
durchaus nothwendig, andre etwas bessrer Art, aber
entbehrlicher sind, nach dem Verse:Nicht viel minder ist oft der Sclave vom Sclaven
verschieden,
als vom Herrn der Herr),
so viel lassen sich auch Kenntnisse unterscheiden,
welche zu diesen Dienstleistungen geschickter machen.Die Wissenschaft des Herrn ist nur eine einzige
die, seine Diener zu brauchen. Denn dadurch
wird er eigentlich Herr, nicht dass er Leute um sich
hat, welche Sclaven heissen, sondern dass er sich
ihrer als Werkzeuge zu seinen Absichten bedient.
Diese Wissenschaft ist weder von grossem Umfange,
noch von grosser Würde. Das was der Bediente
soll zu machen wissen, das soll der Herr wissen
zu befehlen. Daher überlassen Personen, denen
ihre Glücksumstände erlauben sich beschwerlicher und
kleiner Geschäfte zu entschlagen, die Ausübung dieser herrschaftlichen
Rechte ihrem Haushofmeister,
um selbst frey den Staatsgeschäften oder den Wissenschaften
obliegen zu können.Die Kunst zu erwerben, die man oft mit der
Wissenschaft des Hausherrn verwechselt, weil beydes
zur Haushaltung gehört, ist ganz hiervon unterschieden.
Sie ist, wenn sie gerecht ist, eine Art
von Kriegskunst oder von Jagd; doch hiervon an
einem andren Orte. Hier kam es darauf an, die
Natur des Verhältnisses zwischen Herrn und Sklaven
aus einander zu setzen: und diess ist, glaube
ich, durch das Gesagte hinlänglich geschehen .
Fünftes Kapitel.
Ob und in wie fern die Erwerbung von Vermögen
zur Haushaltungskunst gehöre. Natürlicher Erwerb,
und dessen Arten. Der Gebrauch der
Dinge, ja selbst der Menschen zum Unterhalt
und zu Werkzeugen ist rechtmässig.
Da der Sclave einen Theil des Vermögens ausmacht:
so wird es nicht unschicklich seyn, nach der
schon angegebnen Methode einige allgemeine Betrachtungen
über die Natur und die Erwerbung
des Vermögens anzustellen.Die erste Frage, die hierbey aufgeworfen werden
kann, ist, ob der Verwalter eines Hauswesens
kein andres Geschäft hat, als Vermögen für
die Familie zu erwerben, oder mit andern Worten,
ob die Erwerbungskunst mit der Haushaltungskunst
einerley, oder nur ein Theil
von ihr, oder ihr als Mittel zum Zweck untergeordnet
sey; und wenn das Letztre ist, ob sie ihr so
untergeordnet sey, wie das Handwerk, welches die
Weberspulen macht, dem Weberhandwerk untergeordnet
ist, oder so wie die Kunst Erz zu schmelzen,
der Kunst eherne Bildsäulen zu giessen. Jn jenem
Fall nähmlich schafft die untergeordnete Kunst das
Werkzeug, in diesem die Materie zu der Fabrikation,
von welcher die Rede ist. Jch nenne Materie
die Substanz, woraus ein Werk verfertiget wird,
wie für den Weber die Wolle, für den Statuen-Giesser
das Erz ist.Der erste Satz, dass die Haushaltungskunst
mit der Erwerbungskunst Eins und dasselbe sey,
fällt weg, sobald man bedenkt, dass durchs Erwerben
die Sachen nur herbeygeschafft, beym
Haushalten aber gebraucht werden sollen. Denn
welcher Kunst sollte es dann zustehen, die Dinge,
die im Hause sind, zu brauchen, wenn es nicht die
Kunst wäre, welche sich mit Führung des Hauswesens
abgibt?Ob aber das Erwerben ein Theil von den
Pflichten eines Hausregierers sey, oder ob beydt
Sachen, Erwerben und Oekonomie-führen,
zwey ganz verschiedene Arten der Geschäfte
sind? Darüber kann eher ein Zweifel entstehen.Da unter dem, was man Vermögen oder
Reichthum nennt, sehr viele Sachen begriffen sind, und
das Erwerben auf die Herbeyschaffung alles
dessen geht, was man zum Vermögen oder Eigenthum
rechnet: so wird jene Frage sich theilen; und
man wird z, B, zuerst untersuchen müssen, ob der
Ackerbau, und alle die Arbeiten und Besorgungen,
die zur Anschaffung der Nahrungsmittel gehören,
zur Haushaltungskunst gerechnet werden
müssen.So viele verschiedne Arten der Nahrungsmittel
es gibt, so viele verschiedne Lebensarten gibt es
auch für Menschen und Thiere. Sich seinen Unterhalt
zu suchen, ist das erste Geschäft aller Lebendigen,
weil ohne Nahrung das Leben selbst nicht
besteht. Daher die Verschiedenheiten, die sich in
den Unterhaltungsmitteln finden, auch ähnliche Unterschiede
in der Lebensweise, und den Gewohnheiten
der Thiere hervorbringen. So leben z. B. unter,
den Wilden, einige Gattungen Herdenweise bey
einander, andre einsam, nachdem sie sich von Fleisch
oder von Erdfrüchten, oder von beyden zugleich
nähren. Die Natur scheint also jeder Gattung diejenigen
besondern Triebe gegeben zu haben, die
für das Eigenthümliche dieser Gattung gehören und
zur Erleichtrung ihrer Verrichtungen nöthig
sind; Verrichtungen, welche eben dadurch verschieden
werden, weil nicht alle Thiergattungen an denselben
Speisen von Natur Geschmack finden, sondern
jede eine eigne verlangt. Selbst unter den
Fleischfressenden Thieren, so wie unter den von
Früchten lebenden, gibt es neue Unterschiede in der
Lebensart, welche von der Wahl besondrer Arten
der Nahrung abhängen.Mit den Menschen ist es vollkommen auf dieselbe
Weise beschaffen. Sie weichen in ihren Lebensarten
sehr weit, und aus gleichem Grunde, von
einander ab. Die unthätigsten sind die nomadisch
lebenden Völkerschaften. Die Ursache ist, weil die
Ernährung vom Fleisch und der Milch zahmer
Thiere wenig Arbeit nöthig macht, und viel Zeit
zur Ruhe lässt. Da aber die Weidplätze für das
Vieh geändert werden müssen, so oft das Futter
an einem Orte aufgezehrt worden: so sind auch
diese Völker selbst verbunden, oft ihre Wohnörter
zu wechseln. Sie bauen gleichsam ein lebendiges
und bewegliches Feld an, und müssen mit demselben
fortwandern.Andre Völkerschaften leben von der Jagd, oder
dem Fange lebendiger Thiere. Aber auch diese ist
wiederum sehr verschieden. Es gibt Räuber-Nazionen,
die gleichsam auf die Jagd gegen andere
Menschen ausgehn. Andre Nazionen nähren sich
ganz von der Fischerey, und diess sind die an Flüssen,
Seen, und am Ufer des Meers wohnenden.
Andre leben vom Vogelfange, oder der Wildbahn.
Der grösste Theil des menschlichen Geschlechts aber
nährt sich von der Erde, und von den angebauten Früchten
derselben.Derjenigen Arten zu leben, bey welchem die
Unterhaltungsmittel unmittelbar von der Natur gesucht,
nicht durch Tausch und Handel herbeygeschafft
werden, sind ungefähr so viele, als ich jetzt
genannt habe: Die Lebensart nomadischer Viehhirten,
die Lebensart der Ackerbau treibenden, — der
von Räuberzügen, — von der Fischerey oder von
der Jagd lebenden Völkerschaften. Einige, die
zwey oder mehrere dieser Nahrungsquellen mit einander
verbinden, sind eben dadurch im Stande,
sich ein bequemeres und angenehmeres Leben zu verschaffen,
indem sie, was ihnen bey den Unternehmungen
der einen Art fehl schlägt, oder nicht zu
erhalten steht, durch Unternehmungen der andern
ergänzen. So gibt es Nazionen, die zugleich herumziehende
Viehhirten und Räuber, andre, die
Ackersleute und Jäger zugleich sind; und so entstehen
auch zwischen den übrigen Lebensarten Verbindungen,
nachdem die Noth die Menschen dazu treibt,
oder die Umstände sie veranlassen.Dieses erste natürliche Eigenthum, welches in
den Nahrungsmitteln besteht, scheint die Natur für
ihre Geschöpfe, sowohl gleich bey ihrer Geburt, als
in der Folge, nach den Bedürfnissen ihres reichen
Alters zubereitet zu haben. Was die Fürsorge für
die Neugebohrnen betrifft, so hat es die Natur so
veranstaltet, dass einige Gattungen von Thieren ihre
Jungen, umgeben mit dem, was zu ihrer ersten
Nahrung gehört, zur Welt bringen, welches der
Fall bey denjenigen ist, die sich durch Eyer fortpflanzen,
oder Würmer gebähren; dass bey den lebendiggebährenden
hingegen sich in dem Leibe der
Mutter selbst ein Nahrungsmittel, die Milch nämlich,
bereitet, von welchem das Neugebohrne bis
zu einem gewissen Alter leben kann.Nach dieser Analogie zu schliessen, kann man
mit Recht annehmen, dass auch für die erwachsenen
Thiere die Unterhaltungsmittel von der Natur werden
bereitet worden seyn, und dass also nach ihrer
Absicht die Pflanzen um der Thiere willen, und die
Thiere um des Menschen willen vorhanden sind;
die zahmen sämmtlich, theils um ihm Dienste zu
leisten, theils um zu seiner Nahrung zu dienen,
von den wilden, wenn nicht alle, doch die meisten,
ebenfalls entweder zur Speise, oder ihm zu andern
Bedürfnissen, z. B. der Kleidung, oder zu gewissen
Werkzeugen den Stoff darzureichen. Denn wenn
die Natur nichts unvollendet lässt, und also nichts
schafft, für dessen Erhaltung und Entwicklung sie
nicht auch sorgte, wenn sie auf der andern Seite
nichts ohne Absicht hervorbringt: so muss man aus
der Unentbehrlichkeit der Pflanzen und Thiere zur
Fortlaufe des menschlichen Lebens schliessen, dass
die Natur jene um der Menschen willen gemacht
habe.Auch das Kriegshandwerk gehört auf gewisse
Weise zu den natürlichen Erwerbungskünsten, insofern
die Jagd eine Art dieser Künste ausmacht. Man
kann aber zur Jagd, ausser dem Gefecht gegen die
Thiere, auch den Krieg gegen solche Menschen rechnen,
die, da sie von Natur beherrscht zu werden
bestimmt sind, sich doch der Herrschaft nicht unterwerfen
wollen. Ein solcher Krieg ist in den natürlichen
Verhältnissen gegründet und also gerecht.Eine Gattung von Erwerbungen gehört
demnach nothwendig und natürlicher Weise zu den
Geschäften eines Vorstehers der häuslichen Gesellschaft,
diejenige nähmlich, durch welche ein hinlänglicher
Vorrath der Dinge herbeygeschafft wird,
die entweder zur Erhaltung des Lebens nothwendig,
oder zu den Zwecken der häuslichen und bürgerlichen
Vereinigung unentbehrlich sind. Der wahre
und wesentliche Reichthum besteht nur aus Dingen
dieser Art: — Dieser hat desswegen auch seine
bestimmte Grenzen, da nähmlich, wo er alle zu
einem guten und angenehmen Leben erforderlichen
Hülfsmittel darreicht. Nicht so der Reichthum
nach den gewöhnlichen Gesinnungen der Menschen,
von welchen schon Solon sagt:
"Kein natürliches Maass bezeichnet der Habsucht die
Grenzen."Von Rechtswegen hat der Reichthum allerdings
sein Maass, so wie jedes Mittel zu einem
Zweck, jedes Werkzeug zu einer gewissen Verrichtung.
Keine Kunst erfordert weder eine unendliche
Menge von Werkzeugen, noch eine unbegrenzte
Grösse derselben. Nun besteht aber der Reichthum
aus der Summe derjenigen Werkzeuge, die zu den
häuslichen und bürgerlichen Verrichtungen und den
darauf sich beziehenden Künsten nöthig sind.Dass also den Haus- und den Staats-Verwaltern
das Erwerben eines gewissen Eigenthums,
nach der Natur jener Gesellschaften obliegt; —
in wiefern und warum es ihnen obliegt: wird
aus dem bisherigen Vortrage hinlänglich deutlich seyn.
Sechstes Kapitel.
Von derjenigen Erwerbsart, die auf dem Handel beruht,
Ursprung derselben im Tausche. Tausch
mit Waaren durch Geld. Uiber das Geld und
daraus entstandne Erwerbsarten. Verschiedne
Charaktere der verschiednen Arten des Reichthums.
Es gibt noch eine andre Art der Erwerbungskunst,
welche eigentlich den Geld-Reichthum zum Gegenstande
hat (wovon sie auch im Griechischen den Nahmen
χ und mit Recht bekommt), einen
Reichthum, dem sich keine bestimmte Grenzen mehr
setzen lassen. Viele halten sie mit der, von welcher
im vorigen Kapitel geredet worden ist, für
ganz einerley. Aber sie irren. Beyde sind einander
nahe verwandt, aber doch wesentlich von einander
unterschieden: Jene erste Erwerbungskunst
geht auf die natürlichen Güter, und lernt auch ihre
Regeln von der Natur; — diese, von welcher
ich jetzo rede, geht auf Dinge, deren Nützlichkeit
wir erst durch gesammelte Erfahrungen einsehen lernen,
und bedient sich zu Erlangung derselben künstlicher
Wege.Die Untersuchung dieser Materie werden wir
am bessten auf folgende Art anfangen.
Von jedem Dinge, das uns zugehört, können
wir einen zweyfachen Gebrauch machen: entweder
den Nutzen für uns selbst daraus zu ziehn, den
es seiner Natur nach gewähren kann, oder es
gegen etwas anders, das uns nützlich ist, zu vertauschen.
Jn beyden Fällen brauchen wir die Sache nach
ihren eigenthümlichen Qualitäten, aber in
dem ersten Fall zu einem Nutzen, der eine unmittelbare
Wirkung dieser Qualitäten ist, in dem andern
zu einem Nutzen, der zugleich aus fremden Ursachen
entsteht. Zum Beyspiel, wenn ich einen Schuh gebrauche,
um ihn anzuziehn, und wenn ich ihn gebrauche,
um mir dafür Brot oder Geld einzutauschen:
so entsteht in beyden Fällen der Nutzen; den
ich davon ziehe, aus seiner Beschaffenheit als eines
Schuhes: aber ich gebrauche ihn in dem zweyten
Falle doch nicht zu seinem unmittelbaren Endzwecke,
weil er nicht des Vertauschens wegen fabricirt worden
ist. Eben so verhält es sich mit allen andern
Stücken des Eigenthums.Der erste und natürliche Ursprung des Tausches
liegt darin, dass die Menschen von der einen
Sache mehr, von der andern weniger hatten, als
sie brauchten. Woraus, beyläufig angemerkt, erhellet,
dass die Krämerey (im Griechischen χα
welche im Ganzen einkauft, um Theilweise
wieder zu verkaufen, nicht zu den natürlichen und
ursprünglichen Erwerbmitteln gehöre. Denn der erste
und natürliche Tausch geht nur darauf, jedem zu
verschaffen, was er bedarf und so viel ihm hinreichend
ist.So lange nur die erste Art der Gesellschaft, die
häusliche, existirt: so lange findet kein Tausch
Statt. Er fängt erst an, wenn durch die Vervielfältigung
der Familien die Verbindung der Menschen
sich ausbreitet. — Die Glieder jener ersten Gesellschaft
haben alles unter sich gemein: die Familien,
die mit einander in Verbindung treten, bleiben deswegen
doch von einander abgesondert, und behalten
ihr getrenntes Eigenthum. Hier also muss es
sich oft ereignen, dass den Einen etwas mangelt, was
die Andern im Uiberflusse haben, und dass diese
Bedürfnisse durch wechselseitige Darreichung und
Annahme befriedigt werden. Und auf einen solchen
Tausch schränken sich noch jetzt viele der ungriechischen
Völker ein. Sie vertauschen die nützlichen
Waaren unmittelbar gegen einander, und nicht mehr
als sie davon nöthig haben. Sie geben z. B. Getreide
und empfangen dafür Wein — und so in
Absicht aller andern ähnlichen Dinge. Diese Art
des Tausches ist der Natur völlig gemäss: aber es
ist noch keine Gattung des Handels, welcher Geld
erwirbt, denn sie hat nur die Ersetzung eines natürlichen
Mangels und die Befriedigung des Bedürfnisses
zur Absicht. Aber der letztre entsteht aus
der erstern durch eine unausbleibliche Folge.Hieraus aber entstand ganz natürlich die andere
Art von Tausch, von Waaren gegen Geld, den
man eigentlich Kauf und Verkauf nennet. Da
nähmlich auch die von einander entfernter wohnenden
Nazionen sich diese wechselseitige Hülfe leisten
wollten, zu versenden, was jede überflüssig hatte,
bey sich einzuführen, was ihr mangelte: so wurde
das Geld als ein dazu unentbehrliches Hülfsmittel
in Gebrauch gezogen. — Viele der an sich nützlichen
Dinge sind schwer zu transportiren. Um also
den Tausch zu erleichtern, kamen die Menschen
überein, etwas als ein Aequivalent für jede Waare
zu geben und anzunehmen, das an sich auch unter
die nützlichen Dinge gehörte, zugleich aber leicht
zu handhaben und fortzubringen wäre. Und hiezu
nun waren die Metalle, das Eisen, das Silber,
u.s.w. am schicklichsten. — Anfangs bestimmte
man den Werth derselben bloss nach der Grösse und
nach dem Gewichte. Jn der Folge setzte man ein
Gepräge darauf, welches die Quantität des in jedem
Stücke enthaltenen Metalls anzeigte und die
Mühe des Abwägens ersparte.Nachdem nun die Goldmünzen auf diese Weise
erfunden und eingeführt waren: entstand aus jenem
ersten natürlichen Umtausch der Producte, nunmehro
die zweyte Art durch Tausch zu erwerben, —der
eigentliche Kaufhandel (χα). Anfangs
war auch dieser einfach und kunstlos. Nach und
nach wurde er bey immer wachsender Erfahrung
künstlicher, und bestand endlich in der Auflösung
einer sehr complicirten Aufgabe: woher man jede
Waare ziehn, wohin man sie führen, und wie
man sie vertauschen müsse, um den grössten Gewinnst
davon zu erhalten.Aus dieser Ursache scheint die Erwerbungskunst
hauptsächlich das Geld zu ihrem Gegenstande zu
haben, und ihr Geschäfte dieses zu seyn, zu untersuchen,
woher man sich die grösste Quantität davon
verschaffen könne. Denn erwerben heisst so
viel, als sich Reichthum und Vermögen verschaffen.
Den Reichthum aber setzt man gemeiniglich in die
Menge des Geldes.Andre gehn wieder zu dem andern Extrem
über, und behaupten, das Geld habe gar keinen
innern Werth, es sey alles was es ist, bloss durch
Convention und Gesetze, und gar nichts vermöge
seiner eignen Natur. Denn, sagen sie, wenn die,
welche sich jetzt des Geldes bedienen, diese Convention
ändern, so ist es gar nichts mehr werth,
da es kein Mittel ist, irgend eines unsrer Bedürfnisse
zu befriedigen. Ein Mensch könne an Gelde
reich seyn, und doch oft an den nothwendigsten
Nahrungsmitteln Mangel leiden. Jst es aber nicht
lächerlich, dasjenige Reichthum zu nennen, bey
dessen grösstem Uiberflusse jemand doch Hungers
sterben kann? Diess ist vielleicht der Sinn jener
Fabel vom Midas, der für seine unersättliche Begierde
nach Golde dadurch gestraft wurde, dass sich
alles, was er berührte, auch seine Speisen, in
Gold verwandelten. —Um dieser Ursache willen suchen die, welche
jene Betrachtungen anstellen, einen andern wesentlichern
Reichthum, und eine mehr in der Natur
gegründete Art der Erwerbung auf. — Mit allem
Rechte, wie aus dem, was oben gesagt worden
ist, erhellet.Es gibt nähmlich, wie ich gezeigt habe, einen
natürlichen Reichthum, der in einem Vorrath
der zum Leben und Wohlseyn nützlichen Natur-Producte
besteht; und es gibt eine natürliche
Erwerbungskunst, die diese Producte sammelt und
vermehrt. Und diese letztre sagte ich, gehört zu
der Oekonomie, oder der häuslichen Administration.
— Die andre Art der Erwerbungskunst, welche
ich χαπηλιχα nannte, ist ebenfalls eine Kunst,
bestimmt ein Vermögen hervorzubringen, aber nicht
durch alle dazu dienliche Mittel, sondern nur durch
den Tausch der Güter: und scheint daher hauptsächlich
mit dem Gelde zu thun zu haben. Denn
das Geld ist, so zu sagen, das erste Principium,
wonach sich aller Tausch regulirt, und das letzte
Ziel, worin er sich endigt.Für den hierdurch entstehenden Reichthum lassen
sich keine Grenzen angehen, wo derselbe seine
Vollendung erreichte. So wie die Arzeneykunst für
die Gesundheit nicht bloss bis auf einen gewissen
Grad, sondern bis ins Unendliche sorgt, und so
wie alle Künste, welche letzte Zwecke zum Gegenstande
haben, dieselben ohne ein bestimmtes
Maass und Ziel verfolgen (sie wollen nähmlich das,
was sie suchen, im möglichsten Grade hervorbringen); —
diejenigen Künste aber, welche nur Mittel
zu andern Endzwecken liefern, eine bestimmte
Grenze haben (der Endzweck nähmlich ist das Ziel,
wobey sie aufhören müssen), so ist auch jene Erwerbungskunst,
welche Reichthum als Reichthum, nicht
als Mittel zu einem Zwecke sucht, ohne
Schranken; die e ökonomische Erwerbungskunst aber
hat Schranken: denn die Oekonomie selbst oder
die häusliche Verwaltung hat nicht die Erwerbung
zu ihrem einzigen und höchsten Zwecke. .Daraus ist der scheinbare Widerspruch zu heben:
dass auf der einen Seite, im Allgemeinen
betrachtet, der Reichthum nothwendig etwas Bestimmtes
und also auch Begrenztes scheint seyn zu
müssen, auf der andern die Erfahrung lehrt, dass
die, welche mit dem Gelderwerb sich beschäftigen,
das Geld bis ins Unendliche zu vermehren suchen.
Die Ursache ist, dass die beyden Arten des Erwerbungs-Geschäftes
so nahe mit einander verwandt
sind. — Beyde haben mit dem Gebrauche des
Geldes zu thun, aber jede auf eine andre Art.
Die eine wendet es an zu einem entfernten von
dem blossen Besitze verschiedenen Zwecke, die andre
lediglich zu der Vermehrung des Eigenthums. —
Um desswillen scheint einigen letztres das eigentliche
Geschäfte der häuslichen Verrichtung zu seyn, und
sie fahren, aus einer falschen Jdee von Pflicht,
unaufhörlich fort, entweder an der Erhaltung des
Erworbnen, oder an der Vermehrung des Geldschatzes
zu arbeiten.Diese Disposition der Menschen, zur unbegrenzten
Begierde mehr zu haben, kömmt zum
Theile daher, dass sie nicht sowohl darnach trachten,
glückselig zu leben, als nur darnach, zu
leben. Und da diese Begierde zum Leben ins
Unendliche geht, so verlangt sie auch eben so unbegrenzt
die Vermehrung der Mittel zum Leben.Selbst diejenigen aber, welche Glückseligkeit
zu ihrem Endzweck machen, suchen grossentheils
diese Glückseligkeit nur in dem Genusse körperlicher
Vergnügungen. Auch dieser aber scheint durch den
Besitz des Reichthums gesichert zu werden. Und
so geht also bey dieser Klasse nicht weniger, als
bey der vorigen, ihre ganze Bemühung darauf,
immer grössre Einkünfte zu haben.Der Genuss nähmlich dieser Art von Vergnügungen
beruht auf dem Uibertreffen andrer, auf
der immer fortgehenden Erweiterung des Vergnügens.
Die also, welche in sie die Glückseligkeit
setzen, suchen nach dem, was ihnen nicht bloss Genuss,
sondern einen grössern Genuss gewähren kann,
als andre haben und sie selbst bisher gehabt haben.
Und wenn sie diesen nicht durch die auf Erwerb
unmittelbar abzweckende Verrichtungen und Künste
erlangen können: so versuchen sie es durch jedes
andre Mittel zu bewirken, indem sie jede ihrer
Kräfte und Geschicklichkeiten, wider ihre Natur
und Bestimmung, zu diesem Endzweck gebrauchen.
Es ist nicht die Natur der Tapferkeit, dass sie den
Tapfern reich mache, sondern dass sie ihn Gefahren
getrost überstehen helfe. Geld-Erwerben, ist
nicht der Zweck der Arzeneykunde, oder der Wissenschaft
eines Heerführers: sondern jene soll zur
Gesundheit, diese zum Siege verhelfen. Aber
Leute der oben beschriebnen Art verwandeln alle
diese Geschäfte in eine Art von Handel; — und
da sie Reichthum für den letzten der menschlichen
Zwecke ansehen, so finden sie es sehr billig, dass
auch alle Handlungen und Bestrebungen sich in demselben
endigen.Soviel also von der doppelten Art des Erwerbs,
der, welche auf die Mittel zum Unterhalt
geht, daher nothwendig ist, und einen Theil der
häuslichen Administration ausmacht (von welcher
wir auch .gezeigt haben, dass sie in gewisse bestimmte
Grenzen eingeschlossen ist), — und der andern,
welche auf Geld-Reichthum abzielt, in der Natur
nicht unmittelbar gegründet ist, und keine Schranken
kennt. Von dieser zweyten habe ich sowohl
die Beschaffenheit als die Entstehung angegeben.
Siebentes Kapitel.
Jn wiefern der Erwerb die Sache des Haus, und
Staatverwalters ist. Einige Gegenstände der
ökonomischen Erwerbkunst: eine besondere Art
derselben durch Alleinhandel.
Noch eine andre Frage, die wir gleich anfangs
aufgeworfen haben, lässt sich aus den bisherigen
Erörterungen beantworten: ob nämlich Erwerbung
und Vermehrung des Vermögens zu den nächsten
Zwecken eines Haus- und Staatsverwalters
gehöre: oder ob dieses (ein gewisses Eigenthum), schon
bey Errichtung einer Familie und einer bürgerlichen
Gesellschaft vorausgesetzt wird.Das Letztre scheint das Richtigere zu seyn.
Die Regierungskunst schafft nicht die Menschen:
sondern sie empfängt sie aus den Händen der Natur;
und bildet und braucht sie nur zur Erreichung
ihrer Endzwecke. Eben so muss es auch die Natur
seyn, welche diesen ihren Geschöpfen, es sey vom
Lande oder aus der See, oder sonst irgend woher
Unterhalt verschafft. Wenn aber die Natur die
Produkte zu den Lebens-Nothdurften geliefert hat:
so ist es des Hausverwalters Sache, dieselben
auf die gemeinnützigste Weise zu vertheilen. — So
ist es nicht des Webers Sache, die Wolle zu machen,
sondern nur sie anzuwenden, und zu diesem
Ende zu wissen, welches die zu seinem Zeuge brauchbare
und gute, und welches die untaugliche und
schlechte Wolle ist.Man könnte auch sagen: warum soll der Vorsteher
eines Hauses mehr verbunden seyn, das
Geld-Erwerben, als die Arzeneykunde zu verstehen:
da es ja von eben so grosser Wichtigkeit für die
Glieder des Hauses ist, gesund zu seyn, als Brot
oder irgend ein andres Bedürfnis des Lebens zu
haben. —Und es ist richtig, der Hausvater muss auch
für die Gesundheit der Seinigen sorgen: aber es
ist eine andre Art dieser Sorge, die ihm als Vorsteher
und Regent des Hauses, eine andre die dem
Arzte zusteht.Auf ähnliche Weise steht ihm auch die Sorge
für Unterhalt und Wohlhabenheit der Familie zu,
aber nur in sofern ihm die allgemeine Aufsicht anvertraut
ist, nicht insofern ihm die besondern dazu
nöthigen Arbeiten und Gewerbe obliegen, die ihm
gleichsam in die Hand arbeiten.Von der Natur, wie ich schon gesagt habe, müssen
die Sachen zum Unterhalt des Menschen
zuerst herkommen. Jhre Sache ist es, das Geschöpf,
welches sie erzeugt hat, zu ernähren. Und in der
That hat sie auch schon für das Neugebohrne Nahrungsmittel
aus dem Stoffe selbst zubereitet, aus
welchem es erzeugt worden ist. Daher das erste
Eigenthum der Menschen in den von Pflanzen und
Thieren herkommenden Früchten, und die erste natürliche
Art eines Erwerbes, in der Einsammlung
oder Vermehrung dieser Früchte besteht.Sehen wir auf den gegenwärtigen Zustand der
Sachen: so finden wir, wie gesagt, zwey Arten
der Erwerbungskunst, χςηπατις, (wenn ich es
so nennen darf,) eine, welche zur Haus-Regierung
unmittelbar gehört, und in der Aussicht über die
Erzeugung und Sammlung der natürlichen Producte
besteht, die andre, welche ein eignes Gewerb macht,
und vornehmlich durch Tauschen oder durch Handel
und Wandel ihre Gewinnste sucht. Jene ist
durchaus nothwendig, und steht in allgemeiner Achtung;
diese als weiter von der Natur entfernt, und
beynahe unfähig auf eine andre Art, als durch den
Schaden andrer, zu gewinnen, wird nicht ohne Ursache
gering geschätzt.Besonders und mit dem meisten Recht wird
der Gewinnst vom Geldwucher und der Weckseley,
gehasst. Desswegen, weil hierbey das Geld nicht
zu dem Endzwecke gebraucht wird, wozu es eingeführt
worden, sondern zu einem Erwerbsmittel.
Es ist bestimmt, ein allgemeines Zeichen des Werthes
und ein Mittel zur leichtern Vertauschung der
Dinge zu seyn: und beym Ausleihn auf Zinsen soll
es sich durch sich selbst vermehren. Daher mag auch
vielleicht der Griechische Nahme der Geldzinsen, τόχος
von dem Worte τετ, gebähren, seinen
Ursprung haben. Das Erzeugte nähmlich ist
alle Mahl von gleicher Art mit dem, wodurch es
erzeugt worden. Und so sind die Zinsen, gleichsam
Geld von Geld erzeugt. Da aber Geld kein an
sich producirendes Ding ist; so kann auch diese Erwerbs-Art
nicht anders als für unnatürlich angesehen
werden.Dies gehört nur zur Theorie, zur Auseinandersetzung
der allgemeinen Begriffe. Jch muss aber
auch noch über den praktischen Theil etwas hinzufügen.
Bey allen Gegenständen dieser Art, ist das
Wissenschaftliche, das Allgemeine anziehend: —
werth von jedem freyen wohlerzogenen Manne erkannt
zu werden: das Praktische aber, welches
nur durch Erfahrung und Uibung erhalten werden
kann, ist bloss dem wichtig, dem es zu seinem Geschäfte
unentbehrlich ist.Von der ersten Art der Erwerbungskunst, welche
zur Regierung eines Hauswesens gehört, ist es
ein nützlicher Theil, die Natur und den Werth der
verschiednen Güter und Waaren zu kennen; zu wissen,
welche darunter die brauchbarsten sind, und
auf welche Art sie behandelt werden müssen. Zum
Beyspiel gehört es dazu, von Pferden, Rindern,
Schaafen, oder andern Hausthieren zu wissen, wo
und wie man die bessten in jeder Art sich verschaffen
könne; ferner zu beurtheilen, welche Gattung
derselben sowohl überhaupt zu dem vorliegenden
Endzwecke, als insbesondre nach dem Eigenthümlichen
jedes Orts die nutzbarste sey. Denn nicht alle
kommen in allen Gegenden gleich gut fort.Ein zweiter Haupttheil ist die Benutzung von
Grund und Boden; — und diess sowohl durch den
simpeln Ackerbau, als durch Anpflanzung von Obst-
und Weingärten, ferner die Bienen-, die Viehzucht,
die Fischerey und Jagd; kurz die Benutzung aller
natürlichen Producte, welche etwas zum menschlichen
Leben Nützliches liefern.Von der zweyten weniger natürlichen Art des
Erwerbs ist der vornehmste Zweig der Handel. Und
vom Handel gibt es wieder drey Gattungen, den
See-, den Landhandel und das Ausstellen der Waaren
auf den Märkten (die Krämerey). Sie theilen
sich von neuem in mehrere Arten, wovon einige einträglicher,
andre sichrer sind. Ein andrer Zweig
ist der Verkehr mit baarem Geld und das Ausleihen
auf Zinsen. Der dritte ist das Arbeiten für
andre um einen bedungnen Lohn.Solche Lohnarbeiter sind entweder Handwerker,
die zwar eine künstliche, aber doch nur durch
blosse Nachahmung erlernte und gemeine Arbeit treiben;
oder simple Tagelöhner, die bloss die Kräfte ihres
Körpers ohne alle Kunst bey ihren Arbeiten
gebrauchen.Noch eine dritte Gattung der Erwerbungskünste
stehet zwischen den jetzt erklärten beyden in der Mitte,
sie hat etwas von der ersten, welche die natürlichen
Producte benutzt, und etwas von der
zweyten, welche durch den Tausch gewinnt.Diese gibt sich mit den Dingen ab, die zwar
aus der Erde kommen, aber keine jährliche Früchte
bringen, noch sich vervielfältigen, dazu gehört z. B.
die Fällung der Bäume zur Holz-Nutzung, —
ferner der gesammte Bergbau, welcher letztre wieder
sehr mannigfaltige Arbeiten unter sich begreift;
weil der aus der Erde gegrabnen Mineralien sehr
viele Arten sind.Von diesen gesammten Gegenständen sind hier
nur die allgemeinen Begriffe beyzubringen nöthig,
und dieses ist hinlänglich geschehn. Die ausführliche
Beschreibung der zu jedem gehörigen Operationen
gehört für den, welcher sich mit Bearbeitung
desselben abgibt, und würde in einer philosophischen
Untersuchung über Oekonomie und Staatsverwaltung
am unrechten Orte stehen.Das muss ich nur noch hinzusetzen, dass von
diesen verschiednen Arbeiten diejenigen den meisten
Anspruch darauf machen können, Künste zu heissen,
bey denen dem Zufall am wenigsten überlassen bleibt;
dass sie mehr oder weniger den Nahmen βαναυδος,
verdienen, nachdem sie mehr oder weniger den Körper
verunstalten und lähmen; dass sie desto sklavischere
Arbeiten sind, je mehr bloss körperliche Kräfte
dabey gebraucht werden, je weniger sich dabey Fähigkeiten
und Tugenden des Geistes äussern.Da über diese Materien eigne Bücher von verschiednen
Schriftstellern geschrieben worden sind:
z. B. über den Ackerbau oder die Benutzung des
Bodens durch seine natürlichen sowohl als künstlich
erzeugten Producte, von Chares aus der
Jnsel Paros, und von Apollodorus aus Lemnos:
so können diejenigen, welche genauern Unterricht
darüber bedürfen, sich in diesen Büchern Raths
erhohlen. Auch wäre es vielleicht nicht unnütz, die
hin und wieder zerstreuten Nachrichten von den
Mitteln und Methoden zu sammeln, durch welche
diese oder jene Personen Vermögen gesucht und gefunden
haben. Darunter würde z. B. die Erzählung
vom Thales dem Milesier gehören. Sie
enthält eine zum Reichwerden abzielende Speculation,
die vielleicht nur desswegen dem Thales als
ersten Urheber zugeschrieben wird, weil er als ein
weiser Mann berühmt war, die aber im Grunde
eine allgemeine und in vielen Fällen anzuwendende
Maxime der Erwerbungskunst enthält. Man sagt
nähmlich, dem Thales sey oft die Dürftigkeit, in
welcher er lebte, als ein Beweis vorgeworfen worden,
dass die Philosophie ein sehr unnützes Ding
sey.Um diess zu widerlegen, habe er einst, da er
aus dem Lauf der Gestirne noch während des Winters
vorausgesehen, dass im folgenden Sommer eine
sehr reiche Oehl-Ernte seyn würde, und eine
kleine Geldsumme in Händen gehabt habe, den ganzen
Ertrag der Oehlpressen in Milet und Chios zum
voraus, um einen geringen Preiss (da noch kein andrer
Licitant sich eingefunden hatte) an sich gehandelt,
und durch darauf gegebne Pfandschillinge sich zugesichert.
Als nun die Zeit herbeygekommen, das
Oehl von allen Seiten gesucht worden sey, und er
es um einen von ihm selbst bestimmten Preiss auf
einmahl und plötzlich habe verkaufen können, sey
er in den Besitz ansehnlicher Geldsummen gekommen,
und habe dadurch gezeigt, dass es den Philosophen
nicht schwer seyn würde, reich zu werden,
wenn Reichthum zu erwerben mit unter ihre Endzwecke
gehörte, wie es in der That nicht dazu
gehört.Dieses Unternehmen des Thales ist nur Beyspiel
einer allgemeinen Methode Geld zu erwerben:
der nähmlich, sich den Alleinhandel mit irgend einer
Waare zu verschaffen. Dazu nehmen auch die
Staaten zuweilen ihre Zuflucht, wenn es ihnen an
Geld mangelt. Sie eignen sich den Verkauf dieses
oder jenes nothwendigen und gesuchten Waaren-Artikels
ausschliessend zu.Jn Sicilien kaufte zu Dionysius Zeiten jemand,
bey welchem grosse Summen baaren Geldes
niedergelegt waren, alles Eisen aus den Eisenhütten
zusammen, und vereinzelte es alsdann wieder
mit einer sehr kleinen Erhöhung des Preisses
an die Kaufleute; — und doch gewann er auf 50
Talente 100. — Dionysius, da er dieses erfuhr, liess
zwar dem Manne die gewonnenen Summen, aber
befahl, dass er sich sogleich mit denselben aus
Sicilien wegmachen sollte, weil er glaubte, dass
ein Mensch, der sich auf einmahl so grosse Einkünfte
zu verschaffen wüsste, seiner Macht gefährlich
werden könnte.Des Thales und dieses Syracusaners Speculation
sind von derselben Art. Beyde dachten darauf,
den ausschliessenden Handel mit einer Waare
in ihre Gewalt zu bekommen.Auch Staatsverwaltern ist es nützlich, dergleichen
Hülfsmittel zu kennen. Denn viele Staaten
brauchen Geld, und müssen für Vermehrung
ihres Einkommens so gut sorgen, wie eine Familie.
Ja einige leben diess für ein einzigen wahren
Gegenstand der Regierungskunst an.
Achtes Kapitel.
Dreyerley Arten der Herrschaft in der Familie.
Vergleichung derselben mit den Arten der politischen
Herrschaft. Sind Herrschende und
Gehorchende moralisch verschieden?
Jch habe gleich anfangs gesagt, dass es drey Theile
der häuslichen Gesellschaft gibt, die Verbindung
zwischen Herrn und Knecht, die zwischen Ehegatten,
und die zwischen Aeltern und Kindern. Eben
so gibt es also auch drey Zweige der häuslichen
Regierung, wovon der, welcher sich mit den Sklaven
beschäftigt, bereits abgehandelt worden. Was
die zwey andren betrifft, so ist die Herrschaft des
Mannes über die Frau, und die Herrschaft eines
Vaters über seine Kinder, beydes eine Herrschaft
über Freye, aber die erste ist doch von der andern
unterschieden, so wie die Regierung einer obrigkeitlichen
Person in einer freyen Republik, von der
Regierung eines Königs in einer Monarchie unterschieden
ist.Der Grund zu den herrschaftlichen Rechten des
Mannes und der Aeltern liegt in der Natur. Das
männliche Geschlecht hat vor dem weiblichen
gewisse Kräfte und Anlagen, die zum Regieren gehören,
voraus, wenn anders beyde ihre natürliche
und gewöhnliche Einrichtung haben. Eben diese
Vorzüge hat das ältere und ausgebildete Geschöpf
vor dem jüngern und noch unreifen.Jn den meisten freyen Republiken wechseln die
obrigkeitlichen Stellen unter den Bürgern ab, so
dass der, welcher heute regiert, morgen regiert wird.
Und so muss es unter Leuten seyn, die sich den natürlichen
Anlagen nach einander gleich schätzen, und
keinem eine persönliche Erhabenheit über die übrigen
zugestehn. Demohnerachtet so lange die Regierung
des einen, die Unterwürfigkeit des andern
dauert; so lange sind beyde darüber einig, dass
ein Unterschied unter ihnen in Absicht der Ehrenbezeugungen
der Titel und aller äussern Formen beobachtet
werde. Der Obere, obgleich gezogen aus
denen die seines Gleichen sind, geniesst doch des
ihm gebührenden Vorzuges, so wie die Bildsäule
einer Gottheit, die Amasis aus seinem Fussbecken
hatte machen lassen, desswegen nicht weniger verehrt
wurde.Was nun die obrigkeitlichen Personen in freyen
Republiken gegen die übrigen Bürger auf eine Zeitlang
sind, das ist der Mann gegen die Frau auf
Zeitlebens; gleich mit ihr an sich, aber über sie
durch sein obrigkeitliches Amt.Davon ist die königliche Herrschaft verschieden,
zu welcher die väterliche gehört. Der,
welcher erzeugt, ist dem von ihm Erzeugten zur
Aufsicht und Regierung benimmt, theils der natürlichen
Zuneigung wegen, welche er gegen dasselbe
hat, theils seines Alters wegen, durch welches
er ihm an Kräften und Einsichten überlegen
ist. Und grade sind diess die beyden Quellen der
wahren königlichen Herrschaft. Desswillen nennt
auch Homer den Jupiter, um das Eigenthümliche
seiner königlichen Herrschaft über alle Dinge zu bezeichnen:
"Den Vater der Götter und
Menschen." Denn der König soll von Rechtswegen
mit seinem Volke von einer Gattung, und
ihm also ergeben, — soll aber auch zugleich über
seine Unterthanen durch natürliche Vorzüge erhaben
seyn. Und in diesen Verhältnissen befindet sich der
Vater gegen sein Kind, und der Aeltere gegen den
Jüngern.Jst der Hausvater eigentlich Regent: so ist
klar, dass, der oben angezeigten Meinung zuwider,
ein weit grössrer Theil seines Geschäftes sich auf
die Personen, welche Glieder der Familie sind, bezieht,
als auf die Sachen, welche das Hab und
Gut derselben ausmachen, — dass er weit mehr
dafür sorgen muss, die Menschen, seine Untergebenen,
vollkommen, als das Vermögen gross zu machen;
und dass er endlich diese Vollkommenheit noch
mehr bey den freyen Gliedern seiner Familie als
bey den Sklaven zu befördern suchen müsse.Zuerst nun kann in Absicht der Sklaven die
Frage aufgeworfen werden: "Gibt es denn eine
Tugend der Sklaven?" — Gibt es ausser den Geschicklichkeiten,
welche der Sklave zu seinem Dienste
braucht, und welche ihn nur in den Stand setzen,
ein gutes Werkzeug abzugeben, noch andere
und höhere Vollkommenheiten desselben, ich meine
Vollkommenheiten, dergleichen Sittlichkeit, Tapferkeit
und Gerechtigkeit sind: — oder sind die körperlichen
zu seinem Dienst erforderlichen Eigenschaften
seine einzigen Tugenden? Beyde Behauptungen
haben ihre Schwierigkeiten. Bejaht man das erste;
worin besteht alsdann der Unterschied zwischen
Freygebohrnen und Sklaven? Verneint man es,
so scheint man etwas Ungereimtes zu sagen, da
die Sklaven doch Menschen und vernünftige Geschöpfe
sind. .Beynahe dieselben Schwierigkeiten kommen vor, wenn
man über die Tugenden der Frau und des
Kindes fragt: ob sie mit den Tugenden des Mannes
einerley sind; — ob auch das Weib tapfer
und gerecht, und über sich selbst Herr seyn müsse;
—ob man auch von einem Kinde sagen könne,
dass e sittlich oder unsittlich sey; — und noch allgemeiner,
ob die Tugend des von Natur zum Herrschen,
und des von Natur zum Gehorchen bestimmten
Menschen, eine und dieselbe sey, oder jedem
eine andere Tugend zugehöre? —Sollten beyde gleichen Antheil an der wahren
sittlichen Vollkommenheit des Geistes haben; durch
das wird es überhaupt nöthig, kann man sogen, dass
der eine herrscht, der andre beherrscht wird?
Will man, dass sie nur den Graden nach von
einander unterschieden seyn sollen: so ist diess nicht
hinlänglich, ein solches Verhältnis, als Herrschaft
und Unterthänigkeit ist, zu gründen, weil jener
Zustand von diesem nicht den Graden, sondern
der Art nach verschieden ist.Sagt man im Gegentheil, dass nur der Eine
die wahren Geistestugenden haben dürfe, der Andere
nicht: so entstehn wieder andre seltsame Folgerungen.
Denn ist der herrschende Theil nicht gerecht
und gesittet, so kann er nicht gut regieren.
Aber kann der unterworfene Theil wohl gut regiert
werden, wenn er das nicht auch ist? Jst er ausschweifend
in seinen Leidenschaften, ist er feige oder
unverständig, wie wird er das ihm Aufgetragene
gehörig besorgen?Beyde müssen also an den Tugenden des Geistes
Theil nehmen. Der Unterschied ihrer Tugend,
das heisst, ihrer Vollkommenheit, ist nur derselbe,
welcher zwischen ihren natürlichen Anlagen ist, um
derentwillen sie sich als natürliche Herrn und Unterthanen
von einander absonderten.Darauf führt uns schon die Natur der Seele,
und die Unterordnung der in ihr liegenden Kräfte.
Jn der Seele nähmlich finden wir einen vernünftigen
Theil, welcher herrschen, und einen sinnlichen,
welcher beherrscht werden soll. Jeder hat
seine eigne Tugend. Beyde Tugenden aber sind Tugenden
des Geistes. So verhält es sich auch mit
allen andern Obern und Untergebenen.Die Arten der Herrschaft sind so vielfach, so
vielfach die Arten der Vertheilung jener Kräfte unter
den verschiedenen genannten Klassen der Menschen
sind. Mann und Weib, Freygebohrner und
Sklave, der Erwachsene und das Kind, alle haben
die sämmtlichen Kräfte und Bestandtheile einer
menschlichen Seele, aber sie haben sie nicht auf
gleiche Art. Der Sklave hat Vernunft, aber nicht
so viel, um selbst frey sich entschliessen und handeln
zu können; die Frau hat Uiberlegungs- und
Entschliessungskraft, aber keine feste, wie sie zum
Entscheiden nöthig ist; das Kind hat dieselbe noch
unreif und unentwickelt.Eben dieselben Unterschiede müssen also bey den
moralischen Tugenden, die von diesen Personen gefordert
werden, obwalten.Alle müssen einige derselben besitzen, aber jeder
nur die, welche zu Vollbringung des ihm aufgetragenen
Werks nothwendig sind; der Regent
aber muss die sämmtlichen moralischen Tugenden
vollständig besitzen.Er ist einem Baumeister ähnlich im Gegensatze
derer, die unter ihm arbeiten. — Jener muss das
Ganze übersehen und verstehen, weil das Ganze
sein Werk ist; jeder von diesen darf nur die Einsicht
des Theils haben, welchen er bearbeitet.So viel ist also klar, dass alle oben genannte
Personen moralische Tugenden haben, dass aber,
(der Meinung des Socrates entgegen) diese moralischen
Tugenden bey der Frau nicht ganz dasselbe
sind, was sie beym Manne sind; dass ihr
Muth, ihre Gerechtigkeit, ihre Sittsamkeit, einen
andern Charakter haben, als Muth, Gerechtigkeit
und Sittsamkeit beym Manne. — Der männliche
Muth z. B. muss der Muth eines Befehlshabers,
der weibliche der Muth eines Dienstleistenden seyn.Dieses leuchtet mehr ein, wenn man die Tugenden
einzeln durchgeht, als wenn man sie unter
eine allgemeine Definition zusammen fasst. Man
kann sich leichter täuschen, wenn man bey diesen
Untersuchungen sich begnügt zu sagen: dass die Tugend
in einem Wohlbefinden der Seele, —
oder dass sie im Richtighandeln bestehe. Viel !
besser ist es, wie dort Gorgias (beym Plato) die
Tugenden stückweise herzuzählen.Wie also nach dem Ausspruche des Dichters,"Nichts den weiblichen Mund so ziert, als
Schweigen."
welches hingegen beym Manne gar nicht der Fall
ist: so verhält es sich zwischen ihnen in Absicht aller
Tugenden.Das Kind ist ein noch unvollendeten Geschöpf.
Seine Tugend kann sich daher nicht auf sein eignes
Selbst beziehn, sondern auf den reifen entwickelten
Menschen, welcher ihn anführt und erzieht. So
hat die Tugend des Knechts ihren Gegenstand und
ihren Endzweck in dem Herrn.Da aber dieser Endzweck in nichts andern besteht,
als für den Herrn die unentbehrlichen, aber
groben körperlichen Arbeiten zu thun: so bedarf es
bey ihm keiner erhabenen Tugenden, sondern nur
so viel, dass er nicht aus Muthwillen oder aus
Trägheit seine Arbeiten unterlasse.Man könnte vielleicht fragen, ob dann nicht
auf diese Weise jeder Handwerker seine eigne Tugend
haben müsste: weil auch er durch Unsittlichkeit
oft an seinen Arbeiten gehindert werde. Aber
der Unterschied ist gross. Der Sklave ist mit seiner
Herrschaft in einer fortdauernden Gesellschaft. Der
Handwerker ist von dem, für welchen er arbeitet,
getrennt. Jn sofern seine Arbeit mit dem Sklavendienst
etwas gemein hat, in sofern kommt ihm
freylich auch diese sich auf andre beziehende Tugend
zu, welche dem Sklaven eigen ist, und den gemeinen
Handwerker kann man wirklich als einen abgesondert
wohnenden Dienstbothen ansehn.Uiberdiess ist der Sklave, Sklave, um gewisser
natürlichen Eigenschaften willen, von denen
also auch eine besondre Ausbildung, die man Tugend
des Sklaven heissen kann, Statt findet; der
Schuster aber, und jener Handwerker ist, was er
ist, nicht von Natur.Es erhellt demnach aus dem Obigen, dass zu
der Herrscherskunst, welche dem über Sklaven Gebiethenden
eigen seyn soll, nicht sowohl diess gehört,
dass er sie die Arbeiten lehren kann, welche sie thun
müssen: sondern dass er ihnen die Tugenden einzuflössen
wisse, welche sie als Sklaven haben sollen.Falsch ist es daher, wenn einige den Sklaven
so ganz alle Vernunft absprechen, dass sie verlangen,
der Herr soll ihnen durchaus nur befehlen, nie
sie belehren. Aber mich dünkt, die Zurechtweisung
mit Worten, und die Belehrung sey bey den Dienstbothen
noch natürlicher und nothwendiger, als bey
den Kindern.Dass aber diese ganze Materie von dem Verhältniss
zwischen Mann und Frau, zwischen Aeltern
und Kindern, und von den jedem Theile zustehenden
Tugenden, von der Art des unter ihnen obwaltenden
Verkehrs, was darinnen gut und zweckmässig,
was schlecht und schädlich sey, und wie
man das Gute zu erhalten, dem Nachtheiligen zu
entgehen trachten müsse, dass diese ganze Materie,
sage ich, in Untersuchungen über die Politik gehöre,
ist daraus klar, weil, wie ich im Anfange gesagt,
die Familien die Bestandtheile der bürgerlichen Gesellschaft,
und die genannten Personen die Bestandtheile
der Familien sind, der Theil aber und dessen
Vollkommenheit sich auf die Natur und die Vollkommenheit
des Ganzen bezieht. Daher Kinder
und Weiber mit Rücksicht auf den Staat erzogen
und regiert werden müssen: es müsste anders dem
Staat gleichgiltig seyn, ob die Kinder darin gute
Kinder, und die Ehefrauen gute Frauen sind, oder
nicht. Gleichgiltig kann es ihm aber nicht seyn:
denn die Weiber machen doch die Hälfte der sämmtlichen
freyen Einwohner einer Stadt aus: und aus
den Kindern werden die künftigen Bürger derselben.Jndessen muss ich es bey den bisherigen Erörterungen
über diese Gegenstände bewenden lassen,
und die weitere Ausführung für andere Schriften
aufbewahren.Es fängt also mit dem folgenden Buche eine
neue Untersuchung an, und zwar zuerst über die
Frage: welches die besste Staatsverfassung sey?
wobey zugleich die von meinen Vorgängern darüber
geäusserten Meinungen beurtheilt werden.
h ioZweytes Buch.
Erstes Kapitel.
Welches die besste Staatsverfassung sey. Prüfung des
Platonischen Jdeals: Was heisst Einheit des
Staats?
Da meine Absicht ist zu untersuchen, welche Form
der bürgerlichen Gesellschaft, und welche Regierung
derselben die besste unter allen ist, um die darin lebenden
Menschen zu der Glückseligkeit, nach der sie
streben, zu führen: so wird es nöthig seyn, sowohl
die wirklichen Verfassungen derjenigen Städte zu betrachten,
welche in dem Rufe stehn die bessten Gesetze
zu haben, als auch gewisse idealische Pläne zu
prüfen, welche zu Regierungsformen vollkommner
Staaten von einigen entworfen worden sind, und
den Beyfall des Publicums erhalten haben. Diess
ist in doppelter Absicht nöthig, erstlich um durch
Vergleichung mehrerer Einrichtungen, die, welche
die besste und nützlichste ist, ausfindig zu machen; —sodann,
um zu beweisen, dass es nicht der Hang
zu unnützen Grübeleyen ist, welcher Philosophen
veranlassen kann, noch ausser den bekannten Verfassungen
und Gesetzen neue zu suchen; sondern dass
wirklich die in den letztern wahrgenommenen Mängel
zu fortgesetzten Untersuchungen dieser Art berechtigen.Den Anfang müssen wir in der Untersuchung
von dem machen, was der Anfang der untersuchten
Sache selbst ist, von der Natur der Vereinigung,
in welche die Menschen durch die bürgerliche Gesellschaft
treten.Entweder müssen nähmlich die Bürger einer
Stadt (oder eines Staats) alles unter sich gemein
haben, oder sie haben gar nichts gemein, oder endlich
sind einige Dinge bey ihnen gemeinschaftlich,
andre nicht. Das zweyte, nichts gemein zu haben,
widerspricht augenscheinlich dem Begriffe einer bürgerlichen
Gesellschaft, deren Wesen in einer gewissen
Gemeinschaft besteht. Und zwar muss ihren Gliedern
wenigstens der Ort gemein seyn, wo sie wohnen.
Das Beysammenwohnen, macht den
Grund aus, warum wir diese und diese Anzahl
von Familien als Eine Stadt ansehn. Und wer
also Bürger der Stadt ist, der ist in der örtlichen
Gemeinschaft des Wohnplatzes.Es bleibt also nur die Frage übrig, welches
besser ist: — ob die Bürger eines Staats, dem
man die besste Einrichtung geben will, alle Dinge,
die nur einer Gemeinschaft fähig sind, unter sich
gemein haben, — oder ob sie nur bey einigen den
gemeinschaftlichen Besitz, bey andern aber den getheilten
wählen sollen?Es ist nähmlich an sich möglich, dass die Bürger
einer Stadt, Weiber, Kinder und Vermögen
unter sich gemein haben. So ist es in der Republik
des Plato. Jn derselben sagt Socrates, dass
diese dreyfache Gemeinschaft bey den Wächtern
oder bey den Bürgern der ersten Classe des Staats
Statt haben müsse. Welche Einrichtung ist nun vorzuziehen:
die welche jetzt allenthalben die Oberhand
hat, oder die der Platonischen Republik?Die Gemeinschaft der Weiber hat erstlich an
sich grosse und mannigfaltige Schwierigkeiten; zweytens
ist es aus den vom Socrates angeführten Gründen
nicht klar, dass sie den Endzweck, um desswillen
er sie vorzieht, erreichen würde; es ist endlich
in Ansehung dieses Endzwecks selbst noch eine Dunkelheit,
indem er so, wie er dort ausgedrückt wird,
eine ganz unmögliche Sache ist, —nirgends aber
vom Verfasser die Einschränkungen angegeben werden,
unter welchen man ihn zu verstehen hat.Jch rede nähmlich von dem Endzweck, den
Socrates als das höchste Gut einer Stadt annimmt,
dass sie aufs möglichste nur Ein Ganzes,
Eine Städt, mit einem Worte Eins
seyn soll.Und dem ohnerachtet ist klar, dass wenn man
den Satz zu weit treiben, und die Stadt der Einheit
allzu nahe bringen wollte, sie aufhören würde,
eine Stadt zu seyn. Das Wesen derselben besteht
in der Vielheit, in der Menge der beysammenlebenden
Menschen. Soll sie in dem vollkommensten
Sinne Eins werden, so müssen wir aus
ihr eine einzelne Familie, und aus der Familie
müssen wir einen einzelnen Menschen machen. Denn
sicher ist ein Haus mehr Eins als eine ganze Stadt,
und ein Mensch mehr Eins als eine ganze Familie.
Und wäre diess auch nicht an und für sich unmöglich,
so würde es doch noch nicht gut seyn, denn
es würde den Staat, den wir reguliren wollen,
vernichten.Nicht aber bloss aus mehrern Personen muss
jede Stadt, und die bürgerliche Gesellschaft in derselben,
bestehen, sondern diese müssen auch einander
— der Art nach — ungleich seyn. Hierin
liegt eben der Unterschied zwischen einer Conföderation
und zwischen der bürgerlichen Vereinigung.
Wenn die Absicht, warum viele zusammen treten,
bloss darin besteht, ein Quantum, eine Summe zu
vergrössern, so liegt nichts dran, wenn auch die
Theile alle von einerley Art sind. Von dieser Art
ist die Hülfe, welche durch eine blosse Conföderation
die Menschen einander verschaffen wollen. Es soll
dadurch nur das Gewicht, die Gewalt des Widerstandes
vergrössert werden, so wie mehrere auf eine
Waagschale gelegte Gewichte dieselbe stärker herunter
ziehn. Diess ist auch das Unterscheidende einer
Völkerschaft von einer Stadt; jene ist nur eine Vielheit
von Menschen, die in mehrern Dorfschaften
zerstreut wohnen, nur zusammen gezählt werden,
nicht zusammen verbunden sind, in welchem Zustande
die Arkadier lebten. Sobald aber aus vielen
Theilen ein Ganzes werden soll, so müssen diese
Theile von verschiedener Art seyn, und verschiedne
Functionen haben. Das ist es nähmlich, worauf
das Wohl und die Erhaltung allen Republiken beruht,
dass die verschiedenen Classen der Einwohner
einander gleichsam die Waage halten, von einander
abgesondert bleiben, und doch in ihren Endzwecken
zusammenstimmen. Siehe davon meine ethischen
Werke.Diess ist auch selbst in denjenigen Staaten nöthig,
wo alle frey, und der Geburt nach gleich
sind. Die Functionen der Glieder müssen doch verschieden
seyn. Denn wenn auch z. B. alle Bürger zur
Regierung fähig und berechtigt sind: so können doch
nicht alle auf einmahl an der Regierung Theil haben,
sondern nur nach und nach, indem sie in derselben entweder
alle Jahre, oder in andern bestimmten
Zeiträumen abwechseln. Nur auf diese einzige
Art ist es möglich, dass die Regierung an alle komme,
wenn einer den andern darin ablöst. Und dann
ist doch die Ungleichheit und Verschiedenheit unter
den Bürgern nicht aufgehoben, so wenig als der
Schuster aufhören würde vom Zimmermann verschieden
zu seyn, wenn keiner so wie es jetzt üblich ist,
bey seinem Handwerke zeitlebens bliebe, sondern der
Schuster abwechselnd Zimmermann und der Zimmermann
Schuster würde.Jn der That ist es besser, wenn die Gewohnheit,
dass jeder zeitlebens nur eine Arbeit treibe,
sich auch auf die Geschäfte der Staatsverwaltung
erstreckt, — das heisst, dass immer dieselben Personen
das Regiment führen.Wo diess aber nicht möglich ist, weil sich unter
den Bürgern kein so grosser natürlicher Unterschied
findet, der die einen von der Regierung ausschliessen
könne, und wo es desswegen der Gerechtigkeit
gemäss ist, dass das Herrschen (es mag nun
ein Vortheil oder ein Schaben für den seyn, dem
es aufgetragen wird), allen zu Theil werde: da ist
das Umwechseln in den obrigkeitlichen Stellen die
einzige mögliche Einrichtung. Und in diesem Falle
treten diejenigen, welche vorher mit der obrigkeitlichen
Person gleich waren, freywillig so lange zurück,
und erniedrigen sich unter sie, als diese ihr Amt
verwaltet, erheben sich aber wieder wechselweise
über dieselbe, wenn die Reihe an sie selbst kömmt,
diese Stellen zu begleiten, so dass es nicht anders
scheint, als wenn jedem wechselsweise ein höheres
und ein niedrigeres Wesen würde. Auf gleiche Weise
müssen die Bürger in diesen Staaten bald die
eine bald die andre Art öffentlicher Aemter begleiten.Hieraus ist klar, dass immer verschiedne Abtheilungen
und Verrichtungen der Bürger in jedem
Staate seyn müssen; — dass es also wider die Natur
und das Wesen eines Staats ist, in dem vollkommensten
Sinn, wie einige verlangen, Eins zu
seyn, ja dass diess vermeinte höchste Gut der bürgerlichen
Gesellschaft ihr Daseyn aufheben würde.
Der Charakter und das Eigenthümliche des Guten
aber besteht eben darin, dass es das Ding, bey
welchem es sich findet, erhalte.Noch auf eine zweyte Art lässt es sich beweisen,
dass einen Staat zu sehr in eine Einheit verwandeln
zu wollen, nicht das besste Mittel zu Erreichung
seiner Endzwecke ist. — Eine Familie kann
ohne Zweifel mehr sich selbst gnugsam seyn, als
ein einzelner Mensch; — und ein gemeines Wesen
hinwiederum mehr als eine einzelne Familie. Ja
alsdann bekömmt eine Anzahl von Menschen oder
Familien erst den Nahmen eines gemeinen Wesens,
eines Staats, wenn sie durch ihre Vereinigung zu
dieser Selbstgenügsamkeit gelangen. Wenn demnach
derjenige Zustand der bessere ist, wo sich die grössere
Selbstgenügsamkeit findet, und wenn diese Selbstgenügsamkeit
mit der Vielheit und der Verschiedenheit
der Theile bey einem Ganzen wächst: so ist
das, was weniger Eins ist, der vollkommnern
Einheit vorzuziehn.
Zweytes Kapitel.
Gegen die von Plato vorgeschlagene Gemeinschaft der
Weiber und Kinder.
Aber gesetzt auch, es wäre bewiesen, dass die
grösste Einheit einer Republik ihr vollkommenster
Zustand ist, so würde desswegen doch noch nicht
folgen, dass diese Einheit, wie Socrates glaubt,
dadurch erhalten wird, wenn alle Bürger zugleich
dieselben Sachen ihr Eigenthum nennen können.Das Wort alle ist zweydeutig. Dasjenige
wird Allen zugeschrieben, was entweder einem
jeglichen in dem ganzen Haufen, oder was dem
Haufen im Ganzen genommen zukömmt. Wäre es
hier in dem ersten Sinne anwendbar, so würde vielleicht
eher die Wirkung, welche Socrates davon
verlangt, zu erwarten seyn, ich will sagen, —
alsdann, wenn jeder den für seinen Sohn hielte,
den jeder andre zugleich für den seinigen erkennt,
wenn die als eigenthümliche Ehefrau von dem einem
geliebte, eben so gut die Ehefrau jedes andern wäre,
und so das Vermögen und alle hieher gehörige
Dinge einem jeden zugehörten, aber einem sowohl
als dem andern. Diess kann aber nicht der Sinn
seyn, in welchem die, welche eine Gemeinchaft der
Weiber und Kinder bey sich einführen wollten, das
Wort brauchten. Alle hätten bey ihnen dieselben
Weiber und Kinder, aber alle nur dem Jnbegriff
nach und in der Summe, nicht einzeln und stückweise
betrachtet. Jn dem Worte alle steckt also
augenscheinlich eine Zweydeutigkeit, die zu einem
Trugschlusse Gelegenheit gibt. Diese Zweydeutigkeit
ist den Wörtern Alle und Beyde gemein,
und zeigt sich bey mehrern Gelegenheiten. Dieselben
Dinge, welche man darunter zusammenfasst, können
z. B. eine grade, und können eine ungrade Zahl
ausmachen, nachdem sie entweder getheilt, oder
summirt verstanden werden, und so sind ähnliche
Wortstreitigkeiten leicht durch sie zu veranlassen.Also, dass alle dieselben Sachen ihr Eigenthum
nennen, würde in dem einen Sinne gut seyn,
ist aber in diesem Sinne unmöglich; in einem Verstande
ist es möglich, aber trägt nichts zur Einigkeit
der Bürger bey.Dagegen würde von einer andern Seite die gedachte
Einrichtung schädlich werden. Denn was
vielen gemein ist, dafür wird am wenigsten gesorgt.
Jeder sorgt am ersten für das, was ihm ausschliessend
zugehört, für das aber, was er mit andern
gemein hat, nur in so fern, als ein Theil davon
auf ihn kömmt. Das übrige vernachlässiget er schon
desswegen, weil er voraussetzt, dass andre dafür
sorgen werden; so wie man bemerkt, dass die Bedienung
da schlechter ist, wo viele, als wo wenige
Bediente sind. Jn der Republik des Plato hat jeder,
ich will sagen, tausend Bürger zu Kindern;
aber nicht in dem Verstande, dass sie alle tausend
ihm angehören, sondern nur so, dass der erste der
besste darunter eben so wohl sein Sohn seyn kann, als
der andre. Das macht aber, dass diese Kinder
von allen auf gleiche Art vernachlässiget werden.
Jeder kann von tausenden, oder von so vielen, als
die Republik in sich enthält, zu einem jeden,
der sich in glücklichen, oder zu einem jeden andern,
der sich in armseligen Umständen befindet, sagen:
das ist mein Sohn, das ist mein Vater,
und sich also zur Unterstützung desselben verpflichtet
halten, oder von ihm Hülfe erwarten, aber er kann
auch eben sowohl sagen, es ist dessen und
dessen Sohn oder Vater, und kann also gegen
ihn, als gegen einen ganz Fremden, ohne
Pflichten und ohne Rechte zu seyn glauben, — und
diess um desto mehr, da er immer zweifeln muss,
ob er auch unter der Menge irgend einen Sohn habe,
oder ob er nicht jemanden für seinen Vater ansehe,
der keines Menschen Vater ist. Denn bey dieser
Einrichtung weiss keiner, ob das von ihm erzeugte
Kind zur Geburt gekommen, ob, wenn es
zur Welt gekommen, es auch beym Leben geblieben ist.Welches ist nun also wohl besser, Tausende
oder Zehntausende auf diese Weise Vater
und Sohn heissen zu können, oder einen oder einige
wenige, auf die Art, wie wir bey der gegenwärtigen
Verfassung der Staaten, das Wort mein
bey der Verwandtschaft brauchen. Jetzt wird jeder
nur von einem Menschen Sohn, von einem andern
Bruder, von einem dritten sein Geschwisterkind,
von einem vierten sein Vetter oder Schwager
genannt, nachdem er durchs Blut, oder durch Heirathen
mit ihm verwandt ist, und wenn noch entferntere
Verbindungen unter den Mitbürgern angezeigt
werden, so heisst ihn der eine seinen Zunftgenossen,
der andre seinen Stammvetter; aber alle
diese nennen ihn, obgleich in ungleichem Grade der
Verwandtschaft, doch mit Gewissheit und
ausschliessend den ihrigen. Und in diesem
Verstande ist es gewiss besser, jemandes entfernter
Vetter, als in dem ersten dessen Sohn zu
seyn, "Uiberdiess ist auch das nicht einmahl zu erhalten,
dass nicht viele darauf muthmassen sollten, welche Personen
ihre eigentlichen Väter, Mütter, Söhne
und Brüder seyn möchten. Denn da doch gemeiniglich
die Kinder ihren Aeltern ähnlich sind: so würden
sie an diesem Zeichen einander zu erkennen
suchen. Und diess geschieht auch wirklich bey einigen
Nazionen, wie uns diejenigen versichern, welche
die allgemeine Erd- und Völkerkunde bearbeitet haben.
Jn dem obern Libyen soll ein Volk seyn, bey welchem
die Weiber alle gemein sind. Die neugebohrnen
Kinder aber werden nach der Aehnlichkeit an die
Väter als die ihrigen ausgetheilt. Selbst bey den
Thieren, z. B. bey Pferden und Rindern gibt es
einige Racen, deren Jungen ihren Vätern sehr ähnlich
zu werden pflegen. So war die berühmte Thesalische
Stutte in Pharsalis, die man desswegen die
getreue nannte, weil die Füllen, welche sie warf,
den Beschälern, von denen sie belegt wurde, so
sehr ähnlich fielen.Ein anderer Uibelstand, welchen diejenigen,
die eine Gemeinschaft der Weiber einführen wollten,
schwerlich würden vermeiden können, ist: dass sich
oft die Bürger ihrer Stadt, wissentlich oder unwissentlich
an ihren Vätern, Müttern und nächsten
Verwandlen, mit Worten oder mit Thätlichkeiten
vergreifen, ja dass selbst Misshandlungen oder Mordthaten
unter ihnen vorfallen würden, welches doch
nach göttlichen und menschlichen Gesetzen weit grössre
Frevel sind, als wenn dieselben Beleidigungen
gegen entferntere Verwandten geschehn. Und
natürlicher Weise muss sich diess öfterer da ereignen,
wo niemand seine wirklichen Blutsverwandten kennt,
als da, wo er sie kennt. Uiberdiess wo man sie
kennt, kann der, welcher sich mit einer solchen
Schuld beladen hat, sie durch die gewöhnlichen Versöhnungsmittel
wieder austilgen; wo man sie nicht
kennt, ist diess unmöglich.Auch ist das sehr seltsam, was Socrates thut,
zuerst die Söhne als gemeinschaftliche Kinder aller
derer, die Väter seyn können, ansehn zu lassen,
und doch alsdann diesen unter einander den verliebtesten
Umgang und alle die Liebkosungen zu erlangen,
welche von Aeltern gegen Kinder und von Brüdern
gegen Brüder so äusserst unanständig sind, —
nur den Beyschlaf allein ausgenommen.
— Hatte er nicht eben so viel Recht, das
blosse Verliebtseyn in diesen Graden der Verwandtschaft
zu untersagen? Denn auch das ist befremdend,
dass er den Beyschlaf unter den beyden Classen bloss
aus dem Grunde verbiethet, weil die Heftigkeit des
Affects durch die genossene Lust zu gross werden würde,
und darauf keine Rücksicht nimmt, dass es
blutschänderische Verbindungen sind, welche die Religion
und das Naturrecht gegen sich haben.Noch ferner scheint es, dass wenn diese Gemeinschaft
der Weiber unter irgend einer Classe der
Bürger eingeführt werden sollte, sie bey der Classe
der Ackerleute noch nützlicher seyn würde, als bey
der Classe der Beschützer und Wächter der Republik,
auf welche Plato jene Einrichtung eingeschränkt
wissen will. Denn in der That, wo Weiber und
Kinder gemein sind, da werden weniger zärtliche
Verbindungen unter den Menschen seyn: und grade
diess ist bey denjenigen gut, welche bestimmt sind von
andern beherrscht zu werden, weil dieser Mangel
der Freundschaft unter ihnen sie hindert, sich gegen
die Regierung zu vereinigen und Neuerungen zu machen.Und diess führt mich auf die vornehmste Einwendung,
welche gegen eine solche Einrichtung zu
machen ist, diese nähmlich, dass sie grade die entgegengesetzte
Wirkung von derjenigen hervorbringen
würde, welche gute Gesetze in einem Staate haben
sollen, und welche Socrates bey Anordnung der seinigen
zur Absicht hatte. Es wird allgemein anerkannt,
dass Einigkeit und Freundschaft unter den
Bürgern das höchste Gut eines Staats sey, weil
diess die innere Ruhe desselben sichert, und Socrates
preist es, wie ich schon gesagt habe, über alles
wenn eine Stadt aufs Vollkommenste eins ist. Und
dieses, glaubt er und so scheint es auch in der
That, sey nur durch Liebe und Verwandtschaft zu
bewirken; — Ungefähr nach denselben Begriffen von
der Liebe, nach welchen Aristophanes, in seinem
Buche von der Liebe, sagt, dass der Wunsch der
recht feurig Verlieben darauf gehe, zusammenzuwachsen,
und aus zwey Personen nur Eine zu werden.
Jn diesem letzten Falle würden, wenn diess
wirklich geschähe, alle beyde dadurch zu Grunde
gehn; und so würde auch der Eine, der aus Jhnen
entstehen sollte, nicht da seyn. Jn dem Platonischen
Staate hingegen, würde durch jene weite
Ausdehnung der Verwandtschaft, die darauf gegründete
Liebe sehr laulicht werden, und niemand würde
mit wahrer herzlicher Liebe irgend jemanden seinen
Sohn oder seinen Vater nennen. Denn so wie
eine süsse Essenz in vieles Wasser gemischt, den Geschmack
verliert, und der Zunge unmerklich wird:
so muss nothwendig auch die Zuneigung, welche auf
jene Nahmen der Verwandtschaft gegründet ist, erkalten,
wenn dieselben einer zu grossen Menge von
Menschen beygelegt werden, indem bey einer solchen
Verfassung niemand in der Nothwendigkeit ist, allein
und ausschliessend für einen andern, als Vater
für den Sohn, oder als Sohn für den Vater, oder
als Bruder für den Bruder sorgen zu müssen. Nun
sind es aber zwey Umstände vornehmlich, welche
die Menschen bewegen, für einen Gegenstand zu
sorgen, und gegen denselben eine besondre Zuneigung
zu haben: der eine, wenn dieser Gegenstand
ihr eigen, der andre, wenn er ihnen wegen der
schon darauf gewandten Sorgfalt theuer ist. Und
keines von beyden findet bey denjenigen Statt, die
in einer nach Platos Jdeen geformten Republik, sich
Väter, Söhne und Brüder nennen.Eine neue Schwierigkeit zeigt sich, wenn aus
der Classe der Handarbeiter und Landbauer ein
Kind in die Classe der Wächter des Staats, wie
Plato es unter gewissen Umständen haben will,
versetzt werden soll. Wie ist es hier (da bey der
geringern Classe die Gemeinschaft der Weiber nicht
eingeführt ist) möglich, dem in die höhere Classe
versetzten Zögling seine Aeltern nicht wissen zu lassen,
da doch der, welcher ihn aus der Classe nahm,
wissen muss, von wem er ihn empfing. Und wäre
diess möglich: so würde bey solchen adoptirten
Kindern noch mehr die Folge zu befürchten seyn,
von der ich schon oben redete, dass Kinder unwissend
ihre Aeltern misshandelten, schlügen, oder vielleicht
gar tödteten. Denn nach den Vorschriften
des Plato, sollen die aus der Classe der Beschützer
in eine der übrigen Volksclassen versetzten Kinder,
niemanden von der erstern mehr Vater, Mutter
oder Bruder nennen, wie umgekehrt die zur
höhern Classe Erhobnen niemanden aus der niedrigern,
aus welcher sie doch herstammen, so nennen
sollen. So dass sie also noch weniger sich vor
Handlungen der Art hüthen können, wenn sie nicht
einmahl die entfernteste Erinnerung haben, wo sie
ihre nächsten Verwandten suchen sollen.Diess sind meine Gründe gegen die vom Plato
vorgeschlagene Gemeinschaft der Weiber und
Kinder.
Drittes Kapitel.
Gegen die von Platon vorgeschlagene Gemeinschaft
der Güter.
Hiernächst ist nun eine ähnliche Frage in Absicht
des Eigenthums zu untersuchen, ob in dem Staate,
welchem man die besste Verfassung geben will,
die Güter allen gemein, oder als Eigenthum vertheilt
seyn müssen? Diese Frage ist im Grunde
von der vorhergehenden über die Gemeinschaft der
Weiber und Kinder unabhängig. Auch wenn ausgemacht
ist, dass letztre nicht Statt findet, kann
es doch noch ein Gegenstand der Untersuchung seyn:
ob in Absicht auf Hab und Gut, die jetzt fast
allenthalben eingeführte Einrichtung die besste sey,
oder die völlige Gemeinschaft des Besitzes sowohl
als des Gebrauchs der Güter, so dass die Ländereyen
und deren Producte allen gemein sind, oder
endlich, Gemeinschaft und Eigenthum mit einander
verbunden, es sey auf die Weise (welche bey einigen
Nazionen wirklich im Gebrauche ist), dass die
Ländereyen abgetheilt und eigenthümlich sind, die
Früchte aber im gemeinschaftlichen Magazine niedergelegt
werden, aus welchem jeder seine Bedürfnisse
erhält, es sey auf die entgegengesetzte Weise,
dass Grund und Boden allen gemein ist, und die
Aecker gemeinschaftlich bestellt, die Früchte aber
unter die Familien zu eignem beliebigen Gebrauche
vertheilt werden (welche Art der Gemeinschaft ebenfalls
bey einigen ungriechischen Völkerschaften eingeführt
seyn soll).Sind die Besitzer und Anbauer der Landgüter
eine eigne von den andern Bürgern getrennte Volksclasse:
so macht dieses wieder eine grosse Veränderung
in dem System der Gemeinschaft, und erleichtert
vielleicht manche Schwierigkeiten; ader es
bringt wahrscheinlich noch grössere hervor, wegen
der Pflicht, die jener Classe der Ackerbürger aufgelegt
wird, das Feld für alle übrigen Classen mit
zu bauen. Denn da sie diesen an dem Genuss der
Früchte einen grössern Antheil lassen soll, da dieselben
doch an der Arbeit einen kleinern genommen
haben: so kann es nicht fehlen, es wird daraus
Missvergnügen, es werden Beschwerden von Seiten
derer, die mehr arbeiten und weniger geniessen,
gegen diejenigen entstehn, die weniger arbeiten
und mehr geniessen.Uiberhaupt ist schon das Zusammenleben
an und für sich, und das Gemeinschaftlichhaben
irgend einer Sache unter Menschen immer
eine gefährliche Klippe für ihre Freundschaft und
Einigkeit, am meisten, wenn diese Gemeinschaft
sich auf Dinge erstreckt, die zum Lebens-Unterhalte
gehören. Das erste sieht man aus dem Beyspiele
der Leute, die mit einander in Gesellschaft Reisen
machen, und dabey nothwendig vieles gemeinschaftlich
haben müssen. Die meisten darunter entzweyen
sich, und zwar grösstentheils durch den sich sammelnden
Verdruss über kleine Anlässe, die aber alle
Augenblicke wieder kommen. So kommen wir auch
mit keinem unsrer Sklaven so leicht in Streit, als
mit denen, welche wir beständig um uns haben,
weil wir sie zu unsern persönlichen und häuslichen
Diensten brauchen.Dieselben Ursachen zur Misshelligkeit unter den
Bürgern finden sich bey der Gemeinschaft der Güter,
andrer Schwierigkeiten zu geschweigen.Unstreitig ist die jetzt gewöhnliche Einrichtung,
besondres, wenn sie durch Sitten und gute
Gesetze zu einer gewissen Regelmässigkeit gebracht
worden ist, die besste unter allen zuvor erwähnten.
Sie kann nähmlich die Vortheile beyder Verfassungen;
ich meine der Eigenthümlichkeit,
— und der Gemeinschaft der Güter mit einander
vereinigen. Nach der Regel nähmlich, und
im Ganzen muss jede Sache eigenthümlich seyn: —nach
besondern Umständen aber, und in partieller
Absicht muss sie als gemeinschaftlich angesehn werden.
Der Besitz der Sache, und also auch die
Sorge dafür, muss ausschliessend Einem zugetheilt
seyn; — auf diese Weise werden weniger
Klagen entstehen, und jeder wird mehr Sorgfalt
auf die Verbesserung und Vermehrung der Natur-Producte
wenden, da sie ihm eigenthümlich zugehören:
Bey dem Gebrauch aber wird die freywillige
Tugend der Bürger oft nach dem Sprichworte
handeln müssen: unter Freunden ist alles
gemein.Und so ist auch in der That jetzt die Handlungsweise
in einigen Republiken — (ein Beweis,
dass sie an sich nicht unmöglich sey). Gewohnheiten
dieser Art sind am meisten in denjenigen Republiken
eingeführt, welche die besste Verfassung
haben; und in diesen lassen sich noch mehrere ähnliche
als möglich denken. Hier hat nähmlich zwar
jeder sein Eigenthum für sich, aber einiges davon
widmet er bloss dem Nutzen seiner Freunde, andre
Stücke desselben braucht er mit ihnen gemeinschaftlich.
So bedient sich in Lacedämon einer des andern
seiner Sklaven, beynahe so, als wenn es seine
eigne wären; eben so willfährig sind sie, einander
ihre Pferde oder Hunde zu borgen, oder
Mitbürgern, die bey ihren Landsitzen vorbeyreisen,
Zehrung und Nachtquartier zu geben. Diess ist
nun offenbar die bessere Einrichtung, wenn das Eigenthumsrecht
zwar ausschliessend ist, aber der Gebrauch
des Eigenthums durch das Wohlwollen des
Besitzers gemeinschaftlich wird.Wie aber den Bürgern eines Staats ein solcher
wohlwollender Charakter beygebracht werden
soll: dafür muss der Gesetzgeber sorgen, und diess
zu bewirken, ist sein eigentliches Geschäfte.Diese Einrichtung ist aber nicht bloss die nützlichste.
Auch in Absicht des Angenehmen und des
Vergnügens, welches die Dinge uns machen, ist
ein unendlicher Unterschied, ob wir dieselben unser
eigen nennen können, oder nicht. Es ist nicht leere
Eitelkeit, welche macht, dass jeder vorzüglich sich
selbst, und folglich auch alles, was ihm angehört,
liebt: sondern es ist ein eingepflanzten Naturtrieb.
Freylich wird die Eigenliebe mit Recht als eine
Untugend getadelt. Eigenliebig seyn heisst
aber auch nicht, sich selbst lieben: sondern es
heisst, sich über Gebühr lieben; so wie
das Wort ehrfürchtig nicht denjenigen bedeutet,
welcher Ehre sucht, sondern den, der sie übermässig
sucht. Denkt man sich das Uibermaass hinweg:
so ist die Neigung an sich erlaubt, und in
der That allen Menschen gemein.Eben so ist es etwas äusserst Angenehmes,
Freunden, Fremden, die bey uns einkehren, oder
den Personen, mit welchen wir täglich umgehn;
Geschenke zu machen und Gefälligkeiten zu erweisen.
Diess können wir aber nur, oder wir können
es am bessten, wenn wir etwas Eigenthümliches
haben.Alles diess fällt in einem Staate weg, dessen
Stifter ihn zu sehr zur vollkommnen Einheit zu
bringen suchte. Zweyen Tugenden insbesondere
wird dadurch alle Gelegenheit zur Ausübung benommen,
der Enthaltsamkeit (im Umgange mit
Weibern) und der Freygebigkeit. Jene Tugend
kann sich nicht zeigen, wo die Weiber gemein sind,
weil sie vornehmlich darauf geht, wollüstige Begierden
gegen die Ehegattinn eines andern zu unterdrücken;
diese aber, die in einem gewissen Gebrauche
des Eigenthums besteht, findet keinen Gegenstand
zum Handeln, wo es kein Eigenthum
gibt, und kann sich also auch als Eigenschaft des
Gemüths, nicht deutlich offenbaren.Jene Platonische Gesetzgebung hat den Schein
eines sehr menschenfreundlichen und das allgemeine
Wohlwollen befördernden Systems, aber es hat
auch nur den Schein davon. Der Leser, welcher
sie obenhin betrachtet, wird leicht dafür eingenommen,
und glaubt, dass in einem solchen Staate
eine bewundernswürdige Freundschaft eines Bürgers
gegen alle, und aller gegen jeden seyn müsse:
besonders widerfährt ihm diess, wenn er zugleich
alle die Uibel, die in unsern jetzigen Verfassungen
herrschen, aufzählen und sie alle der bey uns fehlenden
Gemeinschaft der Güter zuschreiben hört, —
ich meine solche, als die beym Handel und Wandel,
und den Contracten über das Eigenthum vorfallenden
Betrügereyen sind, die darüber geführten
Prozesse, die in diesen Prozessen abgelegten falsche
Eide, und die ferner daraus entstehenden Criminal-Untersuchungen,
endlich die Schmeicheley und
die Parteylichkeit gegen die Reichen.Aber alle diese Uibel entspringen aus der Verdorbenheit
und den Unarten der Menschen, nicht
aus den Unvollkommenheiten einer Verfassung, welche
keine Gemeinschaft der Güter zulässt. Denn
wir sehen ja auch Menschen, die in Gemeinschaft
der Güter leben, uneins unter sich, und oft weit
mehr uneins, als diejenigen sind, welche getheilte
Güter haben. Wenn die Beyspiele der erstern Art
nicht so häufig sind: so rührt diess bloss daher, dass
überhaupt die Anzahl derer, welche Dinge in
Gemeinschaft besitzen, ohne Vergleichung geringer
ist, als die Anzahl derer, die abgesondertes Eigenthum
haben.Uiberdiess ist es billig, dass man nicht nur anzeige,
von welchen Uibeln diejenigen befreyt sind,
welche die Gemeinschaft der Güter unter sich eingeführt
haben, sondern auch, welcher Vortheile
sie sich berauben. Letztere aber sind so gross, dass
es scheint, das menschliche Leben verliere bey Abwesenheit
derselben allen seinen Reitz, verliere alles,
wodurch es wünschenswerth wird.Die erste Ursache zu allen diesen Trugschlüssen
scheint dem Sokrates der falsche Begriff gegeben
zu haben, welchen er sich von der höchsten Vollkommenheit
einer Staatsverfassung, und dem Endzwecke
eines Gesetzgebers macht, als wenn beyde
darin bestünden, den Statt vollkommen Eins zu
machen. Einheit ist zwar allerdings in jeder
Verbindung, in der häuslichen sowohl als bürgerlichen
nöthig: aber Einheit nur in einem eingeschränkten
Verstande. — Es ist eine gewisse Grenze,
über welche diese Einheit nicht hinaus getrieben
werden kann, ohne den Staat selbst aufzuheben,
es ist eine andre, wo er zwar noch seine Existenz
behält, aber doch ein schlechterer Staat wird.
Grade so, wie wenn man die Musik, die eine Zusammenstimmung
mehrerer Töne seyn soll, in die
Wiederhohlung eines einzigen verwandelte, oder als
wenn man den Wohlklang eines Verses dadurch
vermehren wollte, dass man anstatt einer passenden
Zusammensetzung mehrerer Füsse einen einzigen Fuss
brauchte.Wie ich schon oben gesagt habe: es muss eine
Vielheit, eine Verschiedenheit von Menschen in einem
gemeinen Wesen seyn, aber diese Viele müssen
durch Erziehung und Gesetze in Uibereinstimmung
gebracht und einig gemacht werden. Wirklich
ist es zu verwundern, wie ein Mann, der im
Begriffe ist, selbst Regeln zu einer solchen Erziehung
vorzuschreiben, und der sich selbst überzeugt
hält, dass er durch diese seinen Staat glücklich machen
werde, seine Zuflucht zu solchen Hülfsmitteln
nehmen kann, und nicht lieber die Einigkeit, von
den Sitten die er einführen, von den Gesetzen die
er geben will, und von der Philosophie welche er
lehrt, als von der Gemeinschaft der Weiber erwartet.
Noch dazu, da er die Beyspiele des Lacedämonischen
und Cretischen Gesetzgebers vor sich hatte,
die beyde durch Einführung der gemeinschaftlichen
Mahlzeiten, das Ausschliessende des Eigenthums
zu mässigen gesucht, und eine gewisse Gemeinschaft
damit verbunden haben, ohne das Eigenthumsrecht
selbst aufzuheben.Es ist hiebey nicht aus der Acht zu lassen:
dass die Zeit und die verflossnen Jahrhunderte die
bessten Lehrmeister auch für den Philosophen sind.
Und gewiss würde in der langen Reihe derselben,
in welcher Staaten existiren, diese Einrichtung,
wenn sie so vortrefflich wäre, von irgend einem
seyn angenommen worden. Denn beynah sind schon
alle mögliche Einrichtungen des gesellschaftlichen
Lebens erfunden und in der Welt irgendwo versucht
worden, nur dass von einigen die Nachrichten nicht
auf uns gekommen sind, andre aber, von denen
wir Nachricht haben, mit Fleisse nicht angewendet
werden.Durch nichts würden die Platonischen Jdeen
vollständiger widerlegt werden, als wenn ein Staat
wirklich nach denselben errichtet werden sollte. Alsdann
würde es sich zeigen, dass, wenn Plato seinen
Staat nicht in kleinere Gesellschaften mit getheilten
Familien und Eigenthum abtheilen wollte,
es sey nun nach Σνσσιτίοις, d. h. Tisch-Genossenschaften
wie in Lacedämon, oder nach Zünften und
Curien wie in Athen, er gar nicht im Stande seyn
würde, ein gemeines Wesen und eine bürgerliche
Regierung zu Stande zu bringen. Geschähe aber
dieses; so bliebe von jener Platonischen Verfassung
nichts mehr übrig, als dass die vornehmsten
Staatsbürger, welche Wächter der Republik heissen,
keinen Ackerbau treiben; — und das ist das
nähmliche, was in der Lacedämonischen Verfassung
ebenfalls zum Grunde liegt.Aber gesetzt, dass wir auch die Gemeinschaft
der Güter als zulässig und nützlich ansähen, so
hat doch Sokrates nirgends gesagt, welches die
Form des Ganzen seiner Republik bey derselben
seyn müsste: und es ist auch nicht leicht, diese
Form zu entdecken. Denn der grössere Theil des
Staats besteht ohne Zweifel aus den Bürgern,
welche in der untern Classe der Ackerbauer sich befinden.
Von diesen aber bestimmt Sokrates nicht,
ob sie auch Weiber, Kinder und Güter gemein,
oder ob sie sie eigenthümlich haben sollen. Jst das
erste, und sind dem zufolge Erziehung und Sitten
beyder Classen gemein, worin werden also die den
Ackerbau treibenden Bürger, von den
sogenannten Wächtern, die den Staat beschützen
und regieren, verschieden seyn? Durch
welche Vortheile werden diese bewogen werden, die
Sorgen der Regierung zu übernehmen? durch welche
Wissenschaft oder Kunst werden sie vorzüglich
in den Stand gesetzt, dieselbe zu verwalten?Es bleibt nichts übrig, als eine solche Unterscheidung
der regierenden und der arbeitenden Classe
zu denken, dergleichen die Cretenser bey sich zwischen
Freyen und Sklaven eingeführt haben. Sie, die
sonst alles Uibrige den Sklaven frey lassen, verbiethen
ihnen bloss, die Gymnasia (die Schulen
für die Leibesübungen) zu besuchen, und Waffen
zu besitzen.Wenn im Gegentheil, bey der Classe, welche
die Ländereyen des Staats anbaut, die Einrichtung
in Absicht der Weiber, Kinder und des Vermögens
der in allen andern Städten ähnlich ist: wie wird
zwischen ihr und der obern Classe die geringste Verbindung
seyn können? Es werden alsdann zwey
Staaten in Einem seyn, und zwar Staaten, die
einander ganz unähnlich und also wahrscheinlich einander
entgegen seyn werden. — Denn nach dem
Plato sollen die, welche er Wächter φύλαχες) nennt
gleichsam die Besatzung der Stadt vorstellen: die
übrigen aber, die Ackerbau und Künste treiben,
sollen doch auch nicht Sklaven, sondern Bürger seyn.
Werden dann nun nicht alle die Uibel, welche er in
andern Staaten findet, Klagen und Erbitterung eines
Bürgers gegen den andern, Civil- und Criminal-Processe,
wenigstens bey dieser Classe von Bürgern,
deren Erziehung und Verfassung er ganz vernachlässiget,
Statt finden? Oder wie kann Sokrates
sagen, dass sein ganzer Staat nur weniger
Gesetze, in Absicht der öffentlichen Sicherheit und
gegen den Betrug bey Handel und Wandel bedürfen
würde, bloss um der Erziehung willen, welche
er nur einem Theile, den Wächtern, oder der
obern Classe der Bürger, allein, gibt?Er übergibt ferner Grund und Boden und das
ganze Eigenthum der Republik, der Classe, welche
er die Ackerbauer nennt, zu freyer Disposition,
und legt ihr nur die Pflicht auf, einen gewissen
Theil des Ertrages der Classe der sogenannten Wächter,
zu deren Unterhalt zu entrichten. Aber werden
nach dieser Einrichtung diese Bewirthschafter
der Staatsländereyen nicht weit übermüthiger, schwerer
zu regieren und widersetzlicher werden, als die
Heloten bey den Spartern, die Penesten bey den
Thessaliern, und überhaupt alle Cultivateurs in
denjenigen Staaten sind, wo sie aus dem Sklavenstande
genommen werden? Uiber alles diess von
so grosser oder geringer Erheblichkeit es auch seyn
mag, ist in der Platonischen Republik gar keine
Bestimmung gegeben. — Eben so wenig über das,
was damit zusammenhängt, —welche Art der Erziehung
nun eigentlich diese arbeitende und das Land
bauende Bürgerclasse bekommen solle, welches die
ihr eigene Verfassung und Gesetze sind? Und doch
ist es weder leicht, dieses ausfindig zu machen,
noch ist es gleichgiltig, von welcher Art und Beschaffenheit
auch die Bürger dieser Classe sind, wenn
sie mit denen der höhern in Vereinigung leben, und
mit ihnen zu einem gemeinschaftlichen Endzwecke
wirken sollen?Es fällt, um nur einen Punct anzuführen, es
in die Augen, dass die Gemeinschaft der Weiber,
sie mag nun mit oder ohne Gemeinschaft der Güter
seyn, bey Leuten, die Landwirthschaft treiben
sollen, nicht Statt findet. Denn wer würde denn
bey ihnen, indess die Männer auf dem Felde arbeiten,
die Hauswirthschaft besorgen, die allenthalben
sonst der Frau obliegt?Die Vergleichung mit den Thieren, durch welche
Sokrates zu bestätigen sucht, dass es der Natur
am gemässesten ist, dem weiblichen Geschlecht einerley
Verrichtungen mit dem männlichen zu geben,
ist unpassend und beweist nichts, da die Bestimmung
und Geschäfte der Menschen von der Bestimmung
und der Thätigkeit der Thiere so weit verschieden
sind, und z. B. alles, was Haus- und Landwirthschaft
heisst, bey diesen gar nicht Statt findet.Eine andere Anordnung des Sokrates in der
Platonischen Republik könnte von sehr schädlichen
Folgen seyn, die, dass immer dieselben Personen
die obrigkeitlichen Stellen begleiten sollen. Diess
veranlasst selbst in solchen Städten Zwistigkeiten und
Empörung, wo der grosse Haufen der Bürger nur
wenig Muth und Ansehn hat: was würde es nicht
erst unter Männern thun, welche immer die Waffen
in den Händen haben, und mit vorzüglichem
Geiste und einem stolzen Selbstgefühl beseelt sind?Dass aber nach seiner Darstellung der Staatsverfassung,
wirklich die Regierung immer in denselben
Händen bleibt, ist klar, weil "das geistige von
den Göttern in die Bildung gewisser Menschenseelen
eingemischte Gold," welches Sokrates bey
denjenigen, die zur Regierung berufen werden, erfordert,
nicht bald diesen bald jenen Menschen zu
Theil wird, sondern bey denen Zeitlebens bleibt,
welche es einmahl von der Natur empfangen haben,
Denn so sagt er in seiner alegorischen Sprache,
bey der Geburt werde einigen Seelen Gold, andern
Silber, noch andern Eisen oder Bley beygemischt:
und diese letztere wären es, welche zum
Landbau und dem Erwerbungsgeschäfte gewidmet
werden müssten.Ferner um sich zu rechtfertigen, dass er den
Wächtern so vielen Zwang auflegt, und so wenig
Freuden des Lebens lässt, sagt er, dass ein
Gesetzgeber nicht für die Glückseligkeit der Bürger,
sondern des ganzen Staats sorgen müsse. Aber es
ist nicht möglich, das Ganze auf eine andere Art
glücklich zu machen, als indem man alle seine Theile
oder die meisten, oder wenigstens einige glücklich
macht. Mit der Glückseligkeit ist es nicht so wie
mit der geraden Zahl. Eine Summe kann eine gerade
Zahl ausmachen, wenn gleich die einzelne Posten,
woraus sie besteht, lauter ungrade Zahlen
sind. Aber nicht so kann ein ganzes Corpus von
Menschen glücklich seyn, ohne dass die einzelnen
Menschen glücklich sind, welche zu demselben gehören.Wenn nun aber die Wächter in der Platonischen
Republik, d. h. die Bürger der höchsten
Classe nicht glücklich sind: wer wird es dann seyn?
Doch gewiss die Künstler, Handwerker, und der
grosse Haufen gemeiner Professionisten noch viel
weniger.Diess sind also die Schwierigkeiten, welche sich
bey dem vom Sokrates entworfenen Plan einer
Staats-Verfassung vorfinden, und welchen leicht
noch andre nicht geringere beygefügt werden könnten.
Viertes Kapitel.
Kritik des Platonischen Werks von den Gesetzen.
Beynahe dieselben Einwürfe sind gegen die später
vom Plato geschriebenen Bücher von den Gesetzen
zu machen. Es wird nicht unnütz seyn,
wenn ich auch die in diesen geschilderte Staatsverfassung
einer kurzen Prüfung unterwerfe.Jn den Büchern der Republik hatte Sokrates
vieles ganz unbestimmt gelassen, oder er hatte vielmehr
nur in Absicht eines kleinen Theils der Bürger
seines Staats bestimmt, wie die Verbindung
der beyden Geschlechter, wie das Eigenthum und
wie die ganze Regierungsform angeordnet seyn sollte.
Da er die sämmtliche Anzahl aller Einwohner in
zwey Theile getheilt hatte, in die welche das Land
bauen, und in die welche die Waffen führen; und
aus den letztern wieder einen dritten Theil abgesondert
hatte, welcher eigentlich den hohen Rath
der Republik vorstellen, und das Heft derselben in
Händen haben sollte: hat er dem ohnerachtet in
Absicht der erstern Classe, der Ackerbauer und Handwerker,
fast keine politische Anordnungen gemacht.
Er sagt nicht, ob sie auch gewisse obrigkeitliche
Stellen oder gar keine sollen begleiten können, nicht,
ob es ihnen erlaubt sey Waffen zu besitzen, und
mit in Krieg zu ziehn, oder nicht. Dagegen sagt
Sokrates, was man weniger erwartete, dass auch
die Ehefrauen der Wächter mit ihren Männern
in Krieg ziehen, und das weibliche Geschlecht
in dieser Classe mit dem männlichen eine völlig gleiche
Erziehung bekommen solle. Einen grossen Theil
des Werks aber füllt er mit Untersuchungen aus,
die den Hauptgegenstand nichts angehn, und einen
andern mit Regeln für die Erziehung der Wächter.
Jn den Büchern von den Gesetzen ist der
grösste Theil mit eigentlichen Gesetzen angefüllt:
von der Verfassung aber, und dem, was eigentlich
zum Grundbau eines Staats gehört, kommt nur
wenig vor. Und ob er gleich die Absicht hat, den
in den Gesetzen gebildeten Staat mit den gemeinen
Begriffen übereinstimmender, und den wirklich
vorhandenen Begriffen ähnlicher zu machen,
als der in der Republik ist: so verfällt er doch
nach und nach wieder in dasselbe System. Denn
ausser der Gemeinschaft der Weiber und Güter, gibt
er beyden Staaten fast die nähmlichen Einrichtungen.
Die Erziehung der die Waffen führenden
Classe ist in beyden dieselbe; in beyden soll diese
Classe mit allen Nothwendigkeiten des Lebens versorgt
werden, ohne dass sie arbeiten dürfe. Auch
dass die Bürger derselben an öffentlichen Tischen zusammen speisen,
ist in beyden; nur dass in der Republik
Männer und Weiber unter einander an
denselben Tischen essen, — nach den Büchern
von den Gesetzen aber die Frauenzimmer ihre
abgesonderten Tischgesellschaften haben; und dass in
der ersten nur tausend, in der letztern Verfassung
fünftausend sind, welche die Waffen führen.Was nun das Speculative und Tiefforschende
in der Untersuchung, die Neuheit und das Frappirende
der Vorstellungen, die Annehmlichkeit in
der Darstellung der Jdeen, und die Ausarbeitung
in dem ganzen Vertrage betrifft: so sind diess Vollkommenheiten,
die allen Socratischen Gesprächen
des Plato, und auch diesen gemein sind. Aber in
dem Wesentlichen der Sachen sind beträchtliche Mängel.
Jndess wo ist die menschliche Schrift, in welcher
alles gleich vortrefflich wäre?1. Gleich nur den Punct betreffend, dessen ich
zuletzt erwähnte, hätte Socrates nicht vergessen
sollen, dass um fünftausend müssige Menschen, mit
Weibern, Kindern und wer weiss welchem Gefolge
von Hausgesinde zu ernähren, ein Territorium so
gross, wie das von der Stadt Babylon, oder irgend
eines, von gleichem ungeheurem Umfange nöthig
sey. Nun ist es zwar erlaubt, die günstigsten
Local-Umstände bey einem solchen Plane voraus
zu setzen: aber es müssen doch mögliche Voraussetzungen seyn.2. Es wird insgemein als Grundsatz angenommen,
dass ein Gesetzgeber bey Abfassung seiner Verordnungen
auf zwey Sachen sehen müsse: auf die
Beschaffenheit der Menschen, welche seinen Staat
ausmachen, und auf die Natur des Landes, wo
dieselben wohnen. Man sollte aber billig noch eine
dritte Rücksicht hinzusetzen, die auf die Beschaffenheit
der angrenzenden Länder und deren Einwohner
geht, eine Rücksicht, die in der That nothwendig
ist, wenn der Staat, welchem die Gesetze gegeben
werden, eine politische Dauer und Thätigkeit unter
andern Staaten bekommen soll. So ist z. B. nothwendig,
dass nicht bloss für diejenige Art der Waffen
und der Truppen gesorgt sey, welche im Gebiethe
des Staats selbst zu dessen Vertheidigung
brauchbar sind, sondern auch für die, welche zu
Führung des Krieges in auswärtigen Gegenden gehören.
Denn gesetzt, dass man auch wie Plato, weder
dem Privatmann noch dem ganzen Staate
den angreifenden Krieg gegen Fremde erlaubt: so
ist es doch auch zum Vertheidigungskriege nothwendig,
nicht nur innerhalb seines Landes, dem einfallenden
Feinde schaden, sondern ihn auch über die
Grenzen desselben verfolgen zu können.3. Ein andrer Punct der Platonischen Gesetze
verdiente eine Prüfung, ob sich nicht auf eine deutlichere
Weise und eben desswegen besser Hätte bestimmen
lassen, wie viel an Ländereyen und sonstigem
Vermögen jeder Bürger besitzen dürfe. Plato
sagt: so viel, dass er bey dem Gebrauch
desselben mässig und sittlich bleibe.
Warum sagt er nicht lieber, dass er bey dem Gebrauche
desselben glücklich lebe? Das Letzte umfasst
noch mehr das Ganze. Am richtigsten dünkt
mich, wäre es gewesen zu sagen, "so viel, dass
jeder Bürger dabey zugleich die Tugend
der Mässigung und die der Freygebigkeit
ausüben könne." Beydes gehört
zusammen; Hang zum Ausgeben ohne Einschränkung
der Begierden bringt leicht Uippigkeit
hervor; und eine Gnügsamkeit, die nicht zugleich einen
anständigen Aufwand macht, artet in Armseligkeit
und Schmutz aus. — Auch erschöpfen jene
beyden Tugenden alles, was in Absicht des Gebrauchs
des Vermögens vom Menschen gefordert
wird. Alle andere Tugenden, z. B. die, welche
die Leidenschaft des Zorns betreffen, finden dabey
keine Anwendung. Man kann sein Vermögen nicht
auf eine sanftmüthig oder muthvolle, —aber man
kann es auf eine freygebige und eine mässige Art
brauchen. Nach diesen beyden Stücken können also
auch die Schranken abgemessen werden, die man
dem Vermögen der Bürger setzen will.4. Auch das ist befremdend, dass, da Plato
das Vermögen der Bürger gleich haben will, er
doch wegen der Anzahl derselben keine Anstalten
macht, um sie in gewissen Schranken zu halten,
vielmehr es ganz ohne Einschränkung jedem Ehepaar
überlässt, so viel Kinder aufzuziehn, als es
ihm gut dünkt. Ohne Zweifel glaubte er, dass die
Zufälle, welche machen, dass mancher Bürger ganz
kinderlos bleibt, mit der grössern Fruchtbarkeit andrer
sich dergestalt die Waage halten würde, dass
im Ganzen ohngefähr dieselbe Anzahl bleibe, wie
wir diess jetzt in unsern Städten geschehen sehn. Er
bedachte aber nicht, dass bey den gewöhnlichen Verfassungen
der Staaten, eine solche Genauigkeit in
der Gleichheit der Anzahl der Familien nicht nöthig
ist, als bey der seinigen. Denn jetzt wird das Vermögen
der Aeltern in so viel Theile getheilt, als
Kinder sind: und keiner gehet also ganz leer aus.
Dort aber, da die Erbtheile der Familie unverändert
und ungetheilt bleiben sollen: müssen nothwendig
die überzähligen Kinder, es mögen ihrer nun
viele oder wenige seyn, nichts bekommen.Ja es scheint, wenn eines von beyden unbestimmt
bleiben sollte, dass die Bestimmung der
Anzahl der aufzuziehenden Kinder nothwendiger gewesen
wäre, als die Bestimmung in Absicht der
Grösse des Vermögens. Und zwar würde jene Anzahl
dann zu bestimmen gewesen seyn, nach Maassgebung
der Zufälle, welche mehr oder weniger Kinder
hinraffen, oder noch der Anzahl der Personen,
welche ganz Kinderlos bleiben. Aber es gänzlich
den Aeltern zu überlassen, wie viel Kinder sie aufziehn
wollen, wie jetzt in den meisten Republiken
geschiehet, würde in der Republik des Plato unfehlbar
viel Armuth unter die Bürger gebracht haben.
Und Armuth ist immer die grösste Versuchung
zu Verbrechen und zu Empörungen.Um desswillen ohne Zweifel glaubte Phidon der
Korinthier, einer der ältesten Gesetzgeber unter den
Griechen, dass die Anzahl der Bürger und der Familien
immer dieselbe bleiben müsse, selbst wenn das
Vermögen derselben vom Anfange an ungleich war.
Jn Plato's Büchern von den Gesetzen herrscht grade
der entgegengesetzte Grundsatz. Doch hievon, ob
das eine oder das andre besser sey, werde ich unten
zu reden Gelegenheit haben.5. Ferner ist in den Platonischen Gesetzen auch
das ausgelassen, wie und worin die, welche die
Regierung verwalten, vor denen Vorzüge haben
sollen, welche unter ihrer Regierung stehen. Er
erklärt sich darüber bloss durch eine Metapher: der
regierende Theil müsse sich zu dem regierten verhalten,
wie der Zettel im Weberstuhle zum Eintrage,
wovon jener von bessrer Wolle und dichter gesponnen seyn
muss, als dieser.6. Noch weiter: da er die Vermehrung des
übrigen beweglichen Vermögens bis auf das Fünffache
zulässt: warum erlaubt er nicht auch die Vermehrung
des Landeigenthums, wenigstens bis auf
einen gewissen Grad?7. Sollte die Eintheilung der jeder Familie
zugehörigen Ländereyen, in zwey von einander abgesonderte
Grundstücke mit eben so viel Vorwerken,
zur bessten Betreibung der Wirthschaft zuträglich
seyn? Es ist schwer, zwey Häuser zugleich zu
bewohnen, und an zwey Orten eine Oekonomie zu
führen.8. Die ganze Verfassung, die Plato diesem
seinem neuen Staate gibt, soll weder Demokratie
noch Oligarchie, sondern eine von beyden gemischte
seyn, die man Republik im engern Verstande nennen
kann.Wenn er diese Regierungsform als die den meisten
Städten angemessene, und also die in der Wirklichkeit
anwendbarste, in seinem Staate aufnimmt:
so hat er vielleicht Recht. Wenn er sie aber als
absolut die besste nach jener ersten in den Büchern
von der Republik entworfnen anpreist, so hat
er Unrecht. Denn sehr leicht könnte jemand die
Spartanische Staatsverfassung, oder irgend eine
andre, die noch mehr aristokratisch wäre, jener
Platonischen vorziehn.Einige behaupten, die besste Regierungsform
sey die, welche aus allen zusammengesetzt ist, und
diess mache eben den Vorzug der Lacedämonischen
aus: Jn dieser sey nähmlich Oligarchie, Monarchie
und Demokratie mit einander verbunden. Das
Monarchische derselben bestehe in den beyden Königen,
das Oligarchische in dem Senat, und das Demokratische
in dem Amte der Ephoren, weil die
Ephoren aus dem Volke genommen werden. Andre
hingegen sagen, der monarchische Theil der Regierung
sey in den Händen der Ephoren, die demokratische
Form aber liege in den gemeinschaftlichen
Mahlzeiten, und in der übrigen Lebensart, und dem
Umgange der Bürger mit einander.Jn den Büchern von den Gesetzen aber sagt
Plato an einem andern Orte, die besste Regierungsform
sey die, welche aus der despotischen und der
völlig demokratischen gemischt ist, welche beyde doch
entweder gar nicht einmahl regelmässige Verfassungen
zu nennen, oder die schlechteren unter allen sind.Ohne Zweifel kommen diejenigen der Wahrheit
näher, welche die Verbindung mehrerer verlangen,
und diejenige Regierungsform für die besste
halten, welche die meisten einfachen in sich vereinigt.Aber die eigne Republik des Plato sieht dem
von ihm angenommenen Jdeale nicht einmahl ähnlich.
Sie scheint nichts von der monarchischen Form
zu haben: sondern bloss oligarchisch und demokratisch
zn seyn. Mehr aber noch neigt sie sich zur Oligarchie.
Diess erhellt aus der Art, wie die obrigkeitlichen
Aemter besetzt werden. Denn dass man
zuerst eine gewisse Anzahl von Candidaten durch
Wahl, und aus diesen wieder die Person welche
das Amt bekommen soll, durchs Loos bestimmt:
ist beyden genannten Regierungsformen gemein.
Das aber, dass die Reichern gezwungen sind den
Volksversammlungen beyzuwohnen, öffentliche Aemter
anzunehmen, oder irgend sonst einen Theil an
den Staatsgeschäften zu nehmen; da es den Aermern
hingegen freygelassen ist, diess zu thun oder zu
unterlassen: — das ist ganz oligarchisch. Von gleicher
Art sind die Anhalten, wodurch die meisten
obrigkeitlichen Aemter in die Hände der vermögender
Bürger gespielt, und die wichtigsten mit den
Personen der höchsten Schatzung besetzt werden sollen. —
Auch die Wahl der Mitglieder des Staats
ist oligarchisch. — Es sind nähmlich vier Klassen
der Einwohner nach dem Vermögen gemacht. Aus
jeder werden 180 Personen durch Wahl, und aus
diesen die Hälfte durchs Loos zu Senatoren bestimmt.
Zu dem Wählen der Personen aus der ersten Klasse
der Reichsten, müssen alle und jede Bürger aus allen
Klassen in der Versammlung erscheinen, und von
Schuldigkeits wegen, ihre Stimmen geben. — Den
folgenden Tag werden eben so viele aus der zweyten
Klasse durch die Mehrheit der Stimmen gewählt:
und auch hier sind alle vier Klassen verbunden mit
zu stimmen. Wenn aber den dritten Tag die Candidaten
zum Senat aus der dritten Klasse gewählt
werden sollen: so sind nur die aus den drey ersten
oder reichsten Klassen gezwungen zu erscheinen, und
ihre Stimmen abzugeben. Wenn es endlich zur
Wahl aus der ärmsten oder vierten Classe kommt:
so sind nur die beyden obersten Classen die gesetzmässig
wählenden Personen, und von den zwey untern
kann dabey erscheinen oder wegbleiben, wer
Lust hat. Auf die Weise wird zwar aus jedem
Census eine gleiche Anzahl Personen in den Senat
kommen, aber doch werden wahrscheinlich die aus
den obersten und reichsten Classen gewählten die
Oberhand im Senat haben, weil nähmlich die vom
geringen Stande und Vermögen, da sie nicht nothwendig
allen Wahlen beywohnen und ihre Stimmen
dazu geben müssen, sich davon lossprechen — und
folglich die Wahlen nach dem Willen der Reichern
ausfallen werden.Dass demnach eine solche republikanische Verfassung,
(die ich im eigentlichen Verstande Stadt-Verfassung
πολιτέια nenne) nicht aus einer Mischung
von Monarchie und Demokratie bestehen kann,
ist aus dem Gesagten schon klar, und wird noch
mehr einleuchten, wenn ich weiter unten von der
wahren Beschaffenheit dieser Regierungsform handeln
werde.Was die Besetzung der obrigkeitlichen Civil-
und Militairämter betrifft: so ist die Art, welche
Plato vorschlägt, dass sie durch eine zweyfache Wahl
geschehen soll, der Freyheit gefährlich. Denn wenn
sich auch nur eine mässige Anzahl der Wählenden mit
einander versteht und zusammenhält, so können diese
immer nach ihrem Willen alle Aemter besetzen. —Diess sind meine Gedanken, über die in dem
Platonischen Werke von den Gesetzen geschilderte
Staatsverfassung.
Fünftes Kapitel.
Uiber das Jdeal des Phaleas.
Es gibt noch mehrere solche idealische Pläne zu
Staatsverfassungen, theils von Staatsmännern und
Philosophen, theils von blossen Privatpersonen entworfen.
Diese nähern sich alle den wirklich eingeführten
Verfassungen, nach welchen wir die Regierung
in unsern heutigen Staaten verwaltet seyn,
weit mehr, als die Platonische. Denn keiner der
vorgedachten Gesetzgeber hat weder eine allen gewohnten
Begriffen so entgegenstehende Einrichtung,
als die Gemeinschaft der Weiber ist, noch das Zusammengesellen
derselben mit den Männern an gemeinschaftlichen
und öffentlichen Mahlzeiten vorgeschlagen.
Alle fangen mit Bestimmung desjenigen
an, was zu dem Nothwendigsten gehört, und dessen
gute oder schlimme Anordnung ihnen von den
grössten Folgen zu seyn scheint, ich meine mit Bestimmung
des Eigenthums und des Vermögens der
Bürger. Uiber das Mein und Dein, sagen sie,
sind von jeher alle Empörungen, alle Factionen
entstanden.So dachte unter andern Phaleas der Chalcedonier,
und um desswillen ist diess der Gegenstand
seiner ersten Gesetze.Er will, dass das Vermögen der Bürger einander
gleich seyn soll. Diess, glaubt er, sey bey Errichtung eines
neuen Staats leicht zu erhalten. Schwerer sey
es, diese Gleichheit in den schon existirenden Staaten,
wenn sie fehlt, wieder herzustellen: doch sey
auch diess nicht unmöglich, wenn man in Absicht der
Mitgiften die Verordnung mache, dass die reichen
Familien sie ihren Töchtern mitgeben müssen, aber
keine bey Verheyrathung ihrer Söhne annehmen
dürfen, die Armen hingegen sie zu empfangen, aber
keine zu geben berechtigt sind.Platon, in den Büchern von den Gesetzen,
glaubt, dass er die Ungleichheit der Güter bis auf
einen gewissen Grad zulassen dürfe; aber er setzt,
wie ich auch schon oben gesagt habe, diese Grenze
fest: dass das Mobiliar-Vermögen der reichsten
Familie das Vermögen der ärmsten nicht um mehr
als das Fünffache übertreffen dürfe.Gesetzgeber, die eine solche Gleichheit des
Vermögens erhalten, oder der Ungleichheit Grenzen
setzen wollen; müssen ja nicht vergessen, dass
sie zugleich in Absicht der Fortpflanzung und des
Kinderzeugens Verordnungen zu machen haben.
Denn vervielfältigt sich die Anzahl der Bürger, ohne
dass Grund und Boden sich nach eben dem Maasse
vermehrt: so muss jene erste Vertheilung zerrüttet
werden; und überdiess muss eine Anzahl Bürger entstehen,
die gar kein Eigenthum haben: ein grosses
Uibel in einem Staate, — weil es sehr schwer zu
verhüthen ist, dass die verarmten Glieder desselben
nicht Neuerungen zu machen suchen, und die öffentliche
Ruhe stöhren.Diess, dass ein gewisser Grad der Gleichheit
in den Vermögens Umständen der Bürger, einen
grossen Einfluss auf ihre politische Einigkeit habe,
ist auch von einigen der alien Gesetzgeber Griechenlands
erkannt worden. So gibt es ein Gesetz des
Solon, (und ähnliche gibt es in mehrern Griechischen
Staaten,) nach welchem es nicht erlaubt ist,
neue Ländereyen nach Gefallen anzukaufen. Andre
Gesetze verbiethen hinwiederum, seine väterlichen
Erbgüter zu verkaufen. Bey den Lokrern
z. B. ist dieses nicht erlaubt, ausser wenn jemand
augenscheinliche und grosse Unglücksfälle anzuführen
hat, wodurch er zum Verkauf genöthigt wird. Eben
so befehlen die Lokrischen Gesetze, dass die alte Abtheilung
und Anzahl der Grundstücke unverändert
beybehalten werden solle. Dass dieses in Absicht
der Jnsel Leucas nicht beobachtet wurde, ist Ursache,
dass jetzt die Verfassung daselbst allzu democratisch
geworden ist. Denn nun war es nicht mehr möglich,
das zuvor bestimmte Maass des Land-Eigenthums,
das derjenige haben müsste, welcher Ansprüche
auf obrigkeitliche Aemter machen wollte, als
Regulativ beyzubehalten.Allein das Eigenthum könnte unter die Bürger
gleich vertheilt, und doch nicht zweckmässig eingerichtet
seyn. Es könnte überhaupt zu gross seyn,
und zu Schwelgerey Anlass geben, oder zu klein,
und also die Bedürfnisse nicht hinlänglich befriedigen.
— Nicht bloss Gleichheit also, sondern auch
ein mittleres Maass des Vermögens müsste der Gesetzgeber
zu veranstalten suchen, welcher in diesem
Punct die höchste Vollkommenheit zur Absicht hätte.Doch weder Gleichheit noch Mittelmässigkeit des
Vermögens kann allein von grossem Nutzen seyn. Weit
mehr kommt darauf an, dass die Leidenschaften der
Bürger in ein gewisses Ebenmass gebracht, und in gehörigen
Schranken erhalten werden: und diess ist nur
durch Erziehung der Bürger möglich, für welche
also der Gesezgeber mehr noch, als für die Abmessung
des Eigenthums zu sorgen hat.Diese Bemerkung, wird jemand vielleicht sagen,
trifft den Phaleas nicht. Er hat die Erziehung
nicht vergessen; er sagt ausdrücklich, dass in
zwey Puncten, in jedem Staat Gleichheit herrschen
sollte, im Vermögen und in der Erziehung.Aber es war nicht genug zu sagen, dass die
Erziehung aller Bürger eine und eben dieselbe
seyn müsste: die Hauptsache war, zu bestimmen,
wie sie seyn sollte. Es ist sehr wohl möglich, dass
alle Bürger auf gleiche Art erzogen werden, aber
vielleicht alle dazu, ihre Glückseligkeit in ausschliessenden
Vorzügen zu suchen, die sie über ihre Mitbürger
an Reichthum, Ehrenstellen oder an beyden
zugleich erlangen.Betrachtet man die Sache von einer andern
Seite: so ist selbst die innere Ruhe der Staaten
der Hauptendzweck, den man durch die Gleichheit
des Vermögens zu erhalten sucht, nicht von diesem
Umstande allein abhängig. Eben so viele Empörungen
und bürgerliche Streitigkeiten entstehen durch
den Unwillen, welchen die Ungleichheit der Ehrenstellen
und des Ranges, als durch den, welchen die
Ungleichheit des Vermögens veranlasst. Jener wirkt
nur auf andre Personen, und auf eine entgegengesetzte
Weise. Der grosse Haufe wird missvergnügt
und zum Aufruhre geneigt, wenn er sieht, dass andere
an Vermögen mehr haben als er: die an Geist
und Bildung vorzüglichern Personen sind unzufrieden,
dass diejenigen, welche an persönlichen Eigenschaften
unter ihnen sind, mit ihnen gleichen Antheil
an den Ehrenstellen der Republik haben. Das ist
die alte Klage, die wir schon im Homer finden:
"Gleicher Ehre geniesst bey dir der Edle und der
Gemeine."Noch weiter. Nicht die blossen Nothwendigkeiten
des Lebens sind es, um derentwillen ein
Mensch dem andern Unrecht thut; — (welchem Uibel
eigentlich durch die Gleichheit der Güter hat sollen
zuvorgekommen werden;) es ist nicht genug,
dass keiner durch Hunger oder Frost veranlasset wird,
dem andern in sein Haus zu brechen; auch um Vergnügen
zu haben, und eine Leidenschaft zu befriedigen,
kann ein Mensch zur Verletzung anderer gereitzt
werden. Der eine ist habsüchtig und begehrt
ein grösserer Eigenthum, als zu seinem Unterhalt
nöthig ist; der andre strebt bloss nach Lust und Befreyung
von unangenehmen Empfindungen. Beyde
werden die Mittel dazu auch durch Ungerechtigkeit
suchen.Welches sind nun die Vorkehrungsmittel, gegen
diese dreyfachen Quellen der Gewaltthätigkeiten?Die, welche der Mangel zu Verbrechen reitzt,
müssen durch einiges obwohl geringes Eigenthum,
und durch Arbeit davon abgehalten werden. Die
Habsüchtigen müssen durch Erziehung und Gewohnheit
zu einer gehörigen Mässigung zweckloser
Wünsche gebracht werden. Die aber, welche das
Vergnügen um des Vergnügens selbst willen suchen,
können nirgend anders ein Mittel gegen die daraus
entstehende Versuchung zum Bösen finden, als in
der Philosophie und in der richtigen Kenntniss von
dem Werthe der Dinge. Nur diese lehrt uns Güter
in uns selbst entdecken, die von andern Menschen
unabhängig sind, und uns auch daher in keinen Streit
mit diesen Menschen bringen.Die grössten Ungerechtigkeiten begehen die
Menschen immer um des Uiberflüssigen, nicht um
des Nothwendigen willen, nicht um zu haben, was
sie zu ihrem Unterhalte brauchen, sondern um mehr
zu haben, als andre. So hat z. B. niemand die
höchste Gewalt in einem freyen Staate unrechtmässiger
Weise an sich gerissen, (das grösste Verbrechen
das ein Bürger begehen kann), weil er sich
vor Frost oder Hunger dadurch schützen wollte. —
Um desswillen werden auch die, welche einen Tyrannen
umgebracht haben, in Republiken sehr verehrt,
diejenigen sehr wenig, welche einen Dieb getödtet
haben.Jene Massregeln des Phaleas also in seiner
Staatsverfassung, sind nur zu Verhütung der kleinen
Ungerechtigkeiten geschickt, indem sie nur diejenigen
Bewegungsgründe zu Verbrechen wegzuschaffen
suchen, die aus dem Mangel entstehen.Die meisten andern Anstalten und Einrichtungen
macht Phaleas, um die innere Regierung des
Staats, und das Betragen der Bürger gegen einander
in die besste Ordnung zu bringen. Aber ein
Staat muss auch in Absicht seines Verhältnisses
mit Auswärtigen und besonders mit seinen Nachbarn,
die gehörige Verfassung haben. Dazu gehört
vorzüglich, dass eine hinlängliche Macht zur
Vertheidigung des Staats vorhanden sey, und
diess ist nur durch militärische Anstalten und Uibungen
möglich. Von diesen schweigt Phaleas
gänzlich.Selbst bey denjenigen Anordnungen, welche
das Einkommen der Bürger und des Staates betreffen,
hat er diese Rücksicht ausgelassen. Diese
Einkünfte nähmlich müssen nicht bloss zu den innern
Bedürfnissen des Staats und der Einwohner in
friedlichen Zeiten zureichen, sondern sie müssen auch
den erstern in den Stand setzen, den Gefahren von
auswärtigen Feinden Trotz biethen zu können.Ein Staat muss weder so grosse Besitzungen
haben, dass er dadurch die Habsucht der Mächtigern
und seiner Nachbaren reitze, selbst aber sie zu
vertheidigen Mühe habe, noch so geringe, dass er
einen Krieg mit andern gleich mächtigen Staaten
nicht aufzuhalten im Stande sey. — Uiber alles
dieses hat Phaleas keine Bestimmung gegeben.Uiberhaupt kann es als ein Grundsatz angenommen
werden, dass es einem Staate nützlich ist,
wenn seine Bürger vermögend sind.Sollte hiebey eine Grenze festgesetzt werden;
so müsste es die schon angezeigte seyn. Einem Staate
ist es gut, nur so reich zu seyn, dass Mächtigere
keine Vortheile dabey finden, ihn bloss um seiner
Schätze willen zu bekriegen, wenn sie nicht andre
Bewegungsgründe dazu haben. So rieth Eubulus
dem Autophradates, da dieser die Stadt
Atarneus belagern wollte: er solle doch zuvor untersuchen,
wie lange Zeit er brauchen würde, um
Atarneus einzunehmen, und berechnen, wie viel ihm
diese Belagerung kosten müsste; er würde alsdann
vielleicht finden, dass er ganz Atarneus, wenn er
es nun hätte, um weniger wieder ablassen würde,
als er jetzt aufwendete, um die Stadt zu bekommen.
Diese Betrachtung brachte den Autophradates
zum Nachdenken, und bewog ihn die Belagerung
aufzugeben.Um noch einmahl auf die gleiche Vertheilung
des Vermögens unter die Bürger zurückzukommen:
so ist dieselbe zwar eines von den Mitteln, Aufruhr
und bürgerliche Zwistigkeiten zu verhüten. Aber
es ist doch dazu noch lange nicht zureichend. Denn
erstlich könnten ja eben über jene Gleichheit die Bürger
aus den edlern Familien unwillig werden, weil
sie glaubten, dass ihnen, als den bessern, auch ein
grösseres Eigenthum gebühre. Und daher sehn wir
auch, dass Aufruhr und Empörungen eben so oft
von dieser bessern Classe als von dem grossen Haufen
ihren Anfang nehmen. Uiberdiess bleibt immer
noch das böse Herz des Menschen, und die Unersättlichkeit
seiner Begierden zum Saamen von Streitigkeiten
übrig. Der, welcher nichts hat, glaube
sich zufrieden gestellt, wenn er nur zu dem Besitz
von zwey Obolen gelangte. Wenn ihm diess schon
als väterliches Erbgut zugefallen ist, so will er
mehr dazu erwerben: und so geht es zu immer grössern
und grössern Summen bis ins Unendliche fort. Das
ist die Natur der Begierde, besonders der Habsucht,
dass sie keine Grenzen kennt. Und doch kennen
die meisten Menschen keinen andern Endzweck
ihres Lebens, als die Befriedigung dieser Begierde.Die Hauptsache, worauf es hierbey ankommt,
ist nicht sowohl, das Vermögen eines Bürgers dem
Vermögen jedes andern gleich zu machen, als vielmehr, —
erstlich die bessere Classe der Bürger durch
Vernunft dahin zu bringen, dass sie nicht sich durch
andrer Verlust bereichern wollen, — den gemeinen
Haufen aber in den Zustand zu versetzen, dass
er diess nicht thun kann; welches letzte geschieht,
wenn er immer in einer gewissen Schwäche erhalten, —
und nie zuerst beleidigt wird.Aber auch selbst über diesen Punct, worauf
Phaleas so sehr besteht, die Gleichheit des Vermögens,
thut er der Sache nicht völliges Gnüge.
Denn nur den Besitz der liegenden Gründe macht er
gleich. Aber es gibt ja auch einen Reichthum, der
in Sklaven, Vieh, barem Gelde und allem dem, was
man Mobiliar-Vermögen nennt, besteht. Entweder
muss also auch in allen diesen Eigenthumsstücken
Gleichheit herrschen, wenigstens eine gewisse
Grenze in Absicht derselben festgesetzt werden: oder
man muss den ganzen Reichthum der Bürger dem
Zufall überlassen.Nach der Gesetzgebung des Phaleas, wird sein
Staat sehr klein werden müssen, da er alle, welche
Künste und Handwerke treiben, als Sklaven des
gemeinen Wesens angesehen haben will, und sie
von dem Bürgerrechte ausschliesst. Wenn aber die,
welche für das gemeine Wesen eine körperliche Arbeit
thun, als dem gemeinen Wesen zugehörig,
nicht als Glieder derselben angesehn werden sollen:
so muss die Einrichtung so seyn, wie sie in Epidamnus
war, und wie sie Diophantes vor Zeiten
in Athen durchgesetzt hatte.Aus dem Wenigen, was ich hier über des Phaleas
politische Einrichtungen gesagt habe, wird der
Leser schon einigermassen beurtheilen können, was
in dem Werke desselben lobens- oder tadelswürdig
sey.
Sechstes Kapitel.
Uiber den Plan des Hippodamus.
Hippodamus, Euryphons Sohn, der Milesier,
ist der erste, welcher, ohne selbst an Staats-Geschäften
Theil genommen zu haben, einen Plan zu
einer vollkommenen Staats-Verfassung und Gesetzgebung
in Schriften zu entwerfen versucht hat. Dieser
Hippodamus ist dadurch merkwürdig, dass er
die regelmässige Abtheilung der Städte in gewisse
Quartiere erfunden, und dass er den Hafen Piräus
tiefer ausgegraben hat. Man schildert ihn,
als einen etwas ehrgeizigen Mann, der in seiner
ganzen Lebensart sich durch einen feinern Anstand
auszeichnen wollte, der seinen schönen Haar Wuchs
sorgfältig pflegte, viel auf den Putz wandte, auch
im Sommer warme Kleider trug, und eben desswegen
von einigen als ein üppiger und weichlicher
Mann getadelt wurde, übrigens in allen Theilen
der Wissenschaften erfahren seyn wollte.Seine Republik nimmt er aus zehntausend Mann
bestehend an. Diese theilt er in drey Theile, den
einen, der Künste und Handwerke treibt, einen zweyten,
welcher den Acker baut, den dritten, welcher
die Waffen in Händen hat, und für die übrigen zu
Felde zieht.Eben so theilt er auch das ganze Territorium
des Staats in drey Theile; wovon er einen das
geheiligte, einen andern das gemeine, den
dritten das Privatgut nennt. Die geheiligten
Ländereyen sind die, von deren Ertrage die
Kosten des Gottesdienstes bestritten werden. Die
Gemeinde-Ländereyen sind die, von welchen
die Krieger ernährt werden; diejenigen von
welchen die Anbauer des Landes selbst leben, machen
das Privatgut aus.So, glaubte er auch, müsse man drey Gattungen
von Gesetzen annehmen; weil es vornehmlich
drey Sachen gebe, wodurch Streitigkeiten veranlasst
werden, und über welche Gericht gehalten
wird, Beschimpfung, Entwendung des Eigenthums
und Verletzung des Körpers und des Lebens.Er verordnete ferner Ein gemeinschaftliches
höchstes Tribunal, vor welches alle
bürgerlichen und Criminal-Processe in letzter Jnstanz
gebracht werden sollten. Die Beysitzer davon
sollten aus der bejahrtesten Classe der Bürger durch
Wahl bestimmt werden.Um in Processen einen Urtheilsspruch zu Stande
zu bringen, sollten die Richter nicht, wie es
jetzt in den meisten Orten geschieht, ihre Stimme
bloss zur gänzlichen Abweisung des Klägers oder
zur gänzlichen Anerkennung seiner Forderung, durch
gewisse stumme Zeichen, z. B. durch schwarze und
weise Steine geben können. Sondern jeder Richter
soll ein Täfelchen haben, welches er leer lässt,
wenn er den Angeklagten durchaus losspricht, auf
welches er die Sentenz schreibt, wenn er ihn durchaus
verurtheilt, auf welchen er endlich, wenn er
ihn zum Theil schuldig zum Theil unschuldig findet,
seine Meinung bestimmt angibt. Denn, so wie jetzt
die Verfassung der Gerichtshöfe sey, glaubte er, würden
die Richter oft gezwungen, meineidig zu sey,
indem sie nur entweder den Angeklagten zum Ganzen
verurtheilen oder ganz lossprechen könnten, da
sie doch oft nach ihrer innern Uiberzeugung ihn nur
zu einem Theile des Geforderten verbunden, oder
nur eines Theils der ihm aufgebürdeten Schuld
theilhaftig finden.Es gibt ein andres Gesetz, dass die, welche
eine dem gemeinen Wesen nützliche Neuerung erfinden
und in Vorschlag bringen, durch gewisse Zeichen
der Ehre vom Staate belohnt werden sollen;
ferner, dass die Kinder derer, welche im Kriege,
fechtend für ihr Vaterland, bleiben, auf öffentliche
Kosten unterhalten werden sollen.Hippodamus irret, wenn er glaubt, dass diess
letztere Gesetz von ihm zuerst gegeben worden: in
Athen ist eines dergleichen gewiss, und so noch in
mehrern andern Städten.Alle obrigkeitlichen Personen sollten von dem
gesammten Volk gewählt werden. Unter dem gesammten
Volke aber versteht er alle drey obigen
Klassen in einer Versammlung vereiniget; — Diesen
erwählten Magistrats-Personen liegt zugleich
die Administration von drey Gütern ob; — von
denen, die dem gemeinen Wesen, von denen, die
Fremden, und von denen, die Waisen zugehören.Diess sind die meisten und wichtigsten Puncte
der hippodamischen Verordnungen.Unter diesen wäre nun zuerst zu bezweifeln, ob
die Eintheilung des ganzen Volks richtig gemacht
sey: Nähmlich nach ihm sind die Handwerker,
die Landbauer, und die Krieger, alle drey Bürger
des Staats mit gleichen Rechten.Demohnerachtet haben die, welche den Acker
bauen, keine Waffen, die Handwerker weder Land
noch Waffen. Jn dieser Lage aber ist es fast unvermeidlich,
dass sie für nicht viel besser als Sklaven
derer, welche die Waffen führen, geachtet
werden.Unmöglich können diese untern Klassen an den
Ehrenstellen der Republik Theil nehmen. Denn
erstlich die Feldherrn müssen nothwendig aus denen
ernannt werden, welche Waffen haben, und im
Gebrauch derselben geübt werden; auch die Vorsteher
der Policey, und die, welche für die innere
Sicherheit wachen, kurz die höchsten und wichtigsten
Aemter können nur mit Personen dieses Standes
besetzt werden.Wenn nun aber die beyden untern Stände an
den Vorzügen und Vortheilen des gemeinen Wesens
gar keinen Antheil haben, wie werden sie dann
gegen dasselbe gut gesinnt seyn können.Um also Empörung und Zerrüttung des Staats
zu vermeiden, müssen die, welche die Waffen allein
zu führen das Recht haben, auch in allen andern
Rücksichten, die stärkern seyn.Wie können sie aber diess seyn, wenn sie nicht
die grössre Anzahl ausmachen?Machen sie aber die grössre Zahl aus, was
haben sie überhaupt jener andern Klassen nöthig?
Oder warum geben sie diesen gleiche Bürgerrechte
und Antheil an der Ernennung der obrigkeitlichen
Personen?Ferner, worin sind die, welche auf dem Lande
leben und dasselbe bauen, der Stadt nützlich, oder
wie hängen sie mit derselben zusammen? Künstler
und Handwerker müssen seyn. Keine Stadt und
keine Klasse der Bürger kann derselben entbehren.
Und sie können auch, wie wir es in allen unsern
Städten sehen, von dem Lohne ihrer Arbeit bestehn.
Wären jene Ackerbauer eben so wie die Handwerker
nur eine für andre arbeitende und dafür besoldete
Klasse; wären sie bloss bestimmt, für die Waffenführenden
die Lebensmittel zu produciren, so
würden sie mit Recht für einen nothwendigen Bestandtheil
der Stadt angesehen. Aber da sie ihren
eignen Acker haben, und von ihrem eignen Acker
leben: so machen sie gleichsam einen Staat im
Staate aus.Und wer baut denn die Gemein-Gründe an,
von deren Ertrage die militärische Bürger-Klasse
ihren Unterhalt zieht? Thun es diese streitbaren Männer
selbst? Worin und warum sind sie alsdann
von den Landbauern unterschieden, wie doch der
Gesetzgeber verlangt.Werden hingegen jene dem gemeinen Wesen
zuständigen Ländereyen von noch andern Leuten angebaut,
die weder zu den eigentlichen Ackerleuten,
noch zu den Bewaffneten gehören: so
entsteht ja eine vierte Classe von Einwohnern, die
gar nicht zu den Bürgern gerechnet werden, dem
Staat: folglich fremd und so gut als feind sind.Sollen aber endlich diejenigen, welche ihre
eignen Ländereyen für sich anbauen, zugleich die
Verpflichtung auf sich haben, die öffentlichen zu
bewirthschaften: so wird erstlich jeder Hausvater
unter denselben gleichsam zwey Familien zu erhalten,
für zwey Ernten zu sorgen haben. Fürs
andre, was war es alsdann nöthig, erst die öffentlichen
und Privat-Ländereyen von einander abzusondern,
und nicht lieber alle insgesammt der
Bauern-Klasse zu übergeben, mit dem Bedinge,
dass sie davon ausser ihrem eignen Unterhalt, auch
die Lebens-Bedürfnisse für die beschützende Klasse
herbeyschaffen sollen.Auch das Gesetz in Absicht der Gerichte und
der Urtheilsprüche scheint mir nicht das besste.
Es will, dass, obgleich die Frage, welche dem
Richter zu entscheiden vorgelegt wird, so abgefasst
ist, dass nur ja und nein darauf zu antworten
ist, er doch einen mittlern Weg einschlagen, und
was einfach ist, theilen könne. Aber alsdenn ist
er nicht mehr Richter, sondern Schiedsmann, und
sein Urtheilsspruch artet in einen Vergleich aus.
Das, was Hippodamus verlangt, geschieht nähmlich
gemeiniglich alsdenn, wenn Parteyen sich freywillig
vereinigen, die Entscheidung ihres Streits
auf den Ausspruch gewisser Personen ankommen
zu lassen. Solche erbethene Schiedsrichter unterreden
sich mit einander, um zu finden, was beyden
Theilen billig sey. Nicht so die gesetzlichen
Richter. Diese dürfen über nichts weiter urtheilen,
als was ihnen vorgelegt ist: daher es ihnen
auch von den meisten Gesetzgebern verbothen ist,
sich mit einander über die Sentenz, welche sie fällen
wollen, zu berathschlagen.Ferner, kann etwas anders als Verwirrung
und Ungewissheit in den Urtheilssprüchen entstehen, wenn
jeder Richter über die ganze Natur der Sache,
und nicht präcise über die vorgelegte Frage
urtheilt? Der eine Richter glaubt vielleicht, dass
der Beklagte schuldig sey, aber nicht so viel als
der Kläger behauptet. Dieser hat z. B, 20 Minen
eingeklagt, und der Richter urtheilt, dass der
Beklagte 10 Minen zu bezahlen habe. Ein andrer
von den Richtern findet vielleicht die Schuld nur
von 5 Minen, ein dritter von 4. Diese werden
also zwischen Klägern und Beklagten theilen wollen.
Andre werden hingegen vielleicht dem ersten
alles zusprechen, noch andre ihm nichts zugestehn.
Wie wird nun alsdann eine Mehrheit der Stimmen
erhalten werden?Uiberdiess, wenn die Formel der Klage gehörig
abgefasst ist: so ist der Richter, welcher absolut
und ohne Einschränkung den Angeklagten losspricht
oder verdammt, in keiner Gefahr eines Meineids.
Denn wenn z. B. der Kläger 20 Minen
eingeklagt hat: so urtheilt der Richter, welcher
den Beklagten losspricht, nicht, dass dieser nichts,
sondern nur dass er nicht 20 Minen schuldig sey.
Aber eher schwört derjenige falsch, welcher den Beklagten
zu irgend einer Summe verurtheilt, da er
doch glaubt, dass dieser die bestimmt geforderten
20 Minen nicht schuldig sey.Was dasjenige Gesetz betrifft, welches denen,
die eine dem Staat nützliche Sache ausfindig machen
und in Gang bringen, eine Ehrenbelohnung
zuerkennt, so hat dasselbe zwar einen blendenden
Schein, aber es ist doch noch die Frage, ob es
nützlich sey, und ob es nicht vielmehr dem Staate
gefährlich werden könne. Es kann nähmlich zu allerhand
Schikanen und solchen Neuerungen Anlass
geben, welche die Verfassung selbst zerrütten. Es
schlägt diess in die Untersuchung einer andern Frage
ein: "ob es mehr nützlich oder schädlich für die
Staaten ist, wenn die durch Alterthum und Herkommen
geheiligten Gesetze mit andern, die zweckmässiger
scheinen, vertauscht werden?" Wäre es
überhaupt schädlich, an alten Gesetzen und Einrichtungen
in einem Staate etwas zu ändern; so würde
auch jene Verordnung des Hippodamus nicht
zu billigen seyn. Es wäre nähmlich wohl möglich,
dass jemand, unter dem Vorwande, das allgemeine
Besste zu befördern, die ganze Staatsverfassung
über den Haufen würfe, und die Gesetze vernichtete.Da ich diesen streitigen Punct einmahl berührt
habe: so sey es mir erlaubt, darüber noch einige
Betrachtungen hinzuzusetzen,Es sind, wie ich gesagt habe, Gründe auf
beyden Seiten vorhanden. Auf der einen scheint
es nothwendig, dass dasjenige verändert werden
dürfe, was vollkommen werden soll. Bey allen
andern Wissenschaften hat die Erfahrung diess wirklich
gelehrt. Die Arzeneykunst, die Gymnastik, alle
andern Künste und Geschicklichkeiten der Menschen
haben nur dadurch Fortschritte gemacht, dass
sie sich erlaubt haben, von der Tradizion und der
väterlichen Weise abzugehn, indem sie nützliche
Neuerungen aufgenommen haben. Nun ist ja die
Staats-Verwaltung auch eine Wissenschaft: warum
sollte denn also von dieser nicht zulässig seyn,
was sich bey allen andern erprobt findet? Und redet
nicht auch hier die Erfahrung zum Vortheile
der Sache? Wer leugnet wohl, dass es gut ist, dass
die ganz alten Gesetze der Griechischen Staaten,
die noch alle Merkmahle der Rohigkeit und
Barbarey unsrer Vorfahren an sich hatten, abgeschafft
worden sind? Wünschten wir wohl noch in
den Zeiten zu leben, wo die Griechen immer mit
Dolchen bewaffnet gingen, und wo sie die Weiber
kauften? Was noch von jenen uralten Gesetzen hin
und wieder übrig ist, zeichnet sich durch einfältige
und oft ungereimte Verfügungen aus. So gilt
z. B. noch jetzt zu Cumä folgendes Gesetz wegen
des Mordes. "Wenn der, welcher einen Andern
des Mordes anklagt, eine hinlängliche Anzahl seiner
eignen Verwandten zu Zeugen stellen kann: so
soll der Beklagte für schuldig gehalten werden."Jn allen Dingen ohne Ausnahme suchen ja
die Menschen nicht das Alte, sondern das Gute.
Mögen nun die ersten Einwohner der Länder,
wie die Fabel sagt, aus der Erde hervorgewachsen,
oder mögen sie von einer grossen Natur-Revolution,
welche das vorige Menschengeschlecht zerstört
hat, übrig geblieben seyn: immer waren diese
Urbewohner nicht ausgewählte Muster der Weisheit,
sondern Menschen wie sie der Zufall gab.
Vielleicht Thoren und Bösewichter, wie die Fabel
jene Kinder der Erde wirklich beschreibt. Warum
sollten wir uns also ewig an ihre Meinungen und
Einrichtungen binden?Vielleicht sagt man aber: nicht von jenen uralten
mündlichen Tradizionen, sondern von den
geschriebenen Gesetzen sey die Rede, wenn man behauptet,
dass Gesetze nicht verändert werden dürfen.
Aber kann denn in schriftlich verfassten Regeln,
für irgend eine Kunst, also auch für die Regierung
alles zum voraus genau und auf immer
bestimmt werden? Alle solche Vorschriften sind immer
nur allgemeine Sätze. Die Vorfälle und die
Handlungen der Menschen sind individuell. — Aus
allen diesen Gründen scheint zu folgen, dass eine
Aenderung alter Gesetze, bey gewissen Mängeln
derselben und unter gewissen Umständen erlaubt seyn
müsse.Gebt man von einem andern Gesichtspuncte
aus, so findet man hinwiederum Bedenklichkeiten
dabey, die wenigstens grosse Vorsicht nöthig machen.
Denn wenn von der einen Seite die Verbesserung,
welche durch die Aenderung erhalten
wird, nicht gross ist, auf der andern Seite der
Schaden daraus entsteht, dass man sich gewöhnt,
die Gesetze nicht mehr für so heilig und unverletzlich
als ehedem anzusehen: so ist klar, dass der
Nachtheil den Nutzen überwiegt, und dass man
also Fehler dieser Art, sie mögen nun in den Gesetzen
selbst, oder in den Gewohnheiten der Administratoren
liegen, lieber muss fortdauern lassen.
Der Staat, welcher dieselben abschaffen will, gewinnt
nicht so viel durch die Verbesserung als er
verliert, wenn seine Bürger sich gewöhnen, ihre
Obrigkeiten oder ihre Gesetze mit weniger Ehrfurcht
anzusehen.Die Vergleichung zwischen den Künsten und
den Gesetzen in Absicht des Nutzens der Neuerungen
ist auch nicht passend. Die Regeln der Kunst
erhalten ihr Ansehn durch ihre unmittelbar wahrgenommene
Zweckmässigkeit. Die Gesetze hingegen haben
keine andre Kraft, die Bürger zum Gehorsam
zu bewegen, als die sie von der Gewohnheit des
Gehorchens bekommen. Gewohnheit aber kann nur
durch die Länge der Zeit entstehn. Das öftere Umändern
also der bisher bestehenden Gesetze schwächt,
indem es jene Gewohnheit unterbricht, das Ansehn
der Gesetze selbst.Wenn es aber auch entschieden wäre, dass Aenderungen
der Gesetze zulässig und nothwendig sind:
so bleibt doch noch zu untersuchen übrig: ob das
ganze System der Gesetzgebung oder nur einzelne
Theile derselben umgeändert werden dürfen; ob es
in allen Regierungsformen oder nur in einigen erlaubt
sey; ob der Vorschlag zu neuen Gesetzen jedem
Bürger zustehe, oder nur gewissen Personen
aufgetragen werden müsse; und welchen? Alles diess
kann auf sehr verschiedne Art beantwortet werden.
Die Untersuchung davon aber gehört für einen andern
Ort, und muss billig hier bey Seite gesetzt
werden.
Siebentes Kapitel.
Die Lacedämonische Verfassung.
Uiber die Lacedämonische, so wie über die Cretensische, —
und überhaupt über die meisten Regiments-Verfassungen
kann man hauptsächlich zwey
Fragen aufwerfen: die eine, ob die Einrichtungen, die
sich in denselben finden, an sich gut sind, und
mit dem Jdeal eines vollkommnen Staatsgebäudes
übereinstimmen, die andre, ob sie zweckmässig sind, und
dem Geiste der besondern Verfassung, welche
der Gesetzgeber hat errichten wollen, entsprechen?Dass nun in einem Staate, der durch seine
Verfassung und Verwaltung glücklich werden soll, vor
allen Dingen der Sorge für die Nothwendigkeiten
des Lebens abgeholfen seyn muss, ist eine
durchgängig ausgemachte Sache. Aber wie ein Staat
von dieser Sorge zu befreyen sey, ist eine nicht so
leichte Frage. Die Methode, deren sich die Thessalier,
und gleich ihnen auch die Lacedämonier bedienten,
ihre Ländereien von einem unterjochten
Volk, das sie als Sklaven behandelten, beurbaren
zu lassen (welche Leibeigne bey den erstern Penesten,
bey den zweyten Heloten heissen), ist
im Grunde eine gefährliche Methode. Solche leibeigne
Bauern sind als Feinde anzusehen, die nur
auf Unglücksfälle des sie beherrschenden Staates
lauren, um alsdann über denselben herzufallen. Jn
der That sind die Thessalier von den Penesten oft
mit gewaffneter Hand angegriffen worden. Den
Cretensern ist nie etwas Aehnliches wiederfahren.
Vielleicht war die Ursache, dass, obgleich die verschiedenen
Städte auf dieser Jnsel (die eben so
viele Staaten ausmachten), in beständigen Kriegen
mit einander verwickelt waren: doch keine es ihrem
Vortheile gemäss fand, sich mit den leibeignen Bauern
der andern in ein Bündniss einzulassen, weil
jede selbst mit solchen Sklaven ihr Gebieth anbaute.
Die Lacedämonier hingegen hatten alle ihre
Nachbarn, die Argiver, Messenier und Arkader, —zu
Feinden, Völker, welche in diesem Puncte nicht
mit ihnen in gleicher Lage waren. Eben so wurde
in ältern Zeiten der Abfall der Land-Sklaven von
den Thessalischen Staaten durch diejenigen Kriege
veranlasst, welche die letztern damahls noch mit
auswärtigen Völkerschaften, den Achäern, Perrhäbern
und Magnesiern führten.Wenn auch aus dieser Einrichtung (dass ein
Staat seine Ländereyen durch seine unterjochten und
in Sklavenstand versetzten Nachbarn anbauen lässt), kein
anderes Uibel entsteht: so bleibt doch bey derselben
immer die Schwierigkeit gross, auf welche
Art diese leibeignen Einwohner des platten Landes
behandelt werden sollen. Verfährt man gegen sie
gelinde: so werden sie leicht übermüthig, und verlangen
alsdann gleiche Rechte mit ihren Herrn.
Werden sie strenge und hart gehalten: so fassen sie
gegen ihre Gebiether einen tödtlichen Groll, und
sind immer bereit diese anzufallen. Republiken,
welchen dieses von ihren Landsklaven wiederfährt,
haben gewiss nicht die bessre Methode gewählt, ihre
Aecker anbauen zu lassen.Ein zweyter Punct in der Lacedämonischen Gesetzgebung,
die grosse Nachsicht, die in derselben
gegen die Weiber und deren Aufführung herrscht,
ist sowohl dem Plan des Gesetzgebers zuwider, als
an sich der Glückseligkeit des Staats schädlich.
Denn so wie von der häuslichen Gesellschaft der
Mann und die Frau die beyden Hauptglieder sind:
so muss man auch die bürgerliche Gesellschaft als
zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht
beynahe halb getheilt ansehen. Diejenigen Staaten
also, in welchen die Sitten und das Betragen
der Weiber schlecht sind, können, ihrer einen Hälfte
nach, für gesetzlos gehalten werden. Und diess ist
in Lacedämon wirklich der Fall. Der Gesetzgeber,
welcher ohne Zweifel seinen ganzen Staate die
Tugend der Enthaltsamkeit und der Selbstbeherrschung
einpflanzen wollte, hat in Absicht der Männer
augenscheinlich sehr viel dazu gethan; aber die
weiblichen Sitten hat er unbegreiflicher Weise ganz
aus der Acht gelassen. Dieses Geschlecht lebt daher
auch in Lacedämon in aller Art der Ausgelassenheit
und Schwelgerey. Jn einem solchen Staate
muss der Reichthum nothwendig sehr geschätzt werden,
vorzüglich, wenn die Männer sich daselbst von
ihren Weibern beherrschen lassen. Ein Umland, der
in Lacedämon wirklich vorhanden ist, und der sich
bey vielen kriegerischen und streitbaren Nazionen
findet. Nur die Celten sind davon auszunehmen,
und einige andre Nazionen, bey welchen der Hang
zur unnatürlichen Wollust die Achtung der Männer
gegen die Frauenzimmer vermindert hat. Nicht ohne
Grund ist in der Fabel die Venus mit dem Mars
vermählt worden. Alle martialischen Männer scheinen
diese Triebe, es sey gegen ihr eignes Geschlecht,
es sey gegen das andre, viel stärker zu fühlen. —
Das letztre ist demnach auch bey den Lacedämoniern:
und daraus entsteht, dass die Weiber in grosser
Achtung bey ihnen stehn, und auf die Staatsangelegenheiten
und die Regierung sehr vielen Einfluss
haben. Denn das ist einerley, ob die Weiber
selbst am Ruder sind, oder ob sie über diejenigen
herrschen, welche das Ruder führen. Jn beyden
Fällen gehn die Sachen nach ihrem Willen.Da aber die Kühnheit und ein gewisses dreistes,
ausgelassenes Wesen, ob es gleich im gesellschaftlichen
Leben und im täglichen Umgange mit ruhigen
Mitbürgern sehr lästige Eigenschaften sind,
doch im Kriege scheint nützlich seyn zu können: so
sind gleichwohl die Lacedämonischen Weiber, auch
in dieser Absicht, durch jene Eigenschaften dem
Staate äusserst schädlich geworden. Diess hat sich
vornehmlich bey dem Einfalle der Thebaner in das
Lacedämonische Gebieth, nach dem Siege von Mantinea
gezeigt. Die Spartanerinnen waren, als die
Gefahr nahe kam, zu nichts zu brauchen, wozu die
Weiber in andern Städten in gleichem Falle nützlich
sind: sondern sie vermehrten nur durch ihr Geschrey
und ihren Ungestüm das allgemeine Schrecken, und
verursachten eine grössere Unordnung, als die Feinde
selbst.Jn den ersten Zeiten des Lacedämonischen Staates
waren vieleicht Ursachen vorhanden, warum sie
ihren Weibern mehr freyen Willen lassen mussten.
Die Männer waren, wegen der beständigen Kriege,
die sie bald mit den Argivern, bald mit den Arkadiern
und den Messeniern führten, oft von Hause
abwesend. Waren sie aber in Ruhe, so liessen
sie sich, der strengen Disciplin auf ihren Feldzügen
gewohnt (denn das militärische Leben ist eine Schule
für viele Tugenden), von dem Gesetzgeber leicht
unter das Joch seiner Regeln beugen.Man sagt, Lykurgus habe zwar anfangs auch
die Weiber aller Strenge seiner Gesetzgebung unterwerfen
wollen. Da er aber zu harten Widerstand
bey ihnen gefunden habe, sey er davon abgestanden.
— Diejenigen Ursachen also, welche auf die
ganzen Handlungen des Lykurgus in jenem Zeitpuncte
Einfluss hatten, haben auch den jetzt angezeigten
Fehler in seiner Gesetzgebung hervorgebracht.Doch es ist nicht davon die Rede, ob Lykurgus
wegen dieser oder jener seiner Einrichtungen
entschuldiget werden könne, sondern ob sie gut seyn.Diese Mangelhaftigkeit der Spartanischen Gesetzgebung
in Regulirung der weiblichen Sitten,
hat, wie ich schon angemerkt habe, nicht nur eine
gewisse Zügellosigkeit und viel Unanständiges in dem
Betragen der Weiber selbst hervorgebracht, sondern
sie hat auch dazu beygetragen, die Liebe zum Gelde
unter beyden Geschlechtern zu verbreiten, die
schon aus andern Ursachen entstand.Diese Ursachen liegen in der grossen Ungleichheit
des Vermögens: gegen welchen Umstand der
Lacedämonischen Verfassung meine zweyte Erinnerung
gerichtet ist. — Es gibt unter den Bürgern
einige, die sehr weitläuftige Güter und Reichthümer
besitzen, andre, die so gut als gar nichts haben:
Besonders sind die Ländereyen in die Hände
sehr weniger gekommen. Dieses Uibel ist eine Folge
von Fehlern, welche sich in den Gesetzen des
Lykurgus finden. Denn auf der einen Seite hat er
eine Unehre damit verknüpft, wenn man sein väterliches
Erbgut verkauft, — und diess mit gutem
Grunde; —auf der andern hat er es einem jeden
freygelassen, das Seinige wegzuschenken oder zu vermachen,
an wen es ihm gut dünkt. Aber auf diese
Weise entstehen ja die nähmlichen Folgen, welche
durch jene erste Verordnung verhüthet werden
sollten.Ferner sind von dem sämmtlichen Gebiethe der
Republik beynahe zwey Fünftheile in weibchlichen
Händen, —welches theils von den grossen Leibgedingen
hergekommen ist, welche die Männer ihren
Weibern auszusetzen pflegen, die der Gesetzgeber
ganz hätte abschaffen, oder doch sehr einschränken
sollen, theils daher, dass in so vielen Familien der
männliche Stamm erloschen und das ganze Familien-Gut
an Töchter gefallen ist. Den Erbtöchtern
aber erlaubt das Gesetz, ihr Vermögen zu vermachen,
an wen sie wollen. Und stirbt eine ohne Testament,
so hat selbst ihr Jutestat-Erbe eben das
Recht, darüber nach freyem Wohlgefallen zu verfügen.Daher ist es gekommen, dass, obgleich das
Territorium fünfzehnhundert Reuter und dreyssigtausend
Mann schwerer Jnfanterie zu stellen und
zu nähren im Stande ist, doch nie mehr als tausend
Bürger auf eigne Kosten haben ins Feld ziehen
können. Wie fehlerhaft dieser Theil ihrer Gesetzgebung
sey, zeigt sich deutlich aus der Geschichte
der Republik selbst. Ein einziger Streich schlug sie
gänzlich zu Boden, weil sie, wegen der geringen
Anzahl von Bürgern, den Verlust, den sie an
Mannschaft gelitten hatte, nicht wieder ersetzen
konnte.Man sagt, dass unter ihren ältern Königen
die Lacedämonier das Bürgerrecht auch Fremden ertheilt
hätten, um, bey ihren vielfältigen und langen
Kriegen, eine zu grosse Verminderung der Staatsglieder
zu verhüthen; und damahls, setzt man hinzu,
sey die Anzahl der Spartiaten zuweilen auf
zehn tausend gestiegen. — Dieses Factum mag richtig
seyn oder nicht: so ist doch soviel gewiss, dass
es noch eine bessere Methode gibt, der Bürger Anzahl
vollständig zu erhalten, die nähmlich, dass das
Vermögen und besonders Grund und Boden gleicher
unter die Familien vertheilt, und für Erhaltung dieser
Gleichheit gesorgt wird.Einer solchen Ausgleichung sind unter andern
Lykurgischen Gesetzen auch die in Absicht des Kinderzeugens
schnurstracks zuwider. Der Gesetzgeber
wollte die Spartiaten so zahlreich als möglich haben:
und er suchte diess dadurch zu erreichen, indem
er jedes Ehepaar aufmunterte so viel Kinder grosszuziehn,
als es immer könnte. — Zu dem Ende
gab er ein Gesetz, dass, wer Vater von drey Kindern
wäre, nicht mehr die gewöhnlichen Stadtwachen
thun dürfte, wer viere hätte, von allen öffentlichen
Lasten frey seyn sollte. Nun ist aber klar,
dass wenn die Familien an Kindern zahlreich sind,
Grund und Boden aber so ungleich, als ich oben
gesagt habe, vertheilt ist, nothwendig die Ungleichheit
noch grösser werden, und zuletzt viele Bettler
entstehen müssen.Ein andrer Fehler der Lacedömonischen Verfassung
liegt in der Einrichtung ihrer Ephorie. Dieses
obrigkeitliche Amt, welches die wichtigsten Sachen
unter sich hat, wird nur mit Personen aus dem
Volke besetzt. Daher kommen oft äusserst Arme dazu,
die eben deswegen sich leicht erkaufen lassen.
Diess hat sich schon sonst in mehrern Beyspielen gezeigt,
und noch erst neulich bey dem Handel wegen
der gemeinschaftlichen Mahlzeiten. Einige bestochne
Ephoren handelten dabey so, dass sie, was an ihnen
lag, den ganzen Staat zu Grunde gerichtet
hätten.Und weil diese Magistratur von einem hohen
Ansehn ist, und eine beynahe despotische Gewalt
ausübt, so sind die Könige selbst genöthigt worden,
den Personen, welche dieselbe begleiten, zu
schmeicheln: so dass dadurch aus der Aristokratie
beynahe eine Demokratie geworden ist.
Dieses Ephoren-Amt ist dem unerachtet einer
der Grundpfeiler, worauf die Erhaltung des Spartanischen
J
Staats beruhet. Denn eben dadurch wird
das Volk in Ruhe und in Zufriedenheit erhalten,
dass das ansehnlichste und mit den grössten Prärogativen
verbundene Amt in seinen Händen ist. Es
sey nun also diess Absicht des Gesetzgebers, es sey
zufälliger Erfolg gewesen: immer ist es wahr, dass
das Jnstitut der Ephorie, an sich betrachtet, den
Lacedämonischen Angelegenheiten sehr nützlich gewesen
ist. Denn in jedem Staate, der sich aufrecht
erhalten soll, müssen die verschiedenen Hauptglieder
desselben mit ihrem Zustande zufrieden seyn, und
Lust haben zu bleiben, was sie sind, — Das ist nun
in Sparta. Die Könige werden in dieser Gesinnung
erhalten, weil sie der höchsten Ehre im Staate
geniessen; die Vornehmern und Wohlgezognern,
weil sie allein ein Recht haben in den Senat zu
kommen, dessen Mitglieder nach dem Verdienste und
nach persönlichen Eigenschaften gewählt werden; das
gemeine Volk, weil aus seiner Mitte das Ephorenamt
besetzt wird.So weit ist alles richtig. Es war zweckmässig,
dass alle und jede Bürger wahlfähig zum Ephorat
gemacht wurden.Aber erstlich ist die Art und Weise der Wahl
selbst fehlerhaft. Sie ist kindisch und ungeschickt,
Personen von Verdienst vor andern zu dieser Würde
zu verhelfen.Zum andern, da die Ephoren, in den wichtigsten
Sachen, als Richter zu sprechen haben und
doch auf Gerathewohl aus dem grossen Haufen herausgezogen
sind; so war es billig, dass sie in ihren
Urtheilssprüchen strenge an den Buchstaben der Gesetze
gebunden, und nicht (wie doch in Sparta
der Fall ist), ihrer eignen Einsicht, d. h., ihrer
Willkür überlassen wurden.Ferner ist auch die Lebensart, welche den
Ephoren erlaubt wird, dem Geiste und Zwecke der
übrigen Verfassung entgegen. Bey den übrigen Bürgern
übertritt das Gesetz beynahe die Strenge und
artet in Härte aus: daher viele, welche eines so
hohen Grades von Enthaltsamkeit und Selbstverleugnung
nicht fähig sind, das Gesetz eludiren, und
die Vergnügungen heimlich zu geniessen suchen, welchen
sie öffentlich zu entsagen scheinen.Auch in Absicht der Einrichtung des Senats
sind manche Dinge zu tadeln. Von der einen Seite
scheint er im Staate grossen Nutzen zu stiften,
da er mit wohlerzognen und zur Tugend gebildeten
Männern besetzt ist. Auf der andern aber bleibt es
doch noch zweifelhaft, ob es gut sey, dass diesen
Männern die Entscheidung der wichtigsten Angelegenheiten
auf Zeitlebens anvertraut ist. Denn wäre
auch kein andrer Grund dagegen vorhanden: so
bleibt es doch wahr, dass der Geist mit den Jahren
altert wie der Körper. Ferner, so gut auch die
Erziehung dieser Männer seyn mag, so ist es doch
vielleicht etwas gewagt, dass der Gesetzgeber ihnen
ganz unbedingt als rechtschaffenen Männern traut,
und sie daher von aller zu gebenden Rechenschaft
freyspricht. Wirklich finden sich Beyspiele genug in
Sparta, wo Personen mit dieser Würde begleitet, aus
Gefälligkeit oder durch Bestechungen bewogen,
das allgemeine Beste, dem Jnteresse dieser oder
jener Partey aufopferten. Es wäre also gewiss
besser gewesen, wenn die Senatoren wegen des Gebrauchs
ihres Ansehns wären verantwortlich gemacht
worden.Man kann vielleicht sagen, dass das Amt der
Ephoren dazu bestimmt ist, alle andere obrigkeitliche
Aemter, also auch die Senatoren zu controlliren,
und über das Betragen derselben eine gewisse Aufsicht
zu führen. Aber dadurch werden den Ephoren
auf der andern Seite zu grosse Rechte eingeräumt:
und die Art wie von diesen die obrigkeitlichen Personen
zur Verantwortung gezogen werden, ist nicht
einerley mit der Rechenschaft, von welcher ich glaubte,
dass die Senatoren sie ablegen sollten.Bey der Wahl dieser letztern ist die Prüfung,
welche über die dazu fähigen Personen angesteckt
wird, kindisch und zwecklos. Auch das ist zu tadeln,
dass diejenigen, welche zu dieser Prüfung zugelassen
werden sollen, zuerst selbst um diese Würde
bitten müssen. Jn einem wohleingerichteten
Staate muss jeder, welcher zu einem öffentlichen
Amte tüchtig ist, dazu ohne seine Bitten berufen
werden, und er muss verpflichtet seyn, es anzunehmen,
er mag Neigung dazu haben oder nicht. Lykurg
scheint diese Verfügung in eben dem Geiste gemacht
zu haben, welcher in andern Theilen seines
Systems herrscht. Er wollte den Bürgern seines
Staats Ehrgeiz einflössen. Er machte also den Ehrgeitz,
so zu sagen, mit zu einer Bedingung, unter
welcher jemand Senator werden soll. Denn niemand
anders als ein Ehrgeitziger wird um diese
Würde zuerst anhalten. Aber wusste er nicht, dass
die meisten vorsätzlichen Ungerechtigkeiten, welche
von Menschen begangen werden, entweder im Ehrgeitze
oder in der Habsucht ihren Ursprung haben?Was die königliche Würde betrifft, so will ich
jetzt die Frage nicht berühren, ob es überhaupt für
einen Staat (besonders für einen, der aus den Bürgern
einer einzelnen Stadt besteht) vortheilhaft sey,
oder nicht, eine Magistratur mit diesem Titel und
mit den daran haftenden Vorrechten zu haben. Das
will ich nur anmerken, dass, wenn Könige seyn sollen,
es besser ist, dass dieselben gewählt werden,
als das diese Würde, wie in Lacedämon, erblich
ist. Bey der Wahl kann auf den Charakter und
die bisherige Aufführung der Personen gesehen werden;
gebohrne Könige muss der Staat nehmen,
wie sie sind. Wie wenig der Spartanische Gesetzgeber
den Königen seines Staats zutraute, dass sie
immer gut seyn, — oder sich selbst zutraute, dass
er sie so machen würde: hat er durch mehrere Merkmahle
bewiesen. Er will z. B. dass, wenn einer
von diesen Königen von dem Staat mit öffentlichen
Aufträgen abgesandt wird, einer seiner Gegner und
Rivale ihm mitgegeben werde, seine Schritte zu
beobachten; er sieht es als ein Mittel zur Erhaltung
des Staats an, wenn die beyden Könige mit
einander uneins sind.Auch die Anordnungen wegen der öffentlichen
Tische, an welchen die Bürger, in Gesellschaften
von gewisser Anzahl abgetheilt, beysamen speisen
(welche gemeine Mahlzeiten in Sparta Φ heissen),
hat derjenige nicht gut gemacht, wer es auch
sey, der sie zuerst eingeführt hat, — Die Unkosten
davon nähmlich sollten, nach meiner Meinung, so
wie in Creta, aus einem öffentlichen Fond bestritten
werden. Bey den Lacedämoniern aber muss jeder
sein Contingent dazu beytragen; und diess verursacht
nicht geringe Uibelstände, da viele, die an
diesen Tischen mitessen sollten, so äusserst arm sind,
dass sie diesen Aufwand nicht aufbringen können.Es entsteht also hieraus grade das Gegentheil
von dem, was sich der Gesetzgeber bey diesem Jnstitut
zum Endzwecke vorsetzte. Er wollte eine gewisse
demokratische Gleichheit der Bürger unter einander
dadurch erhalten, dass Reiche und Arme unter
einander täglich an denselben Tischen ässen. Dass
Jnstitut aber trägt auf obige Weise eingerichtet, grade
dazu bey, die ganz armen Bürger noch mehr
auszuzeichnen und unter die übrigen zu erniedrigen,
weil sie an diesen Mahlzeiten nicht Theil nehmen
können. Denn es ist durch das Herkommen gleichsam
zur Grenze der bürgerlichen Vorrechte bestimmt
worden, dass, wer jene Contribution nicht bezahlen
kann, auch an diesen Rechten nicht Theil habe.Das Gesetz, wegen der Befehlshaber der
Flotte, ist schon von andern getadelt, und mit
Recht getadelt worden. Es setzt nähmlich neben
die Könige, welche die gebohrnen Generale der Landtruppen
sind, so gut als einen dritten König, da
es das Commando der Flotte Einer Person, und
auf Lebenslang aufträgt. Wie kann aber hieraus
etwas anders als Uneinigkeit und Parteygeist entstehen? LDem ganzen System der Spartanischen Gesetzgebung
aber kann man auch mit Recht vorwerfen,
was Plato zn zuerst in seinen Büchern von den
Gesetzen daran gerügt hat: dass es bloss auf Beförderung
Eines Theils menschlicher Vollkommenheit,
nähmlich der militärischen Tugenden
abzielt. Diese finden ihre Anwendung nur im
Kriege, und hören auf brauchbar zu seyn, wenn
der Sieg erfochten ist. Daher ist es auch gekommen,
dass der Lacedämonische Staat so lange geblüht
hat, als er immer mit Feinden zu kämpfen
hatte; und dass er zu grunde gegangen ist, sobald
er zur Herrschaft über dieselben gelangt war. Seine
Bürger verstunden nähmlich nicht, ein vernünftiges
Leben in Zeiten der Ruhe zu führen, weil
sie keine von den Fähigkeiten ausgebildet, keine
von den Beschäftigungen geübt hatten, mit welchen
die Menschen, auch ohne zu Felde zu ziehn,
ihre Zeit gut anwenden und ausfüllen können. Dieses
ist aber ein nicht geringer Fehler, der sich auf
einen eben so grossen Jrrthum gründet. — Soweit
urtheilten sie ganz richtig, dass die Vortheile,
um welche die Nazionen mit einander Krieg führen,
denen, die innere persönliche Vorzüge besitzen, eher
als denen, die derselben ermangeln, zu Theil werden;
und dass also die Erziehung der Bürger zu
einer gewissen Art der Tugend ein Mittel ist, dem
Staate den Sieg und die Uiberlegenheit über seine
Feinde zu verschaffen. Aber darinn irrten sie,
dass sie diese Vortheile selbst, den Sieg, diese Uiberlegenheit
für den letzten Zweck, und die Tugend
oder die Ausbildung menschlicher Fähigkeiten
und Tugenden bloss als ein Mittel dazu, und nicht,
wie sie es wirklich ist, als das höchste Gut selbst
betrachteten.Endlich ist in der Spartanischen Verfassung
auch der Theil fehlerhaft, welcher die öffentlichen
Einkünfte betrifft. Der Staat hat weder liegende
Gründe, noch baare Summen im Schatze, ohnerachtet
er immer genöthigt ist, grosse und schwere
Kriege zu führen. Und das durch die Contributionen
der Bürger zu erhebende Geld kömmt schlecht
und nicht verhältnissmässig ein, weil, da die Ländereyen
fast allein den Spartiaten zugehören, keiner
den andern genau zu taxiren, und den Beytrag
desselben, ob er seinem Vermögen gemäss sey, zu
untersuchen Lust hat. Der Erfolg dieser Einrichtung
ist auch gerade wider die Absicht des Gesetzgebers,
und wider das, was man jedem Staate
wünschen muss, ausgefallen. Das gemeine Wesen
ist geldarm, und die Privatleute sind geldbegierig
worden.So viel von der Lacedämonischen Verfassung.
Die bisher berührten Puncte enthalten ohngefähr
die vornehmsten Einwürfe, welche sich gegen dieselbe
machen lassen.
Achtes Kapitel.
Schilderung und Beurtheilung der Cretensischen Regierungsform.
Die Cretensische Staatsverfassung ist der Lacedämonischen
sehr ähnlich. Einige wenige Puncte
sind in der ersten villeicht besser angeordnet: aber
in den meisten ist sie weniger vollkommen, und
gleichsam weniger ausgearbeitet. Diess ist auch
kein Wunder, die Cretensische ist die älteste. Man
sagt, und es ist wahrscheinlich, dass die Spartanische
eine Copie von der Cretinsischen sey. Die
spätern Gesetzgeber aber, die auf den Fusstapfen
älterer einhergegangen sind, haben immer an dem
Werke derselben gefeilt, und deren noch rohe Jdeen
ausgebildet.Es heisst nähmlich, Lykurgus, nachdem er die
Vormundschaft seines Neffen Charilai, und die damit verbundene
verbundene Regentschaft niedergelegt, und Sparta
verlassen hatte, habe die Zeit seiner Abwesenheit
grösstentheils in Creta (wegen der zwischen
dieser Jnsel und Lacedämon schon längst bestehenden
Verwandtschaft) zugebracht, und während dieser
Zeit die Verfassungen dieser Jnsel studirt.Diese Verwandtschaft zwischen Sparta und Creta
kömmt von einer Colonie, die ehedem aus jener
Stadt in diese Jnsel geführt worden ist, und
den Staat der Lyctier gegründet hat. Die Colonisten
nahmen bey ihrer Niederlassung die Gesetze
und Verfassungen an, die sie unter den alten Einwohnern
vorfanden. Daher kömmt es auch, dass
die um Lyctus herumwohnenden Landleute, die Reste
jener alten Einwohner, eben dieselben Gesetze
und Gewohnheiten beobachten, wie die Bürger der
Stadt, weil sie jene Gesetze als das Werk ihres
alten Gesetzgebers des ersten Minos ansehen.Diese Jnsel scheint eine sehr glückliche Lage
zu haben, um zur Herrschaft über ganz Griechenland
gelangen zu können. Sie überschaut gleichsam
alle Theile des mittelländischen Meeres, an deren
Ufern die vornehmsten Griechischen Städte und Republiken
gelegen sind. Auf der einen Seite ist sie nicht
weit vom Peloponnesus entfernt, auf der andern
ist sie Asien, gegen Rhodus und das Vorgebirge
Triopium zu, eben so nahe. Minos behauptete
auch wirklich die Herrschaft zur See und über die
Jnseln, wovon er einen Theil eroberte, den andern
mit Colonieen besetzte. Endlich da er auch
Sicilien angriff: fand er hier, bey der Stadt Kammikum,
das Ende seiner Siege und seines Lebens.Jn folgenden Puncten ist die Cretensische Verfassung
mit der Lacedämonischen einerley. Jn beyden
wird der Acker von Leuten angebauet, die keinen
Theil am Bürgerrecht haben, und nicht anders
als Leibeigene behandelt werden; —in Sparta
von den Heloten, in Creta von den sogenannten
πεςιοιχοις. Jn beyden sind die gemeinschaftlichen
öffentlichen Mahlzeiten eingeführt. Ein Beweis
unter andern, dass diese von Creta nach Sparta
gekommen sind, ist, dass der alte Nahme derselben
am lezteren Orte ανδςιυ den sie nun mit dem
Nahmen ψειδιτα vertauscht haben, eben derselbe
ist, welchen die Mahlzeiten noch jetzt in Creta führen.
Eine dritte Aehnlichkeit ist in der Regimentsverfassung.
Die Lacedämonischen Ephoren haben
eben dieselbe Art von Autorität, welche den sogenannten
Cosmis in Creta zukömmt. Nur sind
der Ephoren nur fünfe, Cosmi hingegen sind zehne.
Ferner ist das, was die Versammlung der
Aeltesten, oder der Senat in Lacedämon heisst,
einerley mit dem, was sie in Creta den Rath nennen.
Jn alten Zeiten hatten auch die Cretenser
ihre Könige. Jn der Folge schafften sie diese Würde
ab, und gaben das sonst damit verbundne Commando
über die Armee den Cosmis. — Jn den
Volksversammlungen haben in Creta alle Freyen
das Recht mit zu stimmen. Nur ist die Macht
dieser Versammlungen dahin eingeschränkt, dass sie
bloss bestätigen, was der Rath oder die Cosmi
beschlossen haben.Was nun die Vergleichung beyder Verfassungen
betrifft: so ist zuerst die Cretensische in Absicht
der öffentlichen Mahlzeiten zweckmässiger als die
Lakonische. Jn Lacedämon zahlt, wie ich schon
gesagt habe, jeder etwas Gewisses, um davon die
Unkosten dieser Mahlzeiten zu bestreiten; und wer
dieses nicht thun kann, ist auch eben dadurch von
den bürgerlichen Vorrechten so gut als ausgeschlossen.
Jn Creta ist die Einrichtung vielmehr republikanisch.
Von von sämmtlichen Früchten, welche
der Ackerbau und die Viehzucht liefert, von dem
was auf den öffentlichen Ländereyen geerntet,
oder von den Periokis gezinset wird, wird ein
Theil den Göttern und zu Bestreitung der Unkosten
ihres Dienstes, ein andrer wird zu den Staatsbedürfnissen
gewidmet, und ein dritter wird zu den
mehrmals erwähnten Mahlzeiten angewandt: so
dass in Creta alle Bürger, Männer, Weiber und
Kinder wirklich aus den öffentlichen Einkünften gespeist
werden. Dazu hat ihr Gesetzgeber noch vielerley
Anordnungen ausgedacht, um die Mässigkeit
im Essen und Trinken, die er für äusserst nützlich
hält, zu befördern. Und um die Männer zuweilen
von dem Umgange mit ihren Weibern zu entfernen,
damit die Familien nicht durch eine zu grosse Anzahl
von Kindern beschwert werden, hat er die
unnatürlichern Triebe der Männer gegen ihr eignes
Geschlecht begünstigt. Ob diess letztre zu billigen
oder zu verwerfen sey), ist hier der Ort nicht zu untersuchen.
Dass aber überhaupt die ganze Einrichtung
der gemeinschaftlichen Mahlzeiten in Creta besser
ist, als in Lacedämon, fällt in die Augen.Hingegen ist die Einrichtung in Absicht der Cosmien
weit schlechter, als die der Ephoren in Sparta.
Das was die letzte Magistratur Nachtheiliges
hat, ist in der erstern auch. Beyde, Ephoren und
Cosmi, werden durch Zufall, nicht durch Wahl,
aus der Anzahl der ernennungsfähigen Personen
gezogen. Hingegen fehlt bey den Cosmis das,
was das Jnstitut der Ephoren am nützlichsten für
den Staat macht, — ich meine, dass, da alle
Bürger ohne Unterschied dazu gelangen können Ephoren
zu werden, das Volk als theilhabend an dem
ersten und vielvermögendsten Posten in der Republik,
die Erhaltung der Staatsverfassung wünscht.Diess fällt in Creta weg, wo die Cosmi nicht
aus dem gesammten Volke, sondern nur aus gewissen
Geschlechtern gewählt werden: so wie hinwiederum
niemand in den Staatsrath kömmt, als
der zuvor Cosmus gewesen ist.Uiber diesen (den Cretensischen Senat), lassen
sich eben die Anmerkungen machen, die wir
oben über das ähnliche Staatscollegium in Lacedämon
gemacht haben. Auch die Beysitzer des ersten
sind nicht verbunden, Rechenschaft über ihre
Verrichtungen abzulegen: und dieses Vorrecht ist
grösser, als es mit dem Zwecke und dem sonstigen
Ansehn dieser Würde bestehn kann. Auch der Cretensische
Senator darf sich nicht an den Buchstaben
der Gesetze binden, sondern kann nach seinen Einsichten
von Recht und Billigkeit Urtheil sprechen:
und diess ist für die Freyheit und für eine unparteyliche
Rechtspflege gefährlich.Dass in Creta das Volk, ob es gleich an allen
diesen Würden keinen Theil hat, doch ruhig
geblieben ist, beweist nicht, dass die Einrichtung
gut sey. — Die insularische Lage von Creta macht
hier den ganzen Vorzug, welche, indem sie den
Cosmis die Gelegenheit sich von fremden Mächten
bestechen zu lassen, mehr als den Ephoren entzogen
hat, erstern überhaupt die Aussicht auf Bereicherung,
welche des gemeine Volk am meisten reitzt,
benimmt.Das Mittel, wodurch man in Creta den übeln
Folgen jener Fehler in der Verfassung abzuhelfen
gesucht hat, ist ganz unschicklich, und mehr einem
Zustande, wo die Gewalt das erste Gesetz ist, als
einem wohlgeordneten Gemeinwesen anpassend.
Mehrmahlen nähmlich ist es geschehen, dass die
Cosmi, die ihre Gewalt missbrauchten, durch eine
gegen sie gemachte Verbündung, entweder ihrer
Mitregenten selbst, oder von Privatleuten, abgesetzt,
und aus dem Staate verjagt wurden. Auch
ist es den Cosmis erlaubt, ihr Amt, wenn sie das
Missvergnügen des Volks merken, niederzulegen.
Alles das aber hätte lieber zum Voraus durch Gesetze
bestimmt, als der Willkür und den Leidenschaften
der Menschen, wenn der Fall da ist, überlassen
werden sollen. Denn diese letztern sind eine
sehr unsichre Norm von den in gefährlichern Zeiten
zunehmenden Maassregeln.Das Allerschlimmste in den Cretensischen Gewohnheiten
ist, dass sie zuweilen die Magistratur
der Cosmien auf eine Zeitlang gänzlich aufheben,
welches gemeiniglich alsdann geschiehet, wenn Mächtige
im Staate sich einer gerichtlichen Untersuchung,
der sie sonst ausgesetzt wären, entziehen wollen. —Woraus
klar ist, dass, wenn dieses Verfahren auch
etwas Gesetzmässiges in Creta hat, es doch in der
That mehr offenbare Gewalt, als Gebrauch eines
bürgerlichen Rechts ist. Es geschieht nähmlich alsdann,
dass solche Mächtige sich an die Spitze ihrer
Freunde und desjenigen Theils des Volks, der
ihnen anhängt, stellen, und mit der Gegenpartey
einen offenbaren bürgerlichen Krieg führen. Was
heisst aber diess anders, als dass der Staat während
der Zeit aufhört, Staat zu seyn, und die
bürgerliche Vereinigung aufgelöst wird! Jst unter
diesen Umständen ein äusserer Feind vorhanden, der
den zerrütteten Staat angreifen kann und will: so
ist letztrer in der grössten Gefahr des gänzlichen
Untergangs. Aber davor ist, wie ich gesagt habe,
Creta dadurch behüthet worden, dass es eine Jnsel
ist. Die Entfernung der Oerter thut hier das,
was man in andern Staaten durch Verbannung
der Fremden zu bewirken sucht (nähmlich bey innern
Verwirrungen den Einfluss auswärtiger Feinde
zu verhindern). Eben diese Lage ist auch Ursache,
dass in Creta (die π), die leibeignen
Landleute (welche das um jede Stadt liegende Gebieth
bewohnen und anbauen), immer in Gehorsam
geblieben sind, da die Heloten hingegen sich
so oft empört haben. Die Cretenser grenzen nähmlich
an keine fremde Macht, welche ihre missvergnügten
Unterthanen unterstützen könnte. — Vor
kurzem aber sind sie dieser Vortheile beraubt worden;
da ein ausländischer Feind den Krieg auf
ihre Jnsel hinüber brachte. Und da hat sich denn
auch die Schwäche ihrer Staatsverfassung, und
das Nachtheilige jener Gesetze, gar bald gezeigt.Diess sey genug von der Cretensischen Gesetzgebung.
Neuntes Kapitel.
Die Chartagische Staatsverfassung.
Auch die Staatsverfassung von Carthago verdient
einen Platz in diesen Untersuchungen, da sie
für vorzüglich gut gehalten wird, und unter andern
ähnlichen einen ausgezeichneten Rang behauptet.
Jn einigen Puncten kömmt sie sehr mit der
Lacedämonischen überein. Diese drey Staaten, der
Spartanische, der von Creta und der von Carthago,
haben alle drey viele Aehnlichkeiten unter sich,
und grosse Vorzüge vor andern. Ein Beweis, dass
der grösste Theil ihrer Einrichtungen weise seyn
müsse, ist, dass, da sie alle drey republikanisch sind,
und also dem Volke einen gewissen Antheil an der
Regierung zugestehen, sie doch in ihrer ursprünglichen
Verfassung fortgedauert haben, ohne weder
durch einen Volksaufruhr (der von Bedeutung gewesen
wäre), zerrüttet, noch von Tyrannen unterjocht
worden zu seyn.Die Aehnlichkeiten zwischen den Carthaginensischen
und den Lakonischen Einrichtungen sind folgende:
Die gemeinschaftlichen Mahlzeiten der sogenannten
Brüderschaften in Carthago haben eine
Gleichheit mit den Phiditiis in Sparta, die Magistratur
der hundert und vier an dem ersten
Orte, eine Gleichheit mit dem Amte der Ephoren
in dem letztern. Nur ist jene Magistratur besser
eingerichtet. Die Ephoren werden, wie ich gesagt
habe, aus dem grossen Haufen, auf Gerathewohl
gleichsam gegriffen. Jene Hundert werden nach Verdiensten
aus den vorzüglichsten gewählt, — Ferner
sind Könige und ein Senat in Carthago, so wie
es Könige und einen Senat in Sparta gibt: Aber
auch dabey ist an jenem Orte die bessere Einrichtung,
dass die Könige weder immer aus demselben
Geschlecht, noch aus allen Geschlechtern ohne Unterschied,
sondern aus den vornehmsten genommen
werden, und dass unter mehrern Personen von derselben
Familie, nicht immer der Aelteste vermöge
eines Gesetzes, sondern der Verdienstvolleste durch
Wahl zu dieser Würde erhoben wird. Unstreitig
können die damit Begleiteten, da grosse Vorrechte
und wichtige Aufträge an ihrem Titel hängen, dem
Staate grossen Schaden thun, wenn sie unfähig
oder lasterhaft sind; wovon Sparta schon mehrmahlen
die traurige Erfahrung gemacht hat.Was nun denjenigen Tadel betrifft, der sich
auf Abweichungen des Gesetzgebers von dem Zwecke
bezieht, welchen er selbst sich vorgesetzt, von
dem Plane den er entworfen hatte: so wird derselbe
in allen drey genannten Verfassungen ungefähr
der nähmliche seyn. Was aber diesen Plan
selbst angeht, der im Ganzen in allen drey Städten
auf Aristokratie verbunden mit republikanischer
Freyheit hinausläuft: so scheint er in Carthago
in einigen Puncten sich zur Oligarchie, in andern
zur Volksregierung zu neigen.Jn Carthago sind die Könige und der Senat,
wenn beyde mit einander gleichstimmig über eine
Angelegenheit urtheilen, Herren darüber, ob sie
dieselbe vor die Volksversammlung bringen wollen
oder nicht. Sind jene beyden Regierungsglieder
nicht einerley Meinung: dann muss das Volk darüber
entscheiden. Wenn aber einmahl eine Sache
der Volksversammlung vorgelegt wird: dann hat
diese nicht nur das Recht, das Gutachten ihrer
Obern anzuhören, und zu bestätigen, sondern auch
das Recht es zu prüfen, und abzuändern. Ferner
steht es jedem, der dazu Lust hat, frey, seine Gegengründe
gegen die Vorschläge der Obrigkeit dem
Volke öffentlich vorzutragen, eine Sache, die in
Lacedämon und Creta nicht erlaubt ist, Diese Einrichtungen
sind sehr demokratisch.Hingegen kömmt es wieder einer Oligarchie
näher, dass die sogenannten Fünfmänner, die
viele und wichtige Angelegenheiten unter sich haben,
sich ihre Nachfolger und Collegen selbst ernennen
können, dass eben diese ferner die Hundertmänner,
die obersten Magistratspersonen wählen; dass
sie endlich länger, als irgend eine obrigkeitliche
Person, in ihrem Amte bleiben (denn schon wenn
sie dazu Anwartschaft haben, und wieder, nachdem
sie ihr Amt niedergelegt haben, üben sie gewisse
Magistratsrechte aus).Ganz der Aristokratie gemäss aber ist es, dass
die Magistratspersonen ohne Besoldung dienen,
dass sie nicht durchs Loos ernannt werden; und in
demselben Geiste sind noch mehrere andere Puncte.
Auch der unter andern, dass alle Processe ohne Unterschied
von Magistratspersonen entschieden werden,
nicht wie in Sparta, wo die Richter zum
Theile Privatpersonen sind.Worin aber die Carthaginensische Verfassung
am weitesten von der wahren Aristokratie abweicht,
und der Oligarchie sich nähert, ist folgender Punct,
der mit der gemeinen Meinung vollkommen übereinstimmt:
Es ist Grundsatz derselben, dass bey
der Wahl der Magistratspersonen, nicht bloss auf
persönliche Vorzüge, sondern auch auf Vermögen
gesehen werden müsse. Ohne Zweifel sahe man es
als unmöglich an, dass eine Person ohne Vermögen
hinlängliche Musse, und die andern nöthigen
Eigenschaften haben könne, um Regierungsgeschäfte
gut zu verwalten.Wenn es also in dem Geiste der oligarchischen
Regierungsform ist, die Magistratspersonen nur
aus den Reichen zu wählen, hingegen aristokratisch,
bloss auf persönliche Vorzüge zu sehn: so
wird eine Anordnung wie die Carthaginensische,
wobey Vermögen und Verdienste zugleich in Betrachtung
gezogen werden, eine dritte, von Aristokratie
und Oligarchie gemischte Regierungsform
ausmachen. — Diese Rücksicht auf beydes nehmen
sie in Carthago bey der Besetzung aller Aemter,
vornehmlich aber bey Besetzung der höchsten, der
königlichen und der Generalswürden.Nach meinem Urtheil muss diese Abweichung
des Gesetzgebers von dem Charakter einer wahren
Aristokratie, für einen merklichen Fehler, den er
begangen, angesehen werden. Denn wenn auch der
oben angeführte Grund für die Auswahl der Vermögenden
richtig ist: so rechtfertigt er doch den
Gesetzgeber nicht. Dieser hätte nähmlich gleich von
Anfang an darauf bedacht seyn sollen, wie er die
vorzüglichsten Bürger, den persönlichen Eigenschaften
nach, zugleich in einen solchen äussern Zustand
versetzte, dass sie von Nahrungssorge frey, zu edlern
Geschäften Musse hätten, und sich nie zu etwas
ihrer Unwürdigem, weder als Magistratspersonen,
noch selbst als Privatleute entschliessen
dürften.Wenn man aber auch auf eine gewisse Wohlhabenheit
bey Besetzung der Staatsämter sehen
muss, weil dieselben eine Musse von Gewerbsgeschäften
verlangen: so ist es doch immer Unrecht,
dass die höchsten dieser Aemter, wie das der Könige
oder der Heerführer der Truppen, fast ganz
allein nach dem Reichthum vergeben, und also auf
gewisse Weise käuflich gemacht werden. Ein solches
Gesetz muss den Reichthum in ausserordentliche
Achtung bringen, und den ganzen Staat geldgierig
machen, denn das, was diejenigen, welche
am Ruder sitzen, unterscheidet, und was von ihnen
am meisten geehrt wird, das erhält auch den
Vorzug in der Meinung des grossen Haufens. —
Der Staat aber, in welchem nicht persönliche Verdienste
mehr als alles andre geachtet werden, kann
nicht dauerhaft aristokratisch seyn.Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass, wenn
es nothwendig ist Aufwand zu machen, um zu
obrigkeitlichen Aemtern zu gelangen, diejenigen,
welche sie auf solche Weise gleichsam erkauft haben,
suchen werden, von denselben hinwiederum zu gewinnen.
Jn der That ist es eine Ungereimtheit,
zu glauben, dass der redlichste Mann wenn er arm
ist, in Versuchung gerathe, durch die Verwaltung
öffentlicher Aemter sich zu bereichern: und doch nicht
zu glauben, dass ein schlechter Mensch, der reich ist,
aber Aufwand hat machen müssen, sich seines Schadens
werde zu erhohlen suchen.Das sollte also Grundgesetz der Aristokratie
seyn: dass diejenigen nur zur Regierung gelangen,
die alle persönlichen Eigenschaften haben, um gut
zu regieren.Und um die oben angezeigte Jnconvenienz zu
vermeiden, sollte der Gesetzgeber, wenn er auch
keine Vorkehrungen gemacht hatte, um überhaupt
die Dürftigkeit verdienstvoller Personen zu verhüthen,
doch dafür sorgen, dass die, welche in öffentlichen
Aemtern sitzen, von Nahrungssorgen befreyt
würden.Auch das scheint mir in der Carthaginensischen
Verfassung fehlerhaft, dass viele obrigkeitliche Aemter
von Einer Person verwaltet werden. Dann
wird jede Sache, welche Menschen hervorbringen,
aufs vollkommenste gemacht, wenn sich Ein Mensch
immer nur mit einer Arbeit abgibt. Nach dieser
Maxime sollte nun auch der Gesetzgeber bey Besetzung
der Staatsämter verfahren, und nicht verlangen,
dass der Flötenspieler zugleich Schuhe machen
solle.Da wo nicht die Kleinheit des Staats, und
die geringe Anzahl der Bürger das Gegentheil
nothwendig macht, ist es gewiss besser, dass die
öffentlichen Aemter unter viele vertheilt sind, sowohl
weil diess der politischen Freyheit günstiger,
und ein Mittel ist, das Volk für das Jnteresse
der Regierung zu gewinnen (da sie gleichsam als
ein gemeinsames Gut aller angesehen werden kann),
als auch, weil jedes Geschäft besser und geschwinder
abgemacht wird, wenn es seinen Mann allein
hat, der sich demselben widmet. Wie wahr dieses
Letztere sey, zeigt sich im Kriegs- und Seewesen.
Jn einer Armee und auf einer Flotte ist
das Commando so vertheilt, dass vom Chef bis
zum gemeinen Soldaten und Matrosen herunter, fast
niemand ist, der nicht einige unter sich hätte,
denen er befehlen könnte, so wie jeder wieder andre
über sich hat, denen er gehorchen muss.Obgleich auf diese Weise die Verfassung der
Carthaginenser oligarchisch geworden ist: so können
sie doch den übeln Folgen davon, ich meine der
Unzufriedenheit des Volks, vermöge ihrer weitäufigen
Besitzungen vorbeugen, indem sie von Zeit zu
Zeit einen Theil dieses letztern, in die ihnen unterworfnen
Städte absenden. Dadurch allein heilen
sie die entstehenden Gährungen, und sichern die
Fortdauer der Staatsverfassung. Dieses Hülfsmittel
aber kömmt von Vortheilen her, die das
Glück ihnen zugeworfen hat, nicht von der Weisheit
des Gesetzgebers. Diese letztre aber sollte es
seyn, welche einen Staat vor Empörungen und innerer
Zerrüttung bewahrte. Wie jetzt die Sachen
in Carthago stehn, wenn einmahl ein Unglücksfall
diesen Staat treffen sollte, und der grössre
Theil ihrer Unterthanen von ihnen abfiele: so würde
sich in der Verfassung selbst gar kein Mittel finden,
die innere Ruhe zu erhalten.So verhält es sich also mit den Verfassungen
von Carthago, Creta, Lacedämon, drey Staaten, die
mit Recht in dem Rufe stehen, vorzügliche Gesetze
zu haben.
Zehntes Kapitel.
Von der Atheniensischen Staatsverfassung, und einigen
andern bekannten Griechischen Gesetzgebern.
Unter denen, welche Lehren über die Staatswissenschaft
gegeben haben, sind einige, die selbst nie
an öffentlichen Geschäften Theil genommen, sondern
im Privatstand ihr Leben zugebracht haben.
Was über diese und deren politische Entwürfe zu
sagen ist, habe ich in den vorhergehenden Kapiteln
beynahe alles berührt. Andre aber sind wirklich
Gesetzgeber dieses oder jenes Staats gewesen, entweder
in ihrem eignen Vaterlande, oder bey auswärtigen
Nazionen, von denen sie zu Verwaltung
und Anordnung ihrer Angelegenheiten herbeygerufen
wurden. Unter diesen letztern Staatslehrern, die
zugleich Staatsmänner waren, haben einige bloss
Criminal- und Civilgesetze gegeben, andere aber die
Grundverfassungen der Staaten selbst gebildet, wie
z. B. Lykurgus und Solon. Von diesen beyden
Männern haben Sparta und Athen ihre Verfassung
sowohl als ihre Gesetzbücher erhalten.Von dem System des Lykurgus habe ich schon
geredet. Uiber den Solon ist die herrschende Meinung,
dass er ein vortrefflicher Gesetzgeber gewesen
sey. Er hat, sagt man, die in Athen von einigen
wenigen Familien in Besitz genommene Herrschaft,
die allzu willkürlich und gar nicht nach Verdienst
aufgetheilet war, zerstört; hat der Knechtschaft des
Volks ein Ende gemacht, hat die alte von den
Vorfahren eingeführte Demokratie wieder hergestellt,
und hat die verschiedenen Regierungsformen
auf das weiseste zu Bildung einer freyen Staatsverfassung
mit einander vereinigt. Der hohe Rath,
der vom Areopagos wo er zusammen kömmt, den
Rahmen hat, ist in dem Geiste der Oligarchie.
Dass alle Aemter durch Wahl vergeben werden, ist
aristokratisch; die Einrichtung der Richterstühle (dass
Privatpersonen durchs Loos gezogene Richter sind),
ist demokratisch. Diess sind die gewöhnlichen Jdeen
von der Solonischen Verfassung.Mir aber scheint Solon, die beyden Einrichtungen,
den hohen Rath, und das Wählen der
Magistratspersonen, schon vorgefunden, und nur
beybehalten zu haben. Das was ihm eigenthümlich
zugehört, ist die Macht die er dem Volke eingeräumt
hat, indem er die Richter zu allen Tribunälen
aus der gesammten Bürgerschaft ohne Unterschied
ziehen lässt. Diess aber ist es eben, was
einige ihm als einen Fehler vorwerfen. Denn, sagen
sie, dadurch hat er die Kraft jener beyden
ersten Jnstitute völlig aufgehoben, indem er die Richter,
die doch auf gewisse Weise alle Angelegenheiten
und Personen des Staats in ihrer Gewalt haben,
durchs Loos aus dem grossen Haufen ziehen
lässt. Seitdem dieses eingeführt worden, haben
alle Staatsverwalter dem Volke wie einem unumschränkten
Despoten schmeicheln müssen; und haben
daher, um ihm gefällig zu werden, die Verfassung
nach und nach rein demokratisch gemacht, wie es
jetzo wirklich ist. So hat Ephialtes und nach ihm
Perikles das Ansehn des Areopagischen Raths vermindert.
Perikles hat überdiess den Richtern einen
Gehalt ausgemacht. Jeder Demagoge hat auf gleiche Weise
etwas zu der Macht des Volks hinzuzuthun
gesucht, bis endlich die Sachen zu der jetzigen
Demokratie reif geworden sind: Dieser Erfolg
aber scheint nicht im Plan des Solons gewesen,
sondern durch Zufälle entstanden zu seyn. Die
Siege nähmlich, die im Persischen Kriege zur See
von den Atheniensern erfochten wurden, und die
Herrschaft des Meeres, die sie dadurch erlangten,
diese, da sie dem Volke grösstentheils als Uhrheber
zuzuschreiben waren, gaben demselben zuerst den
Stolz und das Selbstvertrauen, wodurch es sich
in der Folge emporhob. Dazu kamen noch schlechtdenkende
Demagogen, die das Volk anführten,
wenn es mit den Edeln, im Streit war, und es
aufmunterten, seine Ansprüche immer weiter zu treiben.Solon selbst scheint dem Volke eigentlich keine
andre Macht gegeben zu haben, als die, welche es
in jeder Verfassung haben sollte, nähmlich die obrigkeitlichen
Personen zu wählen, und ihnen Rechenschaft
abfordern zu können. Denn ist das Volk
nicht im Besitz dieser beyden Rechte: so ist es ein
Sklave, und gewiss auch zugleich der Feind seiner
Obern. Die Magistratspersonen aber will er alle
aus bekannten und wohlhabenden Familien genommen
wissen, nähmlich aus den obersten drey Volksklassen,
wovon die erste die der εν
ist (d. h. derer, die fünfhundert Medimnos jährlich
einernten), die zweyte, welche so viel Einkünfte
hat, als dreyhundert Medimnen werth sind,
die Ritterschaft heisst, die dritte, welche zweyhundert
Medimnen einnimmt, durch den Nahmen Zeugiten
bezeichnet wird. Die der vierten Klasse, wozu
alle gehören, die weniger einnehmen, werden
vom Solon als Tagelöhner und Söldner angesehen,
und sind von allen Regierungsämtern ausgeschlossen.Ausser Solon und Lykurgus sind noch als Gesetzgeber
Zaleukus und Charondas berühmt.
Der erste ein Lokrier von denen, die am Vorgebirge
Zephyrum in Unteritalien wohnen, hat seinem
eigenen Vaterlande Gesetze gegeben; der zweyte
aus Catanea in Sicilien gebürtig, —sowohl seinen
Mitbürgern, als andern Chalcidischen Colonieen
in Jtalien und Sicilien. Einige suchen aus verschiedenen
Datis zu erweisen, das Onomakritus
der erste gewesen sey, der als Gesetzgeber einen gewissen
Nahmen erhalten habe. Er soll von Geburt
ein Lokrier gewesen, in Creta aber gebildet
worden seyn, wo er sich der Wahrsagerkunst wegen
lange aufgehalten habe. Dessen Freund und Vertrauter,
sagt man, sey Thales, Thaletis Schüler
aber seyen Lykurgus und Zaleukus, so
wie Charon das der Schüler des Zaleukus gewesen.
Bey diesen Behauptungen aber ist die
Zeitrechnung nicht sorgfältig genug zu Rathe gezogen
worden.Nächst diesen ist noch ein Philolaus bekannt,
aus Korinth gebürtig, aus dem Geschlecht
der Backchiaden, der den Thebanern Gesetze gegeben
hat. Er ist der Liebhaber des Diokles, des
berühmten Olympischen Siegers, gewesen, und
hat, da dieser der blutschänderischen Neigung seiner
Mutter zu entweichen, sein Vaterland verliess, ihn
nach Theben begleitet. Hier sind sie beyde gestorben.
Noch zeigt man daselbst ihre Gräber, die so
gelegen sind, dass man von dem einen Grabhügel
den andern sehen kann, gegen das Korinthische Gebieth
aber die Lage haben, dass von dem einen
die Aussicht bis gegen Korinth reicht, von dem
andern aber in die nähmliche Gegend verschränkt ist.
Diese Lage der Gräber sey, sagt man, nach dem
ausdrücklichen Willen der beyden Männer gewählt
worden. Diokles habe, aus Abscheu gegen den
Unfall, der ihn in Korinth betroffen, einen Ort zum
Grabe haben wollen, von dem man nicht nach Korinth
sehen könnte. Philolaus habe das Gegentheil
verlangt. — Die Ursache also, welche beyde Männer
bewog, ihre Wohnung in Theben aufzuschlagen,
wurde auch die Veranlassung, dass Philolaus
der Gesetzgeber der Thebaner wurde. Von
ihm rühren, ausser mehrern andern, auch die Gesetze
von der Annehmung an Kindesstatt her, welche
die Thebaner νομξς ε nennen. — Die Verfügungen
in denselben sind ihm ganz eigen, und
haben zur Absicht, die Gleichheit und die Zahl der
Erbgüter zu erhalten. — Charondas Gesetze haben
nichts Eigenthümliches, ausgenommen die Criminal-Untersuchung,
die er gegen falsche Zeugen verordnet.
Er ist der erste, welcher auf dieses Verbrechen
eine besondere Aufmerksamkeit gerichtet hat.
Jn der genauen Bestimmung und dem deutlichen
Ausdrucke seiner Verordnungen übertrifft er selbst
unsre heutigen Gesetzgeber.Das Eigne in Philolaus Gesetzen ist die oben
gedachte Methode zur Ausgleichung des Vermögens
in den Familien.Plato ist der einzige, in dessen Gesetzen die Gemeinschaft
der Weiber, Kinder und des Vermögens
und die gemeinschaftlichen öffentlichen Mahlzeiten
der Frauenzimmer vorkommen. Auch findet sich bey
niemanden, als bey ihm, das Gesetz wegen der
Trunkenheit, dass bey jedem Gastmahl einer zum
Könige des Festes gewählt werden, und dass dieser
nüchtern bleiben soll; ferner, dass in den militärischen
Uibungen die jungen Leute gewöhnt werden
sollen, ihre linke Hand, so wie ihre rechte zu
brauchen.Drakon hat an der Staatsverfassung von
Athen nichts geändert, sondern nur Gesetze für die
Aufführung der Bürger und die Urtheissprüche der
Richter gegeben. Diese seine Gesetze unterscheiden
sich nicht durch neue ihm eigne Anordnungen, die
eine besondre Auszeichnung verdienten, sondern nur
durch die Strenge der Strafen.Auch Pittacus gab seinem Vaterlande Gesetze,
ohne die Grundverfassung desselben umzubilden.
Unter seinen Gesetzen ist eines neu: "dass
diejenigen, welche in der Trunkenheit andre schlagen,
doppelt soviel Strafe leiden sollen als die,
welche es nüchtern thun." Ohne Zweifel sahe er
darauf, dass weit mehr Misshandlungen von trunknen
als von nüchternen Personen geschehen, und ohne
also in Betrachtung zu ziehn, dass dem Trunknen
seine Handlung weniger angerechnet werden kann,
bestrafte er am härtesten, was dem gemeinen Wesen
am schädlichsten wird.Noch muss ich des Androdamas aus Rhegium
gedenken, der für die Stadt Chalcis in Thracien
ein Gesetzbuch verfasst hat. Aus demselben sind
die Gesetze, welche Mordthaten, und die, welche
die Erbtöchter betreffen, am bekanntesten. Keines
seiner Gesetze aber zeichnet sich durch etwas ganz
Eigenthümliches aus.Diess wären demnach die Untersuchungen, welche
ich über die vornehmsten, entweder irgendwo
wirklich bestehenden, oder von Philosophen in Schriften
entworfnen Staatsverfassungen, anstellen zu
müssen glaubte.Drittes Buch
Drittes Buch. Erstes Kapitel.
Was das Wort Bürger eigentlich bedeute.
Wer über die Staatsverfassungen Untersuchungen
anstellen will, wie vielerley es derselben gibt, wodurch
jede sich unterscheidet, und welchen Werth
sie hat: der muss vor allen Dingen wissen, was eigentlich
Staat heisse; oder wo in jeder Nazion,
in jeder Stadt, das was man den Staat nennt, seinen
Sitz habe. Denn darüber sind die Meinungen oft
getheilt. Wenn z. B. jemand sagt, das hat dieser
oder jener Staat gethan, so spricht ein andrer,
nicht der Staat, sondern die Oligarchen oder der
Despot hat es gethan. — Dieser Begriff Staat
muss also nothwendig erst fixirt werden, da alle
Geschäfte des Regenten und des Gesetzgebers mit
dem, was unter jenem Worte verstanden wird, zu
thun haben.So viel ist vorläufig gewiss, dass ein Staat
eine gewisse Ordnung und Verbindung mehrerer neben
einander wohnenden Menschen bedeutet. Er gehört
also unter die zusammengesetzten Gegenstände:
er ist zwar Ein Ganzes, aber ein solches, das aus
mehrern Theilen besteht, und kann nur durch die
Erforschung dieser seiner Theile erkannt werden. Jst
der Staat eine Gesellschaft vieler Bürger: so wird
man zuerst untersuchen müssen, wer ein Bürger sey,
und mit Recht so genennt werden könne.Auch darüber finden Zweifel und verschiedne
Meinungen Statt. Nicht alle stimmen überein, einer
und derselben Person den Titel eines Bürgers zuzugestehn.
Jemand z. B. der in einer Demokratie
Bürger ist, würde es in einer Oligarchie nicht seyn.
Zu geschweigen, dass zuweilen ein Staat diesen
Nahmen ganz fremden Personen beylegt, um sie zu
ehren, ohne dass sie deswegen dem Staate incorporiret
werden. ,So viel ist deutlich: jemand wird dadurch
nicht Bürger einer Stadt, dass er in derselben wohnt.
Denn auch die Sklaven und Fremde wohnen darin,
und sind nicht Bürger. Auch sind nicht alle diejenigen
Bürger Eines Staats, die sich mit einander
vereinigt haben, gewisse gegenseitige Gerechtsame,
und einen gemeinschaftlichen Richter anzuerkennen.
Denn auch durch Verträge verbündete Völkerschaften
können in diesem Verhältniss gegen einander
stehn.An vielen Orten sind die Fremden, welche in
dem Staate wohnen, nicht einmahl in dieser Verbindung
mit dem gemeinen ! Wesen. Sie löhnen nicht
selbst vor Gericht erscheinen, oder ihre Sachen betreiben:
sondern sie müssen unter den Bürgern einen
Patron haben, der ihre Stelle verteilt. Sie
haben also nur auf eine unvollkommene Weise an
jenen Vortheilen, unter gemeinsamen Richtern zu
stehn, Antheil. Eben so die Bürgerkinder, die noch
nicht in die Bürger-Rollen eingeschrieben sind, und
Greise, die schon von allen Staatspflichten entlassen
sind, sind ohne Zweifel in gewisser Absicht Bürger
zu nennen: aber der Nahme kömmt ihnen doch
nicht im vollkommensten Sinne, sondern nur insofern
zu, als man etwas hinzusetzt, welches anzeigt,
dass jene noch erst das Recht bekommen sollen, diesen
Titel zu führen, die ihm nicht mehr ganz Gnüge
thun können. Wir suchen aber hier das Jdeal
eines Bürgers auf: wir wollen den Mann wissen,
dem dieser Nahme absolut und ohne alle Einschränkung
zukömmt. Also müssen wir auch die Landesverwiesenen,
oder zur Strafe degradirten Bürger
hier bey Seite setzen: von welchen beyden man die
Frage, "ob und in wie fern sie noch Bürger sind"
eben so wie von Kindern und Greisen aufwerfen und
eben so beantworten kann.Den Begriff des Bürgers im absoluten und
eigentlichen Verstande, kann man durch keine Merkmahle
so genau bezeichnen, als dadurch, dass ihm
die beyden Rechte zukommen, an dem Urtheilssprechen
in Processen, und an der Verwaltung
von Regierungsämtern Theil
zu nehmen.Unter den Letztern werden einige nur auf eine
Zeitlang conferirt; —so, dass sie entweder gar nicht
zwey Mahl in die Hände derselben Person kommen:
oder doch erst nach Verlauf einer bestimmten Zeit
ihr wieder anvertraut werden dürfen. Andre hingegen,
wie das Amt eines Richters, und das eines
stimmenden Gliedes in der Volksversammlung,
werden von jedem Bürger zu unbestimmten Zeiten,
aber sein ganzes Leben hindurch, verwaltet.Man wird vielleicht einwenden, dass weder der
Richter, noch das Mitglied der Volksversammlung
obrigkeitliche Personen sind, und dass niemand um
desswillen, weil er diese beyden Rechte ausübt, dafür
angesehen wird, als wenn er Aemter in der
Regierung begleitete.Aber ist es nicht im Grunde lächerlich, denjenigen,
welchen in der That die Entscheidung der
wichtigsten Angelegenheiten zusteht, den Nahmen
obrigkeitlicher Personen verweigern zu wollen?Doch das würde am Ende nur ein Wortstreit
seyn. Es kömmt nichts darauf an, wie man die
Geschäfte des Richters und des Ecclesiastes benennen
will. Jm gemeinen Sprachgebrauch fehlt allerdings
ein gemeinschaftliches Wort, womit man
diese beyden Arten der öffentlichen Autorität bezeichne.
Jch will sie unterdessen, um sie zu unterscheiden,
Regierungs-Aemter ertheilt auf
Lebenslang, verwaltet zu unbestimmten
Zeiten nennen. — Denjenigen also nehme
ich für einen Bürger an, welcher an diesen beyden
Sachen Theil hat: und ich glaube, dass diese
Definition auf die meisten derjenigen passen wird,
welche man gemeiniglich Bürger nennt.Jch kann aber hier nicht unbemerkt lassen, dass
bey Materien, wo die unter einen gemeinschaftlichen
Nahmen zusammengefasste Sachen doch der Art nach
unterschieden sind, so, dass eine derselben als die
erste und das Muster der übrigen, die andre nur
als die zweyte, und so die folgenden als noch weiter
von jenem Modell entfernt angesehen werden müssen:
sich oft entweder gar keine oder sehr schwer die
gemeinsamen Merkmahle finden lassen, in welchen
alle diese Sachen übereinkämen. Nun so ist es wirklich
mit der Staatsverfassung beschaffen. Es ist bekannt,
dass eine von der andern der Art nach unterschieden
ist, dass es unter ihnen einige gibt, die
als die ersten und vorzüglichsten anzusehen sind, andre
die diesen nachstehen. Nähmlich diejenigen, welche
des Hauptendzwecks der bürgerlichen Vereinigung
in etwas verfehlen, und von dem Plan, der im
Ganzen sichtbar ist, abweichen, müssen nothwendig
denen nachstehen, welche diese Mängel nicht haben.Mit der Staatsverfassung ändert sich auch
das, was man zu dem Wesentlichen eines Bürgers
erfordert. Die Definition, welche ich von demselben
gegeben habe, kömmt ihm am vollkommensten und
genauesten in der Demokratie zu. Jn andern Regierungsformen
sind diese Merkmahle zwar mögliche
aber nicht nothwendige Prädikate jedes Bürgers.
Jn einigen Verfassungen gibt es kein eigentlich so
genanntes Volk; man weiss darin nichts von einer
Volksversammlung, sondern nur von einem engern
Ausschuss, oder einem Collegio erwählter Personen,
welches die Stelle der Volksversammlung vertritt;
das Richter-Amt in Civil- und Criminal-Processen
ist unter verschiedene einmahl für allemahl bestimmte
Tribunale vertheilt; — wie z, B. in Lacedämon,
wo Rechtshändel, über das Mein und Dein, und
über Contracte, von dem einen und dem andern der
Ephoren, nach Beschaffenheit der Gegenstände, abgeurtheilt,
Klagen über Mord und Gewaltthätigkeit
vor den Senat gebracht, noch andre Rechtssachen
von andern Magistratspersonen entschieden werden.
Eben so ist es in Karthago. Uiber alle
Rechtshändel wird hier von gewissen obrigkeitlichen
Personen, die dazu auf immer bestimmt sind, erkannt.Hieraus ergibt sich eine Abänderung von unserer
Definition vom Bürger, wodurch sie auch auf
die zuletzt gedachten Staatsverfassungen anwendbar
wird. Jch sagte, der Richter und das Mitglied
der Volksversammlung sey eine Art von obrigkeitlicher
Person, die ihr Amt auf immer habe, aber es
gelegentlich zu unbestimmten Zeiten verwalte. Jn
jenen Verfassungen aber ist auch dieses Amt bestimmt,
der Zeit und den Personen nach. Nähmlich
von allen, die hier Bürger heissen, wird das
Berathschlagen (welches der Volksversammlung zukam),
und das Urtheilssprechen, nur gewissen ausgewählten
Personen aufgetragen, und zwar entweder
denselben Personen über alle Gegenstände, oder
einigen über diese, andern über andere. Denjenigen
also, welcher das Recht hat, zu einem Mitgliede
dieser berathschlagenden oder dieser Urtheilssprechenden
Collegien mit ernannt zu werden, den
nenne ich einen Bürger dieser Stadt.Und nun, eine Anzahl solcher mit einander
vereinigter Bürger, hinlänglich gross, um einander
wechselsweise ihre Privat- und den Staat seine
öffentlichen Bedürfnisse darreichen zu können, nenne
ich einen Staat oder ein gemeines Wesen.Diese Begriffe sind aus der Natur der Sache
geschöpft. Nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch
nimmt man das zum Merkmahle eines Bürgers an,
dass er der Sohn von Aeltern sey, die beyde das
Bürgerrecht besessen haben, im Gegensatz dessen,
der entweder nur einen Vater oder nur eine Mutter
von dieser Beschaffenheit gehabt hat. Andre gehen
noch weiter im Geschlechtsregister hinauf, und verlangen,
dass auch die Grossväter, entweder nur zwey
derselben, oder drey, oder gar alle viere Bürger gewesen
seyn sollen. Bey dieser populären und nur
oberflächlichen Erklärung, fällt einem leicht der
Zweifel ein, wodurch dann jener Grossvater oder
Urgrossvater zum Bürger geworden sey. Gorgias
aus Leontium empfand diese Schwierigkeit, oder er
wollte auch vielleicht nur jene Definition lächerlich
machen, indem er sagte: Was von einem Schuhmacher
verfertigt werde, sey ein Schuh: und so
sey ein Bürger von Larissa, wer auf der Werkstatt
eines Larissaermachers fabricirt werde; es gebe
aber Meister, die diese Waare verfertigten.Die Wahrheit zu sagen, jene Definition zeigt
von der geringen Einsicht ihrer Urheber. Kamen
den Personen, die von ihnen für Bürger erkannt
werden, die Vorrechte zu, welche ich als Merkmahle
des Bürgers angegeben habe: so waren sie Bürger,
sie mochten abstammen, von wem sie wollten.
— Und wie hätten denn die ersten, die eine Stadt
baueten, oder ein gemeines Wesen stifteten, Bürger
seyn können, wenn es unumgänglich nothwendig
wäre, von Bürgern abzustammen, um selbst
einer zu seyn? — Noch vielleicht grössre Schwierigkeiten
würde es kosten, diejenigen unter diese Definition
zu bringen, die nach einer Staats-Revolution
das Bürgerrecht bekommen. Eine solche Veränderung
machte Klisthenes, nachdem die Tyrannen verjagt
worden waren. Er nahm nähmlich damahls
viele aus dem Sklavenstande und Fremde die in
Athen wohnten, in die Bürgerzunft auf.Was bey solchen neu gemachten Bürgern zweifelhaft
seyn kann, ist nicht, ob sie Bürger sind,
sondern nur, ob sie es mit Recht oder Unrecht sind.
Wiewohl hinwiederum eine zweyte Frage ausgeworfen
werden könnte: ob nicht der, welcher nicht
rechtmässiger Weise Bürger ist, so gut als gar kein
Bürger sey; — insofern im Moralischen das Unrechtmässige
für soviel gilt, als das Falsche,
das Unächte.Unterdessen sehen wir doch, dass wir nicht aufhören,
diejenigen Personen Obrigkeiten zu nennen,
die ihr obrigkeitliches Amt auf eine unrechtmässige
Weise verwalten. Das Unterscheidende eines Bürgers
aber liegt in einem gewissen Amte, das er verwaltet:
er ist, wie ich gesagt habe, nur insofern
Bürger, als er an diesen und jenen obrigkeitlichen
Geschäften Antheil nimmt. Es ist also klar, dass
jene neu aufgenommen, auch ohne Rücksicht auf
die Gerechtigkeit der Verkehre, durch welche sie Bürger
geworden sind, doch diesen Nahmen verdienen,
so lange sie in der wirklichen Ausübung der damit
verbundnen Functionen sind.Die andre Frage, ob jemand mit Recht oder
Unrecht Bürger ist, kommt einigermassen mit derjenigen,
der ich im Anfange dieses Kapitels erwähnte,
überein: wenn man nähmlich wissen will: in
welchem Falle man eigentlich ein gewisses Unternehmen,
dem Staate als Corpori zuschreiben dürfe.
Ob z. B. noch derselbe Staat vorhanden sey, wenn
in derselben Gesellschaft von Menschen die Regierung
aus der oligarchischen oder despotischen, demokratisch
geworden ist. Einige glauben, dass, nach einer
solchen Veränderung, ein fremder Staat nicht
verbunden sey, die Verträge zu halten, die er vor
derselben eingegangen: denn er habe diese Verträge
mit dem Despoten, nicht mit der Republik geschlossen.
Dieses Räsonnement würde von allen Staaten
gelten, deren Verfassung, wie es bey so vielen
der Fall ist, nicht durch Einsicht des Bessten von
der ganzen Communität gewählt worden, sondern
durch Uibermacht und Sieg einer Partey entstanden
ist. — Es kann nicht richtig seyn, weil es zu
viel beweisen würde. Wollte man sagen, nur in einer
demokratischen Verfassung sey das, was von
der Regierung gethan wird, dem ganzen Staate zuzuschreiben?
Aber die demokratische Verfassung
kann ebenfalls auf jene gewaltthätige Art entstanden
seyn. Jst also bey ihr der Actus des regierenden
Theils als Actus des Staats anzusehen: so ist
der nähmliche Fall bey der Oligarchie und der Regierung
eines Despoten: so lange diese Regierungsform
wirklich besteht.
Zweytes Kapitel.
Was ist die Jdentität eines Staates? worauf beruht
sie?
Mit der jetzt angestellten Untersuchung ist eine
andre Frage verwandt: "wenn und aus welchen
Gründen man von einer Stadt (d. h. einem städtischen
gemeinen Wesen) sagen kann, dass sie noch
dieselbe, oder dass sie nicht mehr dieselbe sey."
Die leichteste und oberflächlichste Art, diese Frage
zu beantworten, ist, wenn man sagt: "das gemeine
Wesen einer Stadt ist dasselbe, wenn
die Menschen, welche es ausmachen, dieselben sind,
und wenn sie an demselben Orte beysammen wohnen
bleiben." Was den letztern betrifft: so ist es
sehr wohl denkbar, dass Menschen sich an verschiedne
Oerter zerstreuen, und doch zu derselben Stadt
gehören können. Auf der andern Seite können
Menschen auf derselben Fläche Landes neben einander
wohnen, und können doch nicht wohl als ein
städtisches Gemeinwesen angesehen werden. Auch
die Mauren, die man um diese Fläche zöge, würden
es nicht ausmachen. Der Peloponnes könnte
ummauert werden: aber er würde desswegen doch
nicht Eine Stadt, sondern ein Jnbegriff verschiedener
Völkerschaften seyn. Vielleicht war Babylon
eine Stadt in diesem Verstande (von der man sagt,
dass da sie vom Cyrus eingenommen worden war,
am dritten Tage noch einige Quartiere derselben
nichts von der Einnahme wussten), und vielleicht
ist es jede Stadt von so ungeheurem Umfange,
dass sie mehr eine Nazion als ein einzelnes gemeines
Wesen in sich schliesst. — Doch diese Fragen,
ob Menschen, die getrennt von einander wohnen,
oder ob Menschen, die neben einander über einen
gewissen massigen Umfang hinaus wohnen, eine
und dieselbe Stadt ausmachen können, sind
an und für sich weder sehr erheblich, noch sehr
schwer zu beantworten. Es kömmt hiebey auf den
Begriff Stadt an, der im gemeinen Sprachgebrauch
im mannigfaltigen Sinne, bald von den Gebäuden bald
von den Menschen gebraucht wird. Jn einer
andern Rücksicht gehört diese Untersuchung nicht
hieher, wiewohl sie in die Staatswissenschaft überhaupt
gehört: — in sofern nähmlich der Politikus
wissen muss, bis zu welcher Grösse es nützlich sey,
den Umfang einer Stadt anwachsen zu lassen, und
ob es besser sey, nur Eine Völkerschaft, einen
Stamm, oder mehrere in derselben zu vereinigen.Aber die andre Frage gehört mehr hieher, ob,
vorausgesetzt, dass dieselben Menschen an demselben
Orte wohnen bleiben, das gemeine Wesen so
lange als das nähmliche anzusehn ist, so lange sich
das Geschlecht der ersten Anbauer durch die Fortpflanzung
erhält, ohnerachtet von den Jndividuis
immer nach und nach die einen abgehn, und andre an
ihre Stelle treten (ungefähr so wie wir einen Fluss
oder eine Quelle immer als dieselben betrachten, obgleich
das Wasser was jetzt in denselben fliesst, hinweg
läuft, und wieder von anderm zuströmenden
ersetzt wird); oder ob diese Ursache, um welcher willen
wir eine Nazion, ein Menschengeschlecht immer
für dasselbe erkennen, doch nicht hinlänglich
sey, um das gemeine Wesen oder die Stadt in diesem
Verstande als Eins und dasselbe anzusehen.So viel ist gewiss, wenn wir unter dem
Worte Stadt oder Gemeines Wesen, die Verbindung
der neben einander wohnenden Menschen,
durch einen gewissen gesellschaftlichen Vertrag, verstehen:
so ist klar, dass, wenn die Art dieser Verbindung
abgeändert wird, auch das gemeine Wesen nicht
mehr dasselbe sey, und da diess die Staatsverfassung
heisst, mit Umwechselung derselben auch das
gemeine Wesen ein anders wird: Ungefähr so wie
der Chor auf unsern Schaubühnen aus denselben
Personen bestehen kann, und doch für ein anderes
Chor gehalten wird, wenn er das einemahl tragische
Gesänge und Tänze, das andremahl komische
aufführt. Jedes andre zusammengesetzte Ding, dessen
Natur und Wesen in der Verbindung vieler
Theile besteht, ändert seinen Nahmen, und verliert
seine Jdentität, wenn die Zusammensetzungsart dieser
Theile gänzlich verändert wird. Dieselben Töne
in eine andre und wieder andre Folge und Verbindung
gebracht, heissen das einemahl die Dorische,
das andremahl die Phrygische Modulation.Hieraus ist also klar, dass, um von der Jdentität
eines Staats (eines gemeinen Wesen) zu urtheilen,
ob es noch das alte, oder ein neues entstanden
sey, hauptsächlich auf die Constitution desselben
gesehen werden müsse. Der Staat kann noch
der nähmliche seyn, als vor 50 Jahren, wenn
gleich jetzt ganz andre Menschen in dem Gebieth
desselben wohnen: und er kann ganz ein anderer
werden, indess die Einwohner unverändert bleiben.
Ob aber in einem solchen Falle die vor der Veränderung
geschehenen öffentlichen Verhandlungen
und Verträge auch nach derselben ihre Giltigkeit
behalten oder nicht: davon muss an einem andern
Orte gehandelt werden.
Drittes Kapitel.
Ob die Tugend des Bürgers und die des Menschen
einerley sey?
Mit den bisher abgehandelten Materien hängt
eine andre Untersuchung zusammen: die, ob die
Tugend des rechtschaffenen Mannes, und die Tugend
des guten Bürgers für eine und dieselbe Tugend
zu halten sey, oder ob sie verschieden sind?
Um uns den Weg dahin zu bahnen, müssen wir
erst von der Bürgertugend einige bestimmtere Begriffe
festzustellen suchen.Der Bürger ist im Staat, wie der Seefahrende
im Schiffe, ein Glied einer zu einem gewissen
Zwecke vereinigten Gesellschaft. Die, welche
auf einem Schiffe mit einander zur See gehen,
haben zwar verschiedene Functionen, und nach denselben
auch verschiedne Nahmen: der eine ist Bootsknecht,
der andre Schiffskapitän, der dritte Steuermann.
Jeder hat in dieser ihm eignen Qualität
auch eine besondre Tugend; d. h. es sind jedem
gewisse besondre Eigenschaften nöthig, um das
vollkommen zu seyn, was er seyn soll. Aber es
gibt auch Eigenschaften, die sie alle gemeinschaftlich
haben müssen, in sofern sie alle an einem gemeinsamen
Endzwecke arbeiten, nähmlich an einer
sichern und glücklichen Fahrt, wornach der Steuermann
sowohl als der Matrose verlangt. Diese
Eigenschaften in ihrer Vollkommenheit nun werden
die Tugend der Seeleute ausmachen.Auf gleiche Weise haben die Bürger eines
Staats, obschon ungleich unter sich in Rang und
Verrichtungen, doch Einen Zweck, woran sie arbeiten,
nähmlich die Erhaltung der unter ihnen
errichteten Verbindung. Diese Verbindung und die
Bedingungen derselben machen die Staatsverfassung
aus. Die Tugend des Bürgers also, welche nichts
anders als der Jnbegriff der zu jenem Endzwecke
erforderlichen Eigenschaften ist, ist nur eine relative
Tugend, sich beziehend auf die Verbindung desselben
mit andern zu einer bürgerlichen Gesellschaft,
und auf die Art dieser Verbindung oder
die Constitution. Da es nun mehr als Eine
Gattung von Staatsverfassung gibt: so kann die
Tugend des guten Bürgers nicht unter allen Umständen
eine und dieselbe, sie kann also nicht eine
absolute und vollkommne Tugend seyn. — Diejenige
Tugend aber, um deren willen wir einen Menschen,
einen biedern Mann, einen vortrefflichen
Menschen nennen, ist etwas Absolutes und Vollständiges,
denn sie ist der Jnbegriff solcher Eigenschaften,
die an sich, und ohne Beziehung auf etwas
anders Vollkommenheiten sind. Es ist demnach
möglich, dass jemand ein guter Bürger sey,
und doch derjenigen Tugend ermangele, welche den
vortrefflichen Menschen macht.Auch noch von einem andern Gesichtspuncte
kann man ausgehen, um zu untersuchen, in wiefern
zur besten Verfassung des gemeinen Wesens
die Tugend des einzelnen Bürgers nothwendig sey.Es ist nicht zu denken, dass ein ganzer Staat
aus lauter vortrefflichen Menschen bestehe. Aber
als Bürger müssen doch alle gut seyn, und ihr
Werk, wie es sich gehört, verrichten, wenn der Staat
blühen soll. Diess kann nur von einer Art der Tugend
herkommen, die jeder besitzt. Da nun unmöglich
alle Bürger, auch in den vortrefflichsten Staaten,
an Vorzügen des Verstandes und Herzens einander
gleich seyn können; alle aber die Bürgertugend
haben müssen, wenn der Staat in guter Verfassung
seyn soll: so muss Bürgertugend, und Menschentugend
von einander verschieden seyn.Noch eins: Der Staat, wie so viele Werke
der Natur, muss aus einem edlern und einem unedleren
Theile bestehen, So besteht das Thier aus
Körper und Geist, die Seele enthält Verstand und
Sinnlichkeit in sich. Mann und Frau, Herr und
Knecht sind nothwendig, um eine Familie auszumachen.
Ein Staat begreift alle diese Dinge und
noch mehrere ungleichartige unter sich. Wie wäre
es also wohl möglich, dass er von allen seinen
Bürgern eben dieselben Eigenschaften, und also eine
gleiche Tugend fordern könnte? Diess ist eben
so wenig möglich, als man im Ballet vom Solotänzer
und vom Figuranten gleiche Geschicklichkeiten
im Tanzen fordern darf.So viel erhellet aus allem diesen mit Gewissheit,
dass im Allgemeinen die Tugend des Bürgers
und die des Menschen nicht einerley ist.Aber daraus folgt nicht, dass es nicht gewisse
Bürger gebe, bey denen die Erfüllung ihrer Bürgerpflicht
alle diejenigen Vollkommenheiten des Charakters
voraussetze, die wir die menschliche Tugend
nennen. Vielleicht gehören die, welche den Staat
regieren, zu solchen Bürgern. Niemand kann ein
guter Regent eines Staats seyn, wenn er nicht
ein Weiser und ein rechtschaffener Mann ist. Auch
der, welcher dem Staate als Rathgeber oder in
irgend einem Zweige öffentlicher Geschäfte dienen
will, muss Klugheit und Einsicht haben.Damit stimmt die Meinung derjenigen überein,
welche den, der zum Regieren und zu obrigkeitlichen
Aemtern bestimmt ist, auch auf eine eigne
Art erzogen wissen wollen. — Jn den ältesten
Zeiten schon sehen wir, dass die Söhne der Könige,
sorgfältiger als die Söhne der übrigen, im
Reuten und in kriegerischen Uibungen unterrichtet
wurden. Und Euripides sagt zu einem solchen
Lehrer:"Nicht in gefallenden Künsten, in Tugenden
nützlich dem Staat, in diesen sollst du mich
üben."
und er scheint dadurch ebenfalls anzuzeigen, dass
der zum Regieren Bestimmte eine eigne Art der Bildung
haben müsse,Wenn demnach die Eigenschaften, welche die
Regententugend ausmachen, eben dieselben
sind, welche wir als absolute Vollkommenheiten
der menschlichen Natur ansehn, und Menschentugend
nennen, wenn hingegen Bürger auch derjenige
seyn kann, welcher bloss regiert wird, und
also die Regententugenden nicht bedarf: so folgt,
dass, im Allgemeinen betrachtet, Bürger- und Menschentugend
nicht einerley ist, obwohl bey einer gewissen
Klasse der Bürger, und in gewissen Regierungsformen
die letztre nöthig seyn kann, um die
Pflichten der ersten zu erfüllen. Dieser Unterschied
der Qualitäten, die zum Regieren und zum Gehorchen
gehören, kann machen, dass der, welcher
die ersten in einem hohen Grade hat, wie Jason
sagte, nach der obersten Gewalt hungert und durstet,
weil er nähmlich nicht versteht als eine Privatperson
zu leben.Hier begegnet uns aber eine neue Schwierigkeit.
Es wird so oft als ein grosses Verdienst gelobt, —
eben sowohl befehlen als gehorchen zu
können: und es wird insbesondere als das Verdienst
eines echten Bürgers angesehen, beydes zu verstehen,
als Obrigkeit und als Untergebener seine Rolle
gleich gut zu spielen.Wenn wir nun die Regententugend, und die
Tugend, welche den vorzüglichen Menschen macht, für
einerley annehmen; die Bürgertugend aber beydes
in sich begreifen soll, regieren und regiert werden
zu können: so würde folgen (da die Regententugend
die höhere ist), dass es nicht so lobenswürdig
sey, beydes, als nur eines hiervon zu wissen.Um das gehörig zu beurtheilen, in welchem
Falle der, welcher andern befiehlt, und der, welcher
dessen Befehle ausrichtet, einerley wissen, einerley
Geschicklichkeit haben müsse, und in welchem
Falle jeder von ihnen andre Kenntnisse und Tugenden
branche; — und in wiefern also der wahrhaft
gute Bürger an beydem Theil haben müsse: —
diess zu beurtheilen, muss man auf folgendes Acht
geben:Es gibt eine Gattung der Herrschaft, derjenigen
gleich, welche der Hausherr über seine Sklaven
führt: vermöge welcher er sie nähmlich zu den
gemeinen aber nothwendigen Diensten des Lebens
braucht: Bey dieser ist es nicht nothwendig, dass
der Herr dasjenige zu machen verstehe, was der
Untergebne thun soll. Es ist genug, wenn er versteht
die Arbeitsamkeit desselben zweckmässig anzuwenden.
Ja grade umgekehrt, es würde dem Herrn
unanständig und erniedrigend für ihn seyn, wenn
er jenes wüsste, ich meine, wenn er seinem Sklaven
in der Geschicklichkeit gut bedienen zu können
gleich käme.Nun gibt es aber, wie ich gesagt habe, mehrere
Arten Sklaven, oder in einem sklavischen Zustande
lebender Menschen: weil es nähmlich verschiedene
Arten der Verrichtungen gibt, die alle
gleich niedrig und knechtisch sind. Eine Klasse davon
machen die Handwerker aus. Diess sind, wie
es schon ihr Nahmen anzeigt, die von der Anwendung
ihrer Hände mehr als ihres Kopfes leben.
— Unter diese gehören auch die mechanischen
Künste, die die Griechen β nennen. Weil
allen diesen etwas Sklavischen anzukleben scheint:
sind vor Alters in vielen Republiken, diejenigen,
welche eine solche Nahrung treiben, von allen öffentlichen
Aemtern ausgeschlossen gewesen: diess geschah
nähmlich so lange, als noch kein eigentliches
gemeines Volk, kein Pöbel, der doch Bürgerrecht
gehabt hätte, in den Städten vorhanden war.Die Verrichtungen deren also, welche in dieser
Gattung der Herrschaft der gehorchende Theil
sind, braucht der, welchem wir als Mann oder
als Bürger Tugend oder Vollkommenheit zuschreiben,
nicht zu verstehen, es sey dann, dass er diess
bloss seiner eignen Unterhaltung und seines Nutzens
wegen wolle. Denn da er niemahls in den Fall
kommen kann, Sklave oder sklavisch arbeitender Handwerker
seyn zu müssen, so wenig dieser in
den Fall kommen kann, ihm als Herr zu befehlen:
so hat er auch nicht nöthig, die für diese Lage nöthige
Eigenschaften sich zu erwerben.Nun gibt es aber noch eine andre Art von
Herrschaft, die, welche ein Freyer über andre Freye
führt, die, wo Regierende und Gehorchende, von
gleicher Geburt, von gleicher Natur und Bestimmung
sind; und wo die den erstern aufgetragene Herrschaft
nur die Zusammenstimmung der Vielen zu
Einem Endzwecke erleichtern soll. Diess ist die eigentliche
politische Regierung; es ist diejenige,
welche der Regierende erst dadurch lernen muss,
indem er zuvor regiert worden ist und gehorcht hat.
Von dieser Art sind die Commandostellen in der
Armee. Wer Reuterey anführen soll, muss zuvor
als Reuter unter Anführung eines andern gedient
haben. Der General, der Oberste, der Hauptmann,
lernen erst ihre Befehlshaberstellen gehörig
begleiten, indem sie vorher andern Generalen, Obersten,
Hauptleuten, unterworfen gewesen sind. Und
in Beziehung auf diese Art der Obern ist es richtig,
dass niemand gut befehlen kann, als der zuvor gehorchen
gelernt hat. 'Diess hindert demohnerachtet nicht, dass, obgleich
der recht vollkommne Bürger beydes wissen
soll, die Regierung führen, und sich von der Regierung
brauchen lassen, obgleich auch der vorzügliche
Mensch zu beyden aufgelegt seyn soll: doch
die Tugend, welche zu dem ersten erfordert wird,
noch etwas Verschiednes sey von der Tugend, welche
man in letzterm Falle ausübt. Es gibt nähmlich
von den menschlichen Tugenden, die mit denselben
Nahmen belegt werden, von Gerechtigkeit,
Mässigung u. s. w. mehrere Arten. Diess zeigt sich
an dem Beyspiele der beyden Geschlechter. Mässigung
und Muth sind Tugend für den Mann
und die Frau. Aber die männliche Mässigung und
der männliche Muth sind von ganz anderer Art;
als die weiblichen Tugenden gleichen Nahmens.
Ein Mann würde noch feige scheinen; wenn er nicht
mehr Muth hätte, als von einem tapfern Frauenzimmer
gefordert wird; und eine Frau würde noch
vorlaut und geschwätzig scheinen, wenn sie nur eben
so zurückhaltend wäre, als es der Mann seyn muss.
So sind auch die öconomischen Tugenden des Mannes
und der Frau verschieden. Der Mann muss
diejenigen haben, die zum Erwerben, die Frau diejenigen,
B
welche zum Aufbewahren und Erhalten
gehören.Die drey genannten Tugenden Mässigung,
Gerechtigkeit und Muth müssen, ob wohl
in verschiednem Maasse und Art, dem regierenden
und dem regierten Theile gemein seyn. Aber die
Klugheit, die Einsicht ist die dem regierenden
ganz allein eigene Tugend. Der, welcher regiert
wird, darf nicht die eigne vollständige Erkenntniss
der Sache haben, zu welcher er mitwirkt; er darf
nur durch beygebrachte richtige Meinungen in dem
Theile, der ihm aufgetragen ist, aufgeklärt werden.
Er verhält sich zum Regierenden, wie der
Verfertiger der Flöte zu dem Flötenspieler. Der
letzte ist es, welcher das Jnstrument braucht, welcher
also Zweck und Vollkommenheit desselben durch
eigne Erfahrung kennt: der erste muss nur die Anweisung
des Musici annehmen, und vollziehn.Ob demnach die Tugend des guten Bürgers,
und die des vollkommenen Menschen einerley, oder
verschieden von ihr sey; und in wiefern, mit welchen
Einschränkungen man das eine oder das andre
bejahen müsse, wird sich aus dem bisher Gesagten
mit hinlänglicher Deutlichkeit ergeben.Uiber den Begriff des Bürgers ist aber noch
eine Frage übrig, welche mit der vorhergehenden
Abhandlung zusammen hängt: ob nur der für einen
wahren Bürger im eigentlichen Verstande gelten
könne, der mit an der Regierung Theil hat, oder
ob auch die gemeinen, obgleich freygebohrnen Handwerker,
deren Körper durch ihre Handthierung
verunstaltet, und deren Seele eben desshalb nicht
cultivirt wird, für Bürger zu achten sind. Jst
das letztere: so würde es möglich seyn, jenen Begriff
von Tugend auf alle Bürger auszudehnen.
Nähme man das erstre an, und schlösse alle diese von (e
der Bürgerzahl aus: — wohin sollte man sie
rechnen? Reisende sind sie nicht, die sich nur als
Gäste aufhielten: Fremdlinge, die nur bloss unter
fremden Schutz sich begeben hätten, auch nicht.
Oder sagt man, dass diess nichts für ihr Bürgerrecht
beweise: auch die Sklaven, auch die Freygelassenen,
wären Einwohner der Stadt, nicht Gäste,
nicht Schutzverwandte; aber doch nicht Bürger?
Soviel ist unstreitig, dass nicht alle diejenigen für
Bürger zu halten sind, ohne welche die bürgerliche
Gesellschaft nicht seyn und bestehn kann. Auch
selbst die Bürger-Kinder, obgleich unter keine der
obigen Rubriken zu bringen, sind doch nicht so ächte
und so vollständige Bürger als ihre Väter.Diesen Begriffen war auch in den ältern Zeiten
die Unterordnung der Stände gemäss. Die ganze
Klasse der von grober Handarbeit sich nährenden,
so wie die Fremdlinge wurden zum Sklavenstande
gerechnet. Und noch jetzt sind viele aus beyden
Klassen wirklich Leibeigne. Auch wird in der That
der Staat, welcher am bessten eingerichtet ist, dem
niedrigen Handwerker nicht das volle Bürgerrecht
zugestehn.Wenn man aber alle diese für Bürger annehmen
will: so wird man alsdann den Begriff der
Bürgertugend ändern, oder sagen müssen, dass der,
welchen wir gegeben haben, nicht auf alle Einwohner
der Stadt, auch nicht auf alle Freygebohrnen,
die den Nahmen Bürger führen, sondern nur auf
diejenigen passe, die sich nicht durch ihre Handarbeit
ihr Brot erwerben dürfen. Von diesen letztern verrichten
einige diese Handarbeiten nur zum Bessten
eines einzigen: dieses sind die wahren eigentlichen
Sklaven: andre dienen damit dem ganzen Publico;
diese sind entweder Tagelöhner oder Handwerksmeister.Diese Darstellung der Sachen kann die Untersuchung
derselben erleichtern. Nähmlich, da es
mehrere Staatsverfassungen gibt: und nach denselben
die verschiedenen Klassen der Einwohner bald
mehr, bald weniger Rechte haben: so muss auch
der Nahme Bürger Personen ganz verschiedner Art
beygelegt werden; und diese Verschiedenheit in der
Ausdehnung dieses Begriffs muss vorzüglich bey den
untern Bürgerständen vorkommen. Jn der einen
Verfassung werden Tagelöhner und Handwerker nothwendig
zu Bürgern mitgezählt werden müssen; in
einer andern wird es unzulässig seyn, ihnen diesen
Titel zu geben. Diess letztere wird der Fall, z. B.,
in denjenigen Staaten seyn, die wahrhaft aristokratisch
regiert seyn, und Aemter bloss nach persönlichen
Eigenschaften, und nach innerer Würdigkeit
der Personen austheilen wollen. Denn es ist
unmöglich, dass Leute, die mit Tagelöhner- oder
gemeiner Handwerksarbeit ihr Leben zubringen, sich
jene Verdienste erwerben, oder die Tugenden, von
welchen die Rede ist, cultiviren könnten. Jn oligarchisch regierten Staaten,
können Tagelöhner
nicht Bürger seyn, denn die Theilnehmung an öffentlichen
Aemtern hängt hier von einer gewissen Grösse
des Vermögens ab: Tagelöhner aber können
sich niemahls viel Vermögen erwerben. Handwerker
aber können in denselben Bürger werden: denn
es gibt ihrer viele, die sich durch ihr Gewerbe bereichern.Jn Theben ist ein Gesetz, dass niemand, der
nicht seit zehn Jahren aufgehört habe, Waaren auf
dem Markte feilzubiethen, zu obrigkeitlichen Aemtern
zugelassen werden könne.Jn vielen Städten suchen die Gesetze auch
Fremde herbeyzuziehn, indem sie ihre Verbindung
mit Bürgerstöchtern begünstigen. So wird in einigen
Demokratien derjenige für Bürger angesehen,
der nur eine Bürgerin zur Mutter hat, wenn auch
der Vater ein Fremder gewesen.Jn Absicht der ehelichen und unehelichen Kinder
sind die Gesetze ebenfalls ungleich. Da wo sich
Mangel an ehelich erzeugten Bürgerkindern fand,
nahmen sie, um die Volksmenge nicht zu sehr abnehmen
zu lassen, auch die Bastarte zu Bürgern
an. Wenn aber dieselben Staaten reicher an Menschen
wurden, machten sie die Schranken stufenweis
enger, und benahmen zuerst den Kindern die
mit einer Sklavin oder einem Sklaven erzeugt worden
waren, dann denen, welche nur von mütterlicher
Seite von Bürger-Geschlechtern abstammten,
das Bürgerrecht; bis sie zuletzt nur bloss die von einem
Bürger mit einer Bürgerin ehelich erzeugten Kinder
für Bürger gelten liessen.Das klare Resultat von allem diesem ist: es
gibt mehrere Arten der Bürger: diejenigen sind es
im vorzüglichen Verbande, die an den Ehren
stellen der Republik Theil haben. Denn so sagt
Homer: "wie den verachteten Flüchtling, ohne
Würden und Rang"
er sieht also als das Kennzeichen eines Flüchtlings,
eines Fremden an, dass er an der Würde
der Republik, wohin er seine Zuflucht genommen,
keinen Theil hat.Wo dieses nicht durch ausdrückliche Gesetze
deutlich bestimmt wird: da geschieht es, um einen
Theil der Einwohner gleichsam zu hintergehn, und
ihnen mit dem Titel eines Bürgers zu schmeicheln,
ob ihnen gleich die wesentlichen Rechte desselben
entzogen sind.Die im Anfange aufgeworfne Frage also: ob
die Tugend, nach welcher man jemanden einen vorzüglichen
Mann nennt, und die, nach welcher er
ein guter Bürger heisst, eine und dieselbe, oder ob
eine von der andern verschieden ist; diese Frage ist
durch das bisherige so beantwortet worden: Es
hängt diess von den Rechten ab, die in jedem Staate
den Bürgern überhaupt eingeräumt, von den
Pflichten, die von ihnen gefordert werden. Nach
diesen gehören in dem einen Staate zu den Requisiten
eines Bürgers alle Tugenden des Menschen;
in andern nicht; aber auch im ersten Falle sind es
nicht durchaus alle, welche den Nahmen eines Bürgers
führen, von welchen diese Tugenden gefordert
werden, sondern nur die, welche die vorzüglichsten
Rechte eines Bürgers besitzen, welche an der Staatsverwaltung
Theil nehmen, und die öffentlichen Angelegenheiten,
es sey in Gesellschaft mit andern,
entweder wirklich in Händen haben, oder in ihre Hände
zu bekommen hoffen können.
Viertes Kapitel.
Einleitung in die Untersuchung der verschiednen
Staatsformen. Zweck der Staatsverfassung.
Nach Endigung dieser Untersuchung ist nun zunächst
die Frage zu beantworten: ob es nur Eine
Form der Staatsverfassung gebe, oder mehrere;
und wenn mehrere, wie viele derselben sind, wodurch
sie sich von einander unterscheiden, und was
jede Eigenthümliches habe.Die Staatsverfassung ist nichts anders, als
die Regel, wornach die Verbindung der Menschen
in einer bürgerlichen Gesellschaft angeordnet ist, besonders
die Regel, welche die Rechte der verschiednen
Regierungs-Aemter, und am meisten die Rechte
der höchsten Obrigkeit bestimmt.Die Natur der Staatsverfassung hängt hauptsächlich
davon ab, in wessen Händen die höchste
Gewalt ist. Jst sie bey dem Volke, so heisst die
Verfassung demokratisch. Jst jene Gewalt in einer
gewissen Anzahl von Familien erblich: so ist der
Staat eine Oligarchie. Hiervon ist die wahre republikanische
Verfassung unterschieden, wo das Volk,
aber ein edles und gutes Volk, gesetzmässig regiert. .
Alle übrige Regierungsformen, die eigne Nahmen
haben, erhalten sie auf gleiche Weise von dem im
Staate herrschenden Theile.Vor allen Dingen muss ausgemacht seyn, erstlich,
warum die Menschen zuerst sich zu einer bürgerlichen
Gesellschaft vereiniget haben; zweyten, wie
vielerley Arten der Herrschaft von Menschen
über Menschen, oder von einem Gliede einer Gesellschaft
über die übrigen Glieder, es gebe.Schon in den ersten Kapiteln, wo ich von der
häuslichen häuslichen und herrschaftlichen Gesellschaft und deren
Regierung handelte, habe ich gesagt: dass der
Mensch ein von der Natur zum geselligen bürgerlichen
Leben gebildetes Geschöpf ist. Und desshalb suchen
die Menschen sich mit ihres Gleichen zu verbinden,
auch wenn sie die Hülfe derselben nicht brauchen.
Aber allerdings kömmt der gegenseitige Nutzen,
den sie einander leisten können, hinzu, sie noch
stärker an einander zu ziehn, in so fern jeder wünscht, das
glücklichste und angenehmste Leben zu führen,
welches ohne Mitwirkung vieler andern nicht möglich
ist. Dieses also, das glückselige Leben, ist als
der vornehmste und allgemeinste Zweck, warum bürgerliche
Gesellschaften errichtet worden, anzusehn:
ein Zweck, den sowohl jedes Jndividuum für sich,
als die Gesellschaft im Ganzen erreichen soll.Doch treten Menschen auch bloss darum in
Verbindung, um ihr Leben zu erhalten, ohne noch
an Glückseligkeit zu denken. Vielleicht liegt aber
schon im Leben selbst etwas von Glückseligkeit. Wenigsten
sehen wir, dass die Menschen, wenn die
Uibel, die sie im bürgerlichen Leben drücken, nicht
überwiegend gross sind, zufrieden mit der blossen
Existenz, in ihrem Zustande gerne beharren, und
die Verfassung, unter der sie stehen, aufrecht erhalten.
Ja bey dem grössten Theil der Menschen ist
die Liebe zum Leben so gross, dass sie selbst mitten
unter grossen Quaalen lieber aushalten, als dem Leben
entsagen. Ohne Zweifel also, dass in dem blossen
Gefühl des Daseyus für die Menschen eine Annehmlichkeit,
ein gewisser Genuss liegt, den die Natur
damit verbunden hat.Was zweytens den Hauptunterschied in der
Natur der Regierungen anbetrifft, so ist derselbe
nicht schwer anzugeben, da er auch in andern mehr
populären Schriften oft vorgekommen ist.
Die Herrschaft des Despoten, oder die über
Leibeigne ist die eine Art der Regierung. Sie unterscheidet
sich dadurch, dass, obgleich, in Facto,
der von der Natur zum Gebiether und der von ihr
zum Sklaven gebildete Mensch, beyde in diesem
ihrem Verhältnisse gegen einander, ein gleiches Jnteresse
finden, doch der Herr zum directen Zwecke
seiner Beherrschung nur seinen eignen Nutzen hat,
den Nutzen des Leibeignen aber nur per accidens
daraus entsteht. Nähmlich die Erhaltung des Knechts
ist nothwendig, wenn nicht die ganze Herrschaft
mit allen davon abhängenden Vortheilen des Herrn
ein Ende haben soll.Die zweyte Gattung ist die Herrschaft der
Aeltern über die Kinder, des Mannes über die
Frau, des Hausvaters über die sämmtlichen freyen
Hausgenossen, — welche ich die Familien- oder
häusliche Regierung nenne. Diese hat entweder bloss
das Besste der Untergebnen, oder das gemeinschaftliche
Besste beyder, des Obern und der Untern,
zum Endzweck.Sie ist nähmlich den Künsten ähnlich, die auch
eine gewisse Art der Herrschaft ausüben, z. B. der
Arzneykunst und der Gymnastik. Beyde suchen ihrer
Bestimmung nach und zunächt nicht den Nutzen
des Arztes oder des gymnastischen Lehrmeisters,
sondern den Nutzen der Kranken oder der Lehrlinge.
Zufälliger Weise und unter besondern Umständen ist
es aber sehr wohl möglich, dass sie dem Künstler
selbst zum Vortheil dienen. Der Meister, der andern
die gymnastischen Uibungen lehrt, kann zugleich
selbst sich mit üben, so wie der Schiffscapitän immer
mit einer von den Seefahrenden ist, welche
durch die kluge Regierung seines Schiffes erhalten
werden. Beyde, der gymnastische Lehrer und der
Schiffscapitän, haben zunächst das Besste der ihnen
Untergebnen zur Absicht. Wenn sie aber selbst mit
diesen in gleichem Falle sind, oder sich freywillig
zu ihnen gesellen: so können sie auch an den Vortheilen,
welche sie diesen verschaffen, Theil nehmen.
Der Schiffscapitän ist nothwendig zugleich Passagier;
und der Fechtmeister kann zugleich einer der
Mitfechtenden werden.Von dieser letzten Art soll nun auch die Herrschaft
der Obrigkeit in einem Staate seyn. Um desswillen
wird es auch in einem solchen Staate, wo
alle Bürger sich als ursprünglich gleich oder doch
einander ähnlich betrachten, verlangt, dass die obrigkeitlichen
Stellen wechselsweise bald diesem bald jenem
zu Theile werden. Anfangs geschahe diess aus
der natürlichen Ursache, weil jeder, der eine Zeitlang
ein obrigkeitliches Amt verwaltet, während
derselben seine eignen Angelegenheiten versäumt,
und nur für das Wohl Andrer gesorgt hatte, wünschte,
nunmehro auch wieder sein eignes Jnteresse besorgen
zu dürfen. Die Aemter waren bloss Dienste, dem
Publico geleistet, die billiger Weise einer nach dem
andern über sich nehmen musste.Jetzt ist die Sache anders. Um der Vortheile
willen, die mit obrigkeitlichen Aemtern verbunden
sind, und um der Gelegenheiten willen, die sie
darbiethen, sich von den öffentlichen Einkünften zu
bereichern, wollen alle gerne diese Regierungsstellen
auf immer behalten. — Ohne Zweifel würde, wenn
kränkliche Menschen zufälliger Weise so lange gesund
wären, als sie die Regierung führten, die Begierde
und das Streben darnach nicht weniger eifrig
als jetzt seyn; obgleich Gesundheit des Regierenden
gewiss nicht der Endzweck ist, wozu ihm die Herrschaft
übergeben wird.Jch schliesse mit diesem Satz: Alle die Staatsverfassungen,
bey welchen das allgemeine Besste des
ganzen Staats Zweck der Regierung ist, sind, nach
den wesentlichen Grundsätzen der Gerechtigkeit, gut
und vollkommen. Alle die aber, bey welchen bloss
auf das besondre Besste des regierenden Theils gesehen
wird, sind fehlerhaft, und sind nur Ausartungen
jener richtigen Staatsverfassungen. Denn in
ihnen hat die Regierung gegen die Unterthanen das
Verhältnis eines Herrn gegen Leibeigne. Ein Staat
aber ist eine Gesellschaft freyer Leute,
Fünftes Kapitel.
Drey verschiedne Staatsformen; ihr Werth und ihre
Ausartung,
Nachdem diese allgemeine Unterschiede in dem Wesen
der Herrschaft auseinander gesetzt worden; kommen
nun zunächst die besondern Gattungen der Staatsverfassungen,
ihrer Zahl und ihren Eigenschaften
nach, zu betrachten vor; und zwar zuerst die vollkommenen
und regelmässigen. Denn die Abweichungen
von der Regel, die fehlerhaften Verfassungen,
welche Ausartungen der erstern sind, lassen sich alsdann
sehr leicht finden.Da aber Staatsverfassung so viel als Regierungsform,
und diese davon abhängt, wer in einem
Staate die Souveräns-Rechte besitze: so werden
sich hauptsächlich drey Arten der erstern deutlich
unterscheiden lassen. Die oberste Macht des Staats
ist nähmlich entweder in den Händen eines Einzigen,
oder einiger Wenigen, oder des grössern Theils
des Volks.Wenn dieser Einzige, oder die Wenigen, oder
die Menge, ihre Regierung zu dem gemeinschaftlichen
Bessten aller abzwecken lassen: so ist jede dieser
Verfassungen nach unsrer obigen Erklärung
und regelmässig, Jst es aber bloss das Besste dieses
Einzigen, oder der Wenigen, oder des gemeinen
Volks, worauf bey jeder derselben gesehen wird:
so sind sie Ausartungen. Denn entweder muss man
die übrigen, die an der Staatsverbindung, obgleich
nicht an der obersten Macht, Theil haben, gar nicht
Bürger nennen: oder ihr Vortheil gehört mit zu
dem allgemeinen Bessten des Staats.Man pflegt aber bey derjenigen Alleinherrschaft
eines Einzigen, die auf das Besste des ganzen Staats
abzielt, den Monarchen König zu nennen. Jst die
höchste Gewalt mit eben gedachter Einschränkung in
den Händen mehrerer Personen, aber doch an sich
nur weniger, so heisst die Verfassung eine Aristokratie,
oder die Herrschaft der Bessten, es sey,
weil in derselben nur die vorzüglichern Bürger zur
Regierung gelangen, oder weil die, welche regieren,
sich das Besste des Staats und aller, die zu
demselben gehören, zur Absicht vorsetzen.Wenn endlich das Volk, und zwar auch zu
der Absicht des gemeinen Bessten aller, die Regierung
führt: so bekommt diese Verfassung im Griechischen
den generischen Nahmen aller Staatsverfassungen
π: im Teutschen können wir sie die
achte republikanische Regierungsform heissen.Es ist aber, wie sich denken lässt, nur ein
glücklicher Zufall, wenn die Regierung der Menge
eine solche regelmässige Staatsverfassung ist. Denn
dass ein Mensch, oder dass Wenige einige zu einem
so hohen Grade von geistiger Vollkommenheit gelangen,
als zum guten Regieren nöthig ist, lässt
sich als möglich annehmen. Aber dass eine ganze
Menge aus lauter vortrefflichen Männern und zwar
in dem ganzen Umfange menschlicher Tugenden vortrefflich,
bestehen sollte, ist sehr unwahrscheinlich.
Am ersten lassen sich die kriegerischen Tugenden von
ihr erwarten, denn diese entstehen da am leichtesten,
wo viele beisammen sind, und sich einander wechselsweise
Muth einflössen. Um desswillen ist auch
in diesen republikanischen Verfassungen dieses das
Merkmahl der an der Regierung Theil habenden
Bürger, dass sie die Waffen in Händen haben,
und für die übrigen zu Felde ziehn.Von diesen drey genannten Verfassungen gibt
es nun eben so viel Ausartungen. Der Tyrann
ist ein gesetzwidriger König. Die Oligarchie ist
eine ausgeartete Aristokratie; und die Demokratie
eine fehlerhafte Republik. Die Tyranney nähmlich
ist die Herrschaft eines Einzigen, bloss zu dem
Bessten dieses Einzigen abzweckend. Die Oligarchie
ist eine Regierungsform, die bloss das Besste
der wenigern Reichern, — die Demokratie eine,
die bloss das Besste der Aermern zur Absicht hat.
Keine dieser Verfassungen hat das, was allen nützlich
ist, zum Augenmerk.Diese Erklärungen sind an sich deutlich. Demohnerachtet
muss ich noch einige Betrachtungen über
die Natur jeder dieser Verfassungen hinzufügen,
um einige dabey vorkommende Zweifel und Schwierigkeiten
zu heben. Der Philosoph, der irgend einen
Gegenstand theoretisch untersucht, und nicht
bloss practische Regeln geben will, muss keinen Umstand,
so klein er auch scheinen mag, übergehn,
sondern die Wahrheit vollständig und bis auf den
Grund zu erforschen suchen.Es ist, wie schon gesagt worden, die Tyranney
eine despotische Monarchie, oder die
Alleinherrschaft eines einzigen, der gegen die ganze
übrige bürgerliche Gesellschaft in dem Verhältnisse
eines Herrn gegen Leibeigne steht. Die Oligarchie
ist da, wo nur die, welche Vermögen besitzen, an
der Regierung Theil nehmen; die Demokratie, wo
das Heft der Regierung in den Händen des ärmern
grossen Haufens ist.Hier zeigt sich nun die erste Schwierigkeit,
und diese betrifft die Richtigkeit unsrer Eintheilung.
Wenn sich nun an irgend einem Orte der Fall ereignete,
dass die grössere Anzahl wohlhabend wäre,
und diese grössre Anzahl die Regierung in Händen
hätte: so würde nach obigen Erklärungen diess eine
Demokratie zu seyn scheinen, weil der grosse Haufe
regierte, und doch auch keine Demokratie, weil
die Reichen regierten.Wenn es sich auf der andern Seite irgendwo
träfe, dass der Armen weniger wären als der Reichen,
dass jene Wenigen aber sich über diese vielen
Meister zu machen gewusst, und also die oberste
Gewalt in Händen hätten: würde diess eine Oligarchie
seyn, weil der kleinere Theil regierte, oder
eine Demokratie, weil die Aermern regierern?Die Unterscheidungsmerkmahle der verschiedenen
Regierungsformen schienen also nicht richtig angegeben
zu seyn.Wollte man die Wohlhabenheit und die geringere
Anzahl, und hinwiederum die grössre Anzahl
und die Armuth als zwey zusammengehörige Merkmahle
der oben genannten Regierungsformen mit
einander verknüpfen und so definiren: die Oligarchie
sey, wo alle Regierungsämter von den Reichern
besetzt würden, die zugleich an Anzahl die
wenigern wären; die Demokratie sey, wo die Aermern
herrschten, wenn diese zugleich die grössre
Anzahl ausmachten: so würde daraus eine andre
Schwierigkeit entstehn. Es würden nähmlich alsdann
zwey Regimentsverfassungen ohne Nahmen
seyn, die, wo die Reichern, wenn ihrer die grössre
Zahl wäre, — und die, wo die Aermern, wenn
sie den kleinern Theil ausmachten, regierten.Diese Betrachtungen selbst aber führen uns
bey weiterm Nachdenken darauf, dass bey der Oligarchie
sowohl als bey der Demokratie die Anzahl
der Regierenden — der Umstand, dass sie dort den
kleinern, hier den grössern Theil der Bürger ausmacht, —
nur ein zufälliger, aber fast nie ausbleibender
Nebenumstand ist. Es liegt nicht in der
Natur der Verfassungen, dass dort die Wenigern
reich, hier die Mehrern arm seyn müssen; es liegt
in der Natur der Dinge und der Menschen, dass
diess allenthalben wirklich sich so verhält. Jener
Umstand kann also keinen Grund geben, neue Klassen
von Regierungsformen zu machen. Das, wodurch
sich Demokratie und Oligarchie eigentlich unterscheiden,
ist immer, dass dort die Aermern, hier
die Reichern regieren. Und wo Reichthum das Recht
zur Regierung gibt, es mögen derer viel oder wenig
seyn, die Reichthum besitzen, da ist Oligarchie;
wo die Aermern daran Theil haben, da ist
Demokratie. Aber freylich ist es, wie ich gesagt
habe, in Facto immer der Fall, dass der Reichen
weniger, der Armen mehr sind. Denn nur Wenige
haben Gelegenheit und Talente, sich Vermögen
zu erwerben: Aber an dem Rechte freyer Bürger
nehmen alle Theil. Und daraus entsteht dann
die Rivalität zwischen beyden, und der Streit über
die Theilnehmung an den Regierungsgeschäften.
Sechstes Kapitel.
Uiber die Verschiedenheit der Gerechtsamen der Bürger
in den verschiedenen Staatsverfassungen.
Zuförderst müssen wir betrachten, welches die
Grenzen sind, die zwischen Demokratie und Oligarchie
angenommen werden, und worin sich das, was
in der einen und in der andern Regierungsform
recht ist, von einander unterscheidet. Alle
jene Verfassungen haben nähmlich gewisse Grundsätze
des Rechts zu ihrer Basis, und suchen dieselbe
zu befolgen: aber sie folgen dem Rechte nur bis
zu einem gewissen Puncte; sie nehmen für absolut
recht an, was es nur beziehungsweise und unter
gewissen Einschränkungen ist.Zum Beyspiel, die Gleichheit scheint eine Regel
der Gerechtigkeit zu seyn: und diese befolgt die
Demokratie; aber sie ist es nur für Personen, die
N
einander gleich sind. Auch das Ungleiche kann gerecht
seyn: wenn es nähmlich Personen widerfährt,
die ungleich sind. Gemeinhin aber lassen die Menschen
diese Beziehung auf die Beschaffenheit der
Personen aus, und urtheilen desswegen über das
Recht falsch. Die Ursache ist, weil sie dabey über
sich selbst urtheilen sollen, die meisten aber in ihrer
eignen Sache schlechte Richter sind.Das was Recht und Gerecht ist, ist eben sowohl
nach Beschaffenheit der Personen als nach
Beschaffenheit der Gegenstände verschieden (wie ich
diess in der Ethik weiter ausgeführt habe). Uiber
die letzte Verschiedenheit (in Absicht der Gegenstände)
sind die meisten Menschen einstimmig: aber
wegen der erstern sind sie sehr ungleicher Meinung,
zuerst aus der Ursache die ich schon angezeigt habe,
weil sie dabey über sich selbst urtheilen müssen,
welches sie selten mit hinlänglicher Unparteylichkeit
zu thun im Stande sind; sodass aber auch, weil,
wenn sie etwas in gewisser Absicht, unter gewissen
Bedingungen gerecht finden, sie es für absolut
und an sich gerecht halten. Die einen zum Beyspiele,
weil andre ihnen in dem einen Stücke, im
Vermögen nicht gleich sind, sehen diese als durchaus
und in aller Absicht unter ihnen an. Die andern,
weil sie in einem gewissen Punct den übrigen
Bürgern gleich sind, ich will setzen darin, dass
sie so gut wie diese Freygebohrne sind, halten sich
ihnen für völlig gleich.Die Hauptsache aber, worauf es hierbey ankömmt,
zieht keiner von beyden in Betrachtung,
Wenn nähmlich die Menschen bloss des Vermögens
wegen zusammengetreten wären. und sich in eine
Gesellschaft vereinigt hätten: so wäre es billig,
dass jeder an den Vorrechten dieser Gesellschaft in
eben dem Maasse Theil nähme, als er zu dem Eigenthum
derselben beygetragen hat: und so würden
alsdann die oligarchischen Principien richtig
seyn. Denn sicher wäre es höchst ungerecht, dass
von zwey Personen, deren eine 99 Minen, die andere
nur eine beygetragen hätte, um die Summe
von hundert voll zu machen, letztrer doch von dem
zusammengeschossenen Kapital so viel Vortheil zöge
als der erstere; es möchten übrigens beyde gleich
bey Errichtung der Gesellschaft da gewesen oder
erst nach der Hand hinzugetreten seyn.Ganz anders ist die Sache, wenn die Menschen
nicht bloss des Lebens wegen, sondern der
vollkommensten Thätigkeit wegen in Gesellschaft getreten
sind. Wäre das erstre, so müssten auch die
Sklaven und die Thiere selbst zum Staatskörper
gehören, weil doch auch diese darin leben. Sie
werden aber nicht dazu gerechnet, weil sie an derjenigen
Glückseligkeit, welche der eigentliche Endzweck
des bürgerlichen Lebens ist, keinen Theil nehmen,
ich will sagen, weil sie nicht nach eignem
Gefallen selbstthätig zu seyn bestimmt sind.So wenig als das blosse Zusammenleben der
Menschen das Wesentliche eines Staats ausmacht: so
wenig besteht es auch ganz allein in dem Bündniss
zu gemeinschaftlicher Vertheidignug, um sich
vor Beleidigung mit vereinten Kräften zu schützen.Auch liegt es nicht in dem Verkehr, welchen
die im Staate lebenden Menschen, es sey zum
Umtausch ihrer Bedürfnisse, oder es sey zur Mittheilung
ihrer Gedanken, mit einander haben. —
Sonst wären auch die Carthaginenser und Tyrrhener,
und alle die, welche miteinander durch Verträge
und Handlungsverkehr in Verbindung stehn,
Bürger desselben Staats. — Jene beyde Völker
stehen in solchen Verbindungen. Es sind zwischen
ihnen, wegen der wechselseitigen Einführung der
Producte und Kaufmannswaaren, Verabredungen
getroffen. Sie haben einander versprochen, sich
nicht zu beleidigen, und sie haben sich anheischig
gemacht, einander im Kriege beyzustehn. — Aber
es fehlt bey dieser Vereinigung, was zur Einheit
des Staats gehört, dass sie einerley Obrigkeiten
hätten, welche über die Erfüllung dieser Contracte
wachten: — jedes dieser verbündeten Völker hat
dazu bey sich eigne Personen gewählt. — Es fehlt
noch weiter, dass sie sich eines um des andern körperliche,
geistige und moralische Beschaffenheit bekümmerten.
Diese Bundsgenossen sehen nicht darauf,
dass alle die, welche unter dem Bunde stehn,
nicht ungerechte Leute seyn, dass sie nicht den Charakter
haben sollen, welcher zu Bosheiten führt,
sondern nur darauf, dass sie in Bundessachen nicht
ungerecht handeln.Diejenigen aber, welche einem Staate Gesetze
vorschreiben, und ihm eine wahrhaft gute Verfassung
geben wollen, haben allerdings die persönlichen
Eigenschaften der Bürger, die Beförderung
der guten, die Verhinderung der schlimmen zum
Augenmerk. — Es muss also zu dem Wesen und
zu dem eigentlichen Endzweck eines Staats gehören,
dass die Bürger durch ihre Vereinigung bessere,
vollkommnere Menschen, in der That und Wahrheit
zu werden suchen. Nimmt man diese Absicht
hinweg: so ist die übrige bürgerliche Gemeinschaft
nichts weiter, als ein Trutz- und Vertheidigungs-Bündniss,
von andern solchen Bündnissen dadurch
unterschieden, dass dort die Verbündeten nahe bey
einander wohnen, hier entfernt, Auch ist alsdann
das Gesetz nichts anders, als der Bundes-Vertrag,
und wie der Sophist Lycophron sagt, der
Guarant der einander versprochenen Contractsbedingungen:
aber nicht dazu bestimmt, nicht darauf
eingerichtet, die Bürger gut und gerecht zu machen.Wie richtig diese Darstellung der Sache sey:
erhellt auss folgendem: Gesetzt dass jemand zwey
verbündete Städte, z. B. Korinth und Megara, auf
einen Fleck zusammenbrächte, dass die Mauern
derselben an einander stiessen: würden desshalb
beyde nur Eine Stadt ausmachen? — Das würde
selbst dann noch nicht Statt finden, wenn
die Einwohner von beyden festsetzten, dass sie sich
unter einander mit Beybehaltung aller Bürgerrechte,
für ihre Nachkommen verheirathen könnten;
welches doch eine der Verbindungen ist, wodurch
die bürgerliche Gesellschaft sich vorzüglich unterscheidet. —Man setze andre, die zwar nicht zusammenhängende
Wohnungen hätten, aber doch einander
nahe genug wohnten, um mit einander im Verkehr
stehn zu können, zugleich aber über dieses Verkehr
Gesetze unter einander gemacht hätten, dass keiner
den andern beym Tausch der Waaren übervortheilten
sollte, — möchten sie doch auch die Arbeiten
unter sich vertheilt haben, und der eine ein Zimmermann,
der andre ein Ackerbauer, der dritte ein
Schuster seyn: so würden sie doch, wenn keine weitere
Gemeinschaft unter ihnen vorwaltete, nicht als
in einen Staat vereiniget angesehen werden können.
Und warum nicht? — Nicht desswegen, weil sie
einander nicht nahe genug wohnten. Denn man
mache auch sie zu unmittelbaren Nachbarn, ohne
zugleich ihre Verhältnisse anderweitig enger zu knüpfen:
so würde doch jeder sein Haus als einen eignen
kleinen Staat ansehen können, und sie alle zusammen
würden nur als Verbündete zu betrachten
seyn, die sich wechselsweise gegen Beleidigungen zu
Hülfe kommen wollten. Auch dann würde diese
Gesellschafl dem genau der Natur der Dinge nachforschenden
Philosophen noch kein Staat im eigentlichen
Verstande zu seyn scheinen: vorausgesetzt,
dass diese Menschen, nachdem sie auf einen Fleck zusammen
gekommen wären, gegen einander keine genauere
Beziehung bekommen hätten, als die auch
in der Entfernung zwischen ihnen Statt fand.Aus allem diesen ist klar, dass das Wesentliche
der Staats-Verbindungen, weder in dem
Gemeinschaftlichen des Wohnplatzes, noch darinnen
liegt, dass die Menschen sich anheischig machen,
einander nicht zu beleidigen, noch darinnen, dass
sie über den Umtausch der Produkte Verabredungen
unter sich machen. Alles das wird nothwendig
vorausgesetzt, wo man sich eine bürgerliche Gesellschaft
denken soll. Aber alles jenes kann vorhanden
seyn, und doch ist die Gesellschaft noch kein
Staat. Dieser ist nähmlich eine völlige Gemeinschaft
aller der Dinge, die zum glücklichen Leben
gehören, eine Gemeinschaft, die sich sowohl auf
die Wohnplätze als die Geschlechter und Familien
erstreckt, und die zur Absicht hat, den Zustand der
Menschen vollkommen in seiner Art und selbstgenugsam
zu machen.Eine solche Verbindung wird freylich nicht
Statt finden, als unter Menschen, die in einem
eingeschränkten Raum beysammen wohnen, und die
sich unter einander verheirathen. Nur unter solchen
können engere Bündnisse entstehen, dergleichen
wir unter den Bürgern unsrer Städte finden, dass
einige als Schwäger und Verwandte, andre als
Zunftgenossen, als Theilhaber an denselben Opfermahlen,
endlich als blosse gute Gesellschafter, und
die sich durch wechselseitigen Umgang ihre Zeit verkürzen,
zusammenhängen. Aus dem letztern entsteht
die eigne Art von Verbindung, die wir Freundschaft
nennen. Denn das öftre Umgehen mit einander
zielt eigentlich dahin ab, Freundschaften zu
stiften; und Freundschaft kann nicht entstehn, wo
nicht Umgang vorhergegangen ist. Alles das sind
Mittel zum Zwecke, der Zweck der Staatsvereinigung
aber ist Glückseligkeit. Und ein Staat ist
diejenige zwischen mehreren Geschlechtern der Menschen
und ihren Wohnörtern gemachte Verbindung,
welche zur Vollkommenheit und Selbstgnugsamkeit
ihres Zustandes gehört. — Diese Vollkommenheit
des Zustandes besteht in der dem Menschen angemessensten
Thätigkeit. Und der letzte Zweck der
bürgerlichen Vereinigung ist also nicht das Beysammenseyn,
sondern die grössre Wirksamkeit aller Glieder
zu guten und löblichen Handlungen.Nun erhellet also erstlich, welche Art der Ungleichheit
in den Personen es sey, die auch ungleiche
Rechte nach sich ziehe. Nähmlich denjenigen,
die zu diesem jetzt genannten Zweck der bürgerlichen
Gesellschaft das Meiste beytragen, gehört
auch ein grössrer Theil von den Gütern und Vorrechten
derselben, als denen, die zwar der freyen oder
der edlen Geburt nach jenen gleich oder ihnen selbst
überlegen, aber in Absicht der Bürgertugenden unter
ihnen sind, —oder als denen, die zwar grössre
Reichthümer, aber geringere persönliche Verdienste
besitzen.Aus dem bisher Angeführten ist also klar,
dass die, welche die Gerechtsamen der Bürger in
den verschiedenen Regierungsformen so verschieden
bestimmen, alle gewisse Gründe des Rechts für sich
anzuführen haben, aber grösstentheils das Recht
immer von Einer Seite ansehn.
Siebentes Kapitel.
Mögliche Uibelstände und Mängel in allen den genannten
Verfassungen.
Neue Schwierigkeiten zeigen sich, wenn auszumachen
ist, bey wem im Staate die höchste Gewalt
seyn soll? Sie kann nähmlich entweder dem
Volke, oder den Reichen, oder den Vornehmsten
und Gesittetsten, oder einem Einzigen, welcher für
den Vortrefflichsten unter allen gehalten wird, oder
Einem, der sich mit Gewalt derselben bemächtigt
hat, zugehören. Jeder dieser Fälle hat seine Jnconvenienzen.Denn erstlich, wenn der ärmere und grössre
Theil das Heft des Staats in Händen hat, und
er, kraft seiner Souveränität, die Reichen plündert,
und ihr Vermögen unter sich vertheilt: ist diess
nicht ungerecht? Und doch ist es der Actus einer
nach der Voraussetzung rechtmässigen Herrschaft.
Aber was wollte man noch ungerecht nennen, wenn
man jene äusserste Gewaltthätigkeit für gerecht erklärte?
Uiberdiess, wenn man auch alles andre zugibt: so
wird doch der Staat selbst, durch diese
von der Menge an dem Eigenthume des kleinern
Theils verübte Räuberey, zernichtet, indem die
Bande der gesellschaftlichen Vereinigung aufgelöst
werden. Nie aber kann eine Sache durch das,
was in ihr gut und untadelhaft ist, zu Grunde
gehn: noch können Handlungen, die gerecht sind,
Ursachen von dem Ruin einer geselligen Verbindung
werden. Also scheint zu erhellen, dass jenes Gesetzes,
welches dem Volke alle Gewalt in die Hände
gibt, nicht gerecht seyn könne.Jn dem letztern Falle einer Monarchie, die
durch Gewaltthätigkeit erworben worden, scheint
jede Handlung, die ein solcher Monarch thut, ungerecht
seyn zu müssen. Er kann wenigstens wahrscheinlich
eben so wie das Volk seine Uibermacht
brauchen, den Reichen ihre Schätze abzunöthigen.Jst es aber desshalb nun ausgemacht, dass gerechter
Weise nur die Wenigern und die Reichen
regieren sollen?Wie, wenn nun diese eben das thun, wenn
sie gleichfalls rauben, und dem grossen ärmern Haufen
sein Eigenthum entreissen: ist das gerecht? So
müssten es ja die Räubereyen des Volks und des
Tyrannen auch sein.Ganz augenscheinlich sind alle diese Verfassungen,
wo bey Vertheilung der höchsten Gewalt,
bloss auf die grössere oder geringere Zahl, auf Reichthum
oder Armuth gesehen wird, fehlerhaft und in
sich ungerecht.Die Guten, die Gesitteten, die Rechtschaffenen
sind es, welche eigentlich herrschen sollen, und
denen die höchste Gewalt im Staat anzuvertrauen
ist.Aber alsdann werden alle andre auf gewisse
Weise als unehrlich angesehen werden müssen. Denn
die Ehre im Staate ist nichts anders als ein Antheil
an den obrigkeitlichen Würden, oder ein Anspruch
auf dieselben: und derjenige ist eigentlich geehrt,
der ein solches mit Würde verbundenes Amt
begleitet, oder begleitet hat. Wo aber immer nur
unter demselben Kreise von Personen die Regierung
eingeschlossen bleibt, da sind alle andern von den
obrigkeitlichen Aemtern und also auch von der damit
verbundnen Ehre ausgeschlossen.Vielleicht ist es aber noch besser, dass nur
ein Einziger, der für den Vortrefflichsten unter allen
gehalten wird, regiere?Aber alsdann ist die Anzahl derer, die ohne
politische Ehre sind, noch viel grösser: alle Vorzüge
und Rechte des Staats sind in einem noch
weit engern Raum zusammengepresst.Doch vielleicht wird jemand sagen: schon das
ist überhaupt fehlerhaft, wenn Menschen und nicht
die Gesetze die oberste Gewalt im Staate haben, da
jene, es mögen ihrer viele oder wenige, sie mögen
besser oder schlechter geartet seyn, doch immer
den der Menschheit eignen Leidenschaften unterworfen
bleiben.Aber ist das nicht im Grunde ein Wortspiel?
Denn die Constitutions-Gesetze bestimmen nur,
welche und wieviel Menschen regieren sollen. Sind
also diese Gesetze oligarchisch: so haben sie alle die
Unbequemlichkeit, die wir zuvor von der Oligarchie
angemerkt haben; sind sie demokratisch: so sind
dagegen eben die Einwürfe als gegen die Demokratie
selbst zu machen.Von den übrigen Puncten wird noch bey einer
andern Gelegenheit die Rede seyn. Hier will ich
nur über den Satz, den viele behaupten, "dass es
dem gesammten Volk mehr zukomme zu regieren,
als den Wenigen, selbst wenn diese die Vortrefflichern
sind," anmerken, dass sich zwar eben sowohl
Gründe dafür als dawider anführen lassen, der
Satz selbst aber dreh im Ganzen eine Wahrheit
zu enthalten scheint.Es ist nähmlich begreiflich, dass Viele, wovon
jeder kein vorzüglicher Mann ist, doch, wenn sie
zusammenkommen, besser seyn, oder mehr von den
zu einer guten Regierung erforderlichen Eigenschaften
enthalten können, als die Wenigen, auch zusammengenommen,
nicht einzeln betrachtet. So wie
zusammengetragne Gerichte ein prächtigeres Gastmahl ausmachen
können, als das, welches auf Unkosten
eines Einzigen ausgerichtet wird. Man kann
sich vorstellen, dass unter der Menge jeder einzelne
eine gewisse, wenn auch noch so kleine, Portion
von Einsichten und Tugenden besitze. Die Summe
derselben macht die Einsicht und Tugend der Versammlung
aus, so wie die körperliche Kraft derselben,
aus den vereinigten Kräften der Hände, Füsse
und Sinne der einzelnen Personen besieht,
die nun zusammen wie Eine Person agiren. Daher
kömmt es, dass das Publikum oder das Volk ein
guter Richter über Werke der Musik, der Mahlerey
oder der Poesie seyn kann. Keiner aus demselben
versteht das Kunstwerk ganz zu beurtheilen:
aber jeder ist im Stande, ein Stück davon, dieser
das eine, jener das andre richtig zu beurtheilen,
alle zusammen also urtheilen richtig über das Ganze.Darum sind eben die vorzüglichern Menschen
von den gemeinern, die schönern Körpergestalten
von den gewöhnlichen, und die Kunstwerke in Gemählden
von den natürlichen Gegenständen, die sie
nachahmen, unterschieden, dass dort Eigenschaften,
Züge und Annehmlichkeiten in einem Subject vereinigt
sind, die hier sich unter viele zerstreut befinden.
Einzeln ist es möglich, in einem wirklichen
Menschen ein schöneres Auge, in einem andern ein
anderes schöneres Glied zu finden, als das Auge
oder das Glied in der Jdealen Schönheit des Mahlers
ist: Aber in keinem findet man alle Theile
schön, wie in diesem.Ob sich nun in jedem Volke und bey jeder Menge,
die Vielen gegen die Wenigen so verhalten,
dass in jenen zerstreut mehr Vollkommenheiten als
in diesen vereinigt, vorhanden sind: das lässt sich
mit Gewissheit nicht bejahen. Ja vielmehr gibt es
Mengen, bey welchen es augenscheinlich verneint
werden muss. Obiger Satz könnte sonst auch auf
die Thiere angewandt werden, von denen doch niemand
behaupten wird, dass eine Heerde derselben
zusammen mehr Vorzüge habe als ein einzelner
Mensch. Aber gibt es nicht auch Menschen, die
sehr wenig über die Thiere erhaben sind?Jndess ist soviel gewiss, dass es Fälle gibt,
wo der Satz wahr ist, und wo in der Menge,
obgleich aus unvollkommnern Subjecten bestehend,
sich doch in der Summe Vorzüge vor einzelnen
noch so Vollkommnen finden.Hierdurch würde sich also eine von den oben
gegen die höchste Gewalt des Volks gemachten Einwendungen
heben, und zugleich sich die Frage auflösen
lassen, welches eigentlich die Zweige der Staatsverwaltung
sind, über welche die Anzahl aller Freygebohrnen
oder das Volk zu gebiethen haben soll.
Jch nenne Volk den Jnbegriff aller, welche sich
weder durch Reichthum noch durch persönliche Eigenschaften
vor andern hervorthun. Dass solchen die
Verwaltung hoher Staatsämter anvertraut werde,
ist für das gemeine Besste zu gefährlich. Denn
bald würden sie aus Bosheit mit Vorsatz Unrecht
thun, bald aus Unwissenheit Fehler wider ihren
Willen begeben. Jhnen aber auf der andern Seite
gar keinen Antheil an der Regierung zu geben,
würde dem Staate leicht Unruhen und Rebellionen
zuziehen können. Es bleibt also nichts übrig,
als sie in zwey Stücken an der Regierung Theil
nehmen zu lassen, dadurch, dass aus ihnen die Glieder
des Senats, und dass aus ihnen die Richter genommen
werden. Nach diesen Grundsätzen haben
auch Solon und einige andre Gesetzgeber verfahren,
die dem Volk das Recht die Magistratspersonen
zu wählen, und das, sie zur Verantwortung
zu ziehn, überlassen. Sie setzen
nähmlich voraus, dass, wenn alle aus dem
Volke zusammenkommen, das Resultat sämtlicher
Empfindungen und Urtheile sowohl über das
Verdienst der zu wählenden, als über Schuld oder
Unschuld der Angeklagten ziemlich richtig sey: obgleich jeder
einzelne für sich über die vorliegenden
Sachen nur sehr mangelhaft urtheilen könnte, und
dass auf diese Weise der grosse Haufe gemeiner
Menschen, besonders wenn die Bessern sich unter
ihn mischen, dem Staate nützliche Dienste zu leisten
vermöge. So wie in den Speisen, wenn das,
was blosser Ballast ist, mit dem eigentlich Nährenden
vermischt ist, ein gesünderes Nahrungsmittel
entsteht, als wenn das Nahrhafte allein in
eine kleinere Masse concentrirt wird.Aber auch diese Vertheilung der Staats-Gewalt ist
Schwierigkeiten unterworfen.Die erste ist, dass es scheint, es dürfe niemand
urtheilen, ob ein Arzt seinen Patienten recht
curirt hat, als der, welcher selbst im Stande sey
den Patienten bey einer gleichen Krankheit zu curiren und gesund zu machen,
d. h. der welcher selbst Arzt
ist, — Eben das gilt von andern Künsten und praktischen
Wissenschaften. Wie der Arzt nur Aerzten von
seinem Verfahren Rechenschaft ablegen und von ihnen
gerichtet werden kann, so scheint es, sollte jeder, der etwas
auszuführen unternimmt, nur denen verantwortlich
seyn, welche die Sache selbst ausführen können.Um diese Schwierigkeit zu heben, muss man
einen dreyfachen Sinn unterscheiden, in welchem man
von jemanden sagen kann, dass er Arzt ist: erstens,
wenn er wirklich eine ganze Cur zu führen und anzuordnen
versteht; zweytens, wenn er die Vorschriften
eines andern geschickt anzuwenden und zur
Ausführung zu bringen im Stande ist; zum dritten, wenn
er, ohne die Kunst ausgeübt zu haben, sich
allgemeine Kenntnisse über dieselbe erworben hat.
Das erste ist der Architect, das zweyte ist der Zimmermann,
der unter ihm arbeitet, das dritte ist
der Mann von Geschmack. Dieser dreyfache Unterschied
findet sich in allen Künsten. — Nun zieht
man aber, um über ein vollendetes Werk zu urtheilen,
eben sowohl diejenigen zu Rathe, welche bloss
allgemeine Kenntnisse davon haben, als die, welche
die Kunst angelegentlich studirt haben.Jn Absicht der Wahlen scheinen eben die Einwürfe
und eben die Antworten Statt zu finden. An
und für sich sollte man glauben, könne der zu einem
Geschäfte den rechten Mann wählen, der selbst
das Geschäfte versteht; nur Geometrieverständigen
komme die Wahl zu, wenn ein Geometer, nur der
Schifffahrt Kundigen, wenn ein Schiffskapitän
gewählt werden solle. Und wenn über einige Künste
und Arbeiten diejenigen allenfalls zu urtheilen
verstehen, die nicht vom Handwerke sind: so sind
sie doch wenigstens nicht bessere Richter, als diese.Nach diesem Räsonnement würden also dem
Volk weder die Wahlen der Magistratspersonen,
noch die Urtheilssprüche über dieselben, wenn sie
Rechenschaft ablegen sollen, anzuvertauen seyn.Aber vielleicht ist dieses Räsonnement bey einem
Volke, welches nicht ganz von der Natur verwahrloset
und ohne alle Cultur ist, um der schon
oben angeführten Gründe willen, nicht anwendbar.
Es kann, wie ich schon gesagt habe, geschehen,
dass, obgleich jeder einzeln aus dem Volke ein schlechterer
Richter über die vorliegende Sache ist, als
der, welcher sie zu machen gelernt hat, doch alle,
wenn sie zusammen kommen, und nach der Mehrheit
der Stimmen entscheiden, richtiger, oder wenigstens
nicht schlechter, als die Leute vom Handwerk
darüber urtheilen. Es gibt ferner unstreitig
Künste, über deren Werke die, welche sie verfertigen,
nicht nur nicht die einzigen, sondern nicht einmahl
die bessten Richter sind, das sind nähmlich
die, deren Producte andern zum Gebrauche übergeben
werden, wodurch diese Kenntnisse von dem
Werthe derselben erhalten, die nicht von der
Kenntniss der Kunst abhängen. So kann über die
gute Einrichtung eines Hauses, nicht bloss der,
welcher es erbaut hat, sondern auch und noch weit
besser derjenige, welcher es braucht, urtheilen, das
ist der Herr und Verwalter des Hauses. Die Güte
eines Steuerruders beurtheilt ohne Zweifel der
Steuermann besser als der Zimmermann, und die
gute Zurichtung eines Tractaments die Gäste besser
als der Koch.Diese erste Schwierigkeit scheint also auf solche
Weise sich heben zu lassen.Es gibt aber noch eine zweyte, die mit dieser
zusammenhängt. Das ist diese. Es scheint ungereimt,
dass der gemeine Haufen über grössere Gegenstände
soll zu gebiethen haben, als die Bessern.
Die Wahlen der Magistratspersonen aber, und die
Abforderung der Rechenschaft wegen der verwalteten
Aemter gehören unter die wichtigsten Gegenstände.
Das sind aber, wie ich schon gesagt habe,
die beyden Zweige der Regierung, welche am gewöhnlichsten
dem Volke, auch von weisen Gesetzgebern,
anvertraut worden sind. Die Volksversammlung
ist es, in welcher jene beyden Sachen entschieden
werden. Um aber in den Volksversammlungen
eine Stimme zu haben, um in den Senat zu kommen,
O
oder zum Richter genommen werden zu können,
dazu wird gemeiniglich nur der Besitz eines geringen
Vermögens, und kein bestimmtes Alter gefordert.
Um hingegen Schatzmeister des Staats, oder Anführer
der Truppen zu werden, oder ein anderes
der hohen Staatsämter zu begleiten: dazu wird ein
viel grösseres Eigenthum und ein reiferes Alter erfordert.Auf diesen Einwurf liesse sich wohl auf eine
ähnliche Weise antworten.Jene Einrichtung ist vielleicht nicht so unrecht,
als sie zu seyn scheint. Denn weder das Mitglied
einer Volksversammlung, noch der Beysitzer des
grossen Raths, noch der Richter übt für sich allein
obrigkeitliche Rechte aus: sondern die ganze Versammlung,
der vereinigte Rath und das Gerichtscollegium
in Corpore ist die Obrigkeit. Die einzelnen
Personen, aus welchen diese drey Collegia
bestehn, sind nur Theile eines mit obrigkeitlichen
Rechten beliehenen Ganzen.Gesetzt also auch, dass jene Gegenstände, welche
diejenigen Collegia, wozu jeder Bürger Zutritt hat,
zu besorgen haben. die wichtigsten wären:
gesetzt, dass es ein Grundsatz wäre, dass die wichtigsten
Gegenstände nur denen anvertraut werden
könnten, welche das grösste Eigenthum im Staate
besitzen: so wären auch nach diesen Voraussetzungen
jene Einrichtungen zu rechtfertigen. Denn, da
die Volksversammlung, der Senat, die Gerichtshöfe
aus vielen Personen bestehn: so muss auf die
Summe des Eigenthums, welches in den Händen
aller zusammen genommen ist, gesehen werden: und
diess ist gewiss grösser, als das Vermögen der Wenigen,
welche zu den höchsten Staats-Aemtern berufen
werden.Diess mag also zu Erörterung dieser Sache
genug seyn.Aus jener ersten Einwendung folgt nichts so
deutlich als diess: dass erstlich die Gesetze, aufs
weiseste abgefasst, die oberste Richtschnur des Verfahrens,
und die Regierer des Staats seyn müssen, —
und dass die Obrigkeit, sie mag nun eine
einzige Person seyn, sie mag aus vielen bestehn,
nur über die Dinge Herr seyn müsse, welche von
den Gesetzen unmöglich haben können zum voraus
entschieden werden; —weil es nähmlich überhaupt
sehr schwer ist, unter allgemeine Sätze alle Besonderheiten
einzelner Fälle zu bringen.Welches aber diejenigen Gesetze sind, welche
man als weise abgefasst ansehen kann: diess ist freylich
aus dem bisher Gesagten noch nicht klar, und
bleibt zu künftigen Untersuchungen ausgestellt. So
viel ist gewiss, dass die Gesetze immer mit den Staatsverfassungen
in Uibereinstimmung stehen, und mit
diesen zugleich gut oder schlecht, gerecht oder ungerecht
sind. Das erste, dass die Gesetze sich nach der
Versagung richten müssen, leidet keinen Zweifel:
und die Folge ist also auch ungezweifelt, dass in einer
wohlverfassten Republik, gute und gerechte Gesetze,
in einer fehlerhaft zusammengesetzten, schlechte
und ungerechte Gesetze zu erwarten sind.
Achtes Kapitel.
Uiber die Grundsätze bey Vertheilung der Staatsämter.
Da alle Wissenschaften und Künste einen Endzweck
haben, und dieser Endzweck in einem gewissen
Gut bestehet, welches sie hervorzubringen suchen:
so muss wohl von der edelsten und höchsten
unter ihnen, welches unstreitig die Anordnung und
Regierung der bürgerlichen Gesellschaft ist, auch der
Endzweck ein Gut von grössten Werth seyn. Dieses
durch die bürgerliche Vereinigung gesuchte Gut nun
ist die Aufrechthaltung und Beobachtung dessen, was
Recht ist, und dieses ist zugleich das, was der Gesellschaft
nützlich ist.Nach den allgemeinen Begriffen der Menschen
besteht das Recht in einer gewissen Gleichheit und
Proportion; und hierüber stimmen sie in einem gewissen
Grade mit den Resultaten der philosophischen
Untersuchungen überein, dergleichen ich in meiner
Ethik angestellt habe. Sie geben nähmlich zu, dass
dabey auf zweyerley zu sehen sey, auf die Personen,
und auf die Sachen oder Handlungen, welche
unter ihnen vorgehn; und dass in der Uibereinstimmung
des Verhältnisses der einen mit dem Verhältnisse
der andern, die Gerechtigkeit liege: so
z, B, dass Personen die gleich sind, auch gleicher
Vorzüge geniessen, oder sich einander auf gleiche Art
begegnen. Nur fragt sich, welches sind die gleichen,
welches die ungleichen Personen: worin ist
diese Gleichheit oder Ungleichheit zu suchen, wornach
ist sie abzumessen? Hier liegt die Schwierigkeit,
und hier ist es, wo die Untersuchungen des
politischen Philosophen anfangen müssen.Jst es ein jeder Vorzug, den ein Mensch vor
dem andern in dem Besitz irgend eines Guts voraus
hat, welcher ihn berechtigt, bey Austheilung
der politischen Würden und Vorzüge einen grössern
Antheil zu fordern, so vollkommen auch im übrigen
ihre Gleichheit seyn möchte? So könnte vielleicht
jemand denken, wenn er bloss bey abstracten Begriffen
bliebe. Denn nach der der strengen Theorie,
wo eine Verschiedenheit der Personen ist, da ist
auch eine Verschiedenheit ihrer Gerechtsamen, oder
dessen, was für sie schicklich ist. — Augenscheinlich
aber kann dieses Principium übertrieben werden:
denn wäre es uneingeschränkt richtig: so würde auch
Gestalt und Grösse und Gesichtsfarbe, und jede noch
so kleine Vollkommenheit, in welcher der eine Mensch
vor dem andern einen Vorzug hätte, ihm einen Anspruch
auf höhere Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft
geben.Vielleicht aber ist die Unrichtigkeit dieses Satzes
zu sehr in die Augen fallend, als dass er viele
irre führen könnte. Es ist bey allen Professionen,
die gewisse Wissenschaften oder Geschicklichkeiten voraussetzen,
klar, dass in Absicht der Dinge, die zu
dieser Profession gehören, keine andre Ungleichheit
in Betrachtung kömmt, als die Ungleichheit in ihrer
Geschicklichkeit. So, wenn zwey Flötenspieler
in ihrer Kunst einander gleich sind, und zwey Flöten
von ungleichem Werthe, unter sie ausgetheilt
werden sollten: so hat der von beyden, welcher von
besserer Geburt ist, desswegen kein Recht auf die
bessere Flöte. Denn diese seine vorzüglichere Geburt
wird nicht machen, dass er desshalb auf der
besseren Flöte schöner spielt. Hingegen ist es schicklich,
dass dem, welcher das Werk am bessten zu
machen versieht, auch das beste Werkzeug gegeben
werde. — Wir wollen, um die Sache noch
klärer zu machen, den Fall noch etwas bestimmter
angeben. Wir wollen setzen, der eine der beyden
Flautenisten sey dem andern als Musicus überlegen,
sey aber an Geburt oder an Schönheit noch weiter
hinter ihm zurück, als er an Geschickligkeit sein
Jnstrument zu spielen, über ihn erhaben ist: so wird
demohnerachtet, obgleich Geburt und Schönheit
grössre Güter sind, als die Kunst die Flöte zu blasen,
und der letztre noch dazu in diesen grössern Gütern
einen grössern Vorsprung hat, als der erstre
in den kleinern, es wird, sage ich, wenn Flöten
auszutheilen sind, doch die bessre Flöte billiger Weise
diesem zu geben seyn. Es müssten nähmlich,
wenn es anders seyn sollte, Reichthum und Geburt
einen Einfluss auf die Ausübung der Künste haben,
deren Werkzeug die Flöte ist. Sie haben aber
keinen.Ferner würde, wenn obiger Satz in seiner
Allgemeinheit gelten sollte, folgen, dass jede Art
von Gütern mit jeder andern noch so verschiednen
Art durch einen gleichen Massstab ausgemessen werden
könne. Wenn man z. B. dem einen seiner körperlichen
Grösse wegen einen Vorzug geben wollte:
so müsste überhaupt die Körpergrösse sich mit Freyheit
oder Reichthum dem Werthe nach vergleichen
lassen. Man müsste sagen können: wenn Cajus an
Körpergrösse um so viel mehr vor dem Sempronius
voraus hat, als Sempronius vor jenem an
Tugend: so muss im Ganzen die Grösse des Sempronius
vorgezogen werden. Alsdann aber müssten
alle, auch die ungleichartigen Dinge gegen einander
genau ausgeglichen werden können. Denn, wenn
von einer gewissen Sache diese und diese Quantität
für mehr werth angesehen wird, als eine bestimmte
Quantität einer andern: so muss es auch gewisse
Quantitäten von beyden geben, wo sie einander als
gleich angesehen werden.Da eine solche Gleichung aber nicht möglich
ist: so ist es der Vernunft gemäss, dass im bürgerlichen
Leben nicht jede Ungleichheit der Personen zu
dem Grunde eines Wettstreites um politische Würden
angenommen werde. Nicht, weil der eine schneller,
der andre langsamer läuft, kann jener einen
Anspruch machen, im Staate eine grössre Rolle zu
spielen. Dieser Vorzug kommt in Betrachtung und
wird ihm Ehre zuziehen, sobald sich beyde in den
gymnastischen Uibungen als Wettläufer sehen lassen.
Jm Staate aber und bey der Regierung können keine
andre Unterschiede der Personen Ungleichheit der
Rechte veranlassen, als die Unterschiede in solchen
Eigenschaften, die zum Daseyn, zur Aufrechthaltung,
oder Vollkommenheit der bürgerlichen Gesellschaft
nothwendig sind. Aus diesem Grunde machen
unter den Gliedern des Staats, die Freyen, die
Edeln, und die Reichen scheinbar vernünftige Ansprüche
auf die Würden und Aemter desselben. Denn
ohne freygebohrne Bürger lässt sich kein Staat denken,
eben so wenig kann er ohne solche bestehen,
die zu den öffentlichen Bedürfnissen beytragen. Menschen
ohne alles Eigenthum können so wenig, als
blosse Sklaven einen Staat formiren. Ausser diesem
ist zum Bestehen einer bürgerlichen Gesellschaft noch
Beobachtung der Gerechtigkeit unter den Bürgern,
und kriegerische Tugend zur Vertheidigung nöthig.
Wenn ohne das erstre, — ohne Freyheit und Eigenthum
der zusammentretenden Menschen, das Entstehen
eines Staates unmöglich ist, so ist ohne das
letztre, ohne Gerechtigkeit und Tapferkeit, sein
Wohlstand und Fortdauer nicht möglich.Unter diesen Eigenschaften also scheint mit Recht
ein Rangstreit Statt finden zu können, welche von
ihnen am meisten zur Errichtung und Erhaltung eines
Staats beytragen. Jnsofern aber der Endzweck
des Staats, nicht bloss das Beysammenleben der
Bürger, sondern ihre Glückseligkeit und die besste
Anwendung ihrer Kräfte ist: in so fern können mit
dem grössten Rechte intellectuelle und moralische Cultur,
Wissenschaft und Tugend, um den Vorzug des
grössern zu dem politischen Endzwecke beygetragenen
Antheils streiten.Da es aber nicht den Regeln der Schicklichkeit
gemäss ist, dass die, welche in Einer Eigenschaft
gleich sind, in allen Sachen gleiche Rechte
haben, oder dass die, welche in Einem Puncte ungleich
sind, in allen Verhältnissen als ungleich
behandelt werden: so sind alle die Verfassungen,
wo der Vorzug des Reichthums ober der Geburt
u.s.w. auf alle Arten der politischen Würden Anspruch
gibt, fehlerhaft.Jch habe schon zuvor gesagt, dass jede dieser
Klassen relative Gründe habe, einen Vorzug vor
andern Bürgern zu begehren, aber keine ein absolutes
Recht, alle Arten der Vorzüge zu fordern.
Die Reichen desswegen, weil sie einen grössern
Antheil an Grund und Boden haben, welches eigentlich
ein gemeinschaftliches Gut des ganzen Staats
isi, ferner desswegen, weil ihnen, nach dem grösseren
Theil, bey den Verhandlungen über Mein und
Dein, mehr zu trauen ist. Die Edelgebohrnen desswegen,
weil sie eben den Vorzug, der die Freygebohrnen
zu Bürgern macht, nur in einem höhern
Grade haben. Sie sind also, wenn man sich so
ausdrücken darf, mehr Bürger als die von unedler
Abkunft. Daher auch dieser Vorzug der edlern
Geburt eigentlich nur innerhalb der Grenzen des
Staats gilt, von dem die Edlen die ersten Bürger
sind. Ferner desswegen, weil nach der Regel von
bessern Aeltern auch bessre Kinder gebohren werden.
Der Adel nähmlich ist ein sich fortpflanzender Vorzug
des Geschlechts. Auf gleiche Weise und mit eben
so gutem Grunde kann die moralische Tugend auf
Vorrechte Anspruch machen. Denn die Gerechtigkeit,
welche von den andern nothwendig begleitet
wird, ist das vornehmste Band, wodurch die menschliche Gesellschaft
zusammengehalten wird.Auch die grössre Anzahl kann vor der kleinern
insofern Vorrechte zu haben begehren, als sie in
der Summe mehr Reichthümer oder mehr Tugend
zu besitzen glauben können, als den Wenigern zusammengenommen,
zukommen.Wenn es nun Personen von allen diesen Arten
in einer und derselben Stadt gibt, wenn einige darinn
reich, andre von edlerer Geburt, noch andre
von vorzüglichern persönlichen Eigenschaften sind;
und wenn es ausser diesen nun noch einen grossen
Haufen von Bürgern gibt, die sich durch nichts
hervorthun: wie wird nun zwischen diesen der Wettstreit
über die Würden des Staats entschieden
werden?Was jene obengenannten Regierungsverfassungen
betrifft: so kann in denselben dieser Streit
nicht Statt finden: da der charakteristische Unterschied
derselben in der Bestimmung des herrschenden
Theiles liegt, dass nähmlich in der einen (in
der Oligarchie) die Reichen, in der andern (in der
Aristokratie), die persönlich Vorzüglichern, u. f. f.
die höchste Gewalt besitzen.Wir wollen nun aber einmahl annehmen, dass
von allen diesen Klassen zugleich bey Errichtung eines
Staats Personen vorhanden sind, und die Verfassung
noch unbestimmt ist: wie wird man die
Vorrechte derselben ausgleichen müssen?Wenn besonders die Anzahl der durch persönliche
Vorzüge sich Hervorthuenden sehr klein ist:
auf welche Art wird man zu entscheiden haben?
Wird man bloss darauf zu sehen haben, ob diese
Wenigen hinlänglich sind, der Administration des
Staats vorzustehen: oder wird man eine so grosse
Anzahl von Personen zur Regierung zulassen müssen,
als nöthig ist, um einen kompleten Staat
selbst zu bilden?Es ist noch ein andrer Einwurf, den man
allen den Parteyen, welche sich um die politischen
und obrigkeitlichen Vorrechte streiten, entgegen setzen
kann. Nähmlich, wenn der eine um des grössern
Reichthums, die andern ihres bessern Herkommens
weges ausschliessend sich die Regierungsämter
zueignen: so gestehn sie ja dadurch zu, dass, wenn
es einen Einzelnen gäbe, der reicher wäre, als sie
alle, dieser über sie alle allein herrschen müsste,
oder dass Einer von uraltem Geschlechte über alle
die, welche bloss als Freygebohrne um geringere
Unterschiede der Familien mit einander wetteifern, der
Herr seyn müsse. Eben diess würde bey Aristokratien
gegen die, welche sich um ihres Vorzugs
an Tugend und persönlichen Eigenschaften willen
zum Regieren berufen glauben, gesagt werden können.
Denn, wenn alle Optimaten einer Stadt von
einem Einzigen an Geistesvorzügen übertroffen würden:
so würden sie auch diesen für ihren Oberherrn
von Rechtswegen erkennen müssen.Eben so, wenn man die höchste Gewalt, die
in den Händen des grössern Theils des Volks ist,
dadurch vertheidigt, dass die grössre Anzahl auch
mehr Vollkommenheit in sich enthalte, so wird nach
eben den Grundsätzen, wenn ein Einziger, oder
wenn Einige Wenige gefunden würden, welche die
in jenem Volke zerstreuten Vollkommenheiten in sich
vereinigten, die Herrschaft des Volks aufhören, und
diesen überlassen werden müssen.Alle diese Betrachtungen scheinen es klar zu
machen, dass keine von jenen Bestimmungen, nach
welchen die eine oder die andre der mehr genannten
Klassen begehrt allein zu herrschen, und von den
übrigen allen verlangt, sich beherrschen zu lassen,
vollkommen richtig und von Einwendungen frey ist.Selbst die gerechtest scheinenden Ansprüche,
welche Tugend oder Reichthum Einigen im Volk
geben mag, über den übrigen Theil desselben zu
herrschen, kann doch der grosse Haufe ihrer Unterthanen
gegen sie umkehren. Denn es ist sehr wohl
denkbar, dass dieser grosse Haufen zusammengenommen,
mehr Eigenthum oder mehr Tugend besitzt,
als jeder einzelne oder jene wenige.Und hernach kann man auch (und diess beyläufig
anzumerken), die von einigen aufgeworfene
Frage beantworten, auf wessen Jnteresse ein Gesetzgeber,
welcher seinem Staat die vollkommensten
Gesetze geben will, sein Augenmerk richten, wessen
Besstes er sich zum Ziele setzen müsse, ob das Jnteresse
des bessern, oder das Jnteresse des grössern
Theils; wenn besonders der Fall so ist, wie
ich ihn zuvor setzte, das Schlechtere und Bessere,
Aermere und Reichere in einem Staate vermischt sind.Jch antworte: das, was vollkommen ist, umfasst
immer das Ganze einer Sache. Und die vollkommensten
Gesetze müssen also auf den Nutzen des
ganzen Staats und aller seiner Bürger abzielen.
Bürger aber in Abstracto ist der, welcher im Staat
sowohl am Regieren als am Gehorchen Theil hat.
Bürger in Concreto ist nach den Einrichtungen jeder
Staatsverfassung etwas andres. Jn der bessten
Staatsverfassung ist es derjenige, der sowohl,
wenn er selbst Geschäfte zu dirigiren, als wenn er
unter der Direction andrer zu handeln hat, seine
Handlungen weiss zu dem wahren Zwecke der bürgerlichen
Vereinigung, zur Beförderung der Tugend
und der edlern Geistesthätigkeit hinzulenken.
Neuntes Kapitel.
Uiber die Erhaltung des Gleichgewichts in einem
Staate.
Wenn in einem Staate ein Einziger ist, der alle
übrige an Tugend so weit übertrifft, dass ihre sämmtliche
Vollkommenheit, und ihre vereinigten politischen
Kräfte, mit den Vollkommenheiten und Kräften
jenes Einen in keinen Vergleich kommen; oder
wenn anstatt des Einen, mehrere, aber von zu geringer
Anzahl, um selbst einen politischen Körper
auszumachen, sich in dem nähmlichen Verhältniss
gegen den übrigen Haufen befinden: so ist in der
That dieser Eine, — so sind diese Mehrere nicht
mehr als Glieder des Staats und Mitbürger der
andern zu betrachten. Es würde eine augenscheinliche
Ungerechtigkeit gegen sie seyn, sie mit den
übrigen an gleichen Rechten Theil nehmen zu lassen,
da sie über diese an persönlichen Eigenschaften so
gar weit erhaben sind. Ein solcher Mensch würde
als ein Gott unter den übrigen zu betrachten seyn, der
mit ihnen in keinen gesellschaftlichen Bund treten
kann. Wo diess Statt finden soll: da muss es
Gesetze geben, welchen alle Verbündete unterworfen
werden. Gemeinschaftliche Gesetze können aber nur
der Natur nach Gleichen gegeben werden. Jene höheren
Wesen sind sich selbst ein Gesetz. Jeder andre
Mensch würde nur lächerlich werden, welcher sich
zum Gesetzgeber für sie aufwerfen wollte. Sie
würden ihm ungefähr so antworten können, wie
die Löwen den Haasen, nach dem Antisthenes, antworteten,
da diese in der Thierversammlung auftraten,
und verlangten, dass alle Thiere gleiche
Rechte haben sollten.Hierin liegt auch die Ursache, warum diejenigen
Städte, deren Verfassung demokratisch ist,
den Ostracismus bey sich eingeführt haben. Weil
bey diesen mehr als bey allen andern Verfassungen
auf Gleichheit der Bürger als auf ein nothwendiges
Requisit zur Einigkeit gesehen wird: so ist es bey
ihnen zum Gesetze geworden, dass diejenigen Bürger,
welche an Reichthum oder an Menge der
Freunde, oder in irgend einer Sache, die einen grossen
Einfluss auf die bürgerliche Regierung gibt, sich
über die übrigen zu sehr zu erheben scheinen, —
auf bestimmte Zeiten durch Mehrheit der Stimmen
von ihrer Republik entfernt, und gleichsam ins Exilium
geschickt werden.Auch nach der Fabel liessen die Argonauten den
Herkules um einer ähnlichen Ursache willen zurück,
Sie wollten nähmlich nicht auf eben demselben Schiffe
mit einem Manne reisen, der so weit über sie alle
erhaben war. Daher diejenigen, welche das
Verfahren der sich zu unumschränkten Herrn aufwerfenden,
und den Rath, welchen Periander dem
Thrasybulus gab, ohne Einschränkung missbilligen,
nicht ganz richtig urtheilen. Die Geschichte sagt
nähmlich, Periander habe dem an ihn vom Thrasybulus
abgeschickten Bothen nichts geantwortet,
habe aber in seiner Gegenwart den über die übrigen
hervorragenden Kornhalmen die Aehren abgeschlagen.
Der Bothe, ohne zu wissen warum Periander
dieses thue, habe seinen Herrn berichtet,
was er gesehen habe: und Thrasybulus habe bald
verstanden, dass er nach Perianders Rathe die zu
mächtigen Männer von Athen aus dem Wege räumen
solle.Dieses nun ist nicht bloss zur Aufrechterhaltung
der Regierung eines Tyrannen nöthig, noch wird
es von Tyrannen allein practicirt: sondern bey oligarchischen
und demokratischen Regierungen geschieht
das nähmliche. Der Ostracismus z. B. ist die Befolgung
eines solchen Periandrischen Raths, insofern
dadurch die Bürger, welche zu sehr über die
andern hervorragen, durch die Verweisung aus dem
Vaterlande, niedriger gemacht werden.So verfahren gegen ganze Städte und Nazionen
diejenigen, welche die Herrschaft über sie erlangt
haben. So z. B. die Athenienser gegen die
Samier, Chier und Lesbier. Denn kaum war ihre
Herrschaft über diese Jnseln befestigt, als sie anfingen,
den Verträgen zuwider, sie zu schwächen.
Der König der Perser hat die Meder, Babylonier
und die andern der ihm unterworfnen Völkerschaften,
die wegen der ehemahls besessnen Herrschaft
mehr Muth und Stolz als die übrigen hatten, oft
bloss desswegen gedrückt, um sie zu demüthigen.Und diese Maassregel ist, im Allgemeinen betrachtet,
nicht bloss bey den fehlerhaften Staatsverfassungen,
deren Ursprung Gewalt und Unrecht
ist, sondern bey allen nöthig. Zwar bey den letztern
müssen die Regenten sie um ihrer eignen Sicherheit
wegen ergreifen. Aber bey den bessten und
gerechtesten Regierungen kann diese Maassregel bloss
in Rücksicht auf das allgemeine Besste nothwendig
werden.Man kann etwas Aehnliches auch bey der Ausübung
andrer Künste und Wissenschaften finden. — Ein
Mahler wird einen Fuss, der nach Proportion
des übrigen Körpers zu lang ist, in keiner seiner
Figuren stehen lassen, wenn es auch noch ein so
schöner Fuss wäre. — Eben so wenig wird ein
Schiffsbauer einen Schiffsschnabel, oder irgend einen
andern Theil seines Baues dulden; der ausser
Verhältniss mit den übrigen Theilen ist. Der Direktor
eines Singchors, wird den, welcher lauter
und schöner singt, als alle die übrigen, nicht mit
diesen zugleich ein musikalisches Stück aufführen
lassen.Es folgt also nicht, dass Monarchen, wenn
sie nach den oben gedachten Maassregeln handeln,
sich als Feinde ihres Staates beweisen, wofern
nur ihre Alleinherrschaft, welche sie dadurch befestigen,
dem Staate nützlich ist.Es folgt ferner, dass der Ostracismus, wenn
er bloss gegen die anerkannt zu grosse Uiberlegenheiten
einzelner Bürger gerichtet ist, in Demokratien
gute politische Gründe für sich habe.Freylich ist es besser, wenn der Gesetzgeber
gleich ursprünglich die Staatsverfassung so gut eingerichtet
hat, dass sie eines solchen Heilmittels nicht
bedarf. Aber wenn dieses nicht ist: so ist es auch
noch ein Gut, im Fall einer solchen eintretenden
Gefahr, Vorkehrungen dagegen bereit zu haben.Aber in den wenigsten Städten wird der Ostracismus
als eine solche von den Gesetzen vorbereitete
Anstalt gebraucht. Gemeiniglich wird es nur
durch Aufruhr und durch Factionen entschieden,
wer unter dem Prätext derselben verwiesen werden
soll.So viel ist also klar, dass eine dergleichen
Einrichtung bey denjenigen Staaten, deren Ursprung
unrechtmässig, und deren Verfassung fehlerhaft
ist: zu ihrer Erhaltung durchaus nothwendig,
und eben desswegen für sie gerecht sey. Es ist ferner
klar, dass, wenn man sie auch in andern für
gerecht erklärt, diess nicht unbedingt, sondern nur
in Rücksicht auf die vorwaltende Gefahr, der nicht
anders abzuhelfen ist, geschehen könne.Am schwierigsten ist es, bey dem aufs vollkommenste
verfassten Staat, zu beantworten, was
zu thun sey, wenn einer seiner Bürger sich von den
andern, nicht durch äussre Vorzüge, als Stärke,
Reichthum und Menge der Freunde, sondern durch
Tugend und Geistesgaben zu sehr unterscheidet. —
Auf der einen Seite scheint es sehr ungerecht und
?
schädlich, den bessten Bürger aus dem Staat zu
vertreiben. Auf der andern scheint es auch unmöglich,
dass schlechtere Menschen über einen solchen
herrschen sollen: wie wenn Menschen mit dem Jupiter
die Herrschaft so theilen wollten, dass er,
wenn die Reihe an ihm käme, auch gehorchen
müsste.Es bleibt nichts übrig, als das, was ich
schon gesagt habe: alle übrigen müssen sich diesem
Einzigen freywillig unterwerfen. Er ist der gebohrne
und lebenslängliche König seines Staats.
Zehntes Kapitel.
Monarchie und deren Arten.
Vielleicht ist es hier der gelegenste Ort, nach den
bisherigen Betrachtungen, von der königlichen Regierung
zu handeln. Jch habe diese unter die gerechten
und gesetzmässigen Verfassungen gerechnet.
Es ist aber nunmehro noch genauer zu untersuchen,
ob, wenn in einer Stadt oder in einem Lande ein
Staat zur Glückseligkeit der Einwohner errichtet
werden soll, es zweckmässig sey, ihnen einen König,
oder ob es besser ist, ihnen eine andre Regierungsform
zu geben; — und wenn keines von
beyden im Allgemeinen wahr ist, unter welchen Umständen
die königliche Regierung vorzuziehn, unter
welchen sie zu verwerfen ist.Vor allen Dingen muss man untersuchen, ob
es nur eine einzige Art der königlichen Gewalt,
oder ob es Unterschiede derselben gebe. Und hier
fällt es nun gar bald in die Augen, dass dieser
Nahme mehrere Gattungen unter sich begreift, und
dass der Charakter der Regierung nicht bey allen
derselbe ist.Zuerst biethet sich uns die in der Lacedämonischen
Regierung noch bestehende königliche Würde
dar, —und dieser König scheint unter allen Königen
am meisten durch Gesetze eingesetzt, und eingeschränkt
zu seyn. Er hat nicht die höchste Gewalt
in allen Zweigen der Regierung, sondern nur
in den Sachen die zum Kriegswesen gehören, und
zwar während wirklicher Feldzüge. Ferner sind
die Sachen, welche den Gottesdienst betreffen, den
Königen übergeben. Die königliche Würde ist also
in Lacedämon eigentlich die erbliche und Zeitlebens
fortdauernde Oberbefehlshaberstelle über die Truppen.
Er ist nicht Herr über Leben und Tod, ausser
wenn er in wirklicher Ausübung irgend einer seiner
königlichen Functionen ist. So war es auch mit
den uralten griechischen Königen, die auch nur,
während ihre Völker gegen den Feind ausgezogen
waren, das Recht, Ungehorsame zu tödten, ausübten,
und zwar weniger in Form einer rechtlichen
Bestrafung, als einer zur Erreichung des Zwecks
nothwendigen Gewaltthätigkeit: Homer ist dafür
mein Gewährsmann. Jn der Volksversammlung
verträgt bey ihm Agamemnon alle Schimpfreden,
die gegen ihn ausgestossen werden. Aber wenn
seine Völker zur Schlacht auszogen, dann hatte
er die Macht, auch den zu tödten, welcher nicht
seine Pflicht that. Denn so sagt er selbst:"Wer aber feige von mir die Schlacht verlassend
ertappt wird,
Der entgeht gewiss den Hunden und Vögeln
als Raub nicht."
Diess ist also die erste Gattung der königlichen
Würde, welche nichts anders, als das auf Zeitlebens
ertheilte Amt eines obersten Anführers des
Heeres ist. Diese Würde kann entweder erblich
und einem gewissen Geschlechte eigen seyn, oder
durch Wahl verliehen werden.Von dieser sehr unterschieden ist eine zweyte
Art monarchischer Herrschaft, dergleichen die Könige
der meisten barbarischen Nazionen besitzen. —Sie
kömmt der despotischen Gewalt eines Tyrannen
sehr nahe; aber sie unterscheidet sich von ihr
dadurch, dass sie doch durch Gesetze regulirt, und
durch das Herkommen bestätigt ist. Weil nähmlich
einige Nazionen von Natur einen knechtischern
Geist haben als andre, wie diess von den Barbaren
im Gegensatze der Griechen, und von den Asiatern
im Gegensatze der Europäer unstreitig ist, so
ertragen sie auch eine despotische Herrschaft besser,
und können also derselben, aus freywilligen Einstimmung,
und, ohne mit Gewalt unterdrückt zu
werden, lange unterworfen bleiben. Die Regierung
ihrer Monarchen ist also tyrannisch, in Absicht
des Umfangs und des Willkürlichen ihrer Gewalt;
sie ist aber fester gegründet und ruhiger,
weil sie die von ihren Vorältern ihnen überlieferte
Regierungsform, und weil sie gesetzmässig ist. Daher
ist auch die Leibwache, mit der ihre Monarchen
ihre eigne Person beschützen, nicht die Leibwache
eines Tyrannen, sondern eines rechtmässigen
Königs. Es sind nähmlich ihre eignen Unterthanen,
denen sie die Waffen in die Hände geben,
und von denen sie sich bewachen lassen. Die Tyrannen
aber entwaffnen die ihrigen, und miethen
fremde zu ihrer Leibgarde. Die Ursache ist, weil
jene nach den Gesetzen und dem Herkommen, und
also über Freywillige, diese über Unwillige herrschen.
Die erstern können also von ihren Bürgern, —
diese müssen gegen ihre Bürger geschützt
werden.Zu diesen zwey Gattungen der Monarchen
kömmt noch eine dritte, solcher Könige, wie wir
sie in dem alten Griechenlande finden, und die von
ihnen Asymnetä genannt wurden. Es war diess
eine Art unumschränkter Wahlmonarchie. Sie kam
mit der königlichen Gewalt bey den Barbaren darin
überein, dass sie, so wie diese, auf Gesetze gegründet
war: aber sie unterschied sich von ihr, indem
sie nicht von Vater auf Sohn forterbte. —
Einige dieser Asymneten besassen ihre Würde auf
zeitlebens; andre erhielten sie nur für gewisse bestimmte
Zeiten, oder Verrichtungen. So wählten
die Mitylenäer den Pittacus zu ihrem Oberhaupte
gegen die Exulanten, an deren Spitze Antimenides
und der Dichter Alcäus standen. Alcäus selbst sagt
es in einem seiner Rundgesänge, dass sie den Pittacus
zum Tyrannen wählten. Denn er macht ihnen
Vorwürfe, dass sie
"in der zerrütteten und zum Untergange von
den Göttern geweihten Stadt, den Feind
des Vaterlandes, Pittacus, vom allgemeinen
Taumel der Verwunderung für ihn ergriffen,
zum Herrn setzten."
Alle diese Monarchen waren und sind, in Absicht
des Unumschränkten ihrer Gewalt, den Despoten
ähnlich; in Absicht des Freywilligen, in der Unterwerfung
ihrer Unterthanen, den vorgedachten
Königen.Es gibt noch eine vierte Art königlicher Alleinherrschaft,
das ist die, welche zu ein Heldenzeiten
ihren Ursprung in der freyen Wahl der Unterthanen
hatte, durch die Erbfolge aber in denselben Familien
fortdauerte, zugleich aber durch Gesetze in ihrem
Umfange und Rechten bestimmt wurde. Die
ersten nähmlich, welche Wohlthäter eines gemeinen
Wesens wurden, entweder durch Erfindung und
Einführung nützlicher Künste, oder durch glücklich
geführte Kriege, oder indem sie die zerstreut wohnenden
Menschen zuerst zusammengebracht, oder
ihnen feste Wohnsitze und Landeigenthum verschafft
hatten, wurden von den Völkern, um die sie sich
verdient gemacht, freywillig zu Königen erhoben,
und ihre Kinder wurden von der nächsten Generation
schon als erbliche Könige angenommen. —
Jhre Gewalt erstreckte sich zuerst auf die Anführung
der Kriegsheere, ferner auf den Gottesdienst,
in so weit er nicht durch einen eignen
Priesterstand besorgt werden muss, endlich auf die
Entscheidung der Rechtshändel. Bey Verwaltung
dieses Richteramtes mussten sie, an einigen Orten,
jedesmahl den gewöhnlichen Eid ablegen, an
andern waren sie davon freygesprochen. — Die
Ablegung des Eides geschahe durch Erhebung des
Szepters. Jn den ältesten Zeiten hatten sie sowohl
über die einheimischen als über die auswärtigen
Angelegenheiten, sowohl im Kriege als im
Frieden zu gebiethen. Jn der Folge aber, nachdem
die Könige selbst einige ihrer Rechte ausgegeben
hatten, andre von den Völkern ihnen waren
genommen worden, blieb ihnen in den meisten
Städten nur die Aufsicht über die Opfer übrig,
und auch in denen, wo sie noch am meisten von
der diesem Titel angemessenen Gewalt behielten,
wurden sie doch zu blossen Heerführern, deren
Oberherrschaft sich nur auf die ins Feld ziehende
Mannschaft erstreckte.
Eilftes Kapitel.
Einige Bemerkungen zur Prüfung der monarchischen
Staatsform.
Es gibt demnach vier Arten königlicher Gewalt.
Die erste, welche wir die der heroischen Zeiten
nennen können, war eine Herrschaft über Freywillige,
und eine durch Gesetze bestimmte Herrschaft,
die sich auf das Commando über die Kriegsheere,
auf die Verwaltung des Rechts und auf die Besorgung
des Gottesdienstes erstreckte. Die zweyte ist
die Königswürde unter den Barbaren, die in gewissen
Familien erblich, unumschränkt, aber doch auf
Gesetze gegründet ist. Die dritte ist die Regierung
der Asymneten, einer Art von Despoten, die ein
Volk freywillig auf eine Zeitlang über sich setzt;
Die vierte ist die Spartanische, welche in nichts
anderm als einem erblichen Commando über die
Truppen und über das Kriegswesen besteht.Noch ist eine fünfte Gattung von Königsregierung
übrig, wenn ein einziger Mensch in die
Stelle einer ganzen Stadt, eines ganzen Volks
tritt, und als ihr Repräsentant über alles zu gebiethen
hat, was dieser Stadt, diesem Volke zugehört.
Der Hausherr und Oekonom ist König
in einer Familie: und ein solcher König ist Hausvater
in einer Stadt, über eine, oder mehrere Völkerschaften.Von diesen unterschiedenen Arten der königlichen
Gewalt, sind es eigentlich nur zwey, die hier
zu untersuchen vorkommen: das ist die, welcher wir
zuletzt erwähnt haben, und die, welche wir von
dem bekanntesten Orte, wo sie eingeführt ist, die
Spartanische nennen wollen. Des sind die beyden
Extrema der höchsten und niedrigsten königlichen
Gewalt, zwischen welchen ihre andere Arten in der
Mitte sind. Die Könige denen diese zukommen,
haben über weniger Gegenstände zu gebiethen, als
die zuletzt genannten wahren Alleinherrscher, und
über mehr, als die Herakliden in Sparta. Auf
zwey Fragen reducirt sich also unsre Untersuchung:
erstlich, ist es einem Staate nützlich, oder nicht,
dieselbe Person auf immer, und zum alleinigen
Befehlshaber ihrer Truppen, es sey nach einer gewissen
freigesetzten Erbfolge in demselben Geschlecht,
oder durch Wahl zu bestimmen? Zweytens, ist es
einem Staate nützlich oder nicht, wenn ein Einziger
über alles, was zum Staate gehört, zu gebiethen
hat?Was jene auf Zeitlebens ertheilte, oder in einer
Familie forterbende Generalswürde betrifft, so
macht dieselbe nicht sowohl ein Stück der Grund-Verfassung
eines Staats aus, als sie vielmehr eine
besondre Methode in der Verwaltung desselben ist.
Es kann dieselbe daher in allen Regierungsformen
Statt finden; und wir dürfen sie demnach, da wir
hier von den verschiedenen Verfassungen reden, bey
Seite setzen.Die Königswürde der zweyten Art, ist wirklich
eine eigene Gattung der Staatsverfassung, und
diese müssen wir also näher betrachten, um die dabey
aufzuwerfenden Fragen zu beantworten.Die erste derselben ist ohne Zweifel diese, ob
es besser ist, von Einem guten Menschen, oder
von guten Gesetzen regiert zu werden.Diejenigen, welche sich für die Herrschaft eines
Königs erklären, sagen: "Gesetze sind nur Allgemeinsätze:
sie können also niemahls zum voraus
vorschreiben, was in jedem individuellen Falle zu
thun ist. Jn der Ausübung jeder andern Kunst
ist es ein Hinderniss ihres Fortgangs, wenn Künstler
sich nach einmahl festgesetzten niedergeschriebenen
Gesetzen auf immer und ewig richten sollen.
Auch in Egypten, wo das Herkommen alles gilt,
erlaubt man doch den Aerzten, nach vier Tagen
der Krankheit, wenn sich keine Besserung einstellt,
von der traditionellen Curart abzuweichen, macht sie
aber, wenn sie diess früher thun, wegen des Ausgangs
verantwortlich. — Es kann also aus gleichen
Ursachen auch nicht die besste Regierungsform
seyn, wenn die Regierung sich in allen Puncten
nach den Buchstaben alter geschriebener Gesetze richten
muss."Die Gegenpartey führt hingegen an: "dass
auch die Menschen, welche an der Stelle der Gesetze
regieren sollen, sich nach allgemeinen Maximen
in ihrem Verfahren richten; dass hingegen zum
Regieren gewiss der Obere tauglicher sey, bey
welchem gar nichts Leidenschaftliches möglich, als
der, welchem es angebohren ist; und dass der erstre
Fall nur bey der Regierung der Gesetze Statt findet,
der andere nothwendig bey der Regierung
eines Königs eintritt, weil die Natur der menschlichen
Seele eine solche völlige Vernichtung der Leidenschaften
nicht zulässt."Dagegen werden die Erstern erwiedern, "dass
dieser Nachtheil der königlichen Regierung dadurch
wieder gutgemacht werde, dass der Regent, welcher
die gegenwärtige Lage und Umstände mit Augen sieht,
besser seine Entscheidungen auf das Jndividuelle
derselben anpassen kann, als der alte
Gesetzgeber seine Vorschriften."Das Resultat der beyderseitigen Gründe mag
ungefähr folgendes seyn:Erstlich muss doch ein Mensch der erste Gesetzgeber
seyn, —und dazu sind die Könige, von denen
wir reden, bestimmt.Die einmahl gegebenen und gebilligten Gesetze
müssen aufrecht erhalten werden, aber doch so, dass
es den Regenten überlassen bleibe, in Fällen, wo
die buchstäbliche Befolgung der Gesetze den Zweck
derselben zerstören würde, Ausnahmen davon zu
machen. Denn das ist eigentlich das Amt der Regenten,
über alle die Dinge, welche das Gesetz
entweder gar nicht, oder nicht gut zum voraus
hat bestimmen können, Entscheidungen zu geben.Die zweyte Frage ist: "wenn nun nicht bloss
Gesetze, sondern Menschen regieren müssen: welches
ist besser, dass Einer oder dass Alle regieren?"Zieht man die Erfahrung zu Rathe: so findet
man Städte genug, wo viele zusammentreten, um
gemeinschaftlich, als Volksversammlung zu entscheiden,
als Senat zu berathschlagen, als Gerichtscollegium
Urthel zu sprechen. Alle diese Actus sind
nichts anders, als Entscheidungen, die sich auf
individuelle Fälle beziehen.Vielleicht ist von den in solchen Collegien Zusammenkommenden
jeder Einzelne verglichen mit
dem Monarchen, weit hinter diesem zurück. Aber
eine ganze Stadt, der Jnbegriff vieler solcher mittelmässigen
Menschen kann doch für besser gehalten
werden, als der Eine Vorzügliche, so wie ein von
mehrern zusammengetragenes Gastmahl prächtiger,
als das von einem Einzigen ausgerichtete, seyn
kann, wenn gleich dieser weit mehr aufgewandt hat,
als irgend einer von jenen.Uiberdiess ist das Viele nicht so leicht dem
Verderbnist unterworfen, als das Wenige. So
wie eine grosse Menge Wasser nicht so leicht in Fäulniss
übergeht, als eine kleine Quantität desselben:
so kann auch eine grosse Anzahl von Menschen nicht
so leicht moralisch verdorben werden, als Einer oder
wenige. Wenn dieser Eine von Zorn oder von einer
andern Leidenschaft einmahl überwältigt ist, so wird
sein Urtheil unvermeidlich missgeleitet. Aber nicht
eben so leicht ist es, dass alle Glieder einer zahlreichen
Versammlung zugleich in Zorn gerathen, oder
gleiche Fehltritte begehn. Wir setzen voraus, dass
diese Versammlung aus Freygebohrnen besteht, die
eine dieser Geburt angemessene Erziehung genossen
haben; wir setzen ferner voraus, dass sie nichts
ohne Vorschrift der Gesetze entscheidet, ausgenommen
in Fällen, wo diese unvermeidliche Lücken gelassen
haben. — Wenn diess nun von einer solchen
Versammlung, und die nach dem grössten Theile
aus guten Menschen und Bürgern besteht, nicht
leicht sollte geschehen können: würde es dann von
einem Einzigen eher zu erwarten seyn? Lässt sich
hoffen, dass dieser Eine weniger verführbar sey,
als die Viele, welche wir alle als gut angenommen
haben? Ohne Zweifel ist die Wahrscheinlichkeit
für die Vielen."Aber diese letztern werden sich in Parteyen theilen,
wo Einer regiert, finden keine Factionen Statt."Darauf ist vielleicht zu erwiedern, dass, wenn
mehrere gleich verständig und rechtschaffen sind, sie
auch mit einander einstimmig sind, so sehr als es
der Eine mit sich selbst seyn kann.Wenn man dann also die Herrschaft Vieler,
die alle tugendhafte Männer sind, eine Aristokratie
nennt; und die Herrschaft eines Einzigen mit dem
Königstitel belegt: so müsste, nach den bisherigen
Gründen, jede Stadt, in welcher es möglich wäre
eine Anzahl sich gleicher guter Männer zu finden,
die Aristokratie der königlichen Regierung vorziehn,
und das sowohl bey denjenigen obrigkeitlichen Aemtern,
welche mit einer executiven Macht versehen,
als bey denen, welche ohne dieselbe sind.Vielleicht wurde bloss desswegen bey den ersten
Anfängen bürgerlicher Gesellschaften die königliche
Regierung gewählt, weil es damahls weniger möglich
war, eine Anzahl an Verstand und Charakter
zum Regieren fähiger Menschen zu finden, besonders
in Städten, die noch sehr klein und arm an
Bürgern waren. — Uiberdiess waren es von einzelnen
Menschen, ganzen Gemeinheiten erwiesene Wohlthaten,
welche diese bewogen, jene zu Königen über
sich zu setzen. Diese Wohlthaten selbst charakterisirten
die Personen, von welchen sie herrührten, als
Männer von vorzüglichen Eigenschaften.Nachdem aber viele eine gleiche Bildung erhalten
hatten, und zu gleichen Geistesvorzügen gelangt
waren: wollten diese sich die Erhabenheit eines Einzigen
über sie nicht mehr gefallen lassen, sondern
strebten nach gemeinschaftlicher Theilnehmung an gleichen
Vorrechten, und errichteten eine republikanische
Verfassung. Nachdem unter diesen Aristokraten Verderbnisse eingerissen
waren, und sie sich von den
Gütern des gemeinen Wesens bereichert hatten:
entstand ganz natürlich die Oligarchie. Der Reichthum
nähmlich wurde nach und nach unter ihnen der
Massstab des Werths, und der giltigste Anspruch
auf Gewalt. — Von dieser Verfassung war der
nächste Uibergang zur willkürlichen Herrschaft sich
aufwerfender Tyrannen, und von dieser tyrannischen
Monarchie zur Demokratie. Jndem nähmlich die
Macht so wie der Reichthum, wegen der habsüchtigen Operationen
derer, die am Ruder waren, sich immer
in eine kleinere und kleinere Anzahl von Familien
concentrirte, vermehrte sich die Anzahl derer, welche
zum Volke gehörten, so dass endlich dieses durch
solchen Zuwachs mächtiger und muthiger gemacht,
ihre Beherrscher angriff, und sich der obersten Macht
im Staate bemächtigte.Vielleicht ist es auch, nachdem die Städte grösser
und die Bürger zahlreicher geworden sind, nicht
möglich, dass in denselben das Volk nicht einen Antheil
an der Regierung habe.Gesetzt nun aber, man sähe es als ausgemacht
an, dass es einer Stadt am erspriesslichsten wäre, die
Regierung einem Könige zu übergeben: wie soll es
nun mit der Nachfolge gehalten werden? Sollen
seine Kinder die königliche Würde von ihm erben?
Diess ist, wenn er solche Nachkommen hat, wie
wir sie oft von den Königen und Fürsten entspringen
sehen, für den Staat höchst nachtheilig. —Auf
der andern Seite wird wohl ein König, der die
Macht und die Gelegenheit dazu hat, seinen Kindern
die Nachfolge in der Regierung zu verschaffen,
dieselbe andern als diesen überlassen? Das ist höchst
unwahrscheinlich. Es würde dazu eine mehr als
menschliche Tugend gehören.Eine andre schwierige Frage betrifft die vollziehende
Macht, welche einem Könige anvertraut
werden soll. Muss er eine solche Anzahl Bewaffneter
zu seinem Gebothe haben, dass er die, welche
nicht gehorchen wollen, zwingen könne? Oder, wenn
nicht, auf welche Weise soll er die Regierung vorwalten?
Denn wenn er auch auf eine gesetzmässige
Weise zur Herrschaft gelangt ist, wenn er auch in
seiner Regierung nichts nach seiner Willkür wider
die Gesetze vornimmt: so muss er doch noch eine
Gewalt in Händen haben, mit welcher er die Gesetze
selbst gegen die Uibertreter aufrecht erhalten könne.Doch in Absicht eines solchen Königs, dergleichen
wir zuvor beschrieben haben, ist es vielleicht
nicht schwer, hier eine Bestimmung zu finden. Er muss
nähmlich nothwendig eine bewaffnete Macht zu seinem
Gebothe haben. Diese muss so gross seyn, dass
sie der Gewalt, welche jeder einzelne Bürger oder
auch ein Complott von mehrern dagegen anwenden
könnte, überlegen ist, der Macht des ganzen Volks
aber nicht das Gleichgewicht hält. Von dieser Stärke
waren die Leibwachen, welche in jenen alten Zeiten,
von denen ich oben redete, denjenigen von den
Städten bewilliget wurden, welche sie in gefährlichen
Zeitläuften als Aesymneten oder Dictatoren
über sich setzten. Auch war diess das Maass, welches jemand
den Syracusanern anrieth der Leibwache
des Dionysius zu geben, als dieser bey dem Volke
um eine militärische Bedeckung angehalten hatte.
Zwölftes Kapitel.
Gründe gegen die unbeschränkte Monarchie.
Die bisherigen Untersuchungen betrafen die königliche
Würde im Allgemeinen: die, welche jetzo
folgen, gehen bestimmter auf diejenige Gattung
der Könige, welche unumschränkte Gebiether über
alle Angelegenheiten des Staats sind. Jch habe
schon gesagt, dass dasjenige Staatsamt, welches
in einigen Republiken mit dem Königstitel verbunden,
aber ganz den Gesetzen unterworfen ist, keine
eigne Regierungsform ausmacht. Jn allen Verfassungen
kann es ein erbliches oder auf Lebenslang
einem Menschen anvertrautes Generalat geben.
Diess kann eben sowohl bey der Aristokratie als bey
der Demokratie bestehn. Viele tragen auch die innern
Verwaltung einem Einzigen auf. Eine solche
Magistratsperson ist in Epidamus und in Opus,
obgleich am letztern Orte mit geringerm Ansehn.Aber die von mir sogenannte Παμβασίλεία, —
die wo einer alles und nach seinem Willen regiert,
—macht, wie ich gesagt, eine eigne Regierungsform
aus, über welche noch verschiedenes zu sagen
ist.Einigen scheint überhaupt diese Regierungsform
wider die Natur zu seyn. Da wo der Staat
aus Personen gleiches Stammes, die einander an
Charakter und Geist ähnlich sind, besieht, ist es unnatürlich,
dass Einer über alle übrige herrsche. Was
unter zwey gleichen dem Einen Recht ist, muss dem
Andern auch Recht seyn, das will das Gesetz der
Natur; und die welche ähnliche innere Vorzüge haben,
müssen auch ähnlicher äusserer Vorrechte gewürdiget
werden. Jst es den Menschen nach ihrem
physischen Theile schädlich, wenn die, der körperlichen
Constitution nach Gleiche, ungleiche Nahrungsmittel
und Bekleidung bekommen, oder wenn
die einander Unähnliche auf einerley Art gespeist und
bekleidet werden; so muss es ihnen auch nach ihrem
moralischen Theile schädlich seyn, wenn ein gleiches
Missverhältniss zwischen ihren Geistesbeschaffenheiten
und den Ehrenposten, die sie im Staat einnehmen,
herrscht. herrscht.Unter Gleichen ist also diess die Regel der
Schicklichkeit, dass keiner mehr herrscht als er beherrscht
wird. Diess findet nur auf eine Art Statt,
wenn nähmlich alle nach der Reihe zur Regierung
gelangen. Eine solche Anordnung der Regierungsfolge
macht schon ein Staatsgesetz aus. Und es ist
demnach das Gesetz und nicht ein einzelner Mensch,
welcher die oberste Gewalt im Staate haben muss.Nach eben diesem Räsonnement folgt, dass,
wenn Menschen eine Regierung anvertraut werden
muss, diese nur zu Wächtern und Dienern der Gesetze
bestellt werden.Allerdings, sagen diese Gegner der königlichen
Gewalt, müssen Obrigkeiten in einem Staate seyn,
aber nicht alle obrigkeitliche Gewalt muss sich in den
Händen eines Einzigen vereinigen, wenn mehrere
unter sich Gleiche vorhanden sind.Dass man sagt, die Gesetze könnten nicht zum
voraus alles entscheiden, ist kein Grund zur Einführung
einer unumschränkten königlichen Gewalt.
Denn was die Gesetze nicht thun konnten, wird der
Verstand eines einzigen Menschen nicht ergänzen.
Aber die Gesetze geben nicht bloss Vorschriften, sie
sind auch bestimmt die Bürger zu bilden und zu unterrichten.
Und wenn sie diess gethan haben, so
können sie es den obrigkeitlichen Personen in den
verschiednen Staatsämtern getrost überlassen, das
nach ihrem bessten Wissen und Gewissen zu entscheiden
und einzurichten, was die Gesetze unausgemacht
lassen. Sie können es den Bürgern auch erlauben,
Aenderungen in den Gesetzen zu massen, wenn sie
durch hinlängliche Erfahrungen davon versichert sind, dass
die neue Einrichtung besser ist. Zu allem diesem
ist also nicht die gesetzgeberische Gewalt eines
Einzigen nothwendig.Der welcher sagt, dass der Geist nur regieren
soll, scheint zu wollen, dass Gott und die Gesetze
regieren. Denn die Gesetze sind die reinen Ausdrücke
vernünftiger von Leidenschaften freyer Uiberlegungen.
Wir aber verlangt, dass ein Mensch regiere, setzt
dem Geiste noch das Thier zur Seite. Denn
die sinnliche Begierde, die von der menschlichen Natur unzertrennlich
ist, ist thierisch. Eben so ist es der
Zorn, der auch die bessten Männer zuweilen überfällt,
und der besonders obrigkeitlichen Personen sehr
gefährlich ist. Verstand ohne sinnliche Begierde kann
man also unter den Menschen nirgends anders finden,
als in den allgemeinen Begriffen und Sätzen,
die sie durch das Nachdenken erfinden, —wozu die
Gesetze gehören.Das Beyspiel, welches die Gegner von der
Schädlichkeit unveränderlicher Regeln in der Ausübung
der Künste anführen, — dass es eine sehr
schlechte Cur-Methode sey, wenn der Arzt nach
geschriebnen Gesetzen curiren muss, und dass es weit
rathsamer sey, sich der Einsicht des Menschen, der
die Kunst ausübt, zu überlassen, —ist nicht passend
auf den Gegenstand, von dem wir reden. Der
Arzt hat keine Versuchung, aus Liebe oder aus Hass
seinen vernünftigen Einsichten entgegen zu handeln.
Er hat nur ein Jnteresse, das, seinen Kranken gesund
zu machen, wovon seine Belohnung abhängt.
Personen aber, welche Regierungsämter verwalten,
sind sehr der Gefahr ausgesetzt, sich leidenschaftlich
für oder wider gewisse Parteyen einnehmen zu lassen,
und vieles wider ihre bessre Erkenntniss zu thun,
um die eine zu begünstigen, der andern zu schaden.
Hätte man gegen einen Arzt den Verdacht, dass er
wohl von unsern Feinden bestochen seyn könnte: so
würde man auch lieber wünschen, dass er an gewisse
Regeln in seiner Cur gebunden wäre, als dass
er willkürlich sie anordnen dürfe. —Wir sehen auch, dass, sobald Künstler mit Sachen
zu thun haben, in welche sich ein starkes persönliches
Jnteresse einmischt, sie ihrer eignen Einsicht
nicht mehr trauen. Ein Arzt, wenn er krank wird, ruft
einen andern Arzt zu Hülfe: und ein Lehrer der
Gymnastik zieht einen andern Meister zu Rathe,
wenn er selbst Leibesübungen vornehmen will. Sie
fürchten hier nicht mehr so richtig urtheilen zu können,
weil sie über Dinge, die sie alle zu nahe angehen,
und in dem Zustande einer Leidenschaft urtheilen
sollen.Das Gerechte ist das Unparteyische.
Die Gesetze aber sind unparteyisch.Ferner unter den Gesetzen sind nicht bloss die
geschriebnen Gesetze zu verstehn. Es gibt andre,
die durch die stillschweigende Uibereinstimmung Aller
und durch die Erfahrung der Zeiten entstanden sind,
Diese Gewohnheits-Gesetze, die man auch Sitten
nennt, betreffen in der That noch höhere Gegenstände,
und sind selbst heiliger und ehrwürdiger als
die geschriebnen Gesetze. Wenn es also auch sichrer
ist, einem Menschen als geschriebnen Gesetzen
auf immer zu gehorchen, so ist es dem ohnerachtet
nicht ohne Gefahr, diesen Menschen auch über die
Gewohnheiten und die Sitten hinweg zu setzen.Ferner: Ein Einziger kann nicht alles übersehen.
Er muss also mehrere unter sich haben, denen
er einen Theil seiner Oberherrschaft anvertraut.
Aber wäre das nun nicht einerley, ob diese mehrere
gleich anfangs die Regierung unter sich getheilt
hätten, oder ob sie von dem Einen in ihre Aemter
eingesetzt werden?Dazu kömmt, was ich schon mehrmahlen gesagt
habe: wenn der Eine desswegen der Regierung
würdig ist, weil er ein vorzüglicher Mann ist: so
sind zwey solcher Männer, die zusammen doch besser
sind als Einer, noch mehr werth zu regieren.
Das sagt der Homerische Spruch:"Zweyer Tapfern vereinigte Kraft entscheidet das
Treffen."
und der Wunsch des Agamemnons:
"Möchte doch Weisen wie Nestor nur zehn Kronion
mir schenken,
Bald säh Trojens Mauern ich niedergetrümmert
im Staube."Dass nicht durchaus ein Monarch nothwendig
sey, das Mangelhafte der Gesetze zu ergänzen, ist
daraus klar, dass ja in mehreren Orten die Magistratspersonen,
die nur einen bestimmten Theil
der Geschäfte unter sich, und eine abhängige Gewalt
haben doch, (so wie auch die Richter, die
nicht einmahl für Magistratspersonen angesehen werden),
das Recht besitzen; in ihrem Departement nach
ihrer Einsicht zu entscheiden, was die Gesetze unentschieden
gelassen haben.Die Gesetze können also nicht, im eigentlichen
Verstande, allein und ohne die hinzutretende Uiberlegung
und Autorität von Obrigkeiten regieren und
das Einzelne anordnen. Bey Sachen, von denen
es möglich ist, sie unter allgemeine Gesetze zu bringen,
ist kein Streit, dass die Willkür der Menschen
davon aufgeschlossen werden müsse. Aber da es andre
und nicht wenige gibt, die mit allen ihren Verschiedenheiten
sich durch Gesetze nicht umfassen lassen:
so entsteht bey diesen die Frage, wie viel man
dem Buchstaben der Gesetze, wenn es gute Gesetze
sind, und wie viel man der Willkür der Obrigkeit,
wenn es eine gute Obrigkeit ist, überlassen müsse. Uiber
die meisten der Angelegenheiten z. B. über
welche in einem Staate berathschlagt wird, ist es
unmöglich von einem Gesetzgeber Entscheidungen zu
erwarten.Also nicht darüber ist der Streit, ob es nothwendig
sey, dass über solche Gegenstände Menschen
den Ausspruch thun, sondern nur, ob nothwendig
nur Einer in höchster Jnstand alles entscheiden müsse,
oder ob diese Function unter mehrern vertheilt
seyn könne.Wenn die Gesetze und Sitten gut sind, so bilden
sie diejenigen, welche zu obrigkeitlichen Aemtern
bestimmt sind. Und es ist also zu erwarten, dass
jeder von ihnen die nöthigen Eigenschaften haben
wird, um über die ihm anvertrauten Geschäfte richtig
zu urtheilen.Es scheint sogar ungereimt zu seyn, dass Einer
mit zwey Ohren besser hören, und mit zwey Händen
und Füssen besser die Sachen ausführen solle,
als Viele mit vielen.Jn der That veranstalten es die Monarchen
auch so, dass viele Augen, Ohren, Hände und Füsse
ihnen wie ihre eignen dienen. Sie nehmen nähmlich
die, welche sie für Freunde ihrer Regierung
und ihrer Personen halten, zu ihren Gehülfen und
Mitregenten an.Sind diese von ihnen gewählten Werkzeuge
ihrer Regierung, nicht, wofür sie sie halten, —
d, h, nicht Freunde: so werden sie auch ihren Absichten
entgegen wirken, und den Geschäften schaden.
Sind sie aber Freunde des Monarchen wie der
Monarchie, so lässt sich voraussetzen, dass sie ihm
gleich und ähnlich waren. Wenn es also hier nützlich
war, dass diese von den Monarchen zu Theilnehmern
an seiner Alleinherrschaft angenommen wurden:
so würde es ja eben so nützlich gewesen seyn,
wenn diese Gleiche und Aehnliche die Regierung unter
sich mit gleicher Autorität getheilt hätten.Diess sind ungefähr die Gründe, welche gegen
die Alleinherrschaft eines Einzigen angeführt
werden.Vielleicht muss man aber die Nazionen und
Menschen unterscheiden, welchen eine Regierungsform
gegeben werden soll: und vielleicht passen jene
Gründe auf einige derselben, auf andre nicht. Es
gibt gewisse Menschenarten, die von Natur despotisch
beherrscht seyn wollen; andre, bey denen eine
königliche Regierung sowohl gerecht und schicklich,
als nützlich ist; noch andre, denen eine republikanische
Regierungsform von Rechtswegen zukommt
und eben so zuträglich ist. Aber kein Volk, keine
Umstände kann es geben, denen die Tyranney oder
irgend eine der andern aus ihren Schranken gewichnen
Verfassungen angemessen wäre. Denn diese sind
an und für sich der Natur entgegen.Was nun diejenige Verfassung betrifft, wo
Einer Herr von allen ist, so kann dieselbe in einem
Staate, der aus sich gleichen und ähnlichen Personen
besteht, weder gerecht noch nützlich seyn; weder
alsdann wenn gar keine Gesetze vorhanden sind,
und dieser Eine die Stelle der Gesetze vertritt, noch
alsdann, wenn Gesetze vorhanden sind, und er der
einzige Handhaber derselben ist; — weder, wenn
er unter Guten ein guter wie alle andre, —noch
wenn er unter Schlechten so schlecht ist, wie die
übrigen; ja selbst dann nicht, wenn er zwar unter
allen einen Vorzug an persönlichen Verdiensten hat,
aber doch keinen Vorzug von einem gewissen Grade.
Welcher dieser Grad sey, ist oben schon einigermassen
angezeigt worden, muss aber noch genauer bestimmt
werden. Vor allen Dingen aber muss erst ausgemacht
werden, welches die Charaktere eines zur monarchischen,
aristokratischen oder republikanischen Verfassung
vorzüglich fähigen und vorbereiteten Volks
seyen.Diejenige Gesellschaft von Menschen ist einer
königlich-monarchischen Regierung empfänglich,
in welcher sich Eine Familie über die
andern an Würde und Verdiensten weit erhoben
hat, und in welcher die andern so gegen diese Familie
gesinnt sind, dass sie auch die politische Erhabenheit
derselben ohne Murren ertragen.Dasjenige Volk wird sich leicht unter eine Aristokratische
Regierungsform bringen lassen, in
welchem mehrere einander gleiche, aber von anerkannter
Uiberlegenheit über den grossen Haufen, in
Absicht der Fähigkeit zur Verwaltung politischer Angelegenheiten,
vorhanden sind, und in welchem zugleich
dieser grosse Haufen diesen Bessern die Regierung
zu überlassen, doch mit Beybehaltung aller
Rechte freyer Menschen, aufgelegt ist.Dasjenige Volk endlich ist für eine freye republikanische
Regierungsform eingerichtet, von
welchem der grössere Theil kriegerisch ist, — dann
eben sowohl die Fähigkeiten hat zu regieren, als
die Kunst versteht zu gehorchen; endlich sich nach
Gesetzen bequemt, welche die Magistraturen zwar
vornehmlich nach der Würdigkeit, aber bey gleichem
Verdienst den Wohlhabendern zutheilen.Wenn es also unter einem Volke eine Familie
oder auch eine einzelne Person gäbe, welche so vorzügliche
Geisteskräfte und Tugenden besässe, dass diese
die Summe der in dem übrigen Haufen zerstreuten
Kräfte und Tugenden überträfe: dann wäre es
die höchste Gerechtigkeit, dass diese Person Monarch,
dass in dieser Familie die königliche unumschränkte
Macht erblich sey.Und dieses Recht stützt sich nicht nur auf eben
die Gründe, um welcher willen die, welche aristokratische,
oligarchische, oder demokratische, Regierungsformen
errichten, die Souverainität demjenigen
Theile des Staats zueignen, nach dessen
Oberherrschaft diese Regierungsformen benannt werden, —
nähmlich um eines gewissen Vorzuges oder
einer Uiberlegenheit willen, welche diesem Theile zukömmt:
sondern es bekömmt dadurch noch ein höheres
Ansehn, dass in dem jetzigen Falle, nicht von
jeder Uiberlegenheit, sondern von der persönlichen
an Geistesvorzügen und Tugenden die Rede ist.
Denn auf welche Weise sollte wohl eine unter ihrem
Volk so weit hervorragende Person oder Familie
behandelt werden? — Sie, dieses ihres Vorzugs
wegen, umzubringen, oder zu verbannen, es
sey mit Schimpf oder mit Ehre, kann unmöglich
dem Verhältnisse derselben angemessen seyn, Eben
so wenig schicklich ist es, dass dieselbe, so wie andre
Bürger, wechselsweise Magistraturen begleiten
und regieren, und dann wieder im Privatstande
seyn und regiert werden solle. — Hier ist eine
Ausnahme von dem Grundsatze: dass der Theil nicht
grösser seyn könne, als das Ganze. Dieser Theil
übertrifft an moralischer Grösse, wie wir angenommen
haben, dass Ganze, er kann also nicht bloss die
Rechte eines Theils haben. Es bleibt also nichts
anders übrig, als dass dieser Eine, es sey Mensch
oder Geschlecht, ganz allein und auf immer Beherrscher
aller übrigen sey.Was also die königliche oder monarchische Gewalt
und Würde betrifft; wie viel verschiedene Arten
es davon gibt, und ob überhaupt diese Regierungsform
für die Staaten nützlich sey oder nicht,
und welchen, und auf welche Weise sie das eine
oder das andre seyn könne: diese Untersuchung sehe
ich durch das bisher Gesagte als geendigt an.Jch habe oben gesagt, dass es drey regelmässige
Verfassungen gebe. Jn jeder derselben gibt es
noch Abwechselungen des bessern und schlechtern. Am
bessten ist jede Verfassung bestellt, wenn die absolut
Bessten am Ruder sind. Diess letztre findet aber
nur alsdann Statt, wenn entweder Einer, oder ein
ganzes Geschlecht, oder mehrere, an innern Gaben
und Tugenden über die andern dergestalt hervorragen,
dass sie diese zu dem vollkommensten und wünschenswürdigsten
Leben durch ihre Regierung bringen,
diese hingegen nur durch ihre Folgsamkeit dazu
gebracht werden können: Da wir nun gleich anfangs
gezeigt haben, dass die Tugend, welche den
vollkommenen Menschen, und die, welche den vollkommenen
Bürger in einer gut verfassten Republik
macht, eine und dieselbe ist: so ist klar, dass, um
einen Staat zu erbauen, der vollkommen gut, es
sey monarchisch, es sey aristokratisch regiert werde,
eben dieselbe Methode nöthig, eben dieselben Mittel
anzuwenden seyn, durch welche ein einzelner Mensch
zu einem tugendhaften und vollkommnen Manne gebildet
wird. Dieselbe Erziehung gehört dazu, dieselben
Sitten und Gewohnheiten müssen herrschend
gemacht werden, bey der Person, welche ein vorzüglicher
Mensch, und bey der, welche ein guter
Staatsmann oder König werden soll.Nach diesen Erörterungen ist es nun Zeit, die
Natur und die Entstehung des in jeder Gattung
vollkommensten Staats zu untersuchen, durch welche
Eigenthümlichkeiten er sich unterscheide, was er
sey, und auf welche Weise er könne zu Stande gebracht
werden. Der Gegenstand ist wichtig: und
verlangt also auch eine verhältnissmässige Aufmerksamkeit.Viertes Buch.
Erstes Kapitel.
Hauptprobleme der Politik.
Jn allen Künsten und Wissenschaften, welche eine
ganze Gattung von Dingen umfassen, die zu einem
gemeinschaftlichen Endzwecke gehören, und nicht
bloss einen einzelnen Theil der Gattung bearbeiten, liegt
es dem Künstler oder dem Lehrer eben so sehr
ob, das absolut Besste in seiner Gattung, als das
in jedem gegebenen Falle mögliche, und demselben
angemessene Gute zu kennen, und hervorzubringen.
Ein Meister der Gymnastik zum Beyspiel muss wissen,
welche Art von Leibesübungen diesem und diesem
Körper zukommen: diess schliesst schon in sich, dass
er auch wissen muss, welches die an sich besste
Art der Leibesübungen sey: denn das sind die, welche
dem am schönsten gebauten und am bessten
unterhaltenen und verpflegten Körper zukommen.
Er muss ferner wissen, welches diejenige Gymnastik
ist, die sich im Durchschnitt für die meisten Körper
schickt. Ja, wenn jemand auch freywillig nur eine
minder vollkommene Kenntniss und Geschicklichkeit
in den Fechterkünsten zu erlangen sich vorsetzt:
so muss er ihm auch diesen Grad und nicht mehr
zu verschaffen wissen, wenn er ein vollkommner
Lehrer in seinem Fache seyn soll. — Eben das,
sehen wir, wird von einem Arzt, und einem Schiffsbaumeister,
wie von einem Schneider, von den
grössten wie von den geringsten Künstlern, gefordert.
Also wird es auch in Absicht politischer Gegenstände,
zu eben derselben Wissenschaft gehören,
zu finden, welches die an sich wünschenswürdigste
Verfassung und Regierung sey, wenn keine äussre
Hindernisse und Einschränkungen vorhanden sind,
—und welches die unter bestimmten Umständen eines
Staats, wenn diese, wie häufig der Fall ist,
die absolute Vollkommenheit nicht erlauben, mögliche
und diesen Umständen angemessenste Verfassung
sey. — Der Gesetzgeber und wahre Staatsmann
muss sowohl die absolut besste als die nach Umständen
und in dem vorliegenden Falle besste Staatseinrichtung
kennen: Er muss aber drittens auch diejenige
kennen, die bey willkürlich vorausgesetzten
Bedingungen und Einschränkungen anzurathen ist.
Jhm liegt es nähmlich ob, wenn er dazu aufgefordert
wird, einen jeden Staat und dessen Einrichtung,
so wie sie einmahl da sind, in Untersuchung
zu ziehn, das Eigenthümliche derselben Verfassung
und die Art ihrer Entstehung zu erforschen,
und dann noch anzugeben, wie er bey dieser Verfassung,
sey sie gut oder schlecht, noch am längsten
erhalten werden könne. Es sey zum Beyspiel
ein Staat unfähig, die an sich bessre Regierungsform
anzunehmen, weil er mit den Bedürfnissen
und Hülfsmitteln des Lebens nicht hinlänglich versorgt
ist; eben dieser habe aber auch nicht einmahl
eine so gute Verfassung, als er wohl den Umständen
nach haben könne: demohnerachtet muss der
Staatskünstler ihn, so, wie er ist, aufrecht zu
halten wissen. Endlich, ausser allem diesen, muss
er auch den wirklichen Zustand der Dinge kennen,
und wissen, welche Verfassung und Regierung für
die meisten der jetzt vorhandnen Staaten, so wie
sie einmahl sind, passend sey, Daher die meisten, welche
bisher über Politik und Staatsverfassung
geschrieben haben, wenn sie auch im Allgemeinen
viel Gutes sagen, doch das auf die wirkliche Welt
Anwendbare und also Brauchbare verfehlen. Nicht
bloss das, was das Besste, sondern auch das was
möglich ist, sollte der Gegenstand ihrer Untersuchung
seyn: sie sollte eben sowohl die leichter zu erreichende
und mehrern gemeine Vollkommenheit als
die höchste und seltenste in Erwägung ziehn. So
aber bleiben jetzt die Meisten bey der Ausführung
eines Jdeals einer ganz vollkommnen Republik stehen,
zu deren Bildung sich viele äussere Umstände
und Hülfsmittel vereinigen müssen. Diejenigen,
welche sich noch herablassen, von gemeinern und
mehrmahlen anzutreffenden Verfassungen zu reden,
nehmen doch nur irgend eine einzelne, als die Spartanische
oder eine ähnliche zu ihrem Muster, und
wollen alle übrigen nach dieser umschaffen. Die
wahre Aufgabe aber, die der Staatslehrer auslösen
soll, ist, in jeder bürgerlichen Gesellschaft diejenigen
Ordnungen einzuführen, zu deren Annahme
die Glieder der Gesellschaft am leichtesten bewogen,
und zu deren Befolgung sie am ehesten
geschickt gemacht werden können. Denn es ist kein
geringeres Werk, einen schon vorhandenen Staat
bis auf einen gewissen Grad zu verbessern, als einen
neuen zu errichten, so wie es gleich schwer ist,
versäumten Unterricht nachzuhohlen, als, von Anfang
an, andre etwas zu lehren. Ausser den allgemeinen
Einsichten also von dem, was an sich
zur bessten Anordnung eines Staats gehört, muss
der wahre Politiker auch im Stande seyn, den
wirklichen Staaten, so fehlerhaft oder verdorben
sie seyn mögen, zu Hülfe zu kommen. Das kann
er aber nicht, wenn er nicht weiss, wie viel Verschiedenheiten
in jeder Regierungsform vorkommen
können.Solche Modificationen wollen einige gar nicht
zulassen. Sie glauben, dass es nur Eine Art von
Demokratie gebe, die diesen Nahmen verdiene, nur
Eine Oligarchie, — u.s.w. Darin irren sie aber
sehr.Also, wie gesagt, die verschiedenen Bestandtheile
jeder Regierungsform, die Veränderungen,
die in diesen Bestandtheilen selbst vorkommen können,
und die verschiedenen Arten der Zusammensetzung
derselben, dürfen dem Lehrer unsrer Wissenschaft
nicht verborgen seyn.Dieselbe Einsicht, welche ihm in Absicht der
Verfassungen nöthig ist, die ist ihm auch in Absicht
der Gesetze nöthig. Er muss wissen, welches die
bessten an sich, und welches die zu jeder Verfassung
passenden sind. Denn die Gesetze richten sich
immer nach den Verfassungen, und werden auch
immer nach Maassgabe der Verfassungen eingeführt,
—nicht die Verfassungen nach den Gesetzen. Jch
verstehe aber unter Verfassung, wie ich schon gesagt
habe, diejenige Anordnung, welche die Rechte
zu befehlen und zu gehorchen bestimmt, welche
sagt, wo die Souverainität des Staats residirt,
und wie die verschiedenen Zweige der Macht ausgetheilt
sind, und welches der Zweck der ganzen
Vereinigung ist. Gesetze aber sind die einzelnen
und genauern Bestimmungen jener in der Verfassung
ausgetheilten Rechte, nach welchen den Obrigkeiten
vorgeschrieben wird, wie sie in Führung ihrer
Geschäfte verfahren, und wie sie die Uibertretung
der Regel verhindern sollen. Woraus klar
ist, dass in den Gesetzen eben so viel Verschiedenheiten
Statt finden müssen, als es deren in den
Staatsverfassungen gibt. — Jst nicht bloss Eine,
sondern sind mehrere Demokratien und Oligarchien
möglich: so können auch nicht eben dieselben Gesetze
allen demokratisch oder oligarchisch genannten
Staaten zukommen und nützlich seyn.
Zweytes Kapitel.
Uibergang und Einleitung zu den hieher gehörigen
speciellen Untersuchungen.
Jch habe in meinen vorhergehenden Untersuchungen
alle Staatsverfassungen eingetheilt, in drey regelmässige,
die königliche, die aristokratische Regierung,
und die im eigentlichen Verstande freye Republik;
und in drey Ausartungen von diesen, den
Despotismus, die Oligarchie, und die Volksregierung.
Von der Aristokratie und der Regierung
eines Königs habe ich bisher geredet. Hier heisst,
den Jnbegriff dieser Regierungsformen entwickeln,
zugleich so viel, als untersuchen, welches die besste
Form in den unter diesen beyden Benennungen stehenden
Staatsverfassungen sey. Denn das macht
das Wesentliche der Würde eines Königs und der
Aristokraten, dass sie auf Tugend oder auf persönliche
und Geistesvorzüge ihre Rechte gründen, dass
aber die solcher Gestalt verfassten Staaten auch
die äussern nöthigen Hülfsmittel zu ihrer Aufrechterhaltung
haben, wird in jedem Falle vorausgesetzt.
— Jch habe ferner genauer angegeben, worinen
die Monarchie von der Aristokratie verschieden
sey: und welche Monarchie man eigentlich mit
dem Nahmen einer königlichen Regierung belegen
dürfe. Es ist also nur noch übrig, von der eigentlichen
republikanischen Verfassung, der ich den
allgemeinen Nahmen Staatsverfassung (πολιτεία)
in einem eingeschränktern Sinn, und gleichsam Vorzugsweise
beylege, und von jenen drey ausgearteten
Formen, dem Despotismus, der Oligarchie
und der Demokratie zu handeln.Das ist schon aus dem Bisherigen klar, welche
unter diesen ausgearteten Verfassungen die
schlimmste, welche die weniger schlimme seyn müsse,
u.s.w. Ohne Zweifel muss die besste und göttlichste
Einrichtung, wenn sie ausartet, und sich
verdirbt, die schlimmste hervorbringen. Diess ist
aber ausgemacht die königliche Regierung. Denn
entweder verdient ein König diesen Nahmen nicht,
oder er ist es nur, weil er sehr weit alle seine Unterthanen
an Tugend und Vollkommenheit übertrifft.
Der Despotismus also, die Ausartung der
Königsmacht verdient unter den schlechten Verfassungen
die erste Stelle, und ist also von derjenigen,
mit welcher er Aehnlichkeit zu haben scheint,
im Grunde am meisten entfernt. — Nach ihm
folgt die Oligarchie, die von der Aristokratie, deren
Auswuchs sie ist, ebenfalls sehr weit sich entfernt.
Die erträglichste ist die Demokratie, die mit
der wahren Republik, von der sie entartet ist, immer
noch einige Aehnlichkeit behält.Einer meiner Vorgänger, Plato, hat schon
etwas Aehnliches behauptet: aber er hat dabey
nicht mit mir einerley Gesichtspunct gehabt. Er
sagt: wenn alle Regierungsformen Oligarchie z. B.
Demokratie u.s.w. in ihrer Art gut sind, und
was sie seyn sollen, so ist unter ihnen die Demokratie
die schlechteste. Wenn sie aber alle verdorben
sind, so ist die Demokratie die erträglichste.
Jch aber glaube, dass jene genannten Verfassungen
nie vollkommen gut seyn können, dass sie nur
Ausartungen der bessern sind, mit denen sie Aehnlichkeit
haben; dass sich also im genauesten Sinne nicht
sagen lässt, dass eine Oligarchie besser sey als die
andre, sondern nur, dass sie weniger schlecht sey.
Und so lässt sich also auch nicht eine Vergleichung
zwischen Oligarchie und Demokratie, jede als gut,
und dann wieder als verdorben betrachtet, anstellen,
da es immer schon, so zu sagen, verdorbne
Formen von Staatsverfassungen sind. Doch diese
genauere und critische Unterscheidungen gehören
für einen andern Ort. Hier habe ich noch zu untersuchen,
erstlich, wie vielerley es Gestalten und
Arten der Demokratie und Oligarchie gebe, wenn
es einmahl ausgemacht ist, das das Wesentliche
dieser Modificationen bestehen könne: Ferner, welche
nach der bessten noch an sich am wählenswürdigsten,
oder die in den meisten Umständen mögliche
und schickliche sey? z. B., wenn man eine gewisse
Art der Aristokratie für eine vorzügliche Staatsverfassung
annimmt, welche Modalitäten und Bestimmungen
sie haben müsse, wenn sie auf den grössten
Theil unsrer bekannten Städte passen solle?
Drittens, wie zwischen den Hauptgattungen selbst
die Wahl anzustellen ist; denn es gibt Nazionen
und Gemeinheiten, denen die demokratische Verfassung
beynah nothwendig, andre, bey denen es die
oligarchische ist. Viertens, auf welche Weise es
ein Gesetzgeber anzufangen habe, wenn er diese oder
jene Regierungsform, als Demokratie oder Oligarchie,
und jede besondre Unterart derselben wirklich
einführen, oder einen Staat nach derselben errichten
wolle. Nach einer kurzen Behandlung aller
dieser Gegenstände, ist zuletzt noch zu untersuchen,
welches die erhaltenden Kräfte, welches die zerstörenden,
sowohl für alle Staatsverfassungen überhaupt,
als für jede Form derselben insbesondre
sind: und welche Ursachen in der Natur der Dinge,
oder in der Aufführung der Menschen, das Eine oder
das Andre bewirken?
Drittes Kapitel.
Rechtfertigung der obigen Eintheilung der Regierungs-Formen.
Die Ursache, welche macht, dass es mehrere Arten
von Staatsverfassungen gibt, liegt darinnen,
dass der Staat selbst aus mehr als einem Theile
besteht, — dass er ein zusammengesetztes Wesen ist.
Denn zuerst, gehört zu jedem Staate ohne Ausnahme,
eine Vielheit einzelner Häuser und Familien.
Dann ist unter diesen Vielen wieder ein Unterschied.
Einige sind reich, andre arm, andre in
der Mitte zwischen beyden. Von den Reichen sowohl
als von den Armen sind einige kriegrisch und
geschickt die Waffen zu führen, andre dazu unfähig
oder davon abgeneigt. Endlich sehen wir, dass
von der geringern Klasse, die wir das Volk nennen,
einen Theil die Ackersleute, einen andern die
gemeinen Handwerker, einen dritten die Handelsleute
und Krämer ausmachen. Auch unter den Vornehmern
und Notabeln ist wieder ein Unterschied
nach Massgabe des Reichthums und der Besitzungen.
Einige sind so wohlhabend, dass sie Pferde halten
und immer beritten seyn können. Denn diess kann
man als ein Zeichen einer vorzüglichen Wohlhabenheit
ansehn. Daher auch in den ältern Zeiten, in
denjenigen Städten, deren Hauptkriegsmacht in
Reuterey bestand, die Regierungsform meistentheils
oligarchisch war, weil nur diejenigen an der Regierung
Theil nahmen, die reich genug waren, zu
Pferde Kriegsdienste zu thun. — Dass aber die Reuterey
bey diesen so vorzüglich geschätzt wurde, kam
daher, weil sie derselben gegen die oft ganz nahe
an ihre Stadt grenzenden Nachbarn bedurften. Jn
diesem Falle waren die Eretrier und Chalcidäer
auf der Jnsel Euböa, die Einwohner von Milet
am Mäander, und mehrere andre Asiatische
Griechen.Ausser dem Unterschiede an Vermögen gibt es
noch andre, die unter der vornehmern Klasse selbst
neue Absonderungen machen. Einige davon halten
ihr Geschlecht für edler, andre glauben, an persönlichen
Eigenschaften einen Vorzug zu haben. Und
wenn es noch andre Abstufungen gibt, dergleichen
ich bey der Abhandlung über die Aristokratie gedacht
habe, so entstehn daraus eben so viele Theile einer
Stadt. Von diesen Theilen nun haben bald alle
Antheil an der Rigierung, bald nur einige, — hier
mehrere, dort wenigere. — Wie nun diese Theile
der Art nach von einander verschieden sind, so müssen
auch diejenigen Verfassungen der Art nach von
einander verschieden seyn, in welchen entweder der
eine oder der andre der herrschende ist.Nähmlich die Staatsverfassung ordnet die Regierung
an und theilt die Magistraturen aus. Sie
wird daher von jedermann eingetheilt, nachdem die
Macht und die obrigkeitlichen Würden entweder einigen
Gliedern als den Reichen allein, oder den
Aermern allein, ausschliessend eigen, oder mehrern,
z. B. Reichen und Armen, nach einer gewissen Proportion
gemein sind. Dieser verschiedenen Austheilungen
der Macht kann es nun so viele geben, als
verschiedene Bestandtheile in einem gemeinen Wesen
vorhanden sind, die einen gewissen Vorrang vor
einander begehren.Viele glauben diese Untersuchungen einfacher zu
machen, indem sie, so wie einige Geographen nur
zwey Hauptwinde annehmen, Südwinde und Nordwinde,
von welchen alle die übrigen nur Abweichungen seyn
sollen, auch nur zwey Haupt-Regierungsformen
gelten lassen, die demokratische, wo
Viele, die Menge, und die oligarchische, wo Wenige
regieren. Alsdann nähmlich sehen sie die Aristokratie
für eine Art der Oligarchie, und das, was
ich Republik im eigentlichen Verstande nenne, für
eine Art von Demokratie an; so wie jene Geographen
den Abendwind zu einer Unterart des Nordwindes,
und den Morgenwind zu einer des Südwindes
machen. Mit den musikalischen Tonarten machen
es einige eben so; nehmen nur zwey Hauptunterschiede,
die Dorische und die Phrygische, an,
und suchen alle übrige Tonleitern unter eine von diesen
beyden Rubriken zu bringen. — So gewöhnlich
nun auch jene Abtheilung der Staatsverfassungen
seyn mag, und so einfach sie zu seyn scheint:
so ist doch die unsrige, glaube ich, richtiger und
besser, nach welcher zuerst die regelmässigen (es
mögen denn nun eine oder mehrere seyn), von den
unregelmässigen und ausgearteten unterschieden werden
(so wie, wenn eine Modulation als die am
meisten harmonische gefunden wäre, und die übrigen
nach der mehrern oder weitern Entfernung von
der vollkommensten Harmonie classificirt würden),
und dann diese unregelmässigen selbst darnach eingetheilt
werden, dass die eine mehr Stärke und eine
strengere Unterordnung in die Regierung bringen,
welches die oligarchischen Verfassungen thun, die
andern aber eine losere und mehr nachgebende Verbindung
zwischen Obrigkeit und Unterthanen hervorbringen,
welches der Fall bey den demokratischen
ist.
Viertes Kapitel.
Demokratie und deren Arten.
Es ist nicht genug, wie viele glauben, Demokratie
und Oligarchie bloss nach dem Nahmen zu definiren,
so dass jene die Regierung der Menge,
diese die Herrschaft Weniger anzeige.
Auch in Oligarchien und allenthalben herrscht gewissermassen
der grössere Theil. Jm Gegentheil, wenn
in einer Stadt tausend dreyhundert Einwohner wären,
und darunter tausend Reiche, diese aber den
dreyhundert Armen, die übrigens frey, und jenen
in allen andern Stücken gleich wären, keinen Theil
an der Regierung liessen: so würde man nicht sagen
können, dass diese Stadt demokratisch regiert
würde. — Auf gleiche Weise, wenn irgend wo die
Armen an Anzahl geringer als die Reichen, sie doch
zu überwältigen gewusst, und die Macht des Staats
allein an sich gerissen hätten: so würde man diess
doch nicht eine Oligokratie nennen.Weit richtiger also drückt man sich aus, wenn
man sagt: das Wesen der Demokratie besteht darin,
dass die Freygebohrnen ohne Unterschied, —
das Wesen der Oligarchie, dass die Reichen regieren.
Es ist aber etwas Zufälliges, welches doch
nach der Natur der Sache gemeiniglich geschieht,
dass der Freygebohrnen viele, der Reichen wenige
sind. Eben so würde, wenn die Grösse des Körpers
(wie man sagt, dass es in Aethiopien geschieht),
oder die Schönheit der Massstab wäre, nach welchem
die Macht und der Antheil an den Regierungsämtern
ausgetheilt würde, es zufälliger Weise geschehn,
dass die Macht in die Hände weniger kommen
und also eine Art von Oligarchie entstehen
würde, weil es nähmlich der vorzüglich grossen
und der schönen Leute immer nur wenige gibt.Kömmt aber dann wirklich der Fall vor, dass
an einem Orte der Freyen wenig sind, und diese
über viele, die aber nicht so freygebohren als sie
sind, herrschen, so ist diess deswegen nicht eine
Oligarchie zu nennen. Dieser Fall existirte in Apollonien,
das am Jonischen Meere liegt, und in
Thera, in welchen beyden Städten nur die Nachkommen
derjenigen Geschlechter zu den Regierungsämtern
Zutritt hatten, welche zuerst diese Kolonien
gegründet hatten, und die ersten Bürger derselben
gewesen waren, daher sie sich einen grossen Vorzug
der Geburt vor den übrigen Einwohnern, deren
Anzahl weit grösser war, zuschrieben. Eben
so wenig ist das eine Demokratie, wenn irgendwo
durch einen seltnen Zufall der Reichen mehrere,
diese aber im ausschliessenden Besitze der Regierung
sind, — so wie diess vor Zeiten in Kolophon
soll Statt gefunden haben, wo vor dem Kriege,
den die Stadt mit den Lydiern führte, der grössre
Theil der Bürger sehr ansehnliches Vermögen erworben
hatte.Beydes also muss, nach der Natur und dem
Sprachgebrauch, zusammen genommen werden, Anzahl
und Verschiedenheit des Standes und Vermögens,
um die Kennzeichen der Demokratie und Oligarchie
zu bestimmen: Wo die Freyen und ohne Ausschliessung
der Armen, die natürlicher Weise den
grössern Theil ausmachen, regieren, da ist die erstre
der beyden Verfassungen; wo die Reichen und Edeln allein
herrschen, und zugleich, wie gewöhnlich, die
geringere Anzahl ausmachen, da ist die zweyte.Jch habe schon gesagt, dass die Verschiedenheit
der Regierungsformen aus der Mehrheit ihrer
Theile entstehe. — Wenn man diese Theile selbst
aufzählte: so würde man finden, wie viel es überhaupt
Verfassungen geben könne, welches die Ursache
davon sey, und dass es gewiss mehrere, als
obige zwey geben müsse. Die Vergleichung mit der
Klassification der Thierarten wird diess deutlicher machen.
Um diese zu machen, war es vor allen Dingen
nöthig, zuerst zu bestimmen, welches die nothwendigen
Gliedmassen und Organe sind, die jedes
Thier haben muss. Es muss nähmlich nothwendig
wenigstens einige der sinnlichen Werkzeuge haben;
es muss ferner ein Organ zur Aufnahme und zur
Verarbeitung der Nahrungsmittel haben, dergleichen
unser Magen und unsre Gedärme sind; es muss
endlich Gliedmassen haben, durch deren Hülfe es
sich fortbewegt. Wenn also auch die Thiere nicht
mehr als diese genannten Gliedmassen hätten, es
aber bey jedem dieser Gliedmassen Verschiedenheiten
gäbe, so, dass sich mehrere Gattungen der Mägen,
der Gedärme, der Sinnen und der Bewegungswerkzeuge
gedenken liessen: so würden doch schon so viele
Gattungen der Thiere daraus entstehen, so viele
verschiedene Verbindungen jener Theile möglich sind.
Denn in einer und derselben Gattung kann nicht das
ein Thier ein anderes Maul, einen andern Magen
haben als das andre. Wenn also die ungleichartigen
Gliedmassen zusammen gesetzt werden: so entstehen,
erstlich, daraus andre und andre Thier-Geschlechter;
und zweytens sind dieser Gattungen so
viele, als jener Zusammensetzungen möglich sind.Auf ganz gleiche Weise verhält es sich mit den
Staaten und ihren Verfassungen. Dass sie aus mehrern
Theilen bestehen, ist schon mehrmahlen gesagt
worden. Einer dieser Theile ist der, welcher sich
mit Hervorbringung der Nahrungsmittel beschäftigt;
das sind die Land- und Ackersleute; ein andrer
ist der, weicher sich mit den mechanischen Künsten
und Handarbeiten abgibt, wovon wieder einige
die ersten und gemeinsten Bedürfnisse herbeyschaffen,
die andern nur für die Auszierung und das
Vergnügen des menschlichen Lebens, oder, wie man
zu sagen pflegt, für den Luxus arbeiten. Ein dritter
Theil ist der, welcher sein Geschäft auf den
Marktplätzen hat; — ich meine den, welcher sich
mit dem Umtausch der Waaren, mit Kaufen und
Verkaufen, es sey mit dem Grosshandel oder mit
der Krämerey abgibt. Einen vierten Theil machen
die Tagelöhner, und die, welche bloss mit ihrer Stärke
arbeiten, aus. Ein fünfter ist der, welcher für den
Staat zu Felde ziehn und Krieg führen soll; —
und dieser ist gewiss nicht weniger nothwendig, als
irgend einer der zuvor genannten, wenn nicht alle
Bürger, bey dem ersten Angriffe, den sie von Auswärtigen
leiden, in Knechtschaft gerathen sollen.
Ein Staat aber, der seiner Constitution nach in
Knechtschaft gerathen müsste, verdient diesen Nahmen
nicht. Er soll, wie gleich anfangs gesagt worden,
sich selbst genugsam und also unabhängig seyn:
zwey Dinge, die der Knechtschaft gerade entgegenstehn.Es ist also, um diess beyläufig zu erinnern,
in der Republik des Plato, mehr scheinbar als
richtig und vollständig, wenn Sokrates sagt, dass
um eine Gesellschaft auszumachen, nur vier Glieder
die durchaus nothwendigen Bestandtheile derselben
sind: — der Landmann, der Weber, der Leder-
und Schuhmacher, und der Baumeister. Er geht
aber selbst von diesem seinem Ausspruche ab, und
setzt bald (ohne Zweifel weil er fühlte, dass jene
Menschen sich die nothwendigen Bedürfnisse noch nicht
verschaffen können), den Arbeiter in Erz und Metallen, —
dann wieder die Viehhirten, — endlich
den Kaufmann und Krämer hinzu. Alles das sind
also Neuangeworbene, womit er seine anfangs noch
unvollendete Stadt zu ergänzen sucht. — Und doch
auch dann ist es auffallend, dass er die bürgerliche
Gesellschaft, bloss um der Bedürfnisse und Nothwendigkeiten
des Lebens willen, und nicht um des
moralischen Guten und der geistigen Glückseligkeit
willen errichtet glaubt, ferner, dass er den, welcher
das Land bauet, und den welcher Schuhe macht,
für gleich wichtige Bestandtheile des Staats hält.
Den die Waffen führenden Theil setzt er nicht eher
hinzu, als bis er den Staat so weit hat anwachsen
lassen, dass er bis an das Gebieth seiner Nachbarn
stösst, und dadurch mit ihnen in Krieg geräth. —
Aber auch, wenn nur vier oder noch so
wenige Personen beysammen in Gemeinschaft mit
einander leben sollen: so muss gleich anfangs jemand
unter ihnen seyn, der ihnen Recht spreche, und der
auch seine Urthelssprüche zur Vollziehung bringe.
Wenn beym Thiere die Seele ein wesentlicherer Bestandtheil
ist, als der Körper: so muss auch in einem
Staate die Klasse, welche denselben vertheidigt,
und in demselben die Gerechtigkeit austheilt,
für wesentlicher angesehen werden, als die, welche
bloss für die körperlichen Bedürfnisse sorgt. Zu dieser
Seele des Staats muss man auch noch denjenigen
rechnen, der für die Uibrigen rathschlägt, und
Entschlüsse fasst; welcher also diejenige Verrichtung
im Staat über sich hat, die im Menschen dem Verstande
zukömmt.Die genannten Unterschiede geben eben so viele
Bestandtheile der Staaten an: und es thut nichts
zur Sache, ob dieselben wirklich abgesondert von
einander existiren, oder in denselben Personen vereiniget
sind. Es ist sehr wohl möglich, dass die,
welche das Land bauen, zugleich zufälliger Weise
Soldaten sind, und der Fall kömmt häufig vor.
Aber desswegen sind doch diese beyden Qualitäten
wesentlich unterschieden. Und man kann also die welche
die Waffen führen, eben sowohl als die,
welche über die Staatsgeschäfte Rath halten, für
eigne Bestandtheile der Staaten ansehen.Die siebente Klasse ist die, welche mit ihrem
Vermögen oder Eigenthum dem Staate beysteht;
die achte, welche ihre Geisteskräfte und ihre Zeit
für ihn anwendet, und die obrigkeitlichen Aemter
besorgt. Es ist nähmlich unmöglich, dass ein Staat
bestehe, wenn er nicht Obrigkeiten, und wenn er
nicht öffentliche Veranstaltungen hat, die Aufwand
erfordern. Es müssen also Personen in ihm seyn,
welche die obrigkeitlichen Aemter verwalten, und
diese Veranstaltungen von ihrem Gelde machen können.Endlich ist noch die Klasse übrig, von der ich
kurz zuvor redete, die die Rechtsstreitigkeiten der
Bürger entscheidet.Wenn nun alles dieses in einem Staate gethan
werden, und auch gut, nach Pflicht und nach
Gerechtigkeit gethan werden muss: so müssen auch
Personen darinnen seyn, welche die Fähigkeiten und
Tugenden wahrer Staatsmänner besitzen.Was nun die übrigen Eigenschaften, ausser
Reich- und Armseyn, betrifft, wodurch sich die genannten
Bestandtheile unterscheiden: so können mehrere
in denselben Personen sich vereinigt finden. Die
Landbauer können zugleich Soldaten und Künstler
seyn. Die, welche über die Führung der allgemeinen
Geschäfte rathschlagen, können zugleich die Richter in
Privatstreitigkeiten seyn. Fast alle machen ohne Ausnahme
Anspruch auf politische Tugend, und auf die
Eigenschaften, welche zu Begleitung der meisten
obrigkeitlichen Aemter gehören. Nur Reichthum und
Armuth können unmöglich bey denselben Personen beysammen
seyn. Daher scheinen auch die Wohlhabenden
und die Dürftigen, die beyden Hauptklassen jedes
Staats zu seyn. Wozu noch kömmt, dass,
gewöhnlicher Weise jener wenige, dieser viele
sind, beyde Theile noch mehr einander entgegengesetzt
zu seyn scheinen. Daher ist es geschehn, dass
man vornehmlich nach dem Uibergewicht des einen
oder des andern derselben, die Staatsverfassungen
abgetheilt, und die Demokratie und Oligarchie als
die zwey Hauptarten derselben angesehen hat. Wie
unrichtig dieses sey, und warum, habe ich schon
oben gesagt. Noch will ich nur etwas von den verschiedenen
Unterarten der Demokratie und Oligarchie
hinzusetzen. Das Volk nähmlich, und der Adel,
beyde haben, dem zu Folge was ich bisher ausgeführt
habe, mehrere Abtheilungen. Vom Volke erstlich,
besteht, wie gesagt, ein Theil aus Bauern,
ein andrer aus Handwerkern, ein dritter aus Mark-
und Handelsleuten, ein vierter aus Seeleuten, —
und diese letztern sind wieder entweder mit dem
Seekriege, oder mit der Ein- und Ausfuhr von
Producten, oder mit dem Transport von Gütern
und Reisenden, oder mit der Fischerey beschäftigt.
Jede dieser Klassen ist an vielen Orten sehr zahlreich.
So sind es die Fischer zu Tarent und Byzanz;
die Matrosen auf Kriegsschiffen zu Athen; die
Kauffahrteyschiffer zu Aegina und Chios; die Transportschiffer
zu Tenedos. Eine fünfte Volksklasse sind
die, welche sich für Lohn zu allerhand Handarbeiten
verdingen, gar wenig Eigenthum haben, und
keinen Tag ohne Arbeit seyn können, um für diesen
Tag ihr Brot zu gewinnen. Noch gehören zum
Volk diejenigen, die war frey, aber nicht von natürlicher
und mütterlicher Seite zugleich Bürger sind,
und so noch manche andre, die unter dem grossen
Haufen vermischt und verborgen leben.Der Adel, zweytens, theilt sich nach Maassgabe
des Reichthums, der mehr oder weniger alten
und edlen Herkunft, der bessern oder schlechtern
Erziehung, der persönlichen Vorzüge, und andrer
ähnlichen Verschiedenheiten in eben so viele kleinere
Zweige.Unter den Demokratien ist demnach die erste
und im eigentlichsten Verstande die, deren Verfassung
nach der vollkommensten Gleichheit eingerichtet
ist. Die Grundgesetze dieser Demokratie verlangen
nähmlich zur Gleichheit, dass die Armen nicht mehr,
nicht weniger Rechte haben, als die Reichen; dass
kein Theil über den andern Herr sey, sondern
beyde gleichen Antheil am Herrschen und Gehorchen
haben. Soll, wie viele glauben, Freyheit
und Gleichheit am meisten in der Demokratie zu
finden, und ihr unterscheidender Charakter seyn: so
muss es bey dieser Form der Demokratie Statt
finden, da in derselben alle an den Vortheilen der
bürgerlichen Verbindung gleichen Antheil nehmen.
Da indessen hier die Meinung des grössern Theils
die Entscheidung gibt; der grössre Theil aber gemeinhin
zum Volke gehört: so ist es doch eigentlich
das Volk, welches regiert, und die Verfassung
ist demnach demokratisch. Diess ist die erste
Gattung der Demokratie.Eine zweyte ist, wenn die Wahl zu Magistraturen
zwar auf einen Censum, oder auf die,
welche eine gewisse bestimmte Summe Vermögens
besitzen, eingeschränkt, aber diese Summe geringe
ist. Alsdann ist immer die Hoffnung zu obrigkeitlichen
Würden zu gelangen, sehr vielen gemein, da
alle die, welche jenes kleine Vermögen besitzen, Anspruch
darauf haben, und nur diejenigen ausgeschlossen
sind, welche desselben verlustig gegangen
sind.Eine dritte Form der Demokratie ist, welche
das Recht, zu Magistraturen zugelassen zu werden,
allen Bürgern unter der Bedingung zugesteht, dass
sie von niemanden abhängig, keines Verbrechens
wegen angeklagt, und keiner öffentlichen Unehre unterworfen
sind, übrigens aber Gesetze zum Grunde
legt, nach welchen die Magistratspersonen sich richten
müssen.Eine vierte lässt auch diese Einschränkung weg,
und gibt das Recht zu obrigkeitlichen Würden allen,
die nur wahre Bürger sind: wieder mit der
Voraussetzung, dass Gesetze da sind, deren blosse
Anordnung und Vollziehung den Magistratspersonen
überlassen ist.Eine ganz andre Gattung von Demokratien
ist es, wenn alles Uibrige dem obigen gleich ist,
aber keine feste und unveränderliche Gesetze respectirt
werden, sondern das Volk oder die Mehrheit
der Stimmen der höchste und alleinige Gesetzgeber
allein ist. Dieser Fall findet sich an allen Orten,
wo die Schlüsse der Volksversammlung entscheiden,
über alle Sachen. und ohne Rücksicht auf Gesetze.
Er ist gemeiniglich nicht der ursprüngliche Zustand
dieser Staaten, sondern ein Werk der Demagogen
und Volksschmeichler. Aber umgekehrt ist es auch
wahr, dass es in Städten, die eine an Gesetze gebundne
Demokratie haben, keine Demagogen gibt,
d. h. dass es nicht jedem erlaubt ist, dem Volke
zu rathen, der nur das Volk durch Beredtsamkeit
und Schmeicheley zu gewinnen weiss; sondern dass
dort die angesehensten und bessten der Bürger den
Volksversammlungen vorsitzen. Wo hingegen Gesetze
nicht vorhanden sind, oder keine hinlängliche
Gewalt haben, da entstehen Demagogen. Das
Volk wird alsdann ein aus vielen Köpfen zusammengesetzter
Monarch. Nähmlich die höchste Gewalt
kömmt in der Demokratie den Vielen, aus
welchen das Volk besteht, nur collective zu, wenn
sie in Corpore vereinigt sind, aber sie ist nicht unter
die Einzelnen vertheilt. Denn auf diese zwiefache
Weise kann man sich eine Herrschaft Vieler
denken. Und wenn daher Homerus sagt, dass eine
Vielherrenregierung nicht gut sey, so ist es zweifelhaft welche
er meint, ob die, wenn viele zusammen
eine höchste Obrigkeit ausmachen, oder wenn
Regenten neben einander, jeder in einem gewissen
Fache, unumschränkt zu herrschen haben.Ein solches Volk nun, um darauf zurückzukommen,
das an keine Gesetze gebunden ist, ist zu
einem despotischen Gebrauche seiner Gewalt geneigt,
und wird endlich daran gewöhnt. — Die
Schmeichler sind also bey ihm in Ehren. Uiberhaupt
was unter den Königen der Despot, das
ist unter den Demokratien ein solches Volk. Beyde
haben ähnliche Sitten, beyde sind geneigt diejenigen
zu unterdrücken, welche gewisse Vorzüge
haben. Die Schlüsse der Versammlung, und die
Edicte des Fürsten, der Demagoge und der Höfling
sind vollkommen analogische Dinge. So wie
beym Despoten niemand mehr gilt, als der Schmeichler:
so vermag bey einem solchen Volk der Redner,
der dessen Gunst gewonnen hat, alles. Diese
Redner suchen mehr und mehr Sachen für die Gerichtsbarkeit
des Volks zu ziehn, und machen dadurch
die Schlüsse desselben von den Gesetzen immer
unabhängiger; weil sie selbst auf diese Weise
gross werden. Denn wenn das Volk uneingeschränkt
regiert, sie aber die Meinungen des Volks leiten,
und auf die Folgsamkeit des grössern Theils rechnen
können: so sind sie in der That die obersten
Regenten. Wie die Geschäfte, so auch die Richtersprüche,
suchen diese Demagogen in die Hände
des Volks zu bringen, und wenn sie besonders
eine obrigkeitliche Person anklagen wollen, so ist
immer ihr Vorschlag, den sie durch scheinbare Gründe
unterstützen, dass die Volksversammlung über
sie Gericht halten soll. Das Volk nimmt diese
Aufforderung willig an: und so verlieren alle obrigkeitlichen
Aemter in den Augen des grossen Haufens,
der sich für ihren Richter ansieht, ihr Ansehn
und ihre Würde.Diese Demokratie verdient den Tadel, dass sie
so sehr Demokratie ist, dass sie aufhört eine wirkliche
Verfassung und Ordnung des Staats zu seyn.
Denn wo Verfassung und Ordnung ist, da müssen
Gesetze das Allgemeine bestimmen; die obrigkeitlichen
Personen aber, und die, welche
in dem Staate die höchste Gewalt haben, müssen
über das Einzelne entscheiden. — Daher ein solcher
Zustand, wo die Schlüsse der Volksversammlung
alles, auch das Allgemeine anordnen, wofern
unter Demokratie eine nach gewissen Regeln
verfasste Regierungsform verstanden werden soll,
nicht einmahl den Nahmen Demokratie verdient.
Denn eigentlich kann und soll eine Volksversammlung
über nichts, als über einzelne Dinge entscheiden.
So viel sey also von den Demokratien
und ihren Unterschieden gesagt.
Fünftes Kapitel.
Verschiedene Arten der Oligarchie.
Von den Oligarchen ist eine Gattung die, wo
die Wahlfähigkeit zu obrigkeitlichen Aemtern nach
dem Vermögen bestimmt, aber ein solches Vermögen
dazu erfordert wird, dass der grösste Theil der
Bürger, die gemeiniglich ärmer sind, daran nicht
Theil haben kann. Eine zweyte Gattung, wenn
ursprünglich die Magistrats-Collegien nur mit Personen
von ansehnlichem Vermögen besetzt werden,
sie aber nun an die Stelle der abgehenden selbst
die neuen Glieder wählen dürfen. — Wählen sie
nun diese aus allen Bürgern ohne Unterschied, nach
dem Verdienste: so nähert sich die Verfassung einer
Aristokratie. Wählen sie aber nur aus gewissen
bestimmten Geschlechtern: so ist sie mehr oligarchisch.Eine dritte Art der Aristokratie ist, wenn die
obrigkeitlichen Würden erblich sind, und der Sohn
dem Vater nachfolgt.Eine vierte ist, wenn, alles übrige so angenommen
wie zuvor, die Magistratspersonen und Collegia,
allein und ohne sie einschränkende Gesetze,
regieren.Man sieht leicht, dass was der Despotismus
unter den Monarchien, die zuletzt erklärte Demokratie
unter andern Demokratien, eben diess jene
Oligarchie unter den gleichnahmigen Verfassungen
sey. — Sie wird daher auch durch einen eignen
Nahmen, den der Dynasten-Regierung davon abgesondert.Zu dieser Entwickelung der verschiedenen Arten
demokratischer und oligarchischer Regierungsformen
muss ich noch diess hinzusetzen, dass mancher
Staat nach seinen Grundgesetzen keine demokratische
Form hat, und doch zufolge der darin herrschenden
Erziehung und Gewohnheiten, demokratisch
regiert wird; dass hinwiederum bey andern
den Gesetzen nach die Verfassung demokratisch ist,
und doch die wirkliche Regierung noch Herkommen
und Sitten, sich der Oligarchie nähert. Dieses
ist besonders der Fall, wenn Revolutionen in solchen
Staaten sich ereignet haben. Denn nicht immer
werden nach einer solchen die Gesetze geändert:
vielmehr dauert die Anhänglichkeit an dieselben
oft noch fort, und die siegende Partey sucht
nur de facto allerhand Vortheile über ihre Gegner
zu erhalten. Dadurch geschieht es also, dass,
indem diejenigen, welche die Revolutionen veranlasst
haben, das Heft der Regierung in Händen
halten, und die alten Gesetze, die noch fortdauern,
diese mit dem wirklichen Zustande der Dinge
in Widerspruch gerathen.
Sechstes Kapitel.
Fortsetzung des Vorigen.
Diese verschiedenen Formen also der Demokratie
und Oligarchie, habe ich gesagt, lassen sich aus
der Verschiedenheit der Theile und Klassen, die in
einem Staate von einander abgesondert existiren,
erklären, und sind eine nothwendige Folge derselben.
Z. B. da es mehrere Klassen auch unter dem,
was man Volk oder Plebejer nennt, gibt: so müssen
entweder alle, oder nur einige, an der Staatsverwaltung
Theil haben. — Wenn nun die Klasse
derjenigen, die sich mit dem Landbau beschäftigt,
die Eigenthum, aber ein mittelmässiges Eigenthum
hat, den grössten Theil der Gewalt in Händen
hat: so wird diess eine Demokratie seyn, aber eine
Demokratie, die nach Gesetzen regiert. Es wird
eine Demokratie seyn, weil auch alle die andern, welche
nicht Landbauer sind, wenn sie nur so viel
Vermögen erwerben, .als ein Grundstück nach den
Gesetzen betragen muss, — an den Vorrechten derselben
Theil nehmen können. Es wird aber eine
gesetzmässige Demokratie seyn, weil jene mittelmässige
Landbesitzer sich nur durch ihre Arbeit unabhängig
erhalten, aber nicht ihre Zeit müssig zubringen
können. Daher sie sehr wohl zufrieden
sind, dass fixe Gesetze der Verwaltung der Staatsangelegenheiten
vorgeschrieben sind, und zu Versammlungen
nur dann zusammenkommen, wenn
solche wirklich nothwendig sind. — Wäre nicht ein
Weg für alle Bürger offen, an der Staatsverwaltung
Theil zu nehmen: so würde die Verfassung
oligarchisch seyn. — Und hätten die Bürger, welchen
diese Rechte zukommen, so viel Musse, sich
sehr oft zu versammeln und Schlüsse zu machen,
so würden sehr bald Unordnungen einreissen. Diess
ist aber in der gedachten Demokratie nicht, wenn
die Privatpersonen nur mittelmässig vermögend sind,
oder der Staat selbst noch keine Einkünfte von aussen
hat, durch die er seine müssiggehenden Bürger
unterhalten könne.So sieht diese erste Art der Demokratie aus.
Die zweyte und dritte, wo entweder alle Bürger,
die von jeder Criminal-Untersuchung, Schulden und
jeder öffentlichen Mackel frey sind, oder alle Bürger,
die nur freye Leute sind, Anspruch darauf haben,
zu den Magistraturen zugelassen zu werden,
wo aber doch die wenigsten wirklich dieselben suchen
oder verlangen, weil sie bey mässigem Vermögen,
und dem Mangel öffentlicher Einkünfte,
aus denen sie bezahlt werden könnten, ihre eigne
Angelegenheit besorgen, und nicht Musse haben, sich
mit den Staatsgeschäften abzugeben. — Aus diese
Demokratien werden immer das Gesetz zur Grundfeste
und Richtschnur ihrer Verwaltung machen.Eine vierte von jener verschiedene Art der Demokratie
entsteht in Städten, aus diesen selbst, mit
der Länge der Zeit, und selbst durch das Glück derselben.
Wenn nähmlich solche über ihre ursprüngliche
Grösse sehr anwachsen, auswärtige Einkünfte
bekommen: so entsteht daraus, dass, da nun der
grosse Haufe auch nach eben diesem Maasse emporsteigt,
alsdann wirklich alle sich mit der Staatsverwaltung
befassen, und an derselben Theil haben
wollen. Es können nähmlich nun auch die Aermern
eine Besoldung oder eine Beysteuer von dem Staate
bekommen, wodurch sie in den Stand gesetzt werden
müssig zu gehn, und an den öffentlichen Angelegenheiten
in den Versammlungen oder auf den Richterbänken
Theil zu nehmen. Jn diesem Zustande ist
es gemeiniglich der grosse Haufe der Geringern, der
am meisten Musse hat. Denn wenn sein Unterhalt
vom Staat gesichert ist: so hat er nun keine eignen
Angelegenheiten mehr zu besorgen: der Reiche aber
wird durch die Verwaltung seiner Güter abgehalten.
Daher diese oft am meisten von den Volksversammlungen
wegbleiben, und sich dem Urtheilssprechen
entziehn. Die Folge davon ist, dass der
grössre Theil der Armen und Niedrigen im Volk fast
allein Herr vom Staate wird, wodurch die Unordnungen
einreissen, und die Gesetze hintangesetzt
werden. — Diess also sind die mannigfaltigen Gestalten
der Demokratie: und diess sind die Ursachen
derselben.Unter den Oligarchien ist die erste Art die,
wenn viele ein hinlängliches Vermögen besitzen, aber
niemand grosse Reichthümer. Da hier alle diejenigen,
welche diesen mittlern Grad von Wohlhabenheit
erreiten, Regierungs-Glieder, und dieser also
viele sind: so ist es nothwendig, dass Gesetze, und
nicht bloss die Menschen herrschen. Da keine grosse
Ungleichheit des Vermögens unter ihnen ist: so sind
sie desto weiter von der Alleinherrschaft Eines oder
Weniger entfernt, und da sie nicht so viel Einkünfte
besitzen, dass sie ganz müssig seyn, und ohne Arbeit
leben könnten, noch so wenig, dass der Staat
sie ernähren müsste: so sind sie sehr zufrieden, dass
Gesetze da sind, welche die Geschäfte anordnen,
und verlangen nicht alles selbst nach Willkür zu entscheiden.Eine ganz andre Gestalt bekommt die Oligarchie
da, wo ihrer weniger sind, die Vermögen besitzen,
aber diese Wenigen grössres Vermögen haben.
Diese Wenigen haben also viel mehr Gewalt
in Händen, sie machen also auch Anspruch
auf grosse Vorzüge vor ihren Mitbürgern. Sie wählen
daher nach Gefallen aus diesen, wen sie an
Aufträgen und Geschäften der Regierung vollen Theil
nehmen lassen. Weil sie aber demohnerachtet noch
nicht so mächtig sind, dass sie sich getraueten, ohne
alle Gesetze zu regieren: so geben sie die Gesetze,
welche zu dieser Form schicklich und zur Erhaltung
derselben dienlich sind.Wenn nun aber die Ungleichheit der Glücksgüter
noch grösser wird, die Anzahl der Reichen sich
verkleinert, der Reichthum dieser Wenigen aber noch
sehr anwächst: so zieht sich die Oligarchie noch mehr
zusammen, und bekömmt eben dadurch mehr Stärke
und Gewalt. Diess ist die dritte Gattung. Diese
Reichen nehmen alsdann nicht nur alle Regierungsämter
in Besitz, sondern führen auch durch Gesetze
die Erblichkeit derselben ein, und versichern also ihren
Söhnen die Nachfolge darin nach ihrem Tode.Wenn endlich diese immer anwachsende Ungleichheit
den äussersten Grad erreicht, und die übermächtigen
Reichen nach eben der Proportion ihren Anhang
vermehren: so nähert sich endlich die Regierung
dieser Dynasten, der unumschränkten Monarchie;
sie fangen an sich ihrer Gewalt bloss nach
Willkür zu bedienen, und legen die Gesetze bey Seite.
Dann entsteht die vierte Art der Oligarchie, die
das Analogon von der zuletzt genannten Gattung der
Demokratie ist.
Siebentes Kapitel.
Aristokratische Regierungsformen.
Ausser Oligarchie und Demokratie, sind nach der
gewöhnlichen Eintheilung, noch zwey Regierungsformen,
die aristokratische und monarchische, welche
den Umfang der möglichen Verfassungen erschöpfen
sollen. Es gibt aber in der That noch eine fünfte,
welche ich mit dem allgemeinen Nahmen der Verfassung
oder der Republik Vorzugsweise belege,
die aber, weil sie selten unter wirklichen Staaten
vorkömmt, denjenigen, die die verschiednen Formen
der Regierung auszählen, zu entwischen pflegt, und
auch selbst vom Plato in seiner Republik übergangen
worden ist. Jetzt habe ich nun von den Verschiedenheiten
zu reden, die bey der aristokratischen
Form Statt finden. Die vollkommenste Aristokratie,
welche allein dieses Nahmens ganz werth ist,
ist diejenige, wo die regierenden Personen aus denen
gewählt werden, die an sich, in Rücksicht auf
wahre und allgemeine menschliche Tugend die bessten
sind, nicht bloss die bessten in Rücksicht auf solche
Eigenschaften, die bey Voraussetzung dieser und
dieser Umstände für Tugenden gelten. Jn diesem
Staate allein ist der, welcher gut und gepriesen ist
als Bürger, zugleich absolut und lobenswürdig als
Mensch: da hingegen die, welche man in den übrigen
Staaten gute Bürger nennt, nur eine relative
Tugend in Beziehung auf die Erfordernisse und den
Nutzen dieser Staaten haben.Es gibt nun aber auch andre Regierungsformen,
welche man zu den Aristokratien zählt, weil
ihre Einrichtungen sowohl von den oligarchischen als
denen der Republik im eigentlichen Verstande abgehn,
—und man sie also unter keine andre Benennung
zu bringen weiss, ob sie gleich diese im vollkommensten
Verstande nicht verdienen. Das sind die, wo
die Magistratspersonen zugleich nach dem Vermögen
und nach persönlichen Verdiensten gewählt werden.
Nähmlich auch in denen Staaten, wo Tugend und
geistige Vollkommenheit nicht der gemeinschaftliche
Endzweck und die allgemeine Bemühung der Gesellschaft
ist, gibt es doch eine gewisse Anzahl von
Personen, die in einem bessern Rufe als andre stehn, die
man für redliche, gesittete, wohlerzogne Leute
hält. Wo also bey Besetzung der Regierungsämter
auf diese vorzüglich Rücksicht genommen wird,
wenn man auch dabey zugleich auf Vermögen und
die Stimme des Volks sieht: da ist doch noch Aristokratie,
aber eine zweyte untere Art davon. Eine
dritte ist, wie die in Lacedämon, eine Mischung von
Aristokratie und Demokratie, wenn der Reichthum
nicht in Betrachtung kömmt, sondern nur die persönlichen
Verdienste und die Volksstimmen entscheiden,
wer zu den Magistraturen gelangen solle. —
Die vierte und unterste Art der Aristokratie wird erst
aus dem folgenden Kapitel klar werden, sie ist die
eigentlich so genannte Republik, wenn sich dieselbe
zur Oligarchie neigt.
Achtes Kapitel.
Republik im vorzüglichen Sinne des Worts. Tyrannie.
Es ist uns also noch übrig von der eigentlich, und
vorzugsweise sogenannten Republik und von der Tyrannie
zu reden. Dieser wird billig zu allerletzt gedacht,
da sie am allerwenigsten verdient, eine Verfügung,
d. h. eine Ordnung genannt zu werden,
unsre Untersuchung aber eigentlich auf Staaten geht,
die eine Verfassung haben. Von jener aber, der
Republik, findet die Abhandlung hier, nach der
von der Demokratie und Oligarchie, ihre schicklichste
Stelle, weil ihr Wesen nach Auseinandersetzung
dieser, deutlicher eingesehen wird: Sie ist nähmlich,
um es kurz auszudrücken, eine Mischung von beyden.
Oder vielmehr, unter solchen Mischungen
pflegt diejenige, welche sich mehr der Demokratie
nähert, mit diesem Nahmen genannt zu werden: die
aber, welche sich zur Oligarchie neigt, wird mit unter
die Aristokratien gerechnet. Die Ursache ist, weil
mit dem Reichthum, wenn er besonders in den
Familien länger fortdauert, auch ein gewisser Adel
derselben, und eine bessre Erziehung der aus ihnen
Abstammenden, vorbunden zu seyn pflegt; weil zweytens
die Reichen weniger Ursachen haben, Ungerechtigkeiten
zu begehn, da sie schon dasjenige besitzen,
um desswillen andre ungerecht sind. Daher werden
auch die Reichen in den Städten immer zugleich,
die guten Bürger (viri boni) die Angesehnern, der
bessre Theil genannt. Weil nun das Wesen der
Aristokratie darin besteht, den Bessern im Staate
den Vorzug und die Herrschaft zu geben, die Oligarchie
aber die Reichen vorzieht, welche auch persönlich
über die Aermern erhaben zu seyn scheinen:
so geschieht es, dass eine Republik, die mit Freyheit
der Bürger doch oligarchischen Grundsätzen
folgt, und die Reichen begünstigt, mit einer Aristokratie
Aehnlichkeit bekommt.Es scheint unter die unmöglichen Dinge zu gehören,
dass eine wahrhaft aristokratisch, d. h. von
den Bessten regierte Stadt, nicht zugleich gute Gesetze
haben solle, oder dass die dergleichen haben
könne, welche von schlechten Menschen beherrscht
wird. Auf der andern Seite scheint es gleich unmöglich,
dass die Stadt, bey welcher nicht gute
Gesetze und Einrichtungen zum Grunde der Verfassung
liegen, lange ihre aristokratische Form, oder
das Uibergewicht der Bessern behalten könne. —Damit aber eine Stadt den Vortheil guter
Gesetze geniesse, ist es nicht genug, dass die Gesetze
gut und weislich abgefasst sind, es ist auch nothwendig,
dass sie das gehörige Ansehn haben, um
Gehorsam zu erhalten. Unter dem Worte Ε
also, welches diesen einer Stadt zukommenden Vortheil
bezeichnet, ist zweyerley zu verstehen, erstlich,
dass darin die Bürger den vorhanden Gesetzen gehorchen,
zum andern, dass die Gesetze, welchen sie
so treu anhängen, wirklich gut sind (denn es ist
sehr wohl möglich, dass Gesetze in grossem Ansehn
stehn und heilig befolgt werden, —und doch schlecht
sind). — Wenn man aber von guten Gesetzen redet,
so ist diess wieder auf zwiefache Art zu verstehn:
entweder dass dieselben an sich und absolut
gut sind, oder dass sie in Beziehung auf diejenigen,
welchen sie gegeben worden, die bessten sind, deren
sie fähig waren.Diess also gibt am meisten einem Staate den
Nahmen eines aristokratischen, wenn die Würden
und Aemter nach Tugend, d. h. nach gewissen persönlichen
Verdiensten ausgetheilt werden. Denn
das ist kurz der Charakter jener drey so oft genannten
Verfassungen, dass die Bestimmung des herrschenden
Theils in der Aristokratie, durch persönliche
Eigenschaften, in der Oligarchie durch Reichthum,
in der Demokratie, durch die freye Geburt
gemacht wird. Ein Punct dagegen, in welchem
alle drey übereinkommen, ist, dass die Mehrheit
der Stimmen und der Meinungen entscheidet. Denn
sowohl in der Oligarchie, als in der Aristokratie
und bey der Volksregierung, wird dasjenige zum
Gesetze, was dem grössten Theile derer gefällt, denen
die oberste Macht des Staats zukömmt.Weil nun in den meisten Städten bey Ertheilung
der Würden, auf Tugend wenig, auf Reichthum
und freye Geburt aber beynahe ganz allein
gesehen wird, so werden solche gemischte Regierungsformen,
die nur darauf abzielen, Reiche und
Arme nach gewissen Proportionen in der Staatsverwaltung
zu vereinigen, nach unsrer vorigen Erklärung,
Republiken heissen. — An den meisten
Orten vertreten die Wohlhabenden die Stelle
der Guten, ich will sagen, sie werden grösstentheils,
ohne weitre Untersuchung für eine bessere,
mehr begabte, mehr gesittete Klasse von Menschen
gehalten.Also noch einmahl: drey Eigenschaften sind es,
welche den Menschen Ansprüche geben, gleiche Rechte
in Absicht der Verwaltung der Staaten zu fordern:
wenn sie freygebohren, wenn sie reich,
und wenn sie mit vorzüglichen Gaben und Tugenden
ausgerüstet sind (denn die vierte Eigenschaft,
die man auch noch dazu rechnet, ein edles
Herkommen, ist unter zweyen von den genannten
Stücken enthalten, und eine Folge derselben: Adel
nähmlich entsteht aus nichts anderm, als aus den
einem Geschlecht schon Alters her eigenthümlichen
Reichthümern und Tugenden). Wenn nun von diesen
drey Eigenschaften, nur zwey, Freyheit und
Reichthum, von einer Staatsverfassung für giltige
Ansprüche anerkannt werden, und die, welche
sie besitzen, also die Reichen, und die Armen wenn
sie freygebohren sind, in der Verwaltung des Staats
mit einander verbunden werden: so ist diese Verfassung
eine Republik zu nennen. Wird aber auf
jede der drey Eigenschaften in der Staatsverfassung
besondre Rücksicht genommen, und die Regierung
unter alle drey Klassen vertheilt: so ist diess
eine Aristokratie, und zwar weit mehr als irgend
eine der im vorigen Kapitel genannten, die erste
und vollkommenste ausgenommen.So viel ist also klar: dass es ausser Monarchie,
Demokratie und Oligarchie noch andre Arten
der Verfassungen gibt, — Republiken und Aristokratien.
Jch habe gezeigt, wie sie beschaffen, von
einander verschieden und einander ähnlich sind.
Neuntes Kapitel.
Wesen einer Republik.
Nach diesen allgemeinen Erörterungen, ist nunmehro
zu entwickeln, auf welche Weise neben der
Demokratie und Oligarchie diese so genannte Republik
ihren Platz findet, und nach welchen Regeln
dieselbe eingerichtet werden müsse. Zu dem Ende
müssen wir uns die Eigenthümlichkeiten jener beyden
nochmahls deutlich vorstellen, —von jeder derselben
etwas entlehnen, und aus diesen zusammengetragenen
Stücken gleichsam ein neues Gebäude
zusammensetzen. Es gibt aber drey Arten dieser
Zusammensetzung oder Mischung. Die erste ist,
wenn die Verfügungen der einen Gesetzgebung zu
denen der andern hinzugefügt werden, und auf beyde
Sachen zugleich Rücksicht genommen wird, wovon
in jeder Verfassung nur eine in Betrachtung kam.
Die Einrichtung der Rechtspflege kann hier zum
Beyspiel dienen. Jn oligarchischen Staaten, pflegt
den Reichen eine Geldbusse aufgelegt zu werden,
wenn sie sich weigern, sich zu Richtern brauchen zu
lassen; den Armen aber wird kein Sold dafür bezahlt,
wenn sie sich dem Geschäfte unterziehn. Jn
Demokratien hingegen, bekommen die Aermern eine
Schadloshaltung an Gelde für die Versäumung ihrer
Zeit, wenn sie Richter sind, und die Wohlhabenden
bezahlen keine Geldbusse, wenn sie nicht
Richter seyn wollen. Es ist also eine Mischung
und Zusammensetzung beyder Einrichtungen, wenn
beydes geschieht, wenn zu gleicher Zeit den Reichen
im Fall der Weigerung eine Geldstrafe dictirt,
und den Aermern, wenn sie sich zu Richtern brauchen
lassen, eine Geldbelohnung bewilligt wird.
Diess als das Mittel zwischen jenen beyden Extremis,
ist der Natur der gemischten Regierungsform,
die ich Republik nannte, gemäss.Eine zweyte Art der Verknüpfung ist, wenn von
Einrichtungen, die in der Demokratie oder der Oligarchie
bis zu einem grossen Extrem getrieben werben,
das Mittlere angenommen wird. — Z. B. Jn jener
ist die Regel, dass entweder gar kein, oder ein
geringes Einkommen erfordert wird, wenn jemand
in der Volksversammlung eine Stimme haben soll,
in dieser wird ein ansehnliches Einkommen dazu erfordert.
Es ist also eine Mischung beyder Regeln, wenn
weder das eine noch das andre geschieht, sondern
ein mittleres mässiges Einkommen festgesetzt
wird, mit dessen Besitz der Zutritt zur Volksversammlung
verbunden sey. —Eine dritte Art der Zusammensetzung ist, wenn
getheilt wird; wenn von mehrern zusammengehörigen
Einrichtungen einige Stücke aus der Demokratie,
einige aus der Oligarchie genommen werden.
Z. B. Es ist demokratisch, dass die obrigkeitlichen
Aemter durchs Loos, es ist oligarchisch, wenn sie
durch Wahl ausgetheilt werden. Es ist ferner der
Demokratie gemäss, keine bestimmte Einkünfte zur
Wahlfähigkeit der Candidaten bey obrigkeitlichen
Aemtern zu fordern: es ist der Oligarchie gemäss,
einen gewissen Massstab darüber festzusetzen. Es
ist daher republikanisch, oder dem Geist der aus
beyden gemischten Regierungsform gemäss, von beyden
eine ihrer Regeln zu nehmen, also z. B. die
Magistraturen von der Wahl abhängen zu lassen,
wie in der Oligarchie, und zugleich die Wahlfähigkeit
dazu an kein bestimmtes Einkommen zu
binden, wie in der Demokratie. — So viel von
den verschiedenen Methoden, wie die Eigenthümlichkeiten
verschiedener Verfassungen in einer mittlern
Regierungsform vereinigt werden können.Das Kennzeichen aber, dass diese Mischung von
Demokratie und Oligarchie gehörig geschehn, und
vollständig genug sey, ist diess, wenn man die neue
Regierungsform mit einem von jenen beyden Nahmen
benennen kann, ohne sehr von der Wahrscheinlichkeit
abzuweichen. Die Erfahrung lehrt, dass
die, welche von vermischten Regierungen reden,
leicht darein verfallen, sie bald unter die eine bald
unter die andre der Klassen zu setzen, aus welchen ihre
Theile entlehnt sind, und dass überhaupt das Mittlere
den Charakter habe, dass die beyden Extrema
in demselben durchschimmern, und es unter verschiedenen
Gesichtspuncten bald das eine bald das
andre von demselben zu seyn scheint. — Diess wiederfährt
z. B. der Lacedämonischen Staatsverfassung
sehr häufig. Viele reden von ihr als von
einer Demokratie: weil sie wirklich viel demokratische
Einrichtungen hat. Von der Art ist die von
der Ernährung und Erziehung der Kinder. Die
Kinder der Reichsten werden eben so gespeist und
in allen Stücken gehalten, — sie werden eben so
erzogen, wie die Aermsten ihre Kinder verpflegen
und erziehn können. Eben diess findet in Absicht
der Lebensart bey dem nächst folgenden Alter, bey
den Jünglingen, und selbst bey den erwachsenen
Männern Statt. Weder der Reiche noch der Arme
führt seine Haushaltung abgesondert, so dass
sie dem andern verborgen bliebe. Was ihre Kost
betrifft, so geniessen beyde dieselbe, nähmlich die,
welche sie an den öffentlichen Tischen, an denen sie
in Gesellschaft essen, finden. Und Kleidung trägt
auch der Reichste keine andre, als die sich jeder
von den Armen eben so wohl verschaffen kann.
Eine andre demokratische Einrichtung ist: dass von
den angesehensten Magistraturen und Würden, die
einen durch die Wahl des Volks besetzt, mit den
andern Leute aus dem Volke begleitet werden können.
Die Senatoren werden durch die Stimmen
des Volks gewählt, und die Ephoren werden aus
dem Volke gezogen.Andere hingegen halten die Spartanische Verfassung
für eine Oligarchie, weil sie hinwiederum
auch viele dem Geiste dieser Regierungsform gemässe
Einrichtungen hat. Z. B. dass alle Aemter
durch Wahl, und keines durchs Loos vergeben werden.
Ferner, dass es nur einige wenige Personen
gibt, welchen das Recht, über Leben und Tod zu
entscheiden, Landesverweisung, und andre solche
wichtige Strafen zu verhängen, zusteht.Wie gesagt also, die gemischte Regierungsform,
muss, wenn die Zusammenfügung genau und
gut gemacht ist, —nach Verschiedenheit der Gesichtspuncte,
in denen man sie betrachtet, bald die
eine bald die andre der beyden in sich vereinigen,
bald wieder keine von beyden zu seyn scheinen.Sie muss ferner noch, um ihren Endzweck zu
erfüllen, von der Art seyn, dass sie sich durch sich
selbst aufrecht erhalten könne, nicht bloss durch die
äussern Umstände aufrecht erhalten werde. — Jch
will so viel sagen, es ist nicht gnug, dass sie desswegen
besteht, weil der grössre Theil ihrer Nachbarn
es sich gefallen lässt, dass diese Verfassung
fortdaure (denn diess könnte auch bey einer sehr
schlecht eingerichteten Constitution Statt finden):
sondern sie muss sich dadurch erhalten, dass kein
Glied des Staats selbst eine andere Verfassung
wünscht. Diess also ist die Art und Weise, wie
die sogenannte Republik, und die mit ihr verwandten
Aristokratien gleichsam erbauet werden
müssen.
Zehntes Kapitel.
Vom Despotismus.
Es ist noch die Materie von dem Despotismus
übrig. Nicht dass dieselbe eine weitläuftige Untersuchung
erforderte oder verdiente. Aber sie kann
doch nicht in einem Werke übergangen werden, wo
von allen Verschiedenheiten der Regierungsformen,
unter welche auch die Herrschaft des Tyrannen,
obgleich durch einen Missbrauch gesetzt worden,
abgehandelt werden soll.Was die monarchische Gewalt überhaupt betrifft;
so haben wir von derselben oben geredet,
da wir diejenige Art derselben, welche vorzüglich
den Nahmen der königlichen Regierung verdient,
und untersuchten, ob sie der bürgerlichen
Gesellschaft nützlich sey oder nicht, wie sie
entstehn, und auf welche Weise sie eingerichtet werden
müsse. Zugleich haben wir an eben dem Orte
der tyrannischen Monarchien gedacht, und von denselben
zwey Gattungen bemerkt, die mit der königlichen
Regierung, so wie unter sich selbst, viel
Aehnlichkeit haben (diese Aehnlichkeit besteht vornehmlich
darin, dass sie, obgleich gesetzlos, in der
Ausübung der Macht doch ihren Ursprung von Gesetzen,
und von der Einwilligung des Volks herleiten).
Die einen dieser gesetzmässigen Despoten finden
wir bey einigen barbarischen Völkern, die sich
freywillig der unumschränkten Gewalt eines Einzigen
unterworfen haben. Die andern sind die sogenannten
Aesymneten, die Monarchen der griechischen
Völkerschaften in den allerältesten Zeiten. —
Diese altgriechischen, und jene barbarische Despoten
sind nicht in allen Stücken dieselben. Aber
darin kommen sie überein: sie gleichen von der einen
Seite den rechtmässigen Königen, in sofern sie
mit Einwilligung der Unterthanen und zufolge gewisser
Gesetze herrschen, —und sie sind Tyrannen
ähnlich, in sofern sie despotisch, und nach ihrem
blossen Willkür regieren.Die dritte Gattung der tyrannischen Monarchie,
die, welche am eigentlichsten diesen Nahmen
verdient, und der königlichen am meisten entgegengesetzt
ist, ist die, wenn ein Einzelner, unumschränkt,
und ohne Rechenschaft ablegen zu dürfen,
über seine Mitbürger, die ihm gleich, oder
besser als er sind, wider ihren Willen, nicht zu
dem Endzwecke ihr Besstes zu befördern, sondern
nur seinen Eigennutz und seine Leidenschaften zu
befriedigen, regiert. Es ist natürlich, dass eine
solche Regierung nie auf dem guten Willen der
Unterthanen gegründet seyn kann, da kein Freygebohrner
sich je freiwillig eine solche Herrschaft gefallen
lassen wird.
Eilftes Kapitel.
Welches ist die besste Regierungsform?
Welches ist die besste Verfassung für die meisten
Staaten, und welches ist die besste Art zu leben
für die meisten Menschen? Diess letztre kann unmöglich
bestimmt werden nach einem Grade von
Tugend und Geistesvollkommenheit, zu der der gemeine
Haufe nie gelangen kann; auch nicht nach
Erziehung und Cultur, wozu immer sowohl natürliche
Anlagen als äussere Hülfsmittel gehören;
und die erstre kann nicht das vollkommne Jdeal
eines Philosophen seyn, welcher bloss sagt was er
wünscht, nicht was möglich ist. Sondern jenes
glückliche Leben muss in etwas gesetzt werden, woran
die meisten Menschen Theil haben können; und
jene Güte der Staatsverfassung muss in solchen
Einrichtungen bestehn, welche die meisten Städte
bey sich einführen können.Die Aristokratie zum Beyspiele ist nicht diese
für die meisten Staaten besste Regierungsform.
Diejenigen Gattungen derselben, die den Nahmen
eigentlich verdienen, sind von den Umständen und
der Lage, in welcher sich die meisten Städte befinden,
zu weit entfernt, als dass sie daselbst errichtet
werden könnten; und die andern nähern sich
schon der andern Form, welche wir Republik genannt
haben, und müssen mit ihr in Praxi für
einerley behandelt werden.Die Beurtheilung aber aller Regierungsformen
in Absicht auf die beyden obigen Fragen, muss aus
denselben Grundbegriffen hergeleitet werden. Wenn
es nähmlich richtig ist, was in der Ethik gesagt
worden, dass das glückselige Leben in einem ungehinderten
Fortgange der Thätigkeit des Menschen
nach den Vorschriften der Tugend bestehe, diese
Vorschriften der Tugend aber die Regel seyn, immer
zwischen zwey Extremis das Mittel zu beobachten:
so muss nothwendig das Leben, welches
auch in einer gewissen Mittelmässigkeit geführt wird
(welche Mitte freylich für den einen nicht dieselbe
seyn wird, als für den andern), das glücklichste
Leben seyn.Derselbe Maassstab, nach welchem das Gute
oder Böse in dem Leben der Bürger geschätzt wird:
nach demselben muss es auch in der Staatsverfassung
geschätzt werden. Denn diese ist gewissermassen
das Leben oder die Lebensweise des Staats.Jn allen Staaten nun gibt es drey Abtheilungen:
die sehr Reichen, die sehr Armen und die
von mittelmässigem Vermögen. Wenn nun überhaupt
zugegeben wird, dass das Mässige, und das
Mittlere das besste sey: so muss auch unter den
verschiedenen Glücksumständen ein mittelmässiges
Eigenthum das vorzüglichste seyn. Jn der That
ist diess die Lage, in welcher der Mensch am leichtesten
seine Leidenschaften der. Vernunft unterwirft.
Der übermässig schöne, starke, vornehme, reiche,
und hinwiederum der ganz arme, schwache, verachtete,
beyde haben es sehr schwer, wenn sie der
Vernunft gehorchen sollen. Die einen sind mehr
zur übermüthigen Beleidigung andrer, und zu Anrichtung
grosser Uibel, die andern mehr zu niederträchtigen
Bosheiten, und zu oft wiederhohlten,
aber kleinen Beschädigungen andrer geneigt. Denn,
wie ich an einem andern Orte gesagt habe, die
meisten Ungerechtigkeiten entstehen aus einer dieser
beyden Quellen: entweder aus Stolz und Ehrgeiz, oder
aus Eigennutz und Neid.Was die Staatsverwaltung anbetrifft, so sind
die, welche auf den zwey äussersten Stufen der
Glücks-Leiter stehn, am wenigsten geneigt Aemter
zu begleiten, besonders solche, die mehr Beschäftigung
geben, als Macht oder Vortheile gewähren;
dergleichen diejenigen sind, welche in den einzelnen
Zünften die Ordnung erhalten sollen, oder
auch die Stellen in zahlreichen Rathsversammlungen.
Diese Abgeneigtheit aber ist den Staaten sehr
schädlich. Dazu kömmt, dass diejenigen, welche
ein Uibermaass an Glücksgütern, an Stärke, an
Reichthum, an Freunden und dergleichen besitzen,
weder sich regieren zu lassen Lust haben, noch in
der That zu gehorchen verstehn. Und diess wird
ihnen schon von den ersten Kinder-Jahren an, in
dem Hause ihrer Aeltern zur andern Natur. Denn
sogar ihren Lehrern werden sie gewöhnt, nicht zu
gehorchen.Diejenigen hiergegen, welche an allen jenen
Gütern einen zu grossen Magel haben, sind niedergeschlagenen
und knechtischen Geistes. Daher
sie gar nicht zu herrschen, und wenn sie beherrscht
werden, keine als eine knechtische Unterwürfigkeit
zu beweisen wissen; so wie jene hinwiederum sich
gar keiner Art von Herrschaft unterwerfen, und
wenn sie regieren, despotisch regieren wollen. So
theilt sich alsdann der Staat, anstatt aus freyen
Leuten zu bestehn, in Despoten und Sklaven, wovon
die einen mit Verachtung gegen ihre Mitbürger,
die andern mit Neid gegen dieselben angefüllt
sind: und beydes ist von den Gesinnungen der
Freundschaft und der Eintracht weit entfernt, durch
welche Glieder eines gemeinen Wesens mit einander
vereiniget werden sollen.Jede Verbindung unter den Menschen setzt etwas
von freundschaftlichen Gesinnungen zum voraus.
Denn auch dieselbe Strasse mögen Leute,
die sich recht hassen, nicht gerne mit einander betreten.
Vorzüglich aber verlangt die bürgerliche
Vereinigung eine solche Disposition der Gemüther,
wie sie unter Gleichen und Aehnlichen zu seyn
pflegt. — Diese Disposition aber, so wie diese
Gleichheit selbst, findet am meisten unter denen
Statt, die im Mittelstande leben. Es muss daher
nothwendig derjenige Staat am bessten verwaltet
und regiert werden, in welchem der
Mittelstand der zahlreichste ist, weil dieser grade
aus solchen Leuten besteht, wie sie, nach den oben
festgestellten Grundsätzen zur Errichtung und
zum Bestand eines Staats erfordert werden.Auch sind es diese vom Mittelstande, welche
in allen Staaten, unter den übrigen Bürgern,
das gesichertste Daseyn haben, und sich am längsten
erhalten. Denn weder sind sie nach anderer
Eigenthum begierig, wie die Armen, noch reitzt
das, was sie besitzen, die Habsucht ihrer Mitbürger,
wie die Schätze der Reichen die Armen reitzen.
Und indem sie also weder andre angreifen, noch
den Angriffen andrer ausgesetzt sind, so fallen bey
ihnen die zwey Hauptanlässe, welche Gefahr und
Untergang bringen können, hinweg, und sie bringen
daher ihre Tage in Sicherheit und Ruhe zu
Ende. Um desswillen wünschte sich Phocylides mit
Recht, zu diesem glücklichen Mittelstande zu gehören,
in dem bekannten Vers:"Mittelstand ist der besste: o wäre diess Loos
mir gefallen!"Unter keinen also ist das Band bürgerlicher
Vereinigung fester, als unter diesen Leuten von
mittlerem Vermögen und Range; und diejenigen
Staaten sind einer guten Regierung am ersten empfänglich,
bey welchen der Mittelstand zahlreich ist,
und das Uibergewicht hat; das Uibergewicht, wo
nicht über die beyden Klassen, zwischen welchen er
in der Mitte steht, doch wenigstens über eine. Denn
alsdann hält er wenigstens die Waage in seinen
Händen, und kann, indem er seine Macht auf die
andre Schaale legt, immer das Gleichgewicht wieder
herstellen, und hindern, dass kein Theil den
andern unterdrücke.Diess hängt freylich zum Theil vom Zufalle ab.
Und man kann es also als ein Geschenk des Glücks
für einen Staat ansehn, wenn seine Bürger, besonders
die, welche an seiner Regierung Theil haben,
Vermögen, aber mässiges und gleiches Vermögen
besitzen. Denn da, wo die einen überschwenglich
reich sind, die andern nichts haben,
kömmt die Gewalt entweder in die Hände des alleruntersten
Pöbels, oder sie wird einigen wenigen
Familien zu Theil; oder ein Tyrann bemächtigt sich
ihrer. Ja vermöge der Natur der Dinge grenzen
die Extrema an einander. Die äusserste Demokratie
und die äusserste Oligarchie geht leicht in den
Despotismus über: die mittlern und gemischten
Verfassungen viel weniger. Welches die Ursache
sey, werde ich in dem Folgenden sagen, wo ich
von den Veränderungen der Regierungsformen, und
dem Uibergange der Staaten aus einer Form in
die andre reden werde.Der Satz, auf dem ich jetzt bestehe, ist, dass
die mittlern Verfassungen, d. h. die, wo das Mittlere
herrscht, die bessten sind. Sie sind vor Aufruhr
und bürgerlichem Zwiste am meisten sicher. Denn
in einem Ganzen, wo das Mittel, welches
die weit von einander abstehenden Theile verbindet,
zahlreich und stark ist, sind am wenigsten Trennungen,
und also, wenn dieses Ganze ein Staat
ist, am wenigsten Factionen und bürgerliche Kriege
zu besorgen. Um desswillen werden auch grosse
Städte gemeiniglich weniger dadurch beunruhigt,
als kleine. Denn der mittleren, die zu keiner Partey
gehören, sind in ihnen mehrere. Jn kleinen
Städten kann es sehr wohl geschehen, dass sich die
ganze Communität in zwey Theile theilt, so dass
gar kein Parteyloser übrig bleibt. Auch können in
ihnen beynahe alle reich oder alle arm seyn.Aus einer gleichen Ursache sind im Durchschnitte
die Demokratien sichrer und dauerhafter als die
Oligarchien; weil sie nähmlich gemeiniglich einen
zahlreichern Mittelstand haben, und diesen Mittelstand
mehr an den Aemtern und Verrichtungen des
Staats Theil nehmen lassen, als die Oligarchien.
Jst diess nicht, fehlt der Mittelstand in einem demokratischen
Staat: haben die ganz Armen bloss
durch ihre Menge die Oberhand: so entstehn sehr
bald Excesse und die Verfassung geht zu Grunde.Ein Beweis, wie nützlich der Mittelstand den
Staaten sey, ist, dass die grössten Gesetzgeber aus
demselben hergekommen sind. Solon war einer der
mittelmässig wohlhabenden Bürger seiner Stadt,
wie aus seinen Versen erhellet; Lykurgus war dasselbe
in der seinigen, denn obgleich aus königlichem
Stamme, war er doch nicht Erbe der Krone. Chorondas
war in gleichem Falle, und so die meisten
andern.Hier sehn wir auch die Ursache, warum in
den meisten Städten, entweder Demokratie oder
Oligarchie in ihrer äussersten Ausdehnung herrscht,
in so wenigen eine gemischte Regierungsform Statt
findet. Es sind in ihnen der mittelmässig Begüterten
zu wenig: daher die, welche die beyden äussersten
Grenzen ausmachen, das ganz arme Volk
oder die ganz Reichen, nachdem der eine oder der
andre Theil das Uibergewicht hat, die Macht des
Staats an sich reissen, und also die Verfassung
völlig demokratisch oder völlig oligarchisch machen.
Dazu kömmt, dass in solchen Städten gemeiniglich,
vor Festsetzung ihrer jetzigen Constitution, Aufruhr
und bürgerliche Kriege zwischen den Factionen vorhergegangen
sind. Welcher Theil nun über seinen
Gegner gesiegt hat, der hat, weit entfernt eine
Regierungsform auf Gründe der Gleichheit und gemeinschaftlicher
Rechte zu erbauen, das Uibergewicht
in der Staatsverwaltung als Lohn des Sieges
sich zugeeignet. So hat der siegende Adel Oligarchien,
das siegende Volk Demokratien errichtet.
Endlich hat auch von den beyden Griechischen Staaten,
Athen und Lacedämon, welche zum Ansehn von
Heerführern in Griechenland gelangt sind, jeder
seine eigne Verfassung in den Städten, die unter
ihm standen, einzuführen gesucht; Athen hat,
wo es konnte, Demokratien, Sparta Oligarchien
errichtet: beyde haben dabey nicht auf den Nutzen
der Stadt, deren Regierungsform sie regulirten,
sondern auf ihren eigenen Vortheil gesehn. — Und
durch alle diese vereinigten Ursagen ist es geschehn,
dass man fast nirgends, oder an äusserst wenigen
Orten, und nur in kurzen Zeiträumen gemischte
Regierungsformen, von gemässigten Grundsätzen
findet. Nur ein einziger Mann aus der alten Zeit
ist bekannt, der, da er die Regierung in Händen
hatte, sich bewegen liess, eine solche Anordnung in
seinem Staate zu machen. Es ist auch schon in den
meisten Städten Denkungsart und Gesinnung durch
Gewohnheit und Länge der Zeit dahin gediehen,
dass niemand mehr die Gleichheit will, sondern jeder
entweder zu herrschen begehrt, oder zufrieden ist
unter dem Joch zu leben.Was wir also bisher abgehandelt haben, ist
erstlich, welches die bessre Regierungsform sey, und
warum sie so, wie wir angaben, seyn müsse. Wenn
man über die vollkommenste Staatsverfassung einig
ist: so ist es leicht, die am Range zweyte,
dritte, und die folgenden zu bestimmen. Denn jede
ist nach dem Maasse vollkommner, als sie sich
der ersten nähert: und um desto schlechter, als sie
sich von ihr entfernt. Doch ist diess nur von der
absoluten Vollkommenheit zu verstehen. Bey der
relativen kann es anders seyn. Das ist die, welche
nach gewissen schon unabänderlichen Voraussetzungen
unter diesen Umständen, die besste seyn
soll. Jn Absicht solcher kann es sehr wohl kommen,
dass einem gewissen gegebnen Staate diejenige
Verfassung unter zweyen die zuträglichere ist,
die an und für sich der andern weit nachzusetzen
wäre, wenn man alle Umstände nach seinen Wünschen
einrichten könnte.
Zwölftes Kapitel.
Verhältniss der Menschen zum Staate, nach Quantität
und Qualität.
Die zunächst hiermit zusammenhängende Untersuchung
ist, die Beschaffenheit der Staatsverfassung
mit der Beschaffenheit der Menschen, die in
denselben leben sollen, zu vergleichen, um zu sehen, wie
beyde sich zusammen schicken. Zuerst aber
muss über dieses Verhältniss der Staatsverfassung
zu der Qualität der Bürger des Staats, das Gemeinschaftliche,
was in allen einerley ist, angegeben
werden. Es muss nähmlich, wenn eine Staatsverfassung
bestehen soll, der Theil des Staats,
welcher die Fortdauer derselben wünscht, denjenigen
überwiegen, welcher sie nicht will, Bey jedem
Staat aber lassen sich die darin lebenden Menschen
nach den beyden Categorien der Quantität und der
Qualität unterscheiden. Wenn ich von ihrer Qualität
rede, so verstehe ich darunter Freyheit, Reichthum,
Geistesbildung, edle Geburt; oder das Gegentheil.
Die Quantität besteht in der grössern oder
mindern Anzahl der Menschen. Nun ist es möglich,
dass unter den Theilen, aus welchen ein Staat
zusammengesetzt ist, dem einen die Qualität, dem
andern die Quantität zukömmt. Z. B. dass die Edeln
oder die Reichen die kleinere Zahl ausmachen, die
Gemeinen und die Armen die grössre; —dass aber der
erstre Theil nicht so sehr an Quantität den letztern
übertrifft, als er von ihm an Qualität oder an
Menge übertroffen wird. Um dieser Ursache also,
muss beydes gegen einander abgewogen werden,
und das zusammengesetzte Verhältniss bestimmt die
Staatsverfassung. Zum Beyspiel, wo der Aermere
gegen den Reichern die zuvor angegebene Proportion
hat, da ist die Anlage zur Demokratie; und
zwar die Anlage zu der einen oder andern Demokratie
insbesondre, nachdem diese oder jene Klasse des
Volks in dem bemeldeten Verhältnisse steht. Uiberwiegt
die Anzahl der Ackersleute auf die gedachte
Art, so ist es eine Demokratie der Grund-Eigenthümer, die
erste und besste unter allen. Haben die
l:
Handwerker und Tagelöhner das erforderte Uibergewicht,
so entsteht die letzte und schlechteste. Gleiche
Bewandnisse hat es mit den Klassen und Demokratien,
die zwischen beyden sind.Da aber, wo die Klasse der Angesehnen und
Reichen an Qualität ein grösseres Uibergewicht hat,
als der andre Theil an Quantität: da entsteht natürlicher
Weise eine Oligarchie, und zwar grade
diese oder eine andre Art der Oligarchie, nachdem
diese oder eine andre Klasse der notabeln Bürger in
gedachter Proportion zu den Untern steht. — Jn
allen Fällen aber muss der Gesetzgeber die mittlere
Klasse zu Hülfe nehmen, und sie für seine Staatsverfassung
zu gewinnen suchen. Gibt er oligarchische
Gesetze: so muss er demohnerachtet dabey auf
die Gesinnungen und die Denkungsart des Mittelstandes
sehn; gibt er demokratische, so muss er
den Mittelstand selbst in die Verfassung zu verflechten
suchen.Jst aber an einem Orte diese mittlere Klasse
selbst die zahlreichste: dann, und nur dann kann eine
wahre republikanische Regierungsform auf sichere
Grundlagen erbaut werden und dauerhaft seyn.
Denn, dass jemahls die beyden äussersten Stände,
die Reichen und die Armen sich gegen diesen Mittelstand
vereinigen sollten, ist nicht zu befürchten. Keiner
von beyden Theilen wird sich selbst seine Knechtschaft
unter dem andern Theil zubereiten wollen. — Um aber
eine Staatsverfassung hervorzubringen,
woran sie gemeinschaftlich Theil hätten, haben sie
eine solche Unternehmung nicht nöthig: denn sie können
keine finden, womehr alles gemeinschaftlich wäre, als
eben die ist, welche sie zu zerstören suchten. Die
einzige Modalität, die noch übrig wäre, dass sie
nähmlich wechselsweise die Regierung führten und
die Staatsämter begleiteten, werden sie aus Misstrauen
gegen einander niemahls annehmen, — Allenthalben
aber trauen entgegenstehende Parteyen
dem, welchen sie als ihren natürlichen Schiedsrichter
ansehen. Der in der Mitte steht, ist aber der natürliche
Schiedsrichter der Extremen.Je besser nun eine Regierungsform gemischt ist,
so dass alle Glieder des Staats daran Theil haben,
desto dauerhafter ist sie.Viele auch von denen, die Aristokratien haben
errichten wollen, haben darin gefehlt, nicht nur,
dass sie den Reichen zuviel einräumen, sondern, dass
sie das Volk vor den Kopf stossen und von der Regierung
ganz und gar ausschliessen. Nothwendig
aber muss mit der Zeit, nach dem Ausspruch eines
Dichters "aus Gutem, das bloss scheinbar ist,
Böses entstehn, das reell ist."Zu grosse Vorrechte der Reichen richten eine
freye Staatsverfassung eher zu Grunde, als zu
grosse Vorrechte des Volks.
Dreyzehntes Kapitel.
Verhältnis der Bürger zur obersten Macht und Gesetzgebung.
Jhr wahrer oder scheinbarer Antheil
daran.
Es sind fünferley Massregeln, welche man in den
gemischten Regierungsformen zu nehmen pflegt, um
das Volk zu täuschen, und ihm einen rechtlichen Antheil
an der Regierung zu geben, indess man den reellen
verhindert. Sie betreffen die Volksversammlungen, die
obrigkeitlichen Aemter, die Richterstühle, die Bewaffnung
und die Gymnasia. Jn Absicht der ersten besteht
diese Maassregel darin, dass es allen Bürgern freygegeben
wird, in die Versammlung zu kommen, dass aber
den Reichen eine Geldbusse aufgelegt werde, wenn
sie nicht darin erscheinen, entweder ihnen allein,
oder doch ihnen eine weit grössere. Jn Absicht der
obrigkeitlichen Aemter, wird denen, die ein gewisses
bestimmtes Vermögen haben, nicht erlaubt, Aemter,
zu denen sie gewählt worden, von sich abzulehnen;
Aermern wird es erlaubt. So in Absicht der Richterstühle,
steht für die Reichen Strafe drauf, wenn
sie nicht Richter seyn wollen, so bald sie das Loos
oder die Reihe trifft: für die Aermern steht keine
Strafe drauf, oder eine weit geringere, wie nach
Charondas Gesetzen. An einigen Orten ist das
Gesetz, dass es jedem Bürger, der sich meldet, und
sich dazu in das desshalb gehaltne Register einschreiben
lässt, frey stehe, in der Volksversammlung zu
erscheinen, und Richter zu seyn, dass aber die eingeschriebenen,
wenn sie nun doch nicht in der Versammlung
erscheinen, oder doch nicht Richter seyn
wollen, grosse Geldstrafe bezahlen müssen. Dadurch
geschieht es, dass die Armen abgeneigt sind,
sich einschreiben zu lassen: und da sie also nicht
eingeschrieben sind, weder zu der Versammlung,
noch zu den Richterstühlen Zutritt haben. Aehnliche
Verordnungen sind in Absicht des Besitzes der
Waffen und der gymnastischen Uibungen im Schwange.
Den Aermern ist es bloss erlaubt, Waffen sich
anzuschaffen, und die kriegerischen Uibungen zu erlernen:
aber den Reichem sind Strafen dictirt,
wenn sie sich keine Waffen angeschafft und keine gymnastische
Uibungen gelernt haben. Augenscheinlich
in der Absicht, damit die Furcht vor der Strafe
mache, dass keiner von diesen letztern, aber von
den erstern viele es unterlassen mögen, da sie nichts
zu befürchten haben. Das sind also oligarchische
Kunstgriffe der Gesetzgebung, um die Macht unvermerkt
aus den Händen des Volks in die Hände
Weniger zu spielen.Dem wird nun in Demokratien durch andre
Künsteleyen entgegen gearbeitet. Hier bekommt
nähmlich der Aermere, wenn er in der Volksversammlung
oder in den Richterbänken erscheint, eine
Art von Sold, — und der Reiche bezahlt keine
Busse, wenn er nicht erscheint.Augenscheinlich muss also der, welcher eine von
demokratisch und oligarchischen gehörig gemischte
Form errichten will, beyde Maassregeln vereinigen.
Er muss die Aermern besolden und den Reichern die
Geldstrafe anlegen. Auf diese Weise würde er sicher
seyn, dass beyde Parteyen an den gesetzgebenden
und an den Recht sprechenden Collegiis Theil
nehmen würden. Nach jenen zuvor beschriebenen
Einrichtungen nimmt nur immer eine Partey wirklichen
Antheil. — Jnsbesondre nach denen, welche
die Bewaffnung und Leibes-Uibungen betreffen.
Denn in einer Republik sind nur diejenigen wahrhaftig
Bürger, welche die Waffen in Händen haben,
und im Gebrauch derselben geübt sind.Was den Maassstab des Vermögens betrifft,
welches von demjenigen gefordert werden soll, der
zu diesem oder jenem Vorrechte des Staats zugelassen
wird, so ist dieser im Allgemeinen nicht zu
bestimmen: sondern er muss sich nach der Summe
der grössten Reichthümer richten, die im Staate
vorhanden sind. Jmmer aber muss er so bestimmt
seyn, dass die Anzahl derer, welche an der Regierung
einigen Antheil haben, grösser sey, als die
Anzahl derer, welche davon ausgeschlossen sind.Es ist zwar wahr, dass die Aermern, auch,
wenn sie zu den Ehrenämtern des Staats keinen Zutritt
haben, doch sich gerne zufrieden geben, und
ruhig bleiben, wenn sie nur nicht von denen, die
über ihnen sind, übermüthig behandelt, oder in
ihrem Eigenthum gekränkt werden. Aber diess ist
nicht leicht auf immer zu erwarten. Dazu wäre
nothwendig, dass die, welche am Ruder sind, immer
von Natur rechtschaffene und menschenfreundliche
Männer wären, und eine so glückliche Beständigkeit
des Zufalls findet sich nicht.Dazu kömmt, dass die Aermern, wenn sie im
Frieden zurückgesetzt werden, im Kriege sich weigern,
Soldatendienste zu thun, wofern sie nicht
Sold und Unterhalt bekommen; und dass sie hingegen
bereit sind, für einen jeden zu Felde zu ziehen,
der ihnen Sold und Unterhalt verschafft.Jn einigen Städten ist die Macht des Staats
bey denen, welche die schwer bewaffnete Jnfanterie
ausmachen, es sey, dass sie noch jetzt darunter dienen,
oder dass sie ehedem dazu gehört haben. Bey
den Maliensern ist die ganze Regierung in den
Händen beyder: die obrigkeitlichen Personen aber
werden nur aus denen erwählt, welche jetzt wirklich
als Soldaten dienen. So war auch die älteste
Regierungsform der Griechen nach Abschaffung
der königlichen Würde beschaffen. Nur die Krieger
machten die Regierung und den Staat aus. Und
zwar anfangs vornehmlich die Ritter, oder die,
welche zu Pferde dienten, weil auf die Reuterey
die Stärke der Heere und die Uibermacht im Kriege
ankam. Die Ursache ist, weil schwer bewaffnetes
Fussvolk, ohne regelmässige Abtheilung und Stellung
der Haufen von gar keinem Gebrauch im
Kriege ist. Von dieser Kunst ein Herr zu ordnen,
hatten jene Alten keine Kenntniss, noch weniger waren
sie darin geübt. Jhre eigentliche Stärke bestand
also in der Reuterey. Nachdem aber die
Städte grösser geworden sind, und die schwer bewaffnete
Jnfanterie mehr im Kriege zu gelten angefangen
hat: sind auch derer, welche an der Regierung
Theil genommen, mehrere geworden. Daher
die Regierungsformen, welche bey uns noch
als aristokratisch angesehen werden, bey den alten
schon Demokratien heissen. Sie waren gewohnt,
nur Monarchien oder Oligokratien unter sich zu sehen,
Einen oder Wenige über sich herrschen zu
lassen. Und diess ganz natürlich. Denn da überhaupt
das, was wir jetzt das Volk nennen, nicht
zahlreich und nicht in ein Corpus vereinigt, regelmässig
abgetheilt und in Waffen geübt war;
so liess es sichs leichter gefallen, beherrscht zu
werden.
Vierzehntes Kapitel.
Staatseinrichtung. Das berathschlagende Corpus.
Nachdem ich also die Verschiedenheiten der Regierungsformen,
und auch diejenigen, welche sich
unter einem und demselben Nahmen verstecken,
(weil in der That ganz ungleichartige Verfassungen
Demokratien u.s.f. heissen) angegeben habe: kommt
nun noch Verschiednes anzumerken vor, welches entweder
alle insgesammt, oder jede insonderheit angeht.
Jch mache davon den Anfang, dass ein guter
Gesetzgeber, wenn er von dem urtheilen will,
was dem Staate nützlich sey, in allen Versagungen
auf drey Stücke zu sehen, und seine Maassregeln
in Rücksicht auf den Nutzen dreyer Hauptzweige
der Regierung zu nehmen habe, welche,
wenn sie wohl eingerichtet sind, nothwendig den
ganzen Staat im Wohlstande erhalten, und wenn
sie sich verändern, nothwendig Veränderungen der
ganzen Verfassung und des Zustandes der Republik
nach sich ziehn. Von diesen drey Stücken ist
das erste der über die öffentliche Angelegenheiten
rathschlagende Theil: und die Frage ist, aus was
für Personen er bestehen solle? Das zweyte betrifft
die ausübende Gewalt, oder die obrigkeitlichen
Aemter. — Wie viele sollen ihrer seyn: über
welche Sachen soll jedes Gewalt haben, und wie sollen
die, welche sie begleiten, gewählt werden? Das
dritte Stück ist die richterliche Gewalt: wer sollen
die seyn, welche in den bürgerlichen Streitigkeiten
entscheiden?Was nun das berathschlagende Corpus anbetrifft,
so ist der Geschäftskreis desselben folgender:
über Krieg und Frieden, über zu schliessende Bündnisse
oder über die Aufhebung derselben zu entscheiden,
neue Gesetze zu geben oder alte abzuschaffen,
über die Verbrechen, worauf Todesstrafe, Landesverweisung,
Verlust der Güter steht, zu richten,
endlich die Rechenschaft von den Magistratspersonen
und den Administratoren des Staats abzufordern.Die Macht nun, über alle diese Puncte zu
entscheiden, wird entweder allen Bürgern zusammengenommen,
oder nur einigen gegeben, mit einer
einzigen oder mit mehrern obrigkeitlichen Würden
verbunden; — oder einige dieser Gegenstände
werden allen zur Entscheidung überlassen, andre gewissen
besondern Personen zu besorgen aufgetragen.
Die erste Einrichtung, wenn alle Bürger zusammen,
und über alle jene Puncte zu sprechen haben,
ist demokratisch. Denn diese Regierungsform
verlangte eine solche vollkommne Gleichheit. Der
Arten und Weisen aber, wie alle zu diesen Entscheidungen
concurriren können, sind mehrere. Die
eine ist, wenn das Ganze in Theile getheilt wird,
und ein Theil nach dem andern, wie die Reihe an
jeden kömmt, dieses Staats-Conseil formiret, wie
diess in dem Staatssystem Teleklis des Milesiers
der Fall ist. Auch in andern Staatsverfassungen
ist die Einrichtung, dass jenes berathschlagende Collegium
von den zusammentretenden sämmtlichen Magistratspersonen
formirt wird, zu den Magistraturen
selbst aber alle Bürger gezogen werden, und
zwar so, dass von den Klassen, in welche die Bürgerschaft
getheilt wird, als den Zünften (Φμλδτς)
oder noch kleinern Abtheilungen, eine nach der andern
an die Reihe komme, wahlfähig zu seyn, bis
die Wahl durch alle hindurchgegangen ist: eine Versammlung
des gesammten Volks aber findet nur
alsdann Statt, wenn neue Gesetze gegeben, Veränderungen
in der Regierungsform gemacht, oder
Verordnungen der Obrigkeit den sämtlichen Bürgern
auf die authentischste Art bekannt gemacht werden
sollen.Eine zweyte Methode, wie am berathschlagenden
Collegio alle Theil haben können, ist, wenn
das ganze Volk in Corpore dieses Collegium ausmacht,
— dieses geschieht, wenn den Volksversammlungen
die Wahl der Magistratspersonen, die Gesetzgebung,
die Entschlüsse über Krieg und Frieden,
und die Abforderung der Rechenschaft von den obrigkeitlichen
Personen, die Erkenntniss über die übrigen
Staatsangelegenheiten aber den respectiven Obrigkeiten
und Officianten aufgetragen wird, welche die
Ausführung derselben zu besorgen haben, wobey es
nun noch Bedingung seyn muss, dass diese Obrigkeiten
aus allen Bürgern ohne Unterschied durchs
Loos, oder durch Wahl gezogen werden.Eine dritte Methode ist, wenn die sämmtlichen
Bürger sich nur zur Wahl der obrigkeitlichen
Personen, zu Annehmung der Rechenschaft von denselben,
zu Berathschlagungen über Krieg oder Bündnisse
versammeln, — alles übrige aber (also auch
die Gesetzgebung) von den obrigkeitlichen Personen
besorgt wird, welche letztern aber alsdann gewählt
werden müssen, besonders diejenigen, wo eigentliche
Wahl Statt findet, d. h, die zu ihrer Administration
besondre Kenntnisse, und eigne Qualitäten
nöthig haben.Die vierte Art ist, wenn alle Bürger in der
Volksversammlung vereinigt, über alles zu entscheiden
haben, den obrigkeitlichen Personen aber
nichts weiter übriggelassen ist, als diese Entscheidungen
durch provisorische Urtheile vorzubereiten und
zu leiten. Und auf diese letzte Art sind nun die äusserst
demokratisch verfassten Städte eingerichtet; welche
Art der Demokratie ich mit der Dynasten-Regierung
unter den Oligarchien und mit der Tyranney
unter den Monarchien in Vergleichung gesetzt
habe.Alle bisher angeführte Einrichtungen des berathschlagenden
Theils sind demokratisch.Oligarchisch ist die, wenn nur einige Personen
über alles rathschlagen.Auch diese Einrichtung hat noch viele Verschiedenheiten.Wenn z. B. diese Einigen gewählt werden
und zur Wahlfähigkeit nur ein mittelmässiges Vermögen
erfordert wird; wenn also eben um dieser
Mittelmässigkeit des erforderlichen Vermögens willen
mehrere zu Stellen in diesem Staatsrathe gelangen
können, wenn demselben nicht frey steht,
Aenderungen in Dingen zu machen, welche die Gesetze
von ihrer Gerichtsbarkeit aufgenommen haben,
wenn von Zeit zu Zeit diejenigen, welche das bestimmte
Vermögen erwerben, auch unter die an jenen
Berathschlagungen Theilhabenden Bürger aufgenommen
werden: so ist die Einrichtung zwar oligarchisch,
aber es ist eine gemässigte und der republikanischen
Form sich nähernde Oligarchie.Wenn aber ausdrücklich ein Theil der Bürgerfamilien
von aller Theilnehmung an den öffentlichen
Berathschlagungen auf immer ausgeschlossen ist,
übrigens das Collegium, welchem dieselben zukommen,
wie zuvor, den Gesetzen unterworfen ist; so
ist is reine, wahre Oligarchie.Wenn endlich die einmahl in diesem Collegio
Sitzenden das Recht haben, an die Stelle der abgehenden
Mitglieder die neuen selbst zu wählen,
oder, wenn das Recht darin zu sitzen, erblich ist,
und vom Vater auf dem Sohn übergeht; wenn
das Collegium endlich auch über die Gesetze selbst
zu urtheilen hat: so ist diese Einrichtung nothwendig
in einem noch höhern Grade oligarchisch.Eine dritte Hauptmodification des berathschlagenden
Theiles in der Staatsverfassung ist, wenn
über einige Gegenstände alle Bürger zusammen, über
andre nur gewisse Personen, und zwar wieder über
verschiedene Verschiedne zu rathschlagen und zu entscheiden
haben; wobey wieder die Verschiedenheit
vorkömmt, dass diese entweder durch Wahl oder durchs
Loos bestimmt werden. Diess ist alsdann aristokratisch-republikanisch.
Es kann nun hiebey entweder
Wahl und Loos getheilt werden, so, dass zu einer
Klasse von Gegenständen, die Berathschlagenden gewählt,
zu einer andern erloost werden (und bey
dem Loose kann entweder ein Urtheil über die Personen,
über welche geloost werden soll, vorhergegangen
seyn oder nicht); oder Wahl und Loos wird
mit einander verbunden; so, dass erst eine gewisse
Anzahl wählbarer Personen durchs Loos gezogen,
und aus diesen gewählt wird. Wenn dieses ist: so ist
die Einrichtung halb aristokratisch, halb republikanisch.Diess sind also die verschiedenen Arten, wie
nach der Verschiedenheit der Regierungsformen der
berathschlagende Theil derselben angeordnet wird.
Es ist aber für diejenige Demokratie, welche gegenwärtig
diesen Nahmen beynahe ausschliessend bekömmt,
d. h. wo das Volk Herr von Allem, auch
über die Gesetze ist, nützlich, es in Absicht der öffentlichen
Berathschlagungen und Beschlüsse so zu
halten, wie es in den Oligarchien in Absicht der
richterlichen Functionen gehalten wird. Diese bedrohen
nähmlich diejenigen, welche nach dem Geiste
der Verfassung Richter seyn sollen, mit Strafe, wenn
sie sich davon zurück ziehn; — Die Demokratie
hingegen gibt den Armen, damit sie gereitzt
werden, die Richterstühle zu besuchen, eine Belohnung
dafür. Jn Absicht nun der öffentlichen Berathschlagungen sollen beyde
Maassregeln vereiniget,
und die Reichern genöthigt, die Aermern angelockt
werden, den Versammlungen, worin gerathschlagt
wird, beyzuwohnen. Denn das ist gewiss, dass die
Entschlüsse am bessten ausfallen, wenn alle Klassen
ihre Rathschläge vereinigen; wenn das Volk mit den
Vornehmern und Angesehnern, und diese mit den
gemeinen Volksklassen über die Angelegenheiten Abreden
nehmen. Eben so, wenn nicht das ganze Corpus
der Bürgerschaft, sondern gewisse Collegia,
die Berathschlagungen über die öffentlichen Angelegenheiten
halten: so ist es abermahls nützlich, dass
die Glieder dieses Collegii, oder dieser Collegien,
in gleicher Anzahl oder doch mit gleichem Einfluss,
aus jenen beyden Hauptklassen der Nazion, es sey
durchs Loos gezogen, es sey gewählt worden. Aus
gleichem Grunde ist es nützlich, dass, wenn die geringere
Volksklasse die Vornehmern an Anzahl weit
übertrifft: die Geldbelohnung, die die ärmern Bürger
auffordern soll, den Versammlungen beyzuwohnen,
nicht allen und jeden, welche aus dieser Klasse
in der Versammlung erscheinen, zu Theile, sondern
auf eine gewisse der Menge der Vornehmern proportionirte
Zahl eingeschränkt wird.Jn Oligarchien hingegen ist es zur Erhaltung
und Festigkeit der Verfassung zuträglich, dass entweder
aus dem Volke einige ausgewählt werden,
welche den berathschlagenden Versammlungen des
Adels beywohnen, oder dass, wie in mehrern Staaten
dieser Art es wirklich geschieht, ein Collegium
eingerichtet werde, welches unter dem Nahmen von
Gesetzwächtern, oder von vorbereitendem
Rathe, über die der Volksversammlung vorzutragenden
Angelegenheiten erst rathschlage, und letztre
über nichts entscheiden könne, als über die Vorschläge,
welche jenes Collegium vor die Versammlung
bringt. Auf diese Weise ist das Volk nicht
ganz von den Berathschlagungen über Staatsangelegenheiten
ausgeschlossen, und hat demohnerachtet
nicht die Macht etwas in der Verfassung zu ändern.
Soll das Volk noch enger eingeschränkt werden:
so wird der Versammlung entweder bloss die
Bestätigung der Schlüsse jenes vorsitzenden Collegii
überlassen, oder es wird ihr doch wenigstens nicht
erlaubt, etwas denselben Widersprechendes zu beschliessen.
— Oder man kann auch das Volk bloss zur
Einhohlung seiner Meinungen versammeln, die Entscheidungen
der Sachen aber den Magistratscollegiis
überlassen. Uiberhaupt sollte man grade das Gegentheil
von dem thun, was jetzt in den meisten
Städten geschieht. Man sollte dem Volke die verneinende
Stimme oder das Recht die Vorschläge der
Magistratspersonen zu verwerfen, aber nicht eine
bejahende, oder das Recht neue und andre Verfügungen
zu machen, geben: sondern im Falle dass
ein Vorschlag verworfen würde, sollte die Sache
von neuem vor die obrigkeitlichen Collegia kommen.
Jetzt verfährt man in vielen Städten grade auf die
entgegengesetze Weise. Die Wenigen, oder die
Magistratspersonen haben das Recht zu verwerfen
und zu cassiren, was vom Volke vorgeschlagen wird;
aber sie haben nicht das Recht etwas anders positiv
fest zu setzen: sondern die Sache muss alsdann
von neuem vor das Volk gebracht werden.Diess sind meine Jdeen von dem Theile der
Regierungen und Staatsverfassungen, welcher über
allgemeine Angelegenheiten rathschlägt und Entschlüsse
fast.
Fünfzehntes Kapitel.
Executive Gewalt. Obrigkeiten.
Die nächstfolgende Untersuchung betrifft den mit
der Ausführung der Beschlüsse beschäftigten Theil,
oder die eigentlichen obrigkeitlichen Aemter. Auch
dieser Theil der Verfassungen hat mannigfaltige
Verschiedenheiten: 1) in Absicht der Anzahl der
Aemter, unter wie viele die Geschäfte getheilt werden
sollen; 2) in Absicht der Gegenstände, welcher
Geschäftskreis jedem Amte untergeben sey; 3) in
Absicht der Zeit, auf wie lange jedes conferirt werde
(in einigen Orten bleiben die Magistratspersonen
in ihrem Posten nur ein halbes Jahr, in andern
ein ganzes, in noch andern länger als ein
ganzes oder weniger als 6 Monathe; hierbey ist
nun die Frage, ob es besser sey die Aemter auf
zeitlebens, oder auf lange Zeit zu ertheilen, oder
besser sie kurzdauernd zu machen, ferner ob es besser
sey, oft dieselben Personen zu denselben Aemtern
zu nehmen, oder niemahls eine Person zweymahl
dazu gelangen zu lassen); 4) in Absicht der
Art und Weise der Ernennung zu den Aemtern,
aus welchen Klassen die damit zu begleitenden zu
nehmen sind, von wem sie ernannt und bestimmt
werden, und nach welcher Methode diese Bestimmung
geschehen solle.Um über diese Puncte zu entscheiden, muss
man wissen, wie vielerley Arten möglich sind; und
dann diese Arten den Formen der Constitution anpassen,
so dass man angeben könne, welche in der
einen, und welche in der andern Regierungsform
die zuträglichste ist.Auch das ist schon nicht leicht zu bestimmen,
welche öffentliche Verrichtungen man eigentlich Aemter
und obrigkeitliche Aemter nennen solle. Denn
die bürgerliche Gesellschaft bedarf vielerley Verwaltungen
von Geschäften, die gewissen Personen
entweder durchs Loos oder durch Wahl aufgetragen
werden und ihnen eine gewisse Würde geben,
ohne sie doch desswegen zu obrigkeitlichen Personen
zu machen. Von dieser Art sind erstlich die Priesterlichen
Würden, die gewiss für etwas ganz anders
als obrigkeitliche Aemter zu halten sind. Dazu
gehören ferner die Herolde, die öffentlichen Ausrufer,
die, welche die Theaterchöre und Aufzüge
bey den Bacchus- und andern Festen anführen. —Auch
die, welche zu Abgesandten an andre Staaten
gewählt werden, sind im Dienste des Publikums. —Ein andrer Unterschied ist folgender: Einige
Staatsaufträge geben eine Autorität in Beziehung
auf einen gewissen Zweck, und über die Handlungen
aller Bürger, in sofern sie zu diesem Zwecke
conrurriren; z. B. der Feldherr hat über alle Bürger
zu befehlen, die zu Felde gehn. Andre geben
nur ein Commando über einen gewissen Theil der
Bürger. Dahin gehören z. B. die in einigen Staaten
eingeführten Aemter eines Polizey-Aufsehers
über die Weiber oder über die Kinder. Einige öffentliche
Verrichtungen sind bloss ökonomisch: denn
so werden in gewissen Staaten Personen ausdrücklich
dazu gewählt, das Getreide in den Magazinen
beym Empfang und der Auslieferung zu messen.
Andre sind blosse Hand- und körperliche Dienste,
dergleichen reiche Leute sich von ihren Sklaven verrichten
lassen.Jm eigentlichsten Verstande heissen nur diejenigen
Aufträge obrigkeitliche Aemter, welche das
Recht geben, über öffentliche Angelegenheiten
Schlüsse zu fassen, über Recht und Unrecht geschehener
Handlungen zu entscheiden, und gewissen
Personen zu befehlen. Diess letzte ganz vorzüglich,
denn das Recht zu befehlen ist das unterscheidende
Kennzeichen einer Obrigkeit.Doch in Absicht des Gebrauchs und der Ausübung
kommt es auf eine so genaue Bestimmung
der Wortbedeutung nicht an, weil darüber ein
Streit entsteht, ob diese oder jene Geschäftsführung
mit Recht ein obrigkeitliches Amt heissen könne
oder nicht, ob gleich die Untersuchung davon
ihren anderweitigen theoretischen Nutzen hat. Aber
davon ist sehr oft bey der wirklichen Anordnung
eines Staats die Frage, welche Aemter und wie
viele derselben durchaus nothwendig sind, zur Existenz
und zum Bestehen eines Staats, und welche,
ob gleich nicht unentbehrlich, doch zur Vollkommenheit
eines Staats nützlich sind. Darüber kann
in allen Staaten, aber am meisten in kleinen,
Streit entstehn. Jn grössern nähmlich ist es möglich
und es ist auch zu rathen, dass jedem besondern
Geschäfte auch ein besonders Amt gewidmet
werde. Da die Anzahl der Bürger in demselben
gross ist, so kann auch die Anzahl derer gross seyn,
welche daraus zu öffentlichen Aemtern gezogen werden.
Es ist daher auch möglich, dass grosse Zeiträume
gesetzt werden können, ehe dasselbe Amt
wieder an die nähmliche Person komme, oder dass
gewisse Aemter auch an Eine Person nur einmahl
kommen. Und gewiss besser wird jedes Werk gemacht,
wenn der, welchem dasselbe zu besorgen
aufgetragen ist, nur mit einem Gegenstande, als
wenn er mit vielen zu thun hat.Jn kleinern Städten aber ist es nothwendig,
dass viele Aemter unter wenige Personen vertheilt,
und also Einer Person mehrere aufgetragen werden.
Die geringe Anzahl der Einwohner überhaupt
lässt nicht zu, dass eine grosse Anzahl derselben in
den Regierungssälen auf einmahl beschäftigt sey.
Denn wenn dieser ihre Amtszeit zu Ende ist, wo
würden dann ihre Nachfolger zu finden seyn!Zuweilen haben kleine Städte eben die Magistratspersonen
und eben die Gesetze nöthig, als
die grossen Städte. Aber der Unterschied ist: in
diesen kommen dieselben Geschäfte oft vor, und sie
bedürfen also immer gewisser Personen die solche
verwalten: in jenen aber ereignen sich die Fälle,
wo gewisse Angelegenheiten zu besorgen sind, nur
von Zeit zu Zeit: und es ist also nicht nothwendig,
dass immer eine bestimmte Person denselben
allein obliege: sondern, ohne dass es den Geschäften
schade, oder eine Verrichtung die andere störe,
können mehrere einer und derselben Person anvertrauet
werden. Die Magistraturen müssen in kleinen
Städten, wegen der Volksarmuth, wie gewisse
Kücheninstrumente seyn, die man zugleich zum
Leuchten und zum Braten braucht.Wenn nur erst ausgemacht ist, wie viel obrigkeitliche
Aemter überhaupt in jeder Stadt nothwendig
sind, und wie viele, ohne nothwendig zu
seyn, doch heilsam und zu rathen sind: so wird
sich auch leichter erkennen lassen, welche dieser Aemter
zusammen vereinigt werden können, und welche
getrennt bleiben müssen.Auch das muss nicht untersucht bleiben,
welche obrigkeitliche Verrichtungen desswegen mehrern
übertragen werden müssen, weil an verschiedenen
Theilen und in verschiedenen Orten der Stadt,
derselbe Gegenstand einen besondern Aufseher fordert,
und welche einem Einzigen aufgetragen werden
können, weil die Autorität und die Besorgung
dieses Einzigen sich auf die ganze Stadt erstrecken
kann. Z. B. wenn gute Zucht und Ordnung der
Gegenstand ist: so ist die Frage, ob für den Markt
und die Kaufmannsläden eine eigne Magistratsperson
zu creiren ist, die hier Ordnung halte, eine
andere, welche gleiche Polizeyaufsicht an andern
Orten der Stadt führe: oder ob es thunlich sey,
die Aufrechterhaltung guter Ordnung in der ganzen
Stadt nur einem Einzigen zu übergeben.Eine andre Frage ist, ob man die Magistraturen
abtheilen müsse nach den Gegenständen, oder
nach den Menschen, über welche sie die Aufsicht
haben. Z. B. ob eine eigne obrigkeitliche Person
bloss zur Aufsicht über Ordnung und Sittlichkeit
zu setzen sey, oder ob ein besondrer Aufseher über
die Weiber, ein andrer über die Jugend verordnet
werden müsse.Ferner, ist nach der Verschiedenheit der Regierungsformen,
auch die Abtheilung und die Natur
der obrigkeitlichen Aemter verschieden? so dass
es andre Aemter in einer Monarchie gibt, welche
weder die Demokratie noch die Oligarchie kennt,
und umgekehrt? oder sind die Aemter selbst einerley,
werden aber nur in jeder Constitution mit andern
Personen, aus andern Klassen besetzt? z. B.
in den Aristokratien mit solchen, die eine gute Erziehung
und Unterricht bekommen haben, in Oligarchien
nur mit Personen die ein gewisses Vermögen
besitzen, in Demokratien mit allen die freygebohren
sind? Es gibt Ursachen, warum in der
einen Regierungsform mehrere Aemter bey einander
seyn können, die in einer andern getrennt seyn müssen.
Jn der einen ist es schicklich, dass gewisse
Aemter mit grossem Ansehn verbunden sind, die nach
der Beschaffenheit einer andern Verfassung nur wenig
zu bedeuten haben. Auch gibt es in der That
gewisse jeder Regierungsform eigenthümliche Aemter.
So ist das Amt der Probulen (d. h. derer, die
zuvor berathschlagen und entscheiden, was in
die Volksversammlung gebracht werden soll), nicht
demokratisch, aber ein aus dem Volke gezogener
Senat ist es. Denn immer muss es ein Concil
geben, dessen Geschäfte es ist, die Sachen, ehe
sie dem ganzen Volke vorgelegt werden, zu untersuchen,
um dieses nicht zu lange und zu oft von
seinen Arbeiten abzuhalten. Besteht nun dieses
Concil aus wenigen Personen: so ist es ein oligarchisches
Jnstitut. Und von dieser Art sind die
sogenannten Probulen, deren immer nur einige wenige
seyn müssen. Zuweilen sind beyde dieser Jnstitute
bey einander, so dass es ausser dem zahlreichen
Senat, noch ein kleineres Collegium von
eigentlichen Räthen oder Probulen gibt. Jn diesem
Falle ist dieser kleine Rath zur Einschränkung
und Schwächung des grössern bestimmt, und gibt,
wenn dieser der Demokratie günstig ist, das Gegengewicht
für die Oligarchie.Auch in denjenigen Demokratien wird das Ansehen
des Senats beynahe vernichtet, in welchen
das Volk fast unaufhörlich zusammenkömmt, und
sich über alle Angelegenheiten berathschlaget. Dieses
kann aber nur Statt finden, wo die Bürger,
welche die Volksversammlung ausmachen, wohlhabend
sind, oder ausdrücklich dafür, dass sie in der
Versammlung erscheinen, einen Lohn erhalten. Da
sie in beyden Fällen sich von ihren Nahrungs-Geschäften
losmachen können: so sind sie bereit, sehr
oft zusammen zu kommen, und urtheilen und entscheiden
also alles durch sich selbst.Ein Aufseher über die Jugend, ein Aufseher
über das weibliche Geschlecht, und überhaupt Magistratspersonen,
die über das Sittliche der Bürger
eine specielle Aufsicht führen, sind nur in Aristokratien
schicklich, aber der demokratischen Form
sind diese Aemter nicht angemessen, denn wie könnte
man die Weiber und Kinder armer Bürger so
unter Aufsicht und bey der geforderten Sittsamkeit
erhalten, da sie ihres Unterhalts wegen oft ausgehn
und unter fremde kommen müssen? auch nicht
der oligarchischen; denn die Weiber der Reichen,
die zugleich herrschen, lieben und begünstigen den
Luxus. Diess sey genug als Fingerzeig, um über
diese Gegenstände weiter nachzudenken.Uiber die Art und Weise aber, wie diese Aemter
zu besetzen sind, muss ich nun noch von den ersten
Grundbegriffen an, meine Gedanken entwickeln.
Es kömmt bey der Bestimmung derselben auf drey
Puncte an, welche, wenn sie nach ihren verschiedenen
Modificationen betrachtet, und wenn diese Modificationen
mit einander so vielfach als es möglich ist
zusammengehalten werden, nothwendig alle erdenklichen
Verfassungen in der Amtsbesetzung darlegen.Von diesen drey Puncten ist der erste: wer diejenigen
sind, welche die Aemter besetzen; der zweyte,
mit was für Personen sie besetzt werden können;
der dritte, nach welchen Regeln und Methoden die
Besetzung geschieht. Bey jedem dieser drey Puncte
sind drey verschiedene Fälle möglich. Denn erstlich
geschieht entweder die Ernennung zu den Aemtern
durch die Bürger insgesammt, oder nur durch
einige aus den Bürgern; — und eben so können zu
Verwaltung der Aemter entweder alle Bürger,
oder nur gewisse genommen werden; etwan nur die,
welche durch Geburt oder durch ein bestimmtes Vermögen,
oder durch irgend einen andern Vorzug ausgezeichnet
sind; in Megara z. B. wurden lange Zeit
nur die zu Magistraturen zugelassen, welche zusammen
mit den exulirenden Ablichten sich conföderirt, und
die Waffen gegen die Volkspartey ergriffen hatten.
Und endlich geschieht die Besetzung selbst entweder
durch Wahl oder durchs Loos. Dazu kömmt aber
noch ein dritter Fall bey jedem Puncte, dass nähmlich
beydes zugleich nur bey verschiedenen Aemtern
Statt finde, so dass bey Besetzung einiger alle Bürger
concurriren, das Recht andre zu besetzen nur
gewissen Personen ausschliessend zusteht; dass zu Begleitung
einiger Aemter alle Bürger qualificirt sind,
zu Verwaltung anderer besondre Eigenschaften erfordert
werden, das endlich einige Aemter durch Wahl,
andre durchs Loos ausgetheilt werden. Jeder von
diesen drey Artikeln lässt also vielerley Verschiedenheiten
zu. Dann erstlich, wenn Bürger zur Ernennung
der Magistratspersonen concurriren, und
sie solche hinwiederum aus allen ernennen: so geschieht
diess entweder durch Wahl oder durchs Loos; ferner
geschieht es entweder so, dass jederzeit die sämmtliche
Zahl aller Bürger wählbar ist, oder so, dass
die Wählbarkeit durch die verschiedenen Eintheilungen
des Volks (diese mögen nun nach Zünften, oder
nach Quartieren, oder nach den Ortschaften, wo
sie ihre liegenden Gründe haben, gemacht werden),
die Reihe nach herumgehn. Oder endlich wird bey
einigen Aemtern das Eine, bey andern das Andre
beobachtet. — Zweytents, wenn nur einige und gewisse
Personen sind, welche das Recht zu den Magistratswürden zu
ernennen haben: so ernennen sie
die, welche sie begleiten sollen, entweder aus allen
Bürgern, oder nur aus gewissen Klassen, in beyden
Fällen entweder durch Wahl oder Loos; —
oder sie besetzen gewisse Aemter auf die eine, andre
auf die andre Weise. Es gibt also in allen
zwölf mögliche Verschiedenheiten, die Combinationen
ungerechnet.Unter diesen Formen und Einrichtungen sind
zwey demokratisch, wenn alle aus allen die zur Besetzung
der Magistraturen nöthige Personen, es
durchs Loos, es sey durch Wahl, es sey durch beydes
ernennen (dass nähmlich zu einigen Stellen gewählt,
über andre gelooset wird). Wenn aber nicht
alle, sondern gewisse Personen die Besetzung der
Aemter über sich haben, sie aber entweder aus
allen wählen, oder einige Aemter aus der gesammten
Bürgerschaft, andre aus gewissen Klassen besetzen:
so ist diess nicht republikanisch oder der Verfassung
eigen, die wir πολιτείαν genennt haben.
Sind die, welche die Magistratspersonen ernennen,
nur Einige und Bestimmte aus den Bürgern, und
sind die, aus welchen die obrigkeitlichen Personen
genommen werden können, wieder nur auf einen
bestimmten Theil der Bürgerschaft eingeschränkt:
so ist die Einrichtung im Geiste der Oligarchie. Geschieht
endlich diese Ernennung vom gesammten Volke,
aber nur aus den dazu bestimmten Klassen,
und zwar durch Wahl, so ist diess aristokratisch.
So vielerley Verschiedenheiten gibt es also in
der Art, die Personen zu den Magistraturen zu ernennen:
und so hängen diese Verschiedenheiten mit
den Regierungsformen zu sammen. — Welche Methode
aber sich zu jedem Amte schickt, nach Verschiedenheit
der Macht, welche jedem Amte anvertraut
ist, wird aus dem Folgenden erhellen. Jch
nenne aber Macht des Amts, die Art von Geschäften
oder Personen, welche der damit Begleitete unter
sich hat, z. B. wenn das eine die Aufsicht über
die öffentliche Einkünfte, das andre das Commando
über die Stadtwache mit sich führet. Nach Beschaffenheit
der Geschäfte muss auch die Gewalt
verschieden seyn, welche das Amt ertheilt. Denn
eine andre Autorität übt der Feldherr über die in
Krieg ziehende Truppen, eine andre der Markt-Polizey-Director
über die Käufer und Verkäufer aus.
Sechzehntes Kapitel.
Gerichtsverwaltung.
Nach dem Staatsrath, oder dem über die öffentlichen
Angelegenheiten berathschlagenden Corpore,
und nach den obrigkeitlichen Aemtern, die die gefassten
Entschlüsse ausführen, ist nun das dritte, worauf
ein Gesetzgeber zu sehn hat, die Verfassung
der Richterstühle. Hier wird es gleichfalls
nöthig seyn, auf obige Art die verschiedenen möglichen
Fälle abzuzählen. Diese Verschiedenheiten
beruhen aber auf drey Puncten: auf der Frage, wer
soll Richter seyn, —worüber soll er Urthel zu sprechen
haben? und wie soll er Urthel sprechen? Die
erste Frage heisst soviel: sollen alle Bürger das
Recht haben, zu Richtern in bürgerlichen Streitigkeiten
genommen werden zu können oder nicht? Die
zweyte soviel: wie vielerley Tribunäle und Jurisdictionen
muss man in einen Staat einfuhren?
Die dritte endlich, soll die Mehrheit der Stimmen
allein entscheiden, oder soll das Loos zu Hülfe genommen
werden?Zuerst also: wie vielerley gibt es Tribunäle?
Jch zähle derselben achte. Das erste ist das, zur
Untersuchung und Rechnungs-Abnehmung von denen,
die ein öffentliches Amt verwaltet haben. Das
zweyte für Verbrecher, durch welche das öffentliche
Eigenthum geschmälert worden. Das dritte für solche,
welche die Staatsverfassung angreifen. Das
vierte zur Beurtheilung der von Magistratspersonen
willkürlich aufgelegten Strafgelder. Das fünfte zur
Entscheidung von Civilprocessen und zwar über grössere
Summen. Das sechste über Todtschlag. Das
siebente über die Angelegenheiten der Fremden. —
Da der Todtschlag entweder aus Vorsatz und mit
Willen, oder unfreywillig und durch Zufall geschehen
seyn kann; und da, wenn es auch zugestanden
ist, dass er vorsätzlich geschehen sey, doch noch darüber
gestritten werden kann, ob er unter den Umständen
gerecht und erlaubt war: so entstehn eben
so viele Unterarten von dem Gericht über Todtschlag:
es sey nun, dass jede derselben andern, oder alle
denselben Personen, zur Entscheidung übergeben
seyn. — Eine vierte Untersuchung hängt damit zusammen, —
über Todtschläger, welche sich um ihrer
That willen selbst aus ihrem Vaterlande verbannt
haben, wenn dieselben von ohngefähr wieder zurückkommen.
Ein Tribunal, welches hierüber richtete, war
von den Atheniensern in dem Dorfe Phreatium
errichtet. Es sind aber diess Fälle, die nur in
grosses Städten, und auch in diesen nur sehr selten
vorkommen. Von dem Gericht, welches über die
Angelegenheiten der Fremden spricht, gibt es wieder
zwey Abtheilungen, eine, welche über die Streitigkeiten,
. die zwischen Fremden und Fremden vorfallen,
das andre, welches über die zwischen Fremden
und Einheimischen Recht spricht.Ausser allem diesem ist noch ein Bagatel-Gericht
nöthig, welches über Contracte und Forderungen, von
geringem Belange, die sich z. B. von einer bis zu fünf
Drachmen, oder nicht viel höher erstrecken, aburtheilen.
Auch diese Kleinigkeiten müssen ihre Schiedsrichter
haben, aber sie verlangen natürlicher Weise keine so
zahlreichen Collegia. — Von dem Gericht über Todtschläge
und dem über Fremde brauche ich nichts mehr
hinzuzusetzen; von dem über die Verbrechen aber, welche
gegen den ganzen Staat begangen werden, muss
noch etwas gesagt werden. Diese sind es, welche, wenn
sie nicht durch Richter und Recht auf die gehörige Weise
untersucht und bestraft werden, die meisten Anlässe
zu Aufruhr, Entzweyung der Bürger, und zu Veränderung
der ganzen Verfassung geben.Was nun die Personen betrifft, welche Richter
seyn sollen: so haben entweder alle Bürger das Recht,
zu Richtern in allen Gerichten genommen zu werden,
und die, welche es sind, werden aus der gesammten
Bürgerschaft entweder durchs Loos oder durch Wahl
gezogen. Oder wenn die richterliche Fähigkeit in allen
Tribunälen allen Bürgern zukömmt: so können doch
in gewissen derselben, oder bey gewissen Gegenständen,
die wirklichen Richter durch Wahl, in andern Tribunälen
bey andern Gegenständen durchs Loos bestimmt
werden. So entstehen also vier Unterarten, für
den ersten Fall, wenn die Richterfähigkeit allen Bürgern
gemein ist. Eben so viele finden sich für den zweyten
Fall, wenn überhaupt die Richter nur aus einer gewissen
bestimmten Anzahl und Klasse der Bürger genommen
werden dürfen. Denn auch alsdann werden die
aus dieser ein geschränkten Anzahl jedesmahl zu Richtern
Ernennte, entweder für alle Tribunäle und bey allen
Sachen durchs Loos, oder für alle und bey allen
durch Wahl, oder für einige durch Loosen, für andre
durch Wählen gezogen; oder endlich sind einige Tribunäle
aus gewählten und durchs Loos ernannten Mitgliedern
zusammengesetzt. —Wie gesagt, diese Unterabtheilungen sind den vorigen
vollkommen ähnlich. Nun können aber auch die
Haupt-Unterschiede selbst combinirt werden: ich will
sagen, dass für einige Tribunäle die Richter aus der
ganzen Bürgerschaft gezogen werden dürfen, für andre
nur aus einer bestimmten Klasse; für noch andre
theilweise, halb aus allen, halb aus gewissen
Personen; und in allen diesen Fällen ist es wieder
entweder Wahl oder Loos oder beydes, durch
welches die jedesmahligen Richter bestimmt werden.So vielerley sind also die Arten, die Tribunäle
zu constituiren. Die erste derselben, wenn die Richter
aus der gesammten Bürgerschaft und für alle
Arten von Urtheilssprüchen gezogen werden, ist demokratisch.
Die zweyte, wenn für alle Tribunäle,
und für alle Sachen, die Richter nur aus gewissen
Bürgern, oder einer bestimmten Klasse genommen
werden, ist oligarchisch. Die dritte, wenn für gewisse
Sachen die Richter aus allen Bürgern ohne Unterschied,
für andre Sachen, oder andre Tribunäle,
nur aus einer eingeschränkten Anzahl genommen werden,
ist aristokratisch, und der von mir πολιτεία genannten
Verfassung gemäss.Jnhalt.
Erstes Buch *). Seite
Kap. I. Uiber den Zweck der Staatsvereinigung
Unterschied der bürgerlichen Gesellschaft
von andern. Jhre Theile 5
—II. Was ein bürgerliches Gemeinwesen sey
Natürlichkeit eines solchen Gemeinwesens
11
—III. Herrschaftliche Verbindung 16
—IV. Freye und Sklaven 26
—V. Erwerb und Erwerbekunst 33
—VI. Handel, Tausch, Geld-Reichthum 40
—VII. Jst der Erwerb Sache des Haus- und
Staatsverwalters? — Alleinhandel 48
—VIII. Dreyerley Arten der Herrschaft in der Familie.
Vergleichung mit der politischen 56
Zweytes Buch
—
I. Welches die besste Staatsverfassung sey.
Platons Jdeal 65
—II. Platons Gemeinschaft der Weiber und
Kinder 71
—III. Platons Gemeinschaft der Güter 79
—IV. Kritik des Platonischen Werks von den Gesetzen
92
— V. Uiber das Jdeal des Phaleas 102
—VI. Uiber den Plan des Hippodamus 111
—VII. Die Lacedämonische Verfassung 122
—VIII. Die Cretensische 136
—IX. Die Carrhagische 143
—X. Die Atheniensische 150
Drittes Buch
—
I. Was das Wort Bürger eigentlich bedeute 158
—II. Was die Jdentität eines Staats? 167 —lll.
Ob die Tugend des Bürgers und die des
Menschen einerley sey? 170
*) Jn den ersten beyden Büchern ist der Uibersetzer von der gewöhnlichenKapitel-Abtheilung aus guten Gründen
abgegangen. ,
Jnhalt. SeiteKap. IV. Einleitung in die Untersuchung der verschiedenen
Staatsformen 183
— V. Drey verschiedne Staatsformen 188
—VI. Uiber die Verschiedenheit der Gerechtsamen
der Bürger in den verschiedenen Staatsverfassungen
193
—VII. Mögliche Uibelstände und Mängel in derselben
201
—VIII. Uiber die Grundsätze bey der Aemter-Vertheilung
212
—IX Uiber die Erhaltung des Gleichgewichts in
einem Staate 221
—X. Monarchie und deren Arten 226
—XI. Einige Bemerkungen zur Prüfung der monarchischen
Staatsform 232
—XII. Gründe gegen die unbeschränkte Monarchie 240
Viertes Buch.
—
l, Hauptprobleme der Politik 252
—II. Uibergang und Einleitung zu den hieher gehörigen
speciellen Untersuchungen 257
—III. Rechtfertigung der obigen Eintheilung der
Regierungsformen 260
—IV. Demokratie und deren Arten 264
—V. Verschiedne Arten der Oligarchie 276
—VI. Fortsetzung 278
— VII. Aristokratische Regierungsformen 283
—VIII. Republik im vorzüglichen Sinne. Tyrannie 285
—IX. Wesen einer Republik 289
—X. Vom Despotismus 294
—Xl. Welches ist die besste Regierungsform? 296
—XII. Verhältniss der Menschen zum Staate 304
—XIII. Verhältniss der Bürger zur obersten Macht
und Gesetzgebung. 308—XIV. Staatseinrichtung. Das berathschlagende
Corpus 312
—XV. Executive Gewalt. Obrigkeiten 320—XVI. Gerichtsverwaltung 330